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Full text of "Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechischen und Lateinischen"

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Zeitschrift für 
vergleichende 
Sprachforsch, 
auf dem 
Gebiete des ... 




Adalbert Kuhn 



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I 

ZEITSCHRIFT 

FÜR 

VERGLEICHENDE 

SPRACHFORSCHUNG 

AUF DEM GEBIETE DES 

DEUTSCHEN, GRIECHISCHEN UND LATEINISCHEN 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. ADALBERT KÜHN, 

PROFESSOR UND DIRK CTO R DES CÖLNISCHKN GYMNASIUMS ZU RKRUN. 



BAND XX. 

THE 
HILDEBRAND 

LIBMBY, 



-BERLIN, 

FERD. DÜMMLER'S VERLAGSBUCHHANDLUNG 

(HARRWITZ UND G088MANN) 
1872. ^ 



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■ 



Verzeichnis der bisherigen mitarbeiten 



Director dr. Ahrens in Han- 
nover. 

Prof. dr. Andresen in Bonn. 
C. Arendt in Peking. 
Prof. Ascoli in Mailand. 
Prof. dr. Th. Aufrecht in Edin- 
burg. 

Prof. dr. Ag. Benary in Ber- 
lin f. 

Prof. dr. Th. Benfey in Göttin- 
gen. 

Prof. dr. Bicheil in Münster. 
Dr. A. Birlinger in Bonn. 
Staatsrath dr. O. f. Boehtlingk 

z. z. in Jena. 
Prof. dr. Bollensen in Witzen- 
hausen a. d. Werra. 
Prof. dr. F. Bopp in Berlin f. 
Prof. Michel Breal in Paris. 
Prof. dr. Ernst Brücke in Wien. 
Dr. Jos. Budenz in Pesth. 
Prof. dr. G. Bühler in Bombay. 
Prof. dr. Sophus Bugge in Chri- 
stiania. 

Prof. dr. W. Clemm in Giefsen. 
Prof. D. Comparetti in Pisa. 
Prof. dr. W. Corssen in Berlin. 
Prof. dr. G. Curlius in Leipzig. 
Prof. dr. Berthold Delbrück in 
Jena. 

Dr. Lorenz Diefenbach in Frank- 
furt a. M. 

Director dr. A. Dietrich in Er- 
furt. 



Prof. dr. H. Düntier in Cöln. 
Prof. dr. H. Ebel in Schneide- 
muhl. 

Dr. Gust. Eschmann in Burg- 
steinfurt. 

Aug. Fick in Göttingen. 

Oberbibliothekar prof. dr. E. 
Förstemann in Dresden. 

Dr. Froehde in Liegnitz. 

Dr. G. Gerland in Halle. 

Schulrath dr. A. Goebel in Kö- 
nigsberg i. Pr. 

Heinr. Gradl in Eger. 

Prof. dr. Grafsmann in Stettin. 

Hofrath J. Grimm in Berlin f. 

Prof. dr. V. Grohmann in Prag. 

Prof. dr. M. Hang in München. 

Dr. Ludteig Hirtel in Fraue Il- 
feld (Cant. Thurgau). 

Prof. dr. A. Hoefer in Greifs- 
wald. 

Hofrath dr. Holtzmann in Hei- 
delberg f. 
Prof. dr. Hupfeld in Halle f. 
J. B. Janku in Florenz. 
Prof. dr. Jülg in Innsbruck. 
G. Jurmann in Wien. 
Prof. dr. H. Kern in Leyden. 
Prof. F. Kielhorn in Püna. 
Justizr. dr. Th. Kind in Leipzig f. 
Prof. dr. Kirchhoff in Berlin. 
Dr. Gustav Kifsling in Bremen 
Dr. K. t>. Knoblauch. 
Dr. Reinhold Köhler in Weimar. 



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IV 



Verzeichnis der bisherigen mitarbeiten 



Director dr. A. Kuhn in Berlin. 
Dr. Ernst W. A. Kuhn in Halle. 
Prof. dr. S. Lefmann in Heidel 
berg. 

Gymnasiallehrer dr. Gustat Le- 
gerlot* in Soest. 

Prof. dr. F. A. Leo iu Berlin. 

Prof. dr. H. Leo in Halle. 

Prof. dr. R. Lepsius in Berlin. 

Prof. dr. M. Lexer in Würz- 
bnrg. 

Prof. F. Liebrecht in Luttich. 

Prof. dr. C, Lottner in Dublin. 

Prof. dr. A. Ludwig in Prag. 

Dr. W. Mannhardt in Danzig. 

Dr. H. Martens in Bremen. 

Prof. dr. Mafsmann in Berlin. 

Dr. Maurophrydes aus Kappa- 
dokien in Athen f. 

Prof. dr. Leo Meyer in Dorpat. 

Prof. dr. Michaelis in Berlin. 

Prof. Franz Misteli inSolothurn. 

Prof. dr. Th, Möbius in Kiel. 

Prof. dr. K. Möllenhoff in Berlin. 

Prof. dr. Max Müller in Oxford. 

Prof. dr. Friedrich Müller in 
Wien. 

Prof. dr. Mussaßa in Wien. 
Dr. Pauli in Münden. 
Prof. ign. Petters in Leitmeritz. 
Dr. Friedr. Pfeiffer in Breslau. 
Prof. dr. A. Pictet in Genf. 
Dr. R. Pischel in Berlin. 
Prof. dr. A. F. Pott in Halle. 
Prof. dr. Karl Regel in Gotha. 



! Dr. Rieh. Rödiger in Berlin. 

Dr. Rosselet in Berlin f. 
| Prof. dr. R. Roth in Tubingen. 

Prof. dr. J .Savelsbergin Aachen. 
' Prof. dr. A.Schleicher in Jenaf. 
' Dr. Johannes Schmidt in Bonn. 

Prof. dr. M. Schmidt in Jena. 

Prof. dr. Schmidt- Göbel in Lem- 
berg. 

Prof. dr. Schnitzer in Ellwangen. 

Dr. G. Schönberg in Taganrog. 

Dr. Schröder in Merseburg f. 

Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig. 

Director dr. W. Schwartz in 
Neu-Ruppin. 

Prof. dr. H. Schweizer- Sidler 
in Zürich. 

Rector dr. W. Sonne in Wismar. 

Prof. dr. Spiegel in Erlangen. 

Prof. dr. H. Steinthal in Berlin. 

Director G. Stier in Zerbst. 

Dr. Slrehlke in Danzig. 

Dr. Techen in Wismar. 

Prof. dr. L. Tobler in Bern. 

Prof. dr. W. Treitz in Marburg f. 

K. Walter in Freienwalde a. O f. 

Prof. dr. A. Weber in Berlin. 

Prof. dr. Hugo Weber in Weimar. 

Prof. dr. Weinhold in Kiel. 

Prof. dr. Westphal. 

Dr. Wilbrandt in Rostock. 

Fr. Woeste in Iserlohn. 

Oberlehrer dr. Zeyfs in Marien- 
werder. 

Prof. Zyro in Bern. 



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s 



Inhalt. 



Zur etvmoloßi sehen Wortforschung Von S Bnff p ... 


1 




50 


Z iminpri^chp Chronik hprmmr* pcrphpn von TC. A RatacIc. Antre7Pii/t 


55 




Zu B e n f c v : Ueber die entstehunt* und verwendunir der im sanskrit 


69 


mit r anliinfpndon nrrsonfllpnduncrpn Von R Roth 


Tv Ii p rr p 1 • c\ \ p Riilil ,ipr 1 1 n d a rt O D n n n p r • T*ii»Hn Ii i t rvn in fi 

I» • IV C fi. l . VA 1 C XV U Ii 1 i* vTl lUUUUal Ii v_/ ■ XV v 11 11 C 1 • 1. IIIUUUHJ > <*J 1 1 il • 


72 


A. iiultz: das rremdwort in seiner kulturhistorischen entstehung 


und bedeutung. Angezeigt von Ii. Kuhn 


Kleine Schriften von .Tai* oh (rrimm Viertpr band Ancre/eict von 


76 




1^ fast im -der trotz**. 2 . nprtim Vnn l\f R rr ul 


79 




80 


Eine umbrische gefafsinschrift von Fossato di Vico. — Zum oskischen 


81 


dialekt. I. Oskische grabschriften. II. Verschiedene oskiache in- 




Erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. Von Zeyfs 


118 


Bemerkungen Uber den Ursprung der lateinischen sufrixe clo, culo, cro ; 


184 


cla, cula, cra; cino, cinio ; cundo. Von S. Bugge 




148 


Die dritte person pluralis des perf. red. med. im altbaktrischen. Von 


155 




L. Steub: die oberdeutschen familiennamen. Angezeigt von E. För- 


157 






161 


Erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. Von Zeyfa . 


181 


Zur künde deutscher mundarteu. Beiträge zum pronomen. Von II. Gradl 


192 


Zur Prometheus-sage (mit bezug anf Kuhns buch „von der herabholung 


201 




A. Ludwig: der infinitiv im Veda. Angezeigt von B. Delbrück 


212 




240 


Albanisches und romanisches. Zu Miklosich's albanischen forschungen. 


241 




Etymologische mittheilungen. 1) geist. gähren. garstig, gas. 2) krank. 




klein. 8) gothisebes naiv. 4) löschen. Von L. Meyer . . . 


803 




314 


Zur deutschen Wortforschung, much-, mauch-. Von A. Birlinger 


316 



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vi Inhalt. 

Seit« 

Bi trüge zur lateinischen lautlchro und etymologie. 2 ) Die ableitung 



ihr vurbalcndungen aus hiltsverhen und die entstehung der lateini- 




schen e - dt'i lination. Angeschlossen an die gleichnamige schritt 






321 




»53 




369 


Die heimat des indogermanischen urvolkes. Von A. Iloefer 


.'.79 


Zur deutschen Wortforschung. — Zur bergmannsprachc. Froner. Frone. 






385 


K. von Raumer: geschichte der germanischen philologie. Angezeigt 






394 




400 


Assimilation im deutschen. — Altdeutsche namen aus Spanien. Von 






401 


Umbrische wortdeutungen. 1) vatuva. 2) fikla. Von J. Savels- 






441 


Einige versteckte ausläufer der indogermanischen wurzel bhä „glänzen". 






444 


Erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. Von Zeyfs 


448 


Zur beseitigung von mii'sverstaiulnissen. Von Rudolf von Raumer. 


452 


Flechia, Giovanni, Di alcune forme de' nomi locali doli' Italia supe- 




riore. Dissertazione linguistica. Angezeigt von II. Schuchardt 


454 


Sach- und Wortregister. Von R. Fritzsehe 


457 



* 



Zur etymologischen Wortforschung. 

maisa widder, schafsfeil, ledersack, sack, ahn. meiss. 

r. meäa masc. von der grundform maisa heifst wid- 
der. Das wort ist wohl von miä gebildet, das die wur- 
zelverzeichnisse mit der bedeutung besprengen aufführen; 
diese wurzel ist gewifs eine erweiterung von mih, wovon 
skr. medhra widder gebildet ist. me£a bezeichnet dem- 
nach das thier als das brunstige. Da das wort in der äl- 
teren spräche auch vliefs des schafes und was daraus ge- 
macht ist, bezeichnet, haben Böthlingk-Roth unzweifelhaft 
richtig damit zusammengestellt kirchensl. mScbü masc. 

OD • 

leder, ledersack, lett. maifs sack, ledersack, lit. mäiszas 
masc. nach Nesselmann „ein grofser sack, getreidesack, 
hopfensack u und in einer anderen gegend „der von grobem 
bindfaden netzartig gestrickte heusack, der auf reisen zum 
einpacken des heus für die pferde, und zugleich als 
rOckenlebne im wagen benutzt wird a . Diesem entspricht, wie 
schon Holmboe in „det norske sprogs v?esentligste ordfor- 
raad" andeutet, völlig altn. meiss masc, nom.pl. meisar, 
das in Norwegen, wo es jetzt zum theil feinininum ist, 
sehr häufig gebraucht wird; Aasen erklärt es: „ein netz 
wie ein korb gebildet. Besonders 1) weidenkorb an einem 
saumsattel, 2) ein gefleeht von bändern, in welchem man 
lasten auf dem rücken trägt, 3) ein grobes netz von tau 
oder weiden, worin man heu einpackt, um es von den ber- 
gen hinabzuwälzen a . 

Das wort wird demnach in Norwegen beinahe ganz 
wie in Litauen gebraucht. Es ist in allen nordischen spra- 

Zeitschr. f. vgl. aprachf. XX. 1. 1 




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Bugge 



eben verbreitet und von ihnen ins lappische öbergegangen. 
Es ist auch im deutschen nicht unbekannt, 6chon ahd. 
meisa fem. sarcina, in qua portantur eibi et alia Graff 
II, 874, und noch in süddeutschen dialecten. Rietz svenskt 
dialect-lex. s. 41)6 a vergleicht ir. maois fem. a pack or 
bag: a kind of basket, cymr. mwys fem. brodkorb. 

Von den europäischen sprachen hat das slawische die 
bedeutung am besten erhalten. 

Andere vermuthungen bei Pictet origines Indo-Eur. 
II, 144. 

ru (lu) für var in den indoeuropäischen sprachen. 

Skr. vrksä bäum heifst im präkrit rukkha, in der 
inschrift von Girnar luksa. Die lautwandlung ist in der 
weise aufzufassen, dafs der vocal in der Stammsilbe durch 
die bei deu liquiden gewöhnliche metathesis hinter r (1) 
trat, so dafs vr (vi) in den anlaut kam; diese consonan- 
tenverbindung fand dann die spräche zu hart, und v wurde 
vom anlaut des Wortes weggedrängt, es zeigt aber noch 
seinen einflufs auf den nach r (1) folgenden vocal. Diese 
lautwandlung ist von derjenigen nicht erheblich verschie- 
den, die im altfriesischen eine grundforin vorhts, got. 
vaurhts in ruocht ändert; sie hat in den indoeuropäi- 
schen sprachen ein weites gebiet. Benfey griech. wurzellex. 
II, 26 hat richtig gesehen, dafs das verhältnifs zwischen 
griech. Avxoy, lat. lupus und skr. vrka in derselben weise 
aufzufassen ist; der stamm vocal u in dem griechischen und 
lateinischen worte rührt von dem einflusse des ursprüng- 
lichen v im anlaut her. 

Schon in der gemeinschaftlichen grundsprache, die 
alle japhetischen sprachen voraussetzen, mufs sich dieser 
lautwechsel bei mehreren Wörtern geltend gemacht haben. 
Die wurzel rudh, die im skr. ruh röhati ersteigen, wach- 
sen, altbaktr. rud raodheriti wachsen, got. liudau laup 
wachsen, ags. leodan germinare, crescere hervortritt, ist, 
wie Arendt beitr. II, 444 (vergl. Bopp Gloss. s. v. vardh) 
gesehen hat, aus vardh entstanden, das in skr. vardh 
vardhate aufwachsen, altbaktr. vared fördern, vareda 



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zur etymologischen wortforaclÄng. 3 

wachsthum, griech. ßkaart} für ßlcc&tt] nach Curtius, fog~ 
&f6q vorkommt. Die wurzel ruk im skr. ruk rökate 
scheinen, leuchten (von sonne, teuer u. s.w.), altbaktr. ruk 
caus. raokajeiti, lat. lucere u. 8. w. ist aus vark im 
skr. varkas glänz, besonders vom glänz des feuers (siehe 
Grafsmann zeitschr. XVI, lb'4ff.), altbaktr. varekanh, lat. 
Volcanus entstanden. Die wurzel rudh im skr. rudh 
runaddhi zurückhalten, wehren, einschliefsen , verschlie- 
fsen, verhüllen, altbaktr. rud caus. raodhajeiti lautete 
ursprünglich vardh und ist aus der wurzel var skr. 
vrnöti, vrnäti wehren, wahren, bedecken, altbaktr. var 
verenvaiti bedecken, beschützen, abhalten, kirchcnslaw. 
vreti schliefsen, lit. verti öffnen, schliefsen erweitert; 
rudh ist aus var durch den nämlichen zusatz, wie alt- 
baktr. rud fliefsen aus sru, griech. nXr^doi aus wz. tt/.i? 
u.s.w. gebildet. Die wurzel rüg im griech. Ävyog bieg- 
samer zweig, XuyiLUi biege, Ivyiduo^ wendung, Schwingung, 
lit. lugnas biegsam (Ness.) ist eine änderung von varg 
im skr. vr£ina krumm, ags. wrenc, wrence krümmung, 
winkelzüge u.s.w. Die wurzel lubh im skr. lubhjati 
begehren, wünschen, lat. lubet, got. Hubs, kirchenslaw. 
ljubiti ff ÜBlv verhält sich nach meiner vermutbung zur 
wurzel var (val) vrnöti vrnäti wählen und (besonders 
im med.) wünschen, wollen, lat. volo, got. viljan, val- 
jan, wie stubh zu stu, ksubh zu käu. Die wurzel 
luk im skr. lurik lunkati ausrupfen ist gewii's aus vark 
entstanden und eine erweiterung der wurzel var, die in 
anderer weise im lat. vellere erweitert ist. 

Nach dieser analogie werden einige sanskritwörter, 
deren Ursprung bisher nicht erwiesen ist, leicht ihre er- 
klärung finden. Das adjectivum rüra, das im Atharva- 
Veda mit der bedeutung hitzig (vom fieber) gebraucht 
wird, stammt von der wurzel var sieden, die im kirchensl. 
vreti fervere, varü xcwju«, lit. vlrti sieden, kochen, got. 
vulan u.s.w. hervortritt, vgl. Fick s. 167, Curtius grundz. 
8. 51 7 f.; rüra ist wie altbaktr. mrüra hart, fest gebildet. 

rüpa neutr. ist äufsere erscheinung, sowohl färbe (na- 
mentlich plur.) als gestalt, form. Die meisten leiten das 

1 # 



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4 * Bugge 

* 

wort von röpajämi caus. von ruh aufsteigen, wachsen 
her; diese erkläruog mufs aber verworfen werden; denn 
röpajämi ist nachvedische form, während die vedasprache 
nur röhajämi kennt; ruh lautet ursprünglich rudh, und 
es ist nicht erwiesen, dafs das causale p in der ältesten 
spräche an eine auf dh auslautende wurzel mit Verdrän- 
gung des dh angefügt wurde. Weber leitet formell besser 
rüpa von rup brechen ab, so dafs das wort eigentlich 
„bruch" heifse; aber diese erklärung ist mir der bedeu- 
tungsentwickelung wegen unwahrscheinlich. 

Synonym mit rüpa ist in der vedasprache varpas 
neutr. bild , gestalt. Demnach erkläre ich rüpa als 
aus varpä entstanden; wenn varp sich in varpas 
unverändert erhalten bat, während es in rüpa zu rüp 
geschwächt ist, so rührt dies davon her, dafs der accent 
in varpas auf der ersten, dagegen in rüpa auf der letz- 
ten silbe ruht. In Verbindung hiemit steht das griechische 
synonyme ttooqt], das schon Benfey gr. wurzellex. II, 311 
richtig mit skr. varpas zusammengestellt hat, während ich 
dagegen für die von Benfey angenommene grundbedeutung 
keine sichere stütze finde. poQtfrj steht also für ^ognrj\ 
dafs f.i im anlaut mehrerer griechischen Wörter aus j: ent- 
standen ist, hat Curtius grundzüge s. 522 f. dargethan, und 
was ff für n betrifft, verweise ich auf Curtius s. 447 — 449. 
Nach dem hier entwickelten sind also skr. rüpa und gr. 
uoQffrj mit ausnähme des geschlecbts in ihrem Ursprung 
identisch, beide weisen auf eine grundform varpä, fem. 
varpä zurück. 

Skr. röman, 16 man n. haar, gefieder, schuppe mag 
wohl aus der wurzel var bedecken zu erklären sein. 

Deutlicher ist die Schwächung von var zu ru nachzu- 
weisen, wo ein anderer konsonant vorausgeht. Mehrere falle 
sind bekannt, h var ( h v r) curvare, laedere, affligere, präs. 
hrunäti Rigv. I, 166, 12: indrac kana tjägasä vi hrunäti 
tat „Not evcn lndra in bis scorn can injure that bounty a 
(M.Müller); part. hruta; ähruta nicht schwankend, un- 
gekrümmt, gerade; abhibrüt beugend, fällend, fall, nie- 
derlage, schaden; abhihruti dasselbe. Fick s. 69 ver- 



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zur etymologischen Wortforschung. 



5 



gleicht lit. griuti stürzen, wozu Pott wurzelwtb. 744 lat. 
con-gruere, in-gruere stellt. Ved. dhru und dhrut 
am ende eines comp, täuschend, dhruti Verführung sind 
vom verwandten dhvar beugen, zu fall bringen gebildet. 
Damit vergleicht Fick s. 99 u. a. lat. fr au 8. Ebenso nimmt 
Fick 8. 63 an, dafs die skr. wz. gvar, gval glühen (vgl. 
gürv) im griechischen als ygv auftrete. 

wurzel srudh, rudh mit Verzweigungen. 

Die würze), woraus das wort „roth" gebildet ist, hat 
man bisher nicht deutlich nachgewiesen. Im altbaktr. wird 
rud aus älterem rudh in der bedeutung „fliefsen**, impf. 
3. sg. raodhat, pot. 3. sg. ni-ruidhjät von dem men- 
slruirenden weibe gebraucht, caus. praes. 3. sg. med. frä- 
raodhajeite lasse hervorfliefsen; davon u rud flufs. rudh 
für 8 rudh kömmt von sru, das im altbaktrischen sonst 
in den formen thru und cru erscheint, lit. sravjü, sra- 
ve'ti strömen, fliefsen (lit. sravä die menstruation derwei- 
ber, wovon altbaktr. nirud angewandt wird). In den ver- 
wandten sprachen ist rudh namentlich um das ausströmen 
des blutes zu bezeichnen gebraucht worden ; so finden wir 
rudh mit erhaltenem s und causaler bedeutung im lit. 
sru d zu srusti mache blutig wieder; auch sraveti strö- 
men wird besonders vom blute, das aus einer wunde strömt, 
gesagt und geht in die bedeutung „bluten" über. 

Ueberall in den verwandten sprachen finden wir bei der 
wurzelform rudh r, nicht sr, im anlaut; diese Überein- 
stimmung zeigt, dafs rudh schon in der gemeinsamen 
spräche die gewöhnliche form war, wenn sich auch srudh 
daneben im gebrauch lange erhalten haben mufs, wie lit. 
srusti beweist. Mit causaler bedeutung finden wir rudh 
im altn. rjöö'a, praes. r^Ö* wieder; dies entspricht dem 
lit. srusti und bedeutet wie dies „blutig machen, mit blut 
bestreichen**; von der * ursprünglichen bedeutung „fliefsen 
machen** ist aber bis zur gegenwart ein zeugnifs darin er- 
halten, dafs das verbum in norwegischen dialecten bestrei- 
chen überhaupt bezeichnet. Daneben bezeichnet rjöflfa 
roth färben, woran rauffr roth sich anschliefst. Wir sehen 



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6 



Bugge 



demnach, dafs die häufigsten ausdrücke für roth ring9 um- 
her in der indoeuropäischen sprachenweit diese färbe als 
die färbe des ausströmenden blutes bezeichnen. Identisch 
mit altn. rjoffa ist ags. reodan, griech. tyevöuv; Über- 
einstimmung in der poetischen ausdrucksweise zwischen 
griechischer und germanischer dicbtung verdient hier auf- 
merksamkeit: von demjenigen, der im kämpfe fallt, sagt 
Homer aiuari yctiav oder nur yctlav kfjeväsiv II. XI, 394. 
XVIII, 329 und in derselben bedeutnug heifst es deatf- 
wang reodan Andreas 1005. 

Skr. röhita roth ist also partic. von röhajämi färbe 
roth, eigentlich mache (das blut) ausströmen, -caus. von 
rudh für sru-dh strömen. 

Die meisten hieher gehörenden wörter sind oft zusam- 
mengestellt; ich will nur auf einige Übereinstimmungen, die 
bisher nicht allgemein bekannt sind, hinweisen. Altn. ro ra 
(nicht rööra) blut, besonders blut von geschlachteten thie- 
ren, das im got. rudrö (stamm rudrön) lauten würde, 
ist von einem adjectivstamm rudra abgeleitet = skr.ru- 
dbira, der im sanskrit als Substantiv „blut u gebraucht 
wird und schon von Egilsson verglichen ist. 

Adjectiva von wz. rudh gebildet, besonders das adject., 
dessen grundf. raudha ist, werden von braunrother me- 
tallfarbe gebraucht. Hievon sind gebildet 6kr. löba neutr. 
aes, ferrum, kirchensl. ruda aes, altn. rauöi inasc. ferrum 
ochraceum, das in den finnischen und lappischen sprachen 
das gewöhnliche wort für eisen geworden ist. Thomsen, 
der in seiner vortrefflichen schrift „Den gotiske sprogklas- 
ses indflydelse pä den finske" p. 143 diese Wörter zusam- 
mengestellt hat, fügt in Übereinstimmung mit Lottner Zeit- 
schrift XI, 178 auch lat. rudus, raudus hinzu. Varro 
De 1. 1. V, 163: aes raudus dictum, Valer. Max. V, 
VI, S: olim aera raudera diuebantur, Fest. p. 265 
Müller sagt von rodus vel raudus: vulgus quidem 
in usu habuit, non modo pro aere i mperfecto . . . 
sed etiam pro signato, quia in mancipando, cum 
dicitur: „ruduseulo libram ferito", asse tangi- 
tur libra. Das wort sein int daher eher mit kirchensl. 



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zur etymologischen Wortforschung. 



7 



ruda, skr. löha, als mit rudis, wie Festus und unter 
den neueren z. b. Corssen ausspr. 2. ausg. 1,359 anneh- 
men, zusammenzuhängen; wenn jene Zusammenstellung rich- 
tig ist, raufs rudus, raudus ein stück stein ein, anderes 
wort sein. Der umstand, dafs das latein ableitungen von 
wz. rudh mit b und f im inlaut (ruber, rufus, robus) 
hat, kann uns nicht hindern raudus von derselben wurzel 
abzuleiten; denn ebenso sind arbor und arduus von der- 
selben wurzel ausgegangen. 

Im sanskrit bezeichnet röhita eine bestimmte hirsch- 
art, röhit fem. ein gazellenweibchen, ebenso wird wild vom 
hir8chge8chlechte altn. rauffd^ri, deutsch rothtbier, 
rothwild genannt. Die auerhenne wird im lit. rudikke 
fem. Ness. ( wohl richtiger mit einem k geschrieben ) von 
rüdaB braunroth genannt und in ähnlicher weise im nor- 
wegischen röy, ursprünglich reyflfr von rauöfr roth. 

Noch will ich eine besondere Übereinstimmung zwi- 
schen dem nordischen und dem lituslawischen hervorheben 
im altn. ryffr masc. rost (auch ryflf neutr.) stamm rudja 
gegenüber von lit. rudis, kirchenslaw. rüzda. 

Von der wurzel rudh, wovon lat. ruber, rufus ge- 
bildet ist, pflegt man auch lat. rutilus herzuleiten. Die 
meinung, t sei hier aus ursprünglichem dh entstanden, ist 
von Corssen und Curtius widerlegt worden. W enn das 
wort hieher gehört, mufs es, wie Corssen krit. beitr. s.bOf. 
bemerkt, aus rud-tilus entstanden sein. Diese erklärung 
könnte dadurch gestützt werden, dafs wir, wie ich oben 
angenommen habe, im lateinischen dieselbe wurzel in der 
form rud in rudus haben, so wie russus wohl aus rud- 
tus entstanden ist. Es würde aber jedenfalls den gewöhn- 
lichen lateinischen lautregeln widerstreiten, dafs d vor t, 
ohne dafs der vorausgehende vocal verlängert würde, weg- 
gefallen wäre, wenn es auch im latein nicht ganz beispiel- 
los ist, dafs consonant vor consonant wegfallt, während 
der vorausgehende vocal kurz bleibt. Corssen beruft sich 
bei der erklärung rutilus für rudtilus auf adgretus, 
egretus. In diesen formen haben wir aber, wie Corssen 
selbst krit. beitr. s. 417 richtig bemerkt, alterthümliche 



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8 



Bugge 



Schreibweise för adgrettus, egrettus zusehen; in ana- 
logie damit sollte es demnach ruttilus, nicht rütilus 
heifsen. Vgl. Grafsmann zeitschr. XII, 87 f. — Ich finde 
einen anderen Ursprung von rutilus wahrscheinlicher, 
rutilus bezeichnet wesentlich die nämliche färbe wie yov- 
ato^ es wird am häufigsten von demjenigen gebraucht, das 
rothgelben glänz wie das gold hat: arma rutilant, ru- 
tilantior auro, thorax rutilus. Ich vermuthe daher, 
dafs rutilus von einem dem griechischen %ov6o^ entspre- 
chenden verlorenen lateinischen worte für gold abgeleitet 
ist. rutilus ist dann ebenso wie nubilus von nubes 
gebildet; wenn wir glauben dürften, dafs caerulus nicht 
mit caesius verwandt, sondern von caelum abgeleitet 
und durch dissimilation aus caelulus geändert sei, würde 
auch diese ableitung analog sein. 

<x in xqvöoc; scheint aus r entstanden s. Curtius grund- 
züge s. 185, Delbrück in Curtius Studien I, 136, und die- 
ser ursprüngliche consonant ist dann in rutilus erhalten; 
dagegen hat dies vor r einen consonanten verloren, der in 
XyvGü^ als x erscheint und ursprünglich gh gelautet hat. 
Der quantitätsunterschied zwischen v in xo va ^ un ä* ü m 
rutilus kann gegen diese erklärung kein bedenken er- 
wecken, da die quantität innerhalb des griechischen selbst 
schwankt: die lyriker (Pindar) gebrauchen öfter i; in %qu- 
<to£, xyvaeog kurz. 

Wenn die hier gegebene erklärung von rutilus rich- 
tig ist, scheint die annähme gerechtfertigt, dafs das latein einst 
zwei bezeichnungen für gold gekannt hat, eine, die dem 
lit. äuksas nnd eine, die dem griech. x(f va, *a entspricht. 

Meine erklärung von rütilus fallt aber, wenn erwie- 
sen werden kann, was Renan (anmerkung zu M. Müller 
mythologie compar. p. 36) und mehrere semitologen ver- 
muthet haben, dafs xqvgol; nicht ein japhetisches wort ist, 
sondern das durch verkehr mit den Phoenikiern nach Grie- 
chenland eingeführte hebr. Y*rn , das in der poetischen 
spräche gold bedeutet. 



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9 



rauka fem. runzel, lat. ruga. 

Aufrecht zeitschr. XII, 400, an den Curtius grundzüge 
422 und Corssen ausspr. 2. ausg. I, ö43 sich ansehliefsen, 
erklärt lat. rfiga, als aus vrunga entstanden, aus? einer 
wurzel varg, vrag, vrang; Fick setzt es dagegen ruit 
skr. rüg brechen, biegen in Verbindung. Anderes liegt 
aber näher. Lit. rauka fem. bedeutet runzel, falte (Ness.) 
von dem verbum runkü, rükti runzeln, das nur in Zu- 
sammensetzung gebraucht wird. Lit. rauka ist nach meiner 
meinung das nämliche wort, wie lat. rüga, das demnach 
aus rauga, rauca entstanden ist, ebenso wie nugae, 
uaugae mit u au cum in Verbindung steht, mugio mit 
fU'xaufiai- 9 viginti mit uxovi. Fernere Verwandtschaft mit 
den Wörtern, zu denen andere ruga gestellt haben, will 
ich nicht verneinen. 

altn. raun, griech. kgevvcc. 

Altn. raun fem. bedeutet versuch, probe, Unter- 
suchung, prüfung, erfahrung; reyna prüfen, erfahren. Diese 
Wörter entsprechen den griechischen eoevva, kowrcio). Wo 
raun Untersuchung, um etwas zu erkunden, bezeichnet (so 
in Gulapingslög 262 Untersuchung, welche um die schuld 
eines mannes zu erforschen unternommen wird), stölst es 
mit eyevva in der bedeutung nahe zusammen; ebenso be- 
zeichnet reyna eptir einhverju oder til einhvers Un- 
tersuchungen um etwas zu erfahren anstellen, ja das ver- 
bum wird auch mit dem accusativ in der bedeutung „unter- 
suchen u gebraucht (so im gotländischen gesetze royna), 
also ganz wie toevvdo). raun hat nom. pl. raunir; wir 
finden demnach hier Hytvnc gegenüber Übergang von einem 
a-stamm zu einem i-stamm, wie so oft, z. b. im altn. 
sakir neben sakar. Das abgeleitete verbum reyna aus 
raunjan verhält sich zu ioewat» wie temja austamjan 
zu dctuaio. 

Die mit fyevra verwandten Wörter iQiadcci, lyioräv, 
iQuiveiv fragen (Curtius grundzüge s. 308) machen es wahr- 
scheinlich, dafs der vocal im anlaut ursprünglich ist, und 



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10 



Bugge 



nicht später vorgeschoben. Dieser vocal ist im altn. raun 
weggefallen, wie im lat. remus mit kQtTfni$ verglichen. 

Griech. Xvy£ 9 lit. luszis, schwed. 16. 

Zu h'y£ (stamm Ivyx), ahd. luhs, lit. luszis gehört 
noch das gleichbedeutende schwed. 16, das zwischen allen 
drei geschlechtern schwankt (Rydquist svenska spräkets 
lagar II, 307). In 16 ist 6 aus oh, uh entstanden, das dem 
usz im lit. luszis, ursprünglichem uk regelrecht entspricht. 
Dagegen fehlt es uns an mittein, den ursprünglichen stamm- 
auslaut in 16 zu bestimmen; wenn Übereinstimmung mit 
dem litauischen stattfände, müsste das wort im altschwed. 
im nom. pl. loir vom stamme 1 6 i lauten. Im deutschen 
luchs ist s suflfix; luchs verhält sich zu schwed. 16 un- 
gefähr wie fuchs zum got. fauhö, altn. foa, mhd. vohe. 

Vgl. über Xx 7 l Spiegel zeitschr. XIII, 367 

skr. lü, altn. le. 

Von skr. lü abschneiden pf. luläva sind u. a lavitra, 
lavi und lavänaka sichel, abhiläva das abmähen des 
korns gebildet. Pictet (les orig. Indo-Europ. II, 102) zieht 
afghan. lur sichel hieher. Aus derselben wurzel deuten 
Benfey gr. wurzellex. II, 1 und Pott wurzel wtb. 1294 mit 
recht ).cuov = Öotnavov und ktfiov dor. lettov die saat auf 
dem fclde (die abgemäht werden soll). Hieher gehört auch 
altn. le masc. sense für lei, accus, gen. dat. ljä für lea, 
nom. pl. ljär für lear; der stamm des Wortes ist lean 
und nom. sg. lj ar ist eine spätere form, die nach den for- 
men für die übrigen casus gebildet ist. le weist auf die 
grundform leva von der Stammform levan; ein ganz ent- 
sprechendes verhältnifs habe ich früher beim altn. kle = 
skr. grävan nachgewiesen. Verwandt ist ljä fem. neuge- 
mähtes gras, das auf die grundform levä zurückweist. 

Schon Holmboc „det norske sprogs vaesentligste ord- 
forraad" hat die genannten Wörter mit skr. lü verglichen, 
aber ohne das lautverhältnifs zu erläutern; falsch ist das 
lautverhältnifs von Pictet a. a. o. dargestellt. Die überein- 



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11 



Stimmung zwischen altind., griech. und german. hat hier 
culturgeschichtliche bedeutung. 

raig, laig, skr. reg, got. laikan. 

Mit lai kan (lailaik, laikans) übersetzt Vulfila 
a/.tQTav; daneben findet sich bei ihm das zusammengesetzte 
bi laikan hinctiL.Eiv, uvxT}}yt£tii>, und laiks^o^Ov,. Viele 
8chösslinge von demselben stamme finden wir in allen ger- 
manischen sprachen. 

Besonders reich sind die bedeutungsvariationen im nor- 
dischen und angelsäcbs. entfaltet, und hier werden wir am 
deutlichsten die grundbedeutuug, auf welche die verschie- 
denen anwendungen des Wortes zurückgehen , wahrnehmen 
können, leika bezeichnet „in bewegung sein" überhaupt; 
zunächst wird es von freier und leichter oder wiegender^ 
hüpfender bewegung angewandt. Hier hebe ich namentlich 
hervor, dafs leika von der bewegung der wellen besonders 
auf dem im stürme schwellenden meere gesagt wird, z. b. 
ürsvalar unnir lekn HelgakviÖa Hundingsbana II, 13 
die kalten wellen spielten, lek sollit haf Snorra Edda 
ed. Arna-Magn. I, öOO das schwellende meer war in stür- 
mischer bewegung. Das wort bezeichnet ferner die un- 
stete bewegung der flammenzungen: leikr har hiti vi ff 
h i m i n 8 j ä 1 fa n , die hohe flamme spielt gerade gegen den him- 
mel, Völuspa. Auch wird es vom spiele des windes und vom 
wetter gebraucht, ja sogar von der zitternden, hüpfenden 
bewegung des blitzstrahls; in einem norweg. dialekt bedeutet 
veffr leikr (veleig ausgesprochen) wetterleuchten. Es 
würde zu weit führen hier den ganzen bedeutungsumfang, 
den das wort leika hat, zu betrachten; ich verweise dar- 
über auf die Wörterbücher von Egilsson und Fritzner. Was 
ich angeführt habe, ist hinreichend um von der seite der 
bedeutuug folgende Zusammenstellung zu rechtfertigen, 
laikan ist identisch mit dem ind. r€g, präs. 3. ps. sing, 
regate hupfen, beben, zittern, zucken. Dies verbum wird 
im Rigveda oft vom feuer gebraucht wie laikan in den 
germanischen sprachen, so wird Agni Rigv.III, 31, 3 guhva 
regamäna: mit der zunge zitternd, spielend genannt. Es 



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12 



Bwgge 



ist also unrichtig, wenn man gewöhnlich got. laikan un- 
mittelbar zu fckr. lagh, langh stellt. Die wurzel laigist 
aber in den europäischen sprachen weiter ausgebreitet. Die- 
fenbach got, wtb. II, 768 vergleicht mit got. laikan richtig 
lit. laigyti frei, muthwillig, unbändig umherlaufen; ferner 
verwandt sind die II, 125 genannten Wörter. Stokes beitr. 
IV, 388 erklärt hieraus ir. Iöeg kalb als das hüpfende thier. 
Gleichbedeutend mit altn. leika, leikr ist lat. ludere, 
ludus, beinahe alle die bedeutungen, die lu d ere umfafst, 
finden sich bei 1 ei ka wieder; dies wird auch, wie ludere, 
transitiv gebraucht in der bedeutung: sein spiel mit jemand 
treiben, einen streich spielen, täuschen, lad ere lüdus 
lautete ursprünglich loidese, loidos. Lateinisch oi, 
später ü, entspricht regelrecht germanischem ai, z. b. ünus 
ursprünglich oinos = got. ains. Vielleicht dürfen wir 
daher lüdere, ursprünglich loidese, als aus loigdese 
entstanden erklären, und darin die erweiterung einer ital. 
wurzel loig == got. laik durch d annehmen; dieselbe er- 
weiterung bei einer auf g auslautenden wurzel finden wir 
im altbaktr. varezd wirken, wovon varezd a van t arbeit- 
sam, griech. $odo) von wurzel j:tgy. Vor d und nach oi 
mufste im latein g abfallen; so steht lat. nudus für nug- 
dus. Diese erklärung von ludere scheint näher zu liegen 
als die Aufrecht's zeitschr. V, 138 f. aus skr. krld. 

altn. laug, lauörl 

Zu lat. lavere, lavare, griech. Xoveiv gehört im alt- 
norwegischen — um loa alluere, das nur neuisländisch ist, 
nicht zu besprechen — deutlich laug fem. waschwasser, wo- 
raus lauga waschen (bei Pott wurzelwtb. 1307 genannt). 
In laug mufs g wie in telgj a dem lat. dolare gegenüber 
erklärt werden,- es ist dagegen zweifelhaft, ob g sich hier 
in vorgermanischer zeit aus j entwickelt hat. laug aus 
lauga würde, wenn diese vermuthung stich hielte, für 
laujä stehen und mit dem in Zusammensetzungen erschei- 
nenden lat, lu via identisch sein. Unter den mit laug zu- 
sammengesetzten Wörtern müssen hervorgehoben werden 
f 6t laug, das mit lat. pell uviae gleichbedeutend ist, und 



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I 



13 



mundlaug oder mullaug, das von der bedeutung mal- 
luv iae in mal lu vi um übergeht Von h»v(o wird lovrgov, 
hnroov bad, waschwasser, später: abwaschen, abspülen ge- 
bildet. In derselben weise ist von lavare lavacrum für 1 a - 
vatrum abgeleitet (am übergange von tl, tr in cl, er im 
latein halte ich trotz den einsprächen Corssens fest, und ich 
hoffe ein anderes mal dies rechtfertigen zu können). Eine nahe 
verwandte ableitung haben wir in dem vom urspr. stamme 
abgeleiteten pollübrum aus loufrom, laudhram. Ein 
dem griechischen auvtqov vollständig entsprechendes wort 
weist Stokes beiträge VI, 229 im gall. lautron nach, wo- 
von abl. lautro, das mit balneo erklärt wird, altir. löthar 
(alveus). Vollständig entspricht dem äovtqov auch altn. 
]au<5r neutr. (dies, nicht löö'r, ist die richtige, alte form). 
Es bedeutet Seifenschaum (als das, was zum abwaschen 
dient); die dichter gebrauchen es aber besonders vom schäume 
des meeres, den sie somit als das, womit etwas überspült 
wird, bezeichnen, wie von der see bei uns Norwegern ge- 
sagt wird, dafs sie „wäscht," wenn sie über die Seiten des 
Schiffes spült. Mit unrecht erklären Säve und Rietz lautfr 
aus liuda wachsen. lauiVr ist im schwed. lödder schäum 
erhalten und engl, lather mufs dasselbe wort sein. 

altbaktr. raokhsna strahlend, lat. luna. 

Die naheliegende erklärung von lat. luna als lucna 
aus lucere wie auch die unmittelbare Zusammenstellung 
mit dem gleichbedeutenden slaw. luna, das nach Miklosich 
nicht lehnwort ist, scheitert, wie mehrere erkannt haben, 
an der form losna, die als name der göttin des mondes 
auf einem in Praeneste gefundenen Spiegel corp. inscr. lat. 
no. 55 vgl. addit. p. 554 (dagegen nicht, wie Lottner zeit- 
sehr. VII, 86 sagt, auf etruskischen vasengemälden) ge- 
schrieben ist. Es sei nun losna lateinische form oder 
nicht (vgl. Goetze in Curtius Studien I, 2, 161), so kann 
es kaum aus lucna entstanden sein, dann mufs aber das 
nämliche von luna gelten. Schweizers erklärung von 
wz. rudh hat schon wegen des 1 wenig Wahrscheinlichkeit. 



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14 



Rupge 



leb erkläre losna, luna aus altbaktr. raokhsna 
strahlend, leuchtend, als subst. masc. glänz, grundform 
rauksna von rukhs abgeleitet, das eine Weiterbildung von 
ruk lue ist. rauksna, lauksna wurde im italischen 
regelrecht zu louxno, fem. louxnä: hieraus ist lat. luna 
wie seni aus sexni, tela aus texla u. s. w. entstanden, 
während in losna s aus x erhalten ist, wie in Sestius, 
osk. ^Leeres = Sextius, mistus = mixtus u. s. w. 
Was den vocal der Stammsilbe betrifft, so verhalten sich 
losna und luna zum ursprünglichen louxna, wie z. b. 
nondinum und nundinum zu noundinum, siehe Cors- 
sen ausspräche 2. ausg. I, 669 f. Die richtigkeit dieser er- 
klärung wird durch altpreufs. lauxnos fem. pl. gestirne 
gestützt, welches wort Fick zeitschr. XVIII, 416 mit dem 
altbaktr. adjectivum verglichen hat. Lat. luna ist singular- 
form zum altpreufs. lauxnos, wie altn. tun gl im singu- 
laris besonders vom monde, im pluralis aber von allen strah- 
lenden biminelskörpern gebraucht wird. 

Auch ahd. liehsen lucidus Graff II, 150 entspricht 
ganz dem altbaktr. raokhs'na, vgl. ahd. widarliehsen i 
repercussio luminis; die aus ruk, luk durch 8 erweiterte 
wurzel findet sich auch im ags. lixan, altn. ljös subst., 
ljöss adj., l^sa vb.; namentlich mufs hier schwed. dial. 
lyssn oder lyssne neutr. (urspr. lysui) Sternschnuppe, 
meteor, nordlicht hervorgehoben werden. 

Fabretti gloss. Ital. p. 1067 bemerkt: „Etiamnunc Pe- 
demontani aliique losna pro baleno (fulgore) dicunt, 
apud Romandiolae populos lusna"; aber dafs diese Wör- 
ter die alte form losna erhalten haben, kann ich ebenso 
wenig glauben wie Diefenbach (got. wtb. II, 147), der in 
ihnen deutschen Ursprung vermuthet. Nach Schucbardt 
vokal. II, 184 statt *lucina. 

Da wir im lat. luna eine aus lue durch s erweiterte 
wurzelform lux gefunden haben, müssen wir mit Lottner 
zeitschr. VII, 186, Pott wurzelwtb. 1308, Curtius grund- 
züge s. 147 und Fick wtb. s. 156 zu dieser auch lat.il- 
lustri8 für in-lu x-tri -s stellen. Schon Froehde zeitschr. 
XVIII, 259 hat losna für lousna aus der wurzel lus 



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15 



leuchten erklärt, welche im altn. l^sa, lat. illustris er- 
scheint. Corssen krit. beitr. 411, ausspräche 2. ausg. 362 
erklärt dagegen illustris aus lnstrurn reinigungsopfer, 
aber dagegen spricht die bedeutung. Wenn i Nüst rare 
von der sonne in der nämlichen bedeutung wie illumi- 
nare gesagt wird und wenn illustris in der bedeutung 
„klar" als epitheton zu Stella, luinen u. s. w. vorkommt, 
wird man es von Seiten des begriffs höchst unwahr- 
scheinlich finden, dafs illustris ursprünglich „im reini- 
gungsopfer inbegriffen* bedeutet, und dagegen höchst wahr- 
scheinlich, dafs es mit lucere in Zusammenhang steht. 

Uebergang von v in f in lateinischen Wörtern. 

Die meisten neueren Sprachforscher läugneu, dafs sich 
in lateinischen Wörtern ein aus v entstandenes f finde; so 
Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachdenkm. I, 101 anm. 
Corssen ausspräche 2. ausg. I, 1 60. Ich will es hier ver- 
suchen, eine entgegengesetzte meinung zu begründen. Einen 
sicheren ausgangspunkt haben wir in formica. Dafs dies 
mit dem gleichbedeutenden uvou)]£ zusammengehört, ist 
selbsteinleuchtend, und es ist nur darüber zweifei, in wel- 
cher weise diese zwei Wörter sich vereinigen lassen, uvgur^ 
ist von uvguog abgeleitet, das sich bei Lycophr., Tzetz., 
Hesych. findet; für die bestimmung der ursprünglichen form 
des wortes sind die bei Hesych. vorkommenden dialekt- 
formen wichtig: ßvQuaxccg' uvyuijxccg , ßÖQua£" iivgui^, 
ooutxag' jLWQuj]^. Dagegen (coqiuxcc uvyuiixcc giebt wohl, 
wie Curtius meint, eine erklärung des lateinischen wortes, 
während dies kaum von der glosse üoutxag gilt. Curtius 
grundzüge s. 303 hält die formen mit m im anlaut für die 
ursprünglichen, erklärt den namen des thieres aus einer 
Wurzel mur wimmeln, und meint, ßvour^ sei aus uvgutj^ 
durch eine art dissimilation entstanden. Für eine solche 
dissimilation hat er aber eine analogie im griechischen nicht 
nachweisen könaen; noch weniger giebt es irgend eine stütze 
für seine vermuthung, formica sei durch dissimilation aus 
mormica entstanden; der vocal o im lat. worte weistauf 



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16 



Bugge 



ursprüngliches a, nicht u hin ; die form ogpixag bei Hesych. 
wird als griechische form unerklärlich, und Curtius ist ge- 
zwungen, jeden Zusammenhang zwischen formica, uvo- 
m//J, ßvQur^ und skr. valmlka ameisenhaufe aufzugeben. 
Die von Curtius gegebene erklärung kann daher nicht 
die richtige sein. Gegen Benfey's und Schweizers ver- 
such (Zeitschrift X, 304) den namen des thieres aus skr. 
wz. bhram zu erklären, hat schon Curtius s. 303 hin- 
reichende gründe angeführt. Die einzige weise, in wel- 
cher sich uVQtiog) f.WQftr^, ßvo^ia^ ßoQfia^ öguixag nach 
griechischen lautregeln vereinigen lassen, ist die, dafs wir 
die grundformeu fuquog, fu^uah, annehmen, wie Kuhn 
zeitschr. III, 67 und Legerlotz X, 382 f. gethan haben; 
wegeu des Überganges von j in ß s. Curtius grundzüge 
s. 514 — 520, wegen des Überganges von^ in u s. 520—526. 
Dafs die angenommene grundform fÖQpog die richtige ist, 
wird auch dadurch dargethan, dafs sie dem zuerst von 
Kuhn III, 66 verglichenen indischen valmlka m. und n. 
ameisenhaufe entspricht. Ich lasse hier, wo es nur die 
griech. und lat.grundform zu ermitteln gilt, die frage nach 
dem Ursprung des wortes und nach dem verhältnifs zum 
namen des thieres in den übrigen japhetischen sprachen 
bei seite; ich werde aber unten zeigen, dafs diese frage 
eine beantwortung erhalten kann, welche mit dem hier vor- 
gebrachten stimmt. 

Um f in formica zu erklären, hat man zu dem aus- 
weg seine Zuflucht genommen, sich die form durch „Volks- 
etymologie" entstanden zu denken, als ob das thier seinen 
namen a ferendo micas erhalten habe (so Förstemann 
zeitschr. III, 50, Legerlotz). Dagegen bemerkt aber Cur- 
tius mit recht: „derartige composita mit vorausgehendem 
verbalen bestandtheil sind im lateinischen so selten, dafs 
sie gewifs dem volkssinue nicht vorschwebten". Wenn, 
wie wir gesehen haben, (nvottog, uiouij^ ßv^ur^ von den 
grundformen jroofiog^ j:oQ{ia§ ausgehen und wir damit for- 
mica vergleichen, läfst sich das verhälfhifs nur in der 
weise erklären, dafs f aus v entstanden ist, wie auch Kuhn 
zeitschr. III, 67 annimmt. Indem wir formica für vor- 



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17 



mica als festen ausgangspunkt betrachten, dürfen wir den- 
selben lautObergang in anderen Wörtern suchen. 

formldo, formidare. 

Den Ursprung dieser Wörter zu erklären sind in neuerer 
zeit mehrere wenig glückliche versuche gemacht worden. 
Benfey zeitschr. II, 231, Kuhn X, 314, Schweizer XII, 304, 
Walter XU, 410 leiten sie von skr. wz. bhrain ab, so 
dafs die ursprüngliche bedeutung trepidatio sei; dals 
aber dies mit lateinischem Sprachgebrauch nicht stimmt, 
hat Corssen krit. beitr. 170 f. nachgewiesen. Ebenso wenig 
kann ich Corssens erklärung aus skr. wz. dbar detinere, 
so dafs formido ursprünglich detinens vis metus bezeichne, 
vou Seiten der bedeutung wahrscheinlich finden. dhar 
wird weder als verbum, noch in ableitungen, weder im 
sanskrit, noch in den verwandten sprachen von dem schrek- 
ken angewandt, der jemand an der stelle fest bannt, und 
eine solche anwendnng würde zu der grundbedentung der 
wnrzel „aufrecht halten, stützen, unterstützen, befestigen" 
schlecht passen, formido liegt in der bedeutung von fir- 
mus weit ab. Besser hat Joseph Scaliger formido mit 
form us zusammengebracht, welcher deutung Curtius bei- 
tritt; aber diese ableitung, wie mehrere andere, die ich 
hier unerwähnt lasse, mufs zurücktreten folgender, wie 
mir scheint, schlagenden Zusammenstellung gegenüber, die 
ich schon bei Isaac Vossius finde. Wie formica in be- 
treff des anlautenden consonanten sich zu uvouijS verhält, 
so verhalten sich formido, formidare zu uoopw, uoo- 
«wy, uoQftoXvxuov, poQpolvTTopai, iioQuoXvTTtr ifcßeniCu 
Hes. uoqw xalsTiV). ix7t?.ijXTixij Hes. poQfWf (foftot xtvoi 
Hes. [AOQftoQog . . . (fößog Hes. uootivrw Östronoul Hes. 
fiOQftOQwnög Aristoph. ßctrg. 925, ftoQUVtmnuai , uoyuwro^. 
In der bedeutung passen diese lateinischen und griech. 
Wörter vortrefflich zu einander: formidare ist s. v. a. 
uopuoXvTTEoftat; formido ist nicht nur grausen, sondern 
auch wie uopuw, uoQfiolvxeiov schreckbild, scheuche, po- 
panz. Ich kann es demnach nicht bezweifeln, dafs diese 
Wörter von gemeinsamem Ursprung sind, sie lassen sich 
Zeitfichr. f. vgl. sprachf. XX. 1. 2 



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IS 



aber nicht anders als durch die annähme, ftuouo'j sei aus 
jroouw und formido aus vormido entstanden, vereini- 
gen; formido, das wie cupldo gebildet ist, setzt zu- 
nächst ein verbum formire mit der nämlichen bedeutung 
wie ftoouoXvTTSiv voraus. Dafs uofj^ai aus jtoq/liü) entstun- 
den ist, hoffe ich auch durch eine andere vergleichung 
wahrscheinlich machen zu können. Skr. rüpa äulsere cr- 
scheinung, färbe, gestalt, form, das nach meiner meinung 
mit uoQ(ft) statt Fogni] nahe verwandt und aus varpa 
entstanden ist, kann in der älteren spräche von traumge- 
stalten gebraucht werden, wie das griechische wort in der 
ableitung Mouytv* (erst bei Ovid); ebenso werden die 
spukgestalten, die die bösen geister annehmen, rüpäni 
genannt. Eine ähnliche bedeutuugsentwickeluug von gestalt 
zu schreckensgestalt, gespenst nehme ich im griechischen 
an (vergl. tjoi}uivot ötti ^| vuv ixeivtj fiopff cc^ei Ael. n. an. 
1,29 von der eule); ich glaube mit Lobeck FI IM. p. 320, 
dafs uoofiw mit f*ü(j(ftj von demselben stamme uud also 
aus fiofjq-utoi ^oyn-uuj entstanden i&t: zwischen y und 4 n 
mui'ste 7i, (f noth wendig abfallen. Eine ähnliche bedeu- 
tungseutwickelung vom generellen zum speciellen haben 
wir in spectrum, das in den romanischen sprachen das 
gewöhnliche wort für gespenst wird, das aber ursprünglich 
erscheiuung Überhaupt bezeichnet. Die gegebene erklärung 
von uofjfHo, formido finde ich endlich durch forma be- 
stärkt. 

Da im vorhergehenden die Entstehung des lat. f aus 
v als möglich erwiesen ist, kann forma für vorma und 
dies für vorpma stehen (wie sar inen tum für sarpmen- 
tum); forma für vorpma stammt tomit nach meiner 
vermuthung von der nämlichen wurzel wie die gleichbe- 
deutenden Wörter im griech. fioyyfj für ^°Q nf h im sanskrit 
rüpa für varpa und varpas. In bezug auf das suffix 
schliefst forma sich nahe dem griech. fioyuu) an; es 
verhält sich dazu wie juofxfij zu poyfpü). Während aber 
die allgemeine bedeutung erscheinung, form, gestalt sich 
in forma erhalten hat, ist diese allgemeine bedeutung m 
die specielle sebreckbild in uoypw wie in formido über- 



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15* 



gegangen. Ich glaube also, dafs schon Caesar Scaliger, 
wenn er formido a formis id est spectris herleitet, 
im wesentlichen das richtige gesehen hat. 

Weder die von Pott et. forsch. 1. ausg. II, 119 gege- 
bene etymologische erklärung von forma als id quod 
prae se fert, noch Corsseus (krit beitr. 1(>9) auffassung 
von forma als „die feste" von der wurzel dhar scheinen 
vou seiten der bedeutung so nahe zu liegen, dafs mein 
versuch dadurch widerlegt wäre; skr. dhariman m. fin- 
det sich in der bedeutung form, gestalt nur bei einem 
grammatiker ( Uggvaladatta), und man weifs, wie gefahr- 
lich es ist, solche Wörter bei der vergleichung mit den 
europäischen sprachen zu gebrauchen. 

f seheint auch im stadtnamen Formiae aus v entstan- 
den zu sein. Vou dieser Stadt sagt Strabo V, 111,6: dt 
( lioQfxiat slaxwvixov XTia/na iauv, ÜQ^iiai fayopevoi' 7i(jox iqo» 
Öia tu evoQiwv; Plin. N. H. III, , r ), 9: Oppidum For- 
miae, Hormiae prius olim dictum; Paul. exc. p.83: 
Formiae oppidum appellatur ex Graeco velut 
Hormiae, quod circa id crebrae stationes tutae- 
que erant, unde proficiscebantur navigaturi; 
Serv. ad Aen. VII, 6i)ö: Formiae, quae Hormiae fue- 
runt, and ri}<^ oqu>]±, nam posteritas in multis no- 
min ibus F pro H posuit. Corssen krit. beitr. 175, aus- 
spräche 2. ausg. 1,148 citirt diese stellen ungeuau, als ob sie 
uns nur die etymologische erklärung Strabos von dem stadt- 
namen gäben; sie enthalten zugleich die ausdrückliche be- 
hauptung, dafs Formiae ehemals mit griechischen Damen 
Hormiae ( Üyuioci) hiefs. Es giebt keinen hinreichenden 
grund, diese nachricht, dafs die etadt ihren uamen erst 
von hellenischen Seefahrern erhalteu habe (vgl. Mommsen 
röm. geschichte 2. aufl. I, 128), zu verwerfen und die an- 
nähme, dais Uquioci von oouo^ (wovon auch der häutige 
griechische stadtname llävoguoq) gebildet sei, zu bezwei- 
feln. Curtius grundzüge 8. 318 erklärt u\>f.w<i den anker- 
platz, wo die schiffe „schweben" oder, wie die Engländer 
sagen, an den ankern „reiten 4 *, gewifs mit recht aus einer 
wurzel s&q, öfto schweben, baumeln, die sich in lit. sve- 

r 



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20 Bugg« 

riü wäge, svirtls brunnenschwengel , svyru'ti baumeln, 
svärtis wagebalken wiederfindet. Dafs ö(jfxog statt ^fö^fiog 
steht, wird durch ßvg/nug ütuö^io^ Hes. , welche glosse 
M. Schmidt mit unrecht geändert haben will, dargethan. 
Da digamma in so vielen uralten italischen Ortsnamen grie- 
chischen Ursprungs erhalten ist, mufs Oq^iiai als Foquiai 
verstanden werden und von dieser form ist also, wie Cur- 
tius mit vollem recht bemerkt, Formiae italisirt, aber 
diese änderung des fremden namens ist mit einer lautän- 
derung, die in mehreren heimischen Wörtern vorliegt, voll- 
kommen übereinstimmend. 

Endlich finde ich f statt v in 

fornix, fornicis m. Schwibbogen, gewölbe, die gewölbte 

decke. 

£nniu8 bei Varro 1. 1. 5, 3, 8 §. 19 sagt sogar vom 
himmelsgewölbe caeli ingentes fornices, welchen aus- 
druck Cic. de or. III, 40, 162 tadelt. Die bedeutung ge- 
wölbe, gewölbte decke erscheint auch in der ableituug f or- 
nicatus. Wenn wir cor nix, Icis xoqwvii gegenüber, 
pulex, icis vgl. xfjvlkos, senex, gen. veraltet senicis 
neben senis und altbaktr. ha na vergleichen, scheint die 
annähme, dafs fornix eine ursprünglichere Stammform 
forno voraussetzt, berechtigt. Dies forno ist nach mei- 
ner vermuthung mit griech. ovqkvu^, äol. ajpai/oc, o^avo-g 
aus j:t)Qav6g, skr. Varuna-s identisch. Das wort ist von 
der wurzel var umhüllen, bedecken gebildet; es bezeich- 
net ursprünglich eine gewölbte decke, wird aber beson- 
ders vom himmelsgewölbe verwandt; doch kann das grie- 
chische wort namentlich in der deminutivform oiQccvtaxut; 
eiu zeitdach oder die gewölbte decke eines ziminers be- 
zeichnen, und das suffix (i)c in fornic hat ebenfalls de- 
minutive bedeutung, vgl. fiuifict^ 9 Ä/#«| und Curtius Zeit- 
schrift IV, 215. 

Als eine möglichkeit erwähne ich, dafs f aus v ent- 
standen sein kann in 



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fortis. 

Eine in älterer zeit gebrauchte abweichende form und 
bedeutung dieses wertes lernen wir aus Paul. exc. p. 84 
kennen: foretes (corr. foretis), frugi et bonus, sive 
validus; p. 102: horetum et foretnm pro bono di- 
cebant; Fest. p. 348: in XII cautura est, ut idem 
juris esset Sanatibus quod Foretibus id est bo- 
nis, et qui numquam defecerant a P. R.; vgl. Fest, 
p. 321 nach der ausfullung von Möller: in XII: „Nex[i 
solutique, ac] forti, sanatifsque idem jus esto**;] 
id est bonorfum et qui defecerant sociorum]. Die 
älteste lateinische form war somit foretus. Wenn man 
dies wort etymologisch erklären soll, scheinen zwei wege 
möglich. Fick wörterb. s. 85, Curtius grundzöge 232 und 
Corssen ausspräche 2. ausg. I, 101 leiten das wort von 
einem dem skr. darh dfhati festmachen entsprechenden 
verbum ab und identifieiren es mit skr. pcp. pass. drdha 
(för drhta) fest, feststehend, dauerhaft. Diese erklärung 
scheint von Seiten der form und der bedeutung wohl mög- 
lich; doch erweckt bedenken, dafs got. tulgus fest im 
anlaut t bat, was d im skr. darb, aber nicht dem lat. f 
entspricht. Wenn lat. f hier aus d h entstanden wäre, hät- 
ten wir im entsprechenden germanischen worte d zu er- 
warten, wie got. deigan dem lat. fingere entspricht. 
Folgende Zusammenstellung dürfte von Seiten der form und 
der bedeutung näher liegen, foretus steht nach meiner 
vermuthung för voretus = skr. ürgita kräftig, mächtig, 
erhaben, ausgezeichnet pcp. pass. von ürgajämi nähren, 
kräftigen, denom. von ürg, ürgä f. nahrung, Stärkung; 
kraftfülle, saft; ürg ist aus varg entstanden; im griechi- 
schen gehören hieher 6(jyci(o^ ogyaq, opyv- Altn. orka 
vermögen, aber auch arbeiten, orka kräfte, aber auch ar- 
beit scheint zu erweisen, dafs die wurzel in ürg, ogyn 
nicht von koy wirken verschieden ist; die bedeutung „wir- 
ken" scheint sich aus „treiben, drängen u entwickelt zu 
haben. In Verbindungen wie Ecquid fortis visast Plaut. 
Mil. gl. 1103; Formosa virgost — praeterea fortis 



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Bugge 



Afran. 156 ist fortis in der bedeutung mit ooyag (&vya- 
TFo^g t'tg "ktyo$ ogyadeg) nahe verwandt, wie auch ürgita 
von der körperlichen fülle gebraucht wird; fortis kann 
auch voll nährender kraft bedeuten (fortiora leg um int* 
in cibo Plin.) wie skr. ürgasvant, ürgavja. 

Mehr italische wörter, in denen v im anlaut mög- 
licherweise in f übergegangen ist, könnten genannt wer- 
den (so könnte man sich die möglichkeit denken, das Sabin, 
hirpus = lupus liefse sich durch die mittelglieder fir- 
pus, virpus mit altn. vargr vereinigen); für diesmal gilt 
es mir aber mir diesen lautübergang als wirklich existi- 
rend zu erweisen. 

Erstens ist zu merken, dafs in allen hier genannten 
Wörtern, in denen nach meiner meinung f aus v entstan- 
den ist, nach f ein von f durch einen vocal getrenntes 
r foli't; dies ist gewifs nicht zufällig, wiewohl ich damit 
nicht behaupten will, der lautübergang sei auf diesen 
fall beschränkt. 

Dieser lautübergang hat physiologisch nichts auffallen- 
des; denn v scheidet sich von f nur dadurch, „dafs bei 
jenem die stimme mittönt, bei diesem nicht, jener tönend, 
dieser tonlos ist" (Corssen ausspr. 2. ausg. I, 13*). Wenn 
die Lateiner zum zeichen für f das griechische digamma 
wählten, folgt daraus freilich nicht, dafs f wie digamma 
lautete (vgl. Corssen ausspräche 2. ausg. I, 136), man darf 
aber daraus schliefsen, dafs die beiden laute den Lateinern 
nahe verwandt schienen. Wir finden denn auch denselben 
lautübergang besonders sporadisch in verwandten sprachen; 
namentlich berufe ich mich auf die romanischen sprachen. 
Hier ist f, das den nämlichen laut wie im latein hat (Cors- 
sen s. 139), nicht selten aus lateinischem v verstärkt (siehe 
Diez), und dies findet in mehreren Wörtern statt, wo r 
mittelbar oder unmittelbar nachfolgt. So wird parave- 
redus zu p ar afredus (1. Baiuv.), fr. palefroi; ital. bif- 
fera weib, das zwei männer hat, ist aus bivira entstan- 
den; in spanischen Urkunden referentia = reverentia; 
neufr. toutefois = altfr. toutes voies aus lat. via; alt- 
span. femencia = vehementia. Das aus v entstandene 



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23 



f kann im spanischen zu h werdeu: heme a vide me, 
hisca aus viseura plur. visca; diese formen lassen sich 
mit altlat. horctus vergleichen. Im irischen ist dieser 
lautübergang (f statt v) regelmäfsig: auch aus mehreren 
auderen sprachen könnte analoges angeführt werden. 

Es ist öfters bemerkt worden, dafs das lat. flcus nur 
durch eine grundform svlcus mit (Jvxar, theb. tvxov, slaw. 
smokva, got. smakka vermittelt werden kann, ebenso 
hat Kuhn zeitscbr IV, 17 aus got. svamms gefolgert, sv 
sei in CTtoyyog, O(p6yyog y lat. fungus der ursprüngliche 
anlaut; ob aber ficus, fungus ursprünglich lateinische 
Wörter sind, weils ich nicht: die lautänderung in diesen 
Wörtern ist jedenfalls mit derjenigen, die ich in formica, 
formido u. s.w. angenommen habe, nicht ganz gleich- 
artig. 

wurzel vagh mit ableitungen. 

Wegen dieser wurzel verweise ich namentlich auf 
Curtius grundzfige no. 169; dafs got. vigan hiehergehöre, 
ist neuerdings mit unrecht bezweifelt worden. Ich will 
hier auf einige bisher nicht hinreichend hervorgehobene 
Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen verwandten 
sprachen bei ableitungen von dieser wurzel aufmerksam 
machen. 

Ein davon gebildetes, sehr verbreitetes wort fiQr wagen, 
vehikel ist skr. väha masc, griech. o;ko$, slaw. vozü; das- 
selbe wort ist altn. vagar fem. pl. schütten, das im ge- 
scblecht verschieden ist. Ein synonymes wort ist dem 
griechischen und lateinischen gemeinsam 6/jtIov = ve- 
hiculum fiir veheclom, vehetlom. Denselben begriff 
auszudrücken ist skr. vahja neutr. vehikel, wagen, lit. 
vaz^s masc. kleiner, einspänniger schütten, von der wur- 
zel durch das suffix j a gebildet ; nur im geschlecht weicht 
hievon ab veia apud Oscos dicebatur plaustrum Paul. p. 368 
Müller, für vehja. 

Eine andere Verwendung dieses wortstamm es ist dem 
griechischen, lateinischen, germanischen gemeinsam: von 
dieser wurzel ist nämlich der name des hebels gebildet: 



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24 



Bugge 



griech. o^tai^', lat. vectis; in derselben weise wird norweg. 
vega speciell vom emporheben mit dem hebel gebraucht, 
davon vag fem. hebel. 

vamra ameise. 

Ich habe in Übereinstimmung mit Kuhn zeitschr. III, 6(> f. 
gezeigt, dafs der name der ameise im lateinischen und 
griechischen formica, fAVQuug^ (Avyfitjjs, ßvo t ua^ ßöu^a^ 
auf eine grundform varma hinweist, die dem skr. valmlka 
zu gründe liegt. Eine ältere form haben wir aber, wie 
Kuhn zeigt, im ved. vamra (fem. vamri), vamrakä. 
Kuhn erklärt daher den namen des thieres unzweifelhaft 
richtig aus vam ausspeien, so dafs es davon, dafs es 
einen scharfen saft ausspritzt, benannt ist, wie es engl, pis- 
inire, ndd. raiegamke, isl. migamaurr genannt wird. 
Die Umstellung von vamra zu varma, die sich z. b. mit 
span. yerno = lat. gen er vergleichen läfst, wurde wahr- 
scheinlich durch dissimilation gefördert, da die Umstellung 
m von dem damit verwandten v entfernte. Auch die ent- 
sprechenden formen in den übrigen verwandten sprachen 
müssen durch Umstellung erklärt werden, vamra wurde 
zu mavra umgestellt. Pott etym. forsch. 1. ausg. II, 113 
giebt viele beispiele, dafs zwei cousonanten, die durch einen 
vocal getrennt sind, ihren platz wechseln können. An seine 
beispiele liefsen sich viele andere anreihen, ich will einige 
erwähnen, die ich eben zur hand habe: ital. cofaccia = 
focaccia kuchen, sudicio = sucido schmutzig (Diez); 
baskische beispiele bei August Mommsen in Höfers zeitschr. 
11,371 ; engl, tickle = ags. citelian (Koch engl. gr. I, 148); 
die Umstellung wurde dadurch erleichtert, dafs v uud m nahe 
verwandte consonanten sind, die oft wechseln. Aus der 
Stammform mavra ist geradezu altn. maurr zu erklären, 
ebenso ist altbaktr. maoiri aus mavri entstanden, vergl. 
vaoiri = skr. vavri. Neben der Stammform mavra 
tritt marva auf, das entweder zunächst aus mavra ent- 
standen oder auch aus varma, welche Stammform wir 
im lateinischen, griechischen und indischen gefunden ha- 
ben, umgestellt ist. Es ist nämlich nicht selten, dafs 



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25 



zwei consonanten, die Dicht nur durch einen vocal, son- 
dern auch durch einen consonanten getrennt sind, ihren platz 
wechseln; so griech. ctpuÜQuv = ägtüiieiv; namentlich ott 
1 oder r: span. palabra, milagro, peligro; altfranz. 
e8tencellc = lat. scintilla (Pott a. a. o.). Mommsen 
a. a. o. erwähnt bask. fei d erat za = fr. levrette. Aus der 
Stammform marva mufs kirchenslaw. mravij (zunächst für 
mravijn), ir. moirb (für morvi) erklärt werden. Die 
Veränderungen, denen der narae der ameise in den ver- 
schiedenen indoeuropäischen sprachen unterworfen ist, stim- 
men mit den Veränderungen eines romanischen Wortes in 
den verschiedenen spracharten merkwürdig überein: man 
vergleiche das verhältnifs zwischen prov. vorma schleimige 
feuchtigkeit der nase, neuprov. borm, portug. mormo, 
sp. muermo, sie. morvu, fr. morve, bask. formua mit 
dem verhältnifs zwischen skr. valmlka für varmlka, 
griech. ßiour^ /u'^< kirchensl. mravij, lausitz morve 
lat. formica. Allein die ausgangspunete sind verschieden. 

Auch Pictet origines indo-europ. I, 529 nimmt an, dafs 
die grundform vamra ist, aus welcher die übrigen formen 
sich durch Umstellung entwickelt haben. Unrichtig ver- 
gleicht Fick s. 147 (avquoq, fiVQutj^ unmittelbar mit dit- 
mars. mirem, demin. miremeken und nimmt eine grund- 
form mürama an: das niederdeutsche wort ist mit eme- 
ken, ämeken, das zum hochdeutsch, ameise gehört, zu- 
sammengesetzt. 

wurzel vargh, vragh, griech. ßooxog. 

Griech. ßQo%og schlinge, strick, hat mit lat. laqueus 
keinen Zusammenhang (Bühler in Orient und Occident II, 
750). ßg6%og hat früher fgoxug gelautet, wie ß vor q in 
ßQoÖov, ßgei^w u. a. aus jr entstanden ist (Curtius 

grundzüge 8. 517 f.), und SQ°X°S we * 8t ain ° e * ue grundform 
vrägha-8 hin. Das wort ist von einer wurzel vargh, 
vragh gebildet; diese findet sich in folgenden Wörtern wie- 
der: lit. verziü, verzti mit einem stricke zusammen- 
schnüren, klemmen, hart zudrücken; virzys und verzys 
(Nesselm.) strick, tau; deutsch würgen, abd. wurgian, 



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26 



Bucge 



echwed. dial. yrja, welches altn. yrgja voraussetzt; alt- 
sächs. wu rgil m. strick, altn virgull, virgill, altn.urga 
f. riemen, strick; vgl. Pott wurzelwtb. 8ö7. Mit griech. 
uoyvvut,) eiyyio, skr. varg, vrnagmi arceo excludo, got. 
vrika dicuxio darf man also nicht, wie Curtius no. 142 
und mehrere thun, lit. verziü unmittelbar zusammenstellen. 
Dagegen ist die bedeutungsentwickelung in got. vruggö 
nctyi^ deutsch ringen, engl, wrong, dän. vrang wesent- 
lich verschieden, und diese Wörter halte ich daher hier fern. 

wurzel vars (vgl. kars), lat. verrere, altn. vorr, 

altsäcbs. werran. 

■ 

Lat. verrere ist ziehen, schleppen, streichen, zu- 
sammenfegen, furchen ziehen; besonders hebe ich hervor, 
dais es mit aequor oder gleichbedeutenden Wörtern als 
object verbunden wird, so delphines aequora verrunt 
caudis Verg., vom fischer, der sein netz durch das wasser 
zieht (verrere aequor retibus, verriculum), vom ru- 
dernden, der das rüder, und vom segelnden, der den kiel 
des schiffes die Oberfläche des meeres furchen läfst. 

In derselben weise verwandt haben wir die wurzel im 
germanischen. Ich vergleiche altn. vörr masc, gen. varrar } 
dat. verri, acc. pl. vörru, später vör, varar fem.; das 
wort bezeichnet die furche oder den streifen, den das fahr- 
zeug bei seiner fahrt in der Wasserfläche macht, auch einen 
ruderzug. vörr setzt eine grundform v arsu-8 voraus, die 
von einem verlorenen verbura versan abgeleitet ist, das 
dem lat. verrere völlig entspricht. Sowohl im lateinischen 
als auch im altnordischen wird rs zwischen zwei vocalen 
regelrecht zn rr assimilirt, z. b. lat. torreo, altn. pur r. 
Das starke verbum ist im altsächs. werran (praet. wurrun, 
pcp. giworran), ahd. werran in Zwietracht bringen, an- 
greifen erhalten; hier ist aber die bedeutung anders ent- 
wickelt; eine sinnlichere bedeutung ist im transitiven deut- 
schen wirren bewahrt. Hieher gehört wahrscheinlich auch 
anotgam, das Pott wurzeln einleit. 596 averrere erklärt. 
Mit lat. verrere und den entsprechenden germanischen 
Wörtern stimmt skr. karg dem begrifl nach so gut, dafs 



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27 



ich, wie Pott etym. forsch. 1. ausg. I, 229 und Corssen krit. 
beitr. 403, seine Zusammengehörigkeit oder wenigstens nahe 
Verwandtschaft mit jenen Wörtern nicht zu bezweifeln wage, 
verrere, werran verhält sich zu kars, wie lat. vermis, 
got. vaurms zu skr. krmi. Mit altn. vörr, ursprünglich 
varsn-8 mufs skr. karsri furche zusammengestellt werden. 
Aber da wir sowohl im latein. als im griech. und german. 
v im anlaut finden, mufs schon die grundsprache, aus wel- 
cher diese sprachen sich entwickelt haben, die wurzelform 
vars gehabt haben, die ich als eine nebenform zu kars 
betrachte. 

altbaktr. vareta, got. vilpeis. 

Mit altbaktr. vareta fem. die irre (das kaum ursprüng- 
lich „der zu wehrende weg" bedeutet) hat Fick s. 1 1)4 ge- 
wifs richtig griech. ahraivo^ cchrür irre gehen, fehlen zu- 
sammengestellt. Zum altbaktr. vareta gehört auch got. 
vilpeis äyoiog, grundform vartjas. Der Zusammenhang 
ist zu ersehen aus altn villr, das errabnndus, errans be- 
deutet, wovon vi IIa in errorem perducere. Diese Wörter 
werden mit genitiv verbunden villr vega, statifar, vi 11- 
ast farar ganz wie axohrj^ ah'r^rrtp aragnov. Die be- 
deutung von villr, vi IIa wird auch aufs geistige gebiet 
Obertragen, so dafs villr das bezeichnet, welches von 
dem rechten, wahren, vernunftigen abweicht. 

Entsprechende Wörter im keltischen siehe bei Diefen- 
bach goth. wtb. I, 185, Ebel beitrage II, 178. 

Ohne das ableitende t gehören hieher griech. äh h 
akaouat u. 8. w. 

ßkoav()6g, lat. voltus. 

Für fllotfVQog wage ich eine andere erklärung als die- 
jenige, die Curtius stud. I, 2, '^95 — 297 gegeben hat. Das 
wort ist nach meiner meinung durch das nämliche secundär- 
suflfix gebildet wie aluvpog, öi'ftWg, la^vgog^ ylativpog, 
AsnvQng^ imAvoog. Am meisten analog ist tiijfiVQog; dies 
wort ist kaum, wie Curtius meint, von der mit a erweiter- 
ten wurzel durch das primärsuffix vyo gebildet. vr)C>v{>»g 



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28 Bugge 

steht gewifs für cujrvQog wie <fv für tv, -gvvi] für -Tvvr), 
es ist von ctrjrr^ wind wie a/.uvgog von äkurj gebildet; 
in wesentlich derselben weise wird das wort von Fick 
wtb. 8. 168 aufgefafst, der skr. vätula vergleicht. Ebenso 
ist ßXoavgoQ aus ßkorv-ooc entstanden. Der nominalstamm 
ß'/.orv ist durch gewöhnliche metathesis (wie z. b. in ßgo- 
ro^, ßXwdxoj) aus ßnlrv entstanden ; ß steht hier für f wie 
in ßovKouat, Boh'mg u. 8. w. (Curtius grundzOge 8. 515 ff.). 
ßloavgog ist somit nach meiner meinung von ßXodv für 
poltu gebildet, das dem lat. voltu-s genau entspricht. 

Diese ableitung pafst namentlich zum homerischen ge- 
brauche von ßXoavgöq. vultus heifst gesichtsgepräge, mie- 
uen, aussehen; oft speciell von dem augusteischem Zeitalter 
an ernste, strenge, zornige mienen, davon vultuosus von 
ernstem, finsterem aussehen. II. XI, 608: 

rw ök oi öarte 
lauTtetf&fjv ßloovQrjniv vri öcfgvniv 
läfst sich mit frons vultuosa Appul. vergleichen, wie das 
secundärsuffix oo (tjgo) in der bedeutung, aber nicht for- 
mell, dem lat. öso überhaupt nahe liegt (vgl. z. b. oivijoog 
mit vinosus, xceuanjgog mit operosus). In derselben 
weise wird Gorgo II. XI, 36 ßXoavgöjnig genannt als die- 
jenige, deren blick atfivog^ cpoßegog ist, wie die alten ßloav 
gog erklären (vgl. vultu terrere); der ausdruck ist mit 
dem dabeistehenden ösivov 8sgxofi£vrj synonym, wie Hesiod. 
scut. 250 von den Kijqeg die ausdrücke Stivoanm ß'Aoovgoi t« 
gebraucht; in Übereinstimmung mit den alten glaube ich 
also, dafs ßXoavgwmg mehr den ausdruck der äugen als 
ihre form oder Stellung bezeichnet, wie Goebel zeitschr. XI, 
394 und Curtius stud. I, 2, 297 annehmen; jener übersetzt 
„glotzäugig", dieser „strotz-, voll- oder grofsäugig." Dafs 
ßXortvQog sowohl bei den alten dichtem als auch bei den 
späteren prosaisten besonders auf blick und mienen beziig 
hat, spricht stark ftir meine vergleichung mit vultus. Der 
begriff des strengen, finsteren, erschreckenden liegt nicht 
nothwendig im worte vultus, sondern wird nur durch ge- 
brauch und Zusammenhang daran geknüpft, und es kann 
daher kein bedenken gegen meine erklärung erregen, dal's die 



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29 



bedeutung von ßXofivgog bei Plato und späteren prosaisten 
eine mildere richtung genommen hat, so dafs es „stattlich, 
hochansehnlich" bezeichnet besonders mit der anwendung 
auf blick und mienen (Curtius Studien I, 2, 29 ö), so atuvov 
xai ßh>avQov i)(jäv Aelian. Im poetischen ausdruck cüudtwv 
ßkoffvoov äyog Aesch. Euui. 168 hat der dichter auf die 
blutschuld ein epitheton übertragen, das eigentlich von der 
rächendeu person, die den Verbrecher mit drohenden blicken 
ansieht, gebraucht wird. Bei den alexandrinischen und 
noch späteren dichtem ist die bedeutung und anwendung 
des Wortes willkürlich abgeändert. 

Die gröfste Schwierigkeit bei der von mir vorgeschla- 
genen etymologie macht der gebrauch des Wortes bei Theo- 
phrast, den Curtius für den ursprünglichsten hält. Er führt 
zwei stellen an, wo das wort „üppig, strotzend" bedeutet; 
hiezu kommt: xakhiarq dt nina yivsvcu xai xaüuQiuTdii t 

ix TWV 7ZOOfiT]?Ju)V XCCl 7lOOÖ ßojjyWV , ix Öt TtüV 7l(x)uGxi(ßiV 

ßXoovQUirioa xai ßooßogojöti^ wo Plinius „horridior" über- 
setzt. Es läfst sich aber denken, dals das Stammwort ßkoov, 
obgleich formell identisch mit voltu-s, andere bedeutungs- 
Variationen als dieses entwickelt habe und so auch vom 
üppigöu aussehen gebraucht worden sei. Got. vulpus 
herrlichkeit stimmt buchstäblich zu voltus, hat aber we- 
sentlich verschiedene bedeutung. Jedenfalls scheint es mir 
bedenklich, die bedeutung „strotzend" von Tbeophrast auf 
Homer und Hesiod zu übertragen; diese bedeutung pafst 
z. b. nicht Hes. acut. 250, wo das epitheton ßXuGvqol ge- 
wifs dem blick gilt, wie das damit verbundene ösivwnoi 
andeutet. 

altbaktr. vära, altn. ur. 

Die Wörter, die in den europäischen sprachen dem skr. 
vär, väri wasser, altbaktr. vära masc. regen entsprechen, 
sind bei Curtius grundzüge s. 313 f. no. 510, bei Fick 
Wörterbuch vära 2 zusammengestellt, ihnen müssen aber 
folgende Wörter aus den germanischen sprachen hinzugefügt 
werden: altn. ür neutr. feiner regen, nebelregen, in der dich- 
tersprache auch wasser überhaupt; ürigr, ürugr benetzt, 



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30 



Bugge 



thauig, ags. ürig; altn. yra in feinen tropfen fallen lassen. 
Dieser wortstamni ist noch in den lebenden nordischen 
spracharten sehr verbreitet. Altn. ür stimmt im geschlecht 
zum griech. ovoov, entspricht aber in der bedeutung dem 
altbaktr. vära am nächsten: yrir ist mit ovijü formell ideu- 
tisch. Schon Hoimboe „det norske sprogs vaeaentligste 
ordforraad" hat ür mit skr. väri verglichen. 

skr. vära schwänz, altn. veli. 

Curtius no. 50) und andere haben mit uqqo^ uvqcc 
schwänz zusammengestellt. Dies letztere wort ist aber von 
Pictet in dieser zeitschr. VI, 190 und von Fick richtiger 
erklärt: wie Ovyctvov zu skr. Varuna-s, ovyov zu alt- 
baktr. vära, skr. vari, ovoog Wächter zu got. vars, so 
verhält sich ovya zu skr. vära masc. schwänz, später väla, 
bäla (die femininform bälä, die Fick erwähnt, ist mir un- 
bekaunt), altbaktr. vära. Auf der andern seite hat aber 
Bopp mit skr. vära, pl. väräs die haare des Schwanzes 
Iit. väla-s gewöhnlich im plural valai die schweifhaare 
eines pferdes richtig zusammengestellt; wir haben somit 
hier eins von den verhältnifsmässig nicht so gar häufigen 
beispielen, dafs die europäischen sprachen von japhetischem 
stamme in bezug auf r und 1 unter sich nicht übereinstimmen. 
Da das litauische wort 1 hat, und da altbaktr. vära, griech 
oi)i)(x vom sterze der vögel gebraucht wird, dürfen wir auch 
altn. veli neutr. vogelstcrz hieher ziehen. Man darf an- 
nehmen, dafs früher eine dem skr. väräs (lit. valai) ent- 
sprechende pluralform von den einzelnen federn im vogel- 
sterze gebraucht worden ist; davon ist neutr. veli durch 
das suff. ja gebildet, das hier wie so oft collective bedeutung 
hat. Der vocal e in veli setzt I in den anderen germani- 
schen spracharten voraus, wie altn. vel = ags. wil, ver 
= got. veis ist; dieser vocal weist in veli auf ä in der 
indo-europäischen grundform zurück, wie im got. reik-s 
= skr. rag, altn. heia reif mit lit. szalti frieren, altbaktr. 
careta kalt verglichen. Dafs auch das latein ein dem 
griechischen ovya entsprechendes wort für schwänz mit 1 



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31 



für r gehabt bat, darf aus adülare,adülari anschwänzeln, 
anwedeln gefolgert werden, s. Georges wörterb. 

wurzel sag, german. sak, altn. sattr, satt 

Es ist unzweifelhaft, dafs got. sak an mit skr. sa£, 
sang, lit. segiü, segti schnallen, um-, anbinden zusammen- 
gehört; auch griech. cmtoj, änuafrai pafst dazu iu der be- 
deutung so vortrefflich, dafs es gewil's mit Leo Meyer goth. 
spräche s. 9 hieher gestellt werden mufs, obgleich das laut- 
verhältnifs noch nicht hinreichend aufgeklärt ist. Unter 
den ableitungeu verdient um der bedeutung willen hervor- 
gehoben zu werden altn. sattr versöhnt = skr. sakta-s 
verbunden; satt fem. (pl. sättir) vergleich, Übereinkunft, 
vertrag, ags. sseht = skr. sakti-s Verbindung. Dasselbe 
wort finden wir mit sinnlicherer bedeutung im lit. lett. 
sagtl-s Verknüpfung, heft, schnalle. Identisch ist gewifs 
griech. äxjji^ accus. aHnda, aeol. äwt>v Verknüpfung, hivov 
äxpidsg die maschen iin netze ; bei der bedeutuug radfeige 
darf daran erinnert werden, dafs lit. segti ein pferd be- 
schlagen heifst, ap segti dasselbe, auch einfassen. 

sa ma in griechischen und germanischen Zusammen- 
setzungen. 

Das skr. sama-, altbaktr. bama-, gr. o/<o-, got. sam a-, 
in form und bedeutung einauder völlig entsprechen, ist be- 
kannt; es verdient aber beachtung, dafs einige von deu da- 
mit zusammengesetzten Wörtern mehreren von den japhe- 
tischen sprachen gemeinsam sind. Fick s. 174 hat altpers. 
hamapitar „der denselben vater hat" mit dem gleichbe- 
deutenden griechischen duundtttuy zusammengestellt. Eine 
dem griechischen üuoTrcertjwg völlig entsprechende form ist 
altn. samfeöfr (auch erweitert samfeöra, samfeddr), 
wie 6uufA.rjrQioi; sammoeÖTr entspricht, das in saminoeöra 
durch das suffix au erweitert ist (auch samnioeddr). 
Ebenso ist griech. öuoyvwg mit got. samakuus ovyy&vfje 
stamm samakunja gleich; davon ist altn. samkynja, 
wie samfeöra von samfeäfr, erweitert. Vgl. Pott prae- 
positiooen 816 f. 829. * 



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32 



Rugge 



lat. sarcio, gr. oanrio. 

Lat. sarcio flicken, ausbessern gehört mit gr. occtitu) 
zusammenflicken, zusammennähen, unmittelbar zusammen. 
imTtTU) steht für aganraj wie goqiu) für öQoytw (g ist in 
tvyyacft^ für iv(TQa(f)'^ assjmilirt); ar in sarcio verhalt 
sich zu oa in (jÜtttiu wie or in sorbeo zu <jo in yoiptoj. 
Der labial im griechischen worte entspricht hier wie in 
iaTzrio: jacio, inroftai: ico dem lateinischen guttural. 
Wenn die gelehrten, welche die präsensform panTw aus 
(junjitj erklären, recht haben, darf das griechische wort nicht 
nur in bezug auf die wtirzel, sondern in allem mit sarcio 
identificirt werden. Ebenso wird (janros von sartus für 
sarctus, octu^ia von sarcimen naht vollständig gedeckt. 

sarcio, (mnxm mufs gewifs als Weiterbildung von der 
wurzel sar zusammenknüpfen, lat. serere, efyai u. s. w. 
aufgefafst werden, 8. Curtius no. 518. 

Anders Corssen krit. beitr. s 42; ausspräche 2. ausg. 
I, 485 ff. 

got. sarva, ags. searu, altn. servi. 

Fick s. 174 und Meyer goth. spräche s. 154 erklären 
got. sarva neutr. pl. oVrAcr, navonXia aus der wurzel sar 
bewahren 1 , beschützen, woraus lat. servare, gr. eovoOai, 
altbaktr. haurva. Dies sieht sehr ansprechend aus, aber 
die bedeutungen des Wortes in den anderen germanischen 
sprachen werden eine andere erklärung nothwendig machen. 

Ich erkläre sarva aus der wurzel sar knüpfen, lat. 
serere, gr. eloeiv. Die richtigkeit dieser ableitung ersieht 
man am deutlichsten aus dem altn. s«rvi neutr. halsband, 
das aus perlen, die auf eine schnür gezogen sind, besteht; 
mit s°rvi, das eine grundform sarvjam voraussetzt, läfst 
sich er. oouoc halsband, das von etoco abgeleitet ist, ver- 
gleichen. Im angelsächs. bedeutet searu neutr. nicht nur, 
armatura, sondern auch machina, raacbinatio, insidiae, ars 
artificium, res artificiosa; das davon abgeleitete serwan, 
8 yrwan macbinari, concinnare, moliri, insidiari. Auch 
hier zeigt es sich deutlich, dafs (Jas wort von sar ver . 



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33 



knüpfen abgeleitet ist; man denke an ycmr&tv fiETccyoQtxioQ 
uriyctvaa&ai xcei xc(T<xaxtv(tL.uv, z. b. xaxd occtttuv nvi; ali- 
quid suo capiti suere, dolos consuere, sutela u.dgl. 
Endlich saru rüstung bezeichnet zunächst den panzer, die 
brünne; so führte der in der sage berühmte Sarula, Sörli 
den namen nach seiner undurchdringlichen brünne. Dafs 
saru auch als bezeichnung des panzers von sar verknüpfen 
gebildet ist, kann nicht zweifelhaft sein; man vergleiche 
sertae loricae. 

Die wnrzel sar in tipEtv, serere, got. sarva darf 
nicht, wie von Curtius grundzüge s. 318 geschieht, mit der 
wurzel svar im lit. sverti wägen vermischt werden. Ich 
identificire nach Benfey und Pictet sero mit skr. 

sarämi sich bewegen, fliefsen, so dafs dies in den euro- 
päischen sprachen causale bedeutung angenommen hat; vgl. 
skr. pratisärita verbunden (wie eine wunde), manisara 
perlenschnur, sarit faden. 

sas schlafen. 

Lobeck und Curtius no. 587 haben «'«rr«, aioautv, 
a eoctV) a «ffa/, ä'aausr schlafen mit ätj/Ai zusammengestellt. 
Dies wird aber durch vergleichung mit der vedasprache 
widerlegt; denn hier findej^ wir asasisam, asäsisam, 
das dem griech. cestta ganz genau entspricht. Von der 
wurzel sas, die im eigentlichen sanskrit uicht gebraucht 
wird, ist praes sasti, pf. sasäsa, fut. sasisjati gebildet. 
Im griechischen verbum ist r> sowohl im anlaut als im in- 
laut geschwunden, ganz wie in nvug dürr = lit. sausas, 
niederdeutsch sör, sär, ags. sear; vgl. norweg. diai. söyr 
masc. (aus einer grnndform sausa-s) die verdorrung der 
bäume; auch bei avn^ hat Curtius s. 35b' nach meiner mei- 
nung die wahre etymologie nicht gefunden. Bei moa hat 
schon Pott's Scharfsinn das richtige geahnt. 

su- gut im germanischen und lateinischen. 

Im sanskrit steht das lobende oder verstärkende su- 
dein tadelnden dus- (dus-) gegenüber, so im altbaktri- 
sohen hu- gegen dus- (duz-, dus-), im griechischen «i-, 
Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 1. 3 



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84 



kv- (dessen form Schwierigkeit macht) gegen dvg-. Der 
nämliche gegensatz hat sich iu den keltischen sprachen 
gut erhalten: altir.su-, so- im gegensatz von du-, do-, 
s. Zeuss I. ausg. 17. 832 f. 866 f. 

In den germanischen sprachen ist dus- noch sehr ge- 
bräuchlich: got. tuz-l, ahd. zur-, altn. tor-; auch von der 
entgegengesetzten partikel giebt es mehrere spuren, die bis- 
her nicht hinlänglich beobachtet worden sind. 

Schon Graff und Zeuss s. 3? haben vermuthet, dai's 
der volksname Sugambri aus su und ahd. gambar stre- 
uuus zusammengesetzt ist. Holtzmann Germania II, 215 f. 
fügt einige andere germanische Wörter hinzu, die su- ent- 
halten sollen, aber seine erklärungen sind entweder zweifel- 
haft oder geradezu unrichtig: z. b. got. svers, ahd. suuäri, 
altn. svarr ist sicher von einem dem lit. sverti wägen 
entsprechenden verbum gebildet und nicht mit su- zu- 
sammengesetzt. Dagegen finde ich im got. svi-kunps 
ixdrjhig, nQodrjXog, ifA(favt)g y (paveQog ein präfix, das mit 
dem skr. su- in nahem zusammenhange steht. Zunächst 
läfst sich evyi'worog vergleichen, s vi weist auf eine grund- 
form sva oder svä- zurück; dieselbe nebenform von su- 
haben wir, wie es scheint, im altbaktr.; denn hier wird 
nicht allein adv. hu, hü wohl gebraucht, sondern auch 
hvö, dessen ö aus a entstanden sein kann, vgl. Justi gramm. 
33. B 2) und 34. 4). Dieselbe form des präfixes kann ich 
auch im altn. sveviss Helgakviöa Hundingsbana I v. 38 
nachweisen; das wort bezeichnet eigentlich „sehr weise", 
ist aber durch den gebrauch ebenso wie fj ölku nni gr da- 
rauf beschränkt worden „zauberkundig" zu bezeichnen. 

Hieher gehört auch got. svikns (stamm svikna) 
a;i/os, (xfrroog, 6o7og, altn. sykn. Das zweite glied ist 
# ikna, nom. *ikns = grieeh. ctyvög, grundform jagna-s; 
svikns steht entweder für 8 v i - i k n s oder eher für 8 u - i k n s. 
Eine ähnliche Zusammensetzung haben wir im gr. evayi]g. 

Das praefix 8u- vermuthe ich auch im ags. switol, 
sweotol, swutol offenbar (von Rieger fehlerhaft mit lan- 
gem vocal in der Stammsilbe geschrieben); es scheint aus 
suwitol entstanden zu sein, wie altbaktr. hvarez gutes 



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wirkend aus huvarez, hvlra mannhaft aus hu vir a, und 
eine ableitung von wz. wit sehen zu enthalten. Ich zweifle 
nicht darau, dafs mau mehr spuren vou diesem praefix in 
den germanischen sprachen wird nachweisen können; es 
genügt mir, dafs ich seine existecz erwiesen habe. 

Im latein ist dus- (ahd. zur-) mit dis- (ursprünglich 
dvis-, ahd. zer-) zusammengeflossen; das entgegengesetzte 
praefix su- ist dem spraehbewufstsein als solches nicht 
mehr klar, aber unverstanden in einigen, während eiues 
älteren Stadiums der spräche gebildeten, Zusammensetzungen 
erhalten. 

Corssen krit. beitr. 100 f. hat mit guten gründen die 
gewöhnliche erklärung von südus als se-udus zurück- 
gewiesen und die ursprüngliche bedeutung des Wortes dar- 
gelegt. „Es erhellt . . ., dafs in der älteren spräche sudus 
die bedeutung „serenus, aiftgtu^ evöiug „heiter* hat, daher 
su dum und suda (neutr. plur.) substantivisch gebraucht 
„evdtcc, heiterer himmel" bezeichnen, und dafs Lucilius den 
plural suda so braucht, wie im griechischen der plural 
tvöiai vorkommt, Plat. Legg. XII, 96 Ei iv ye %Eiimai v.eci 
kv evdtcttg". Dagegen irrt Corssen, wenn er sudus zu 
skr. cudh, cuu dh purificare, lustrare stellt. Denn dafs c 
in der genannten wurzel nicht, wie Corssen meint, aus s 
entstanden ist, wird unter anderem durch altbaktr. cud hu 
erwiesen; wäre cudh aus sudh entstanden, mül'sten wir 
im altbaktr. h u d h u haben, wie altbaktr. huska dem skr. 
cuska entspricht. 

Wie von Corssen erwiesen, ist das lat. sudus dem 
griech. tvdiog in der bedeutung gleich, und ich glaube, 
dafs diese zwei Wörter auch formell zusammengehören, sü- 
dus ist durch die mittelstufen sudjus, sudius aus einer 
grundform südiva-s hervorgegangen; v ist wie in sub 
dio, i wie indudum, biduum geschwunden, südus ent- 
hält das hier behandelte praefix in der form sü, die in der 
vedasprache (z. b. sünrta, sünari) vorkommt, so wie das 
altbaktrische sowohl hu als hü hat. 

Nachdem ich diese etymologische erklärung niederge- 
schrieben hatte, sah ich. dafs schon Pott präpotntionen (etym. 



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36 



ßugtje 



forsch. 2. ausg. I) s. 747 daran gedacht hatte; er verwirft 
sie aber ganz, doch ohne hinreichenden grund. Pott nennt 
nach Wilkin8 Sanscr. Gramm, p. 93 auch skr. sudiva happy 
daily, passing pleasing days und sudiv having a fine sky 
(epithet of a fine day). 

Curtius grundzüge s. 36 sagt freilich, su- sei eine 
speciell indische form und dürfe in den europäischen 
sprachen nicht gesucht werden; dafs aber dies nicht stich 
hält, wird durch das, was ich oben angeführt habe, und 
namentlich durch die entsprechenden keltischen formen dar- 
gethan. 

Wenn die form su- dem gemeinsamen Stadium ange- 
hört, auf welches die verschiedenen europäischen sprachen 
zurückweisen, scheint es möglich skr. svädu, griech. ißv^ t 
lat. suävis, ags. swete als su-ädu von ad essen zu ver- 
stehen; der umstand, dafs rjtivg (für fSfaöv$) sich ganz und 
gar von tv- entfernt, mufs daraus erklärt werden, dafs das 
bewufstsein von der Zusammensetzung des Wortes verloren 
war. Dagegen lat. suädus, Suäda, wovon suadjeo, ver- 
stehe ich lieber als aus su-väda-s entstanden vom skr. va- 
dämi rede, wozu entsprechende Wörter sich in mehreren 
anderen japhetischen sprachen finden, s. Curtius grundzüge 
8. 223. Mit bezug auf die bedeutung vergleiche ich skr 
sükta von su-ukta, das im pl. verführende worte bedeu- 
ten kann; suädus aus su-väda-s hat im skr. dur-väda-s 
schlecht redend sein gegenstück. malesuadus kann dieser 
erklärung nicht hinderlich sein. 

skr. käu, griech. titvqw, nraiota, ntoia y lat. conster- 
nare, sternuere, altn. skjarr. 

Griech. titvqw (ein pferd) scheu machen, nTvg&Gftat 
scheu werden, in schrecken gerathen, wovon nrvgua^ nrvg- 
ttik hat Walter zeitschr XII, 409 vortrefflich mit den sy- 
nonymen lat. consternare, consternari, exsternare, 
die in betreff der bedeutung mit Sterne re nichts gemein 
haben, zusammengestellt, nrvgoj ist nicht, wie Benfey gr. 
wurzellex. II, 100 meint, ableitung von einem von der Wur- 
zel TiTV (wovon TTToia) durch das suffix o<> gebildeten uomen 



■ 



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37 



nrv-oo. Lat. sternare zeigt im gegentbeil, dafs die wur- 
zelform tttvo in nrvgo) durch das mittelglied nxog aus nxag 
entstanden ist; v vor g hat hier den nämlichen Ursprung 
wie in navtjyvgi^ ayvon^ uaoxug, Gnvgi^ mo^^w. Wal- 
ter sagt mit recht, titvqo) stehe für anvoto; dies verstehe 
ich nicht mit Corssen krit. nachträge 8. 116 so, dafs ff im * 
anlaut abgefallen und später n durch r verstärkt sei. Ich 
glaube, wir müssen annehmen, dafs zwei nebenformen exi- 
stirt haben : spar onvgw und psar yjvQw, ebenso wie ipaXiv 
= anah'^ ipvTTw dem lat. spuo gegenüber u. s. f. \fwgto 
wurde zu nxvg(o y wie aoxrog aus cepfog = skr. f ksa ent- 
standen ist u. 8. w. (Curtius grundzüge s. 628). Ebenso 
ist in Ttrvw t nicht, wie Curtius grundzüge b. 257 will, aus 
j, das in lit. spjauju hervortritt, entstanden, sondern nxvtA 
steht für Wim (vgl. \pvrxu>) durch Übergang von \p in nx. 
Schon Lobeck hat darauf aufmerksam gemacht, dafs ntigio 
mit nraigeo für nxagjo) niesen „sternutamentis quati", aor. 
tnxagov, auch TTToegvv^ai offenbar verwandt ist; die begriffe 
„niesen" und „scheu werden* vereinigen sich in der plötz- 
lichen, zitternden bewegung. Die Verwandtschaft zwischen 
nrvgo) und nxttigi», nTägvvuai wird zugleich durch die 
Übereinstimmung zwischen (con) -sternare und sternuere 
dargethan, und das verhältnils zwischen nxetigt» und nxvgu 
zeigt auch, dafs v in dem letzteren aus « entstanden und 
das verbum nicht denominativ ist. Aber auch nxoict, nxoa 
scheu, furcht, flucht, jede durch heftige leidenschaft erregte 
unruhe, ttto/cw, jttoko scheuchen, fortjagen, unruhig machen 
schliefsen sich nxvgcu in der bedeutung nahe an. nxoict mufs 
gewifs als aus nxopa von einer wurzel nxv entstanden erklärt 
werden. Wir haben somit im griech. zwei wurzeln nrv und 
titcco mit der grundbedeutung zittern, woraus sich in nxag 
auch die bedeutung niesen entwickelt; nxag und nrv sind 
aus älteren formen ipag und %pv entstanden, und diese sind 
wieder nebenformen von onaq und env; dem griech. nxag 
= anag entspricht im latein ster für sper in -sternare, 
sternuere; auch hier entwickelt sich die grundbedeutung 
„zittern" theils zu „scheu werden", theils zu „niesen". 
Diese wurzeln lassen sich weiter verfolgen. Wo das griech. 



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38 



Bngge 



im anlaut nr oder das ursprünglichere i//, an hat, kann 
i/», an wieder auf älteres sk zurückweisen, das im skr. als 
kä auftritt: so xjJtcpct^ : skr. ksapas, tpfau = cf&iöiq : skr. 
käi, ytiQU = (f&tioei: skr. käar, s. Curtius grundzi'ige 
8. 634 f. Vollständig in derselben weise verhält sich die 
wurzel nrv in TiTopci, nroia zu skr. ksu, praes. kääuti, 
fut. käavisjati, pcp. ksuta. Dieses verbum bedeutet 
„niesen", und verhält sich demnach in betreff der bedeu- 
tung zu 7ttv in nroia ganz wie nraioio zu tttvquj, ster- 
nuere zu -sternare. Von der bedeutung „zittern" scheint 
es auch beim skr. käu spuren zu geben: kämäjate heifst 
„zittern" und steht wohl für ksumajate, da ksnmäin der 
anrede an einen pfeil als „derjenige, der zittern macht" erklärt 
wird; ksubh (ksubhjati und ksöbhate) zittern, in un- 
ruhige bewegung kommen ist sicherlich eine Weiterbildung 
von käu niesen, eigentlich zittern, wie stubb preisen von 
s tu (so auch Max Müller zeitschr. XIX, 4'2). Litauische 
und slawische Wörter, die mit skr. ksu niesen zusammen- 
gehören, hat Pott wurzel wtb. 687 angeführt, so lit. skiaudu, 
skiaudeti niesen, wo die ursprüngliche wurzel sku = skr. 
käu durch d erweitert ist. In den germanischen sprachen 
finden wir sowohl eine wurzelform sku, die dem lit. sku 
(in skiaudu), skr. ksu, griech. nrv entspricht, als eine 
wurzelform skar, die mit dem griech. nreeg, titvq^ lat. ster 
identisch ist; beide haben die bedeutung scheu werden. 
Der ersten gehören an deutsch scheu , scheuen, scheu- 
chen, der zweiten altn. skjarr scheu. Mehrere ferner ver- 
wandte Wörter lasse ich hier bei seite. 

Spang, qxtkyyouai, cpiyyog. 

(ffttyyouat, (fdiytta y (p&oyy^ ff &6yyo$ pflegt man un- 
mittelbar mit der wurzel cj« in ifr^i zu verbinden; dies 
hat aber formell nicht hinreichende stütze, denn es ist uner- 
wiesen, dafs q,i)yo$ zur wurzel <fa in tfctivw gehört; auch 
stimmt es nicht gut zu der bedeutung, denn (pi/ui ist nur 
sagen, reden, aber nicht klingen. Skr. bharig reden, wo- 
mit Benfey und Fick tffHyyoiicti zusammenstellen, kennen 
wir nur aus den Wurzelverzeichnissen. 



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39 



Curtius grundzüge s. 634 hat erwiesen, dafs qp»H<x<)öi, 
rfiMvui, wovon wir nebenformen mit finden, Wörtern in 
verwandten sprachen, die mit sp*) anfangen, entsprechen. 
Denselben Ursprung hat yft in (f&ayyouat; sp finden wir 
im entsprechenden lit. spengiu, spengti gellen, klingen 
(Nesselm.). Auch von (fiyyog, (piyyw, ((fXoyi (fkyytrat 
Kriuujv Aristoph.) ist bisher eine sichere etymologische erklä- 
rung nicht gegeben worden. Curtius' meinung(grundz.s. 268), 
(ftyyoq sei aus (f afug durch vermittelung einer form qiyy/og 
entstanden, ist bedenklich; denn sonst findet sich in der 
xoivrj kein beispiel, dafs j: zu y geworden, vor welchem 
sich sogar ein nasal entwickelte. Skr. bharig leuchten fin- 
det sich nur in den Wurzelverzeichnissen. Wie ich cf &kyyo- 
ttat im lit. spengti wiedergefunden habe, giebt uns die- 
selbe spräche vielleicht bei cfiyyog richtige anleitung. An- 
lautendes <t ist im griechischen öfters vor tp abgefallen: 
(ftuug für acfiytiog, böot. Cl>#£ = ^(fiyS (Curtius grund- 
züge s. 630), lakon. cpovcu = ipocu, das ursprünglich sp 
im anlaut gehabt hat, lakon. qiv = (Tyiv, yilog für acpilog 
(siehe unten) u. s. w. Und da a sehr oft auf ein folgendes 
7i aspirirend wirkt, kann (piyyog aus Gqiyyog, oniyyog ent- 
standen sein. Hiemit darf man vielleicht sping spingüte 
„es blinkt die bliukerinn" in einem litauischen räthsel bei 
Schleicher 8. 67 vergleichen. Das hier vorkommende ver- 
altete verbum spingu spinge'ti ist mit lett. spfgulut 
schimmern, spiguls glänzend, spigula glänz, nahe ver- 
wandt; Bielenstein lett. spräche I, 150 meint freilich, g sei 
hier aus d entstanden, aber in lett. spidelet flimmern, fun- 
keln, lit. spindeti schimmern, blinken, die an amvHrjo 
erinnern, haben wir wohl nur einen verwandten, nicht einen 
identischen stamm. 

Aus der wurzelform spang kann sich mit verlust von 
s auch mhd. vanke funke (besonders in Baiern und Oester- 
reich) neben vunke, venken zünden, funkeln entwickelt 
haben. Dies dünkt mich wahrscheinlicher als ( dafs diese 

♦) Zu wurzel spa in ^bavot gehört ferner altbaktr. fSffnaj in gang 
bringen, huzv. fsfi thätig und vielleicht zu einer verwandten wurzel spu in 
oitv<)w altbaktr. fSu praes. pcp. fSujarit thfttig sein. 



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40 



Wörter mit got. fön, gen. f unius feuer, altpreufs. panno 
zusammengehören sollten (Fick zeitschr. XVIII, 416). 

sparg, sprag, sprlg. 

GTtuijyctix), Gnctoyto), Gffccoayüv Od. IX, 440, (ftfQiyaw sind 
alle offenbar schöfslinge von derselben wurzel. Entsprechende 
Wörter aus verwandten sprachen nennt Fick s. 194. Nahe 
an aquiyaw steht namentlich norweg. dial. sprfkj a, das 
sowohl activisch ist „aussperren, ausspannen" als neutral 
„weit aus gesperrt stehen". In einigen gegenden bedeutet es 
„schwellen, vor fülle ausgespannt stehen", z. b. jure (das 
euter) stö so dae sprikte (I. Aasen). Die bedeutung 
stimmt hier also mit derjenigen der griechischen verba völlig 
überein: ovthtTu <f(foiyo)i>T(x , ovitara GtfctQayevvTo, jua^Oc. 
cnaoywv. Germanische verba auf j an (praeter, ida) ent- 
sprechen oft griechischen auf äv: ö(füiyäi> verhält 6ich zu 
sprikja wie öctuäv zu t ein ja, tyevväv zu reyna. 

6<faQaytw in der bedeutuug, in welcher es Od. IX, 390 
vorkommt (atfctQay evvro dt oi tivqi (ji^ai 6(f tf aXuov)^ schliefst 
sich nahe an isl. und norweg. spraka (praet. sprakaffi), 
das mit lit. spragü sprag eti prasseln gleichbedeu- 
tend ist. 

Mit (Snayyäü), anctQytw, Gygiycao stellt man lat. turgeo 
(für s turgeo) zusammen, indem man vertauschung von 
labial mit dental annimmt. In derselben weise wird in einer 
norwegischen gegend (Telemarken) strikje in der näm- 
lichen bedeutung gebraucht wie anderswo sprikj a schwellen. 

svapna. 

Curtius grundzüge s. 261 bemerkt mit recht: „svap- 
na-s ist eins der nicht eben zahlreichen nomina, welche 
ohne andere als die normalen lautveränderungen sich in 
sämmtlichen spracbfamilien vollständig und in unverän- 
derter bedeutung erhalten hat". Dagegen irrt er, wenn 
er meint, das wort habe nur im litauischen die bedeutung 
„somnium". Diese bedeutung ist im sanskrit sehr gewöhn- 
lich, z. b. du: svapna ein schlimmer träum, so wie das 
wort im slawischen auch diesen begriff bezeichnet. Die be- 



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41 



deutung „träum" kommt in der altnorwegischen dichtung 
nicht selten vor, z. b. segja svcfn slikan solchen träum 
erzählen Atlamal 24; ebenso häufig im angelsäehischen und 
altenglischen, wo slse'p (das gar nicht verwandt ist) für 
schlaf das mehr gebrauchte wort ist, während swefen in die- 
ser bedeutung selten vorkommt, so: him wearö" on sla/pe 
swefen aetywed Daniel 496 ihm wurde im schlafe ein 
träum geoffeubart. Altsächs. sweban kommt nur als 
„ träum a vor. 

sva, *svaina eigen, </fAo£, altbaktr. qaena, got.seins. 

Die beliebte Zusammenstellung von y/Aov, mit skr. 
prijä scheint lautlich sehr bedenklich. Sie setzt voraus, 
dal's tfiloq aus (pÄtog, (fyiog, npiog entstanden sei, allein 
diese Sprünge sind um so unwahrscheinlicher, als wir in den 
europäischen sprachen die wurzel prl sonst regelrecht ver- 
ändert wiederfinden, z.b. im deutseh. freien*). Dies scheint 
mir mehr zu wiegen als formen in neuind. sprachen, auf 
die sich Kuhn zeitschr. V, 220 gestützt hat; ich glaube, r 
im hind. pjar, pijär liebe gehört dem Suffixe; vielleicht 
sind diese formen aus skr. prijatä entstanden (vgl. beitrage 
z. vgl. sprachf. I, 141). Noch weniger kann ich mit Fick 
zeitschr. XVIII, 415 (piko mit skr. bhavila identificiren. 
Das adjectivum bhavila kennt das petersburger Wörter- 
buch uur aus einem grammatiker als mit bhavja gleich- 
bedeutend; dies entfernt sich aber in vielen bedeutungen 
(60 wenn es „künftig" bezeichnet) völlig von (fi).og und 
stimmt in keiner ganz damit überein; auch sehe ich keinen 
grund dazu mit Fick bhavila und bhavja von bhü in 
der nämlichen bedeutung wie bhävaj abzuleiten; mehrere 
bedeutungen von bhavja lassen sich damit gar nicht ver- 
einigen. Nach Benfey's Wörterbuch bedeutet bhavila 
„künftig", und kann das wort nicht in anderer bedeutung 
nachgewiesen werden, so wird die Zusammenstellung mit 

*) Dafs goth. bleips, womit lat. laetus möglicher weise zusammen- 
gehört, von pri gebildet ist, wie Meyer goth. spräche s. 662 meint, ist 
unbewiesen. 



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42 



rpikog von selbst widerlegt. Auch inhd. buole buhle (das auch 
Döderlein synonyme VI, 38 mit (fO.ng zusammenstellte) kann 
nicht von bhü in der bedeutung von bhävaj kommen; 
was ich hier nicht zu erweisen brauche. Demnach wird 
es erlaubt sein für tfilog eine neue erklärung zu suchen. 

In altdeutscher und altnordischer diehtung drückt swä9, „ 
swaes, sväss dasselbe aus, was Homer mit yiXog giebt: 
altn. svasa buri, svasa brceffr, ags. his swae'sne sunu, 
altsächs. swas man; auch ags. paer me unswae'sost 
waes wie cfiXog in Verbindungen wie noi <piXov inXtro &vuqi. 
Bei Vulfila giebt sves olxelog, töiog wieder, als neutrales 
substantivum bedeutet es eigenthum, vermögen. Das wort 
hängt offenbar mit dein reflexivstamm sva zusammen: ur- 
sprunglich bezeichnet es wie im gotischen proprius, dome- 
sticus, daraus haben sich entwickelt die bedeutungen fami- 
liaris, cognatus, carus, suavis, die wir in den anderen ger- 
manischen sprachen finden. Die bedeutungsentwickelung 
im germanischen sväs, svös spricht dafür, dafs auch tfilog 
ursprünglich „eigen" bedeutet; wenn verwandte und freunde 
cpi'Kot genannt werden, werden sie dadurch als „die eigenen u 
bezeichnet; in liebevoller anrede können wirNorweger „egen" 
(eigen) in der nämlichen bedeutung wie tfilog gebrauchen: 
„min egen unge" tfils rixrov. (piUta heifst eigentlich je- 
mand als einen von den eigenen betrachten, behandeln. Diese 
auffassung wird dadurch gestützt, dafs die poetische spräche 
besonders in den homerischen gedienten, wie bekannt, tfiXog 
als ein volleres oder nachdrücklicheres pron. possess. ge- 
braucht, z. b. xctrtnlriyrj (filov ??roo, juj/rpi (fifaj Jlxt.air) 
-/couftevog xfjo. 

Ich identificire (filog, das ursprünglich „eigen" bedeu- 
tet, mit dem got. seins sein, sein 8 ist vom reflexivstamme 
sva gebildet durch das secundärsuffix ei na, wodurch auch 
adjectiva von Substantiven, besonders von stoffnamen ge- 
bildet werden, z. b. silubreins (s. zeitschr. IV, 244). Die- 
ses suffix findet sich im altbaktrischen in der form aena, 
z. b. erezatagna silbern wieder, s. Fick zeitschr. XVIII, 
454. Hieraus müssen wir für seins eine grundform 8 vai- 
na-s schliefsen; dieses fiude ich wieder im altbaktr. qaSna 



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zur etymologischen Wortforschung. 



43 



„eigen; davon gut, vortrefflich" (es kommt als epitheton zu 
ajanh eisen vor), wo die bedeutungsentwickelung freilich 
nicht die nämliche wie in rpilog svas, aber doch nahe 
verwandt ist. Den gotischen adjectiven auf -ei na, 'en 
altbaktr. auf -aena entsprechen griechische auf -1V0 z. b. 
xct}(ni'og. Eine grundform svaina, altbaktr. qaena, got. 
sei na würde daher regelrecht a/tvo werden. Nun ist es 
bekannt, dafs anlautendes a im griechischen ein unmittel- 
bar nachfolgendes j: zu ff verhärten kann und dafs später 
ü vor <p zuweilen abfällt: in der lakonischen mundart wurde 
ffiv = a(ftv vom reflexivstamme rfy«, ursprünglich sva ge- 
sagt; das homerische (ftj hat Curtius mit got. sve von eben 
demselben stamme tfg>s 9 sva identificirt; tfößi} ist ohne 
zweifei wie miß?] aus <[Fbßi t entstanden. Somit wurde a/tvo 
zu (fii/o. Durch Übergang von v in wovon gleich nach- 
her, wurde yivo zu (f iXo. Dafs das suffix tri» im griechi- 
schen sein v sonst unverändert erhalten hat, kann die roei- 
nung, dafs <[i'ho aus tftvo entstanden und vom reflexiv- 
stamme Grpe gebildet ist, nicht widerlegen; denn wenn 
die ursprüngliche bedeutung des Wortes „ eigen" stark er- 
weitert und geändert worden war, war es natürlich, dafs 
es nicht mehr als vom reflexivstamme (fyt in der nämlichen 
weise als xiÖQivo von xittgo abgeleitet gefühlt wurde, und 
es konnte sich dann leicht in der form von den anderen 
adjectiven auf 1V0 entfernen. (ft'Xe mit langem vocal im 
anfang des bexameters bei Homer ist wohl am besten als 
eine ältere form aufzufassen 

Die oben gegebene erklärung werden wohl manche 
wegen des angenommenen Übergangs von v in X bedenklich 
finden. Wenn aber gleich Benfey und Leo Meyer meines 
erachtens diesem lautübergange ein etwas zu grofses gebiet, 
auch im griechischen, gegeben haben, so glaube ich, dafs 
ihn auf der anderen Seite Curtius zu sehr beschränkt hat, 
wenn er das lehnwort Xiroov neben viroov als das einzige 
sichere beispiel nennt Ich glaube, dafs dieser sporadische 
lautübergang im inlaut der Wörter im griechischen nicht 
eben selten vorkommt (ein beispiel im anlaut, das mit 
tqov analog ist, scheint Legerlotz zeitschr. VIII, 42>\ in 



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44 



XUvuv, Xixuog nachgewiesen zu haben). Analoges liefse 
sich aus sehr vielen sprachen beibringen, ich will mich aber 
damit begnügen auf die nordischen hinzuweisen: im anlaut 
wechseln hier n und I fast nur, wo dissimilation mitwirkt, 
im inlaut und auslaut aber, wo die verschiedenen laute 
weniger stark ausgeprägt sind, ist der Übergang von n in 
1 häufiger und findet sich auch in fällen, wo dissimilation 
nicht mitwirkt (vgl. meine bemerkungen zu multus, pro- 
mulgare), so ist norweg. dial. j otul, jutul, jötel = altn. 
jötunn; zwar :ist ull (stamm ula) ein gewöhnliches alt- 
norwegisches suffix, aber eine altnorweg form jötull fin- 
det sich nie. Derselbe Übergang in norweg. dial. frokle = 
isl. freknur Sommersprossen, neuscbwed. äril = altn. 
arinn, schwed. dial. mäl — altn. mön (juba) u. s. w. Nach 
diesem wird man vielleicht einen Übergang von v in X im 
inlaut im griechischen leichter zugeben. Folgende wort- 
formen kommen hier in betracht. Zßtvog . . . xai tßi- 
Xog üuoiojg Suid.; alles bewufstsein, dafs tßtvog ein frem- 
des wort ist, war gewifs verloren, als es zu tßsXog wurde. 
'Avtr-qh) ... xai !Av&r}vr t IxXijfrq Steph. Byz., so hiefs ein 
flecken in Phokis, welchen Herodotos llv&iiXu nennt, während 
'Av\hqvrt sonst der name eines fleckens in Kynuria im Pelo- 
ponnes ist; wenn 'jivt'tijvq die ältere form ist, bat dissimi- 
lation zu der änderung mitgewirkt, lakon. alxXov =: «tx- 
vuv; die letztere form kommt bei lexikographen vor, und 
Eustathios nennt beide formen, so dafs man hier kaum an 
Schreibfehler denken darf; auch ist es unwahrscheinlich, 
dafs alxXov und ouxvov zwei durch verschiedene suffixe ge- 
bildete Wörter sein sollten. dgödXia' rovg nvituevag twp 
xsoaiilSiov Hesych. vgl. dgödna' ai twv xegafiiwr ydfftgai, 
h> o.lg td floüxrjuctTa inuTuov Hesych.; die letztere form 
kommt öfters vor. XtoydXtov tiZv ßowv rd dno tojv rga%y- 
Xiov %d?>acfuci Hesych.; Schmidt ändert gegen die alphabe- 
tische Ordnung das handschriftliehe XwydXtov in Xwydvmv, 
welche form durch mehrere quellen gestützt ist. axvg- 
&aXidg (corr. -ovg oder -«). OenqgaGrog rovg hfTjßovg 
ovtu) (f jjrft xceXeldfrcti , /Uovvöiog dt roig p&igaxctg. öxvo- 
ddXiog- vzaviaxog. axvgOdXia' {Migdxia, tytißoi Hesych.; 



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aur etymologisch«!) Wortforschung. 



45 



vgl. GxvQftctvia' rovg hftflovg >>i sietxwveg Phot. und xvo- 
dceviog. (fi)M$ m ()ovg rzog Hesych. vgl. fftvaxa' Sovv Hes. 
An diese beispiele können mehrere angereiht werden, die 
Lobeck pathol. ling. Graecae proll. pp. 101. 136. 245 an- 
führt. Ich will keineswegs die möglichkeit läugnen, dafs 
einzelne von diesen beispielen nur beispiele sind, dafs J 
unrichtig für /V oder umgekehrt geschrieben ist, aber alle 
lassen sich doch nicht in dieser weise entfernen. Ich halte 
es somit für bewiesen, dafs griech. v im inlaut in K übergeht; 
und wir dürfen auf diese beispiele gestützt den Übergang 
in weiterem umfange suchen. 

Wir finden xayxaHa' xaraxtxavidva Hesych. ueben 
xnyxccvog Homer, xayxaivw #«Aji£/, ^t/Qa/vet Hesych., ohne 
dafs ich auf xayxctviog bei Manetho IV, 324 gewicht legen 
will; QTiTctlioQ neben unmvug (bei Athen. IV, 135 wurde 
früher ontaviog gelesen, wo jetzt onrccttug steht); bpctlkog 
neben i\j>av()g\ ihjya/Aog (womit Fick lit. dygu Iis Stachel, 
dorn identificirt) neben flqyaviov o£;v, rjxovijutvor Hes., 
tfqyavef olSvvu Bes. , &qyavij; a£aXiog neben tt&ivto, 
tt'Qaivu); ttvaMog] neben ctvaitw; ixua'/tog neben \/o«irio\ 
oida?.£og neben oidavta, oh)ai'ro)\ xtüönXhng neben x^Vr/rw 
und ähnliches bei anderen adjectiven. Es ist demnach wahr- 
scheinlich bei allen diesen adjectiven a/to aus arji ent- 
standen (vgl. Leo Meyer vergl. gr. II, 461). Stumivo. für 
öuunvjo) setzt einen substantivstamm Stiuttv = <)üaur vor- 
aus, und diesen darf man dann vielleicht auch in 
für deifimjog suchen; in derselben weise läfst sich aiuaHeg 
für aiuavjog und svyftctksog erklären, vlinhkog entspricht, 
wenn es für vöavjog steht, dem skr. udanja-s. 

Auch bei mehreren (ich sage aber keineswegs bei allen) 
adjectiven auf also, deren Stammwörter ein v im suffixe 
nicht haben, seht int es möglich, dafs «Äco ans mjo ent- 
standen ist, und av mufs dann hier wie in yalznctivM für 
yaUnrtvji» von yalznog aufgefafst werden. avtuMhrtg ist 
wohl durch dissimilation aus civsuujviog entstanden, wenn 
das gleichbedeutende utrctiuöviog für Hsrctt'Eutoi'iog steht; 
6. jedoch Düntzer zeitschr. XII, 5. Auch die nebenform //t- 
Tauvihog wird erwähnt (sie kommt z. b. als Variante II. 



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46 



ttugge 



IV, 363, Od. II, 98 vor), ist aber vielleicht uur eine durch 
etitstellung entstandene form. Wie 'Avöt'ihi für \di>&tjvrj, 
so scheint y.avfl t)itu^ nebeu y.avOwv durch dissimilation aus 
xcu'ti ijnog entstanden zu sein; das vocalverhältnifs zwi- 
schen luv und ijiio läfst sich mit aotoyog: ocoftfü) oder eher 
mit dem Verhältnisse zwischen o in nsnov und et in nt- 
x< ii w für nmavjoa vergleichen. 

Es ist unzweifelhaft, da Ts la, ala u. s. w. auf der einen 
seite, na, ana u. s. w. auf der anderen als getrenute suffixe 
schon in der grundsprache existirten, aus welcher sich alle 
japhetischen sprachen verzweigt haben; dies hindert aber 
nicht, dafs 1 im suffixe einiger Wörter später aus n ent- 
standen sein kann; wir haben dafür in den germanischeu 
sprachen beweise. Wo zwei gleichbedeutende Wörter in 
der form mit der ausnähme übereinstimmen, dafs das eine 
n, das andere 1 im suffixe hat, da wird die eutscheidung, 
ob sie von an fang an identisch sind, so dafs 1 aus n ent- 
standen ist, oder ob sie durch zwei verschiedene suffixe ge- 
bildet sind , gewöhnlich mit Schwierigkeit verbunden sein. 
Ich will einige griechische Wörter nennen, bei denen die- 
ser zweifei erweckt wird, unlh^ flecken vgl. nivog schmutz, 
altböhm. spina schmutz, s. Curtius grundzüge s. 249. ari- 
säule vgl. altbaktr. ctüua masc. fem. sänle, skr. stbtinä; 
verwandte Wörter mit 1 im suffixe kommen auch ausserhalb 
des griech. vor, s. Curtius s. 19G, sie liegen aber in der 
bedeutung ferner. ntvaÄov, nrvelov Speichel entspricht in 
der bedeutung dem skr. stlvana-m. Es scheinen sich 
beispiele zu Huden, dafs eine wortform mit 1 im suffixe 
mehreren europäischen sprachen gemeinsam ist, währeud 
wir in Asien gleichbedeutende Wörter mit n im suffixe fin- 
den. So griech. nkrctloq, nirifio^ lat. patulus gegenüber 
altbaktr. pathana; wenn 1 hier aus n entstanden ist, was 
ich nicht behaupten will, aber auch nicht für eine Unmög- 
lichkeit ansehen darf, mufs dieser Übergang stattgefunden 
haben, ehe die griechische und die lateinische spräche als 
solche existirten. bualo^ bualt]' ouov Hes. gehören offen- 
bar zu lat. similis, simul, osk. samil = simul iu einer 
inschrift von Boviauum vetus s. Minervini Bullett. nap. no. 



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zur etymolojiif.cli.-i> Wortforschung. 47 

rs. VII, 1, tav. I, Corssen zeitschr. XI, 403, Fabretti no. 
2873*), altirisch, samail, samal (similitudo), nicht nur in 
betreff des Stammes, sondern auch des suf fixes. Im sans- 
krit finden wir keine entsprechende form auf ra oder la, 
dagegen kommt samäna vor mit der bedeutung gleich, 
derselbe, wovon sa in an ata gleichhcit, pers. hemän der- 
selbe, sogleich. Wenn nun däu. samle ohne zweifei au9 
sainna, altdän. sammel aus saman, altn. einsamall aus 
einn saman entstanden ist, läfst sich die möglichkeit oder 
sogar die Wahrscheinlichkeit, dafs oitalog mit skr. samäna 
identisch ist, kaum läugnen. Zwar scheint samäna mit 
inana mafs zusammengesetzt zu sein, während ufnako^ voll- 
ständig das gepräge eines von sama, o/<o durch das suff. 
ko gebildeten derivatums trägt; es ist aber eine häufige er. 
scheinung, dafs das bewufstsein, dafs ein wo^ zusammenge- 
setzt ist, verloren geht und dafs der laufst off im zweiten gliede 
der Zusammensetzung geändert und geschwächt wird, so dafs 
lautgleichheit mit einem gewöhnlichen suff. entsteht; so sieht 
z. b. altn. nafarr aus, als wäre es durch das suffix ara 
abgeleitet, es ist aber eigentlich zusammengesetzt und aus 
nafgeirr entstanden. Im gegensatz zu dem langen vocal 
in der vorletzten silbe von samäna haben die europäischen 
Wörter öfiako^ similis u. 8. w. kurzen vocal; hiemit läfst 
sich skr. mäna dem gr. -jusi/o, skr. mätra dem gr. uhqjv 
gegenüber vergleichen. Wenn aber 1 in den europäischen 
Wörtern wirklich aus n entstanden ist, ist dieser lautüber- 
gaug zu einer zeit eingetreten, die derjenigen, aus welcher 
wir unmittelbare kenntnifs der sprachen haben, weit vor- 
aus liegt; dies ist klar, weil sich 1 sowohl im griechischen, 
als im italischen und keltischen findet. 

In diesem Zusammenhang kann ich es nicht unterlassen 
a/Uut,-, lat. alius, got. aljis, irisch aile, armen, ail zu 
erwähnen; diese Wörter wage ich ebensowenig wie Kuhn 
zeitschr. XI, 313 und Pott wurzelwtb. 840 f. von skr. auja 

*) samfl ist nach meiner meinung aus sameli = simile entstanden, 
wie fst aus estf. Corssen thoilt sami lovfrfk onoss; da aber nach i 
kein punkt steht, was in der inschrift da, wo ein wort in der mitte der linie 
endet, regel ist, mufs man sami'l zusumraen lesen. 



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48 



loszureifsen. Hiefür spricht namentlich aufser der durch- 
gehenden Übereinstimmung im gebrauche , besonders 
zwischen äkhtg und anja, der umstand, dafs von dem 
stamme mit n und von dem stamme mit 1 ableitungen 
und Zusammensetzungen gebildet werden, die einander 
völlig entsprechen; so haben Kuhn u. a. die Über- 
einstimmung zwischen skr. anjönja und griech. dlhi'hn 
hervorgehoben, die beide zugleich als erstes glied einer 
Zusammensetzung gebraucht werden; dann skr. anjaka 
dem gr. dkkceaao) (für dX?Mxjw) gegenüber, altirisch aili- 
gim (muto) 8. Ebel beitrage II, 155. Für die ursprüng- 
liche identität des Stammes mit 1 und des Stammes mit n 
spricht ferner armen, ail, denn wenn man dies von alt- 
baktr. anja, ainja trennen wollte, müfste man annehmen, 
die iranischenfSprachen hätten von anfang an zwei ver- 
schiedene stamme anja und arja mit derselben bedeutung 
gehabt und letzterer sei nur im armenischen erhalten, wäh- 
rend die übrigen iranischen sprachen, die keine spur von 
arja (alja) haben, nur anja behielten, das dagegen im 
armenischen aufgegeben wäre ; dies ist aber höchst unwahr- 
scheinlich. Alles scheint hingegen dafür zu sprechen, dafs 
anja, ainja im armenischen durch Übergang von n in 1, 
welcher letztere consonant im altbaktrischen unbekannt ist, 
zu ail geworden ist. Wie der umstand, dafs das gotische 
anf»ar neben aljis (nicht alis) hat, dafür sprechen kann, 
dafs aljis mit dem skr. anja-s nicht identisch sei, wie 
Curtius grundzüge 321 bemerkt, kann ich nicht fassen; so 
ist got. raanags im altn. durch Übergang von n in r zu 
margr geworden, während das ursprüngliche n in mengi 
menge erhalten ist. Der genannte umstand scheint mir 
eher dafür zu sprechen, dafs aljis = anja-s ist; denn 
bei der entgegengesetzten anschauung wird man zu der an- 
nähme gezwungen, dafs das german. einst zwei wortstämme 
mit eiuer und derselben bedeutung „anderer" gehabt habe, 
den einen mit n, den anderen mit 1, die aber doch ver- 
schiedenen Ursprunges seien. Beim lat. alter kann man zwei- 
feln, ob es mit skr. anjatara-s oder aber mit got. anpa r, 
lit. an t ras, osset. au dar, skr. antara-s, das dieselbe be- 



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zur etymologischen Wortforschung. 49 

■ 

deutung haben kann, zn identificiren ist. Dieses letztere 
finde ich wahrscheinlicher, und ich vermuthe, dafs der Über- 
gang von n in 1 zuerst bei anjas eintrat und von da aus 
im latein. auf das in bedeutung und form nahe verwand- 
te antaras übertragen wurde. 

Hier will ich einige worte über den Ursprung des Wor- 
tes adulter hinzufügen. Festus giebt folgende erklärung: 
adulter et adultera dicuntur, quia et i 1 1 e ad alte- 
ram et haec ad alterum se conferunt (Paul. Diac. 
p. 22). Diese erklärung scheint von neueren forschem auf- 
gegeben zu sein; z. b. Sonne zeitschr. X, 3f>6 giebt eine 
andere, die äufserst schwach gestützt ist; ich halte dage- 
gen die alte erklärung für vollständig richtig. Das latein 
hat wie die verwandten sprachen nicht weuige zusammen- 
gesetzte Wörter, deren erstes glied eine präposition ist, von 
welcher das zweite glied abhängt, sointercus, postprin- 
eipia, proconsul u. s. w. Pott etym. forsch. 1. ausg. II, 392. 
adulter ist aus ad alt er entstanden, denn im latein sinkt 
a im zweiten gliede der Zusammensetzung vor 1 mit oder ohne 
folgenden consonanten zu u herab: exsulto, insu Ho, de- 
sultor (Corssen ausspräche 1 ausg. 1,314). In betreff der 
bedeutuugsent Wickelung entspricht adulter genau dem 
skr. anjaga und anjagämin ehebrüchig eig. zu einem 
(einer) andern gehend. 

Gegen die trennung des alius u. 8. w. von an ja spricht 
auch der umstand, dafs man bisher ohne erfolg für die 
formen mit 1 eine von an ja unabhängige etymologie ge- 
sucht hat: der versuch Corssen's krit. beitr. 298 ff. hat aufser- 
halb des lateinischen keine stütze; kein Germanist wird 
die auffassung, dafs der got. stamm alja von einem prono- 
minalstamme a durch ein suffix Ii, erweitert lja, gebildet 
sei, durch irgend eine analogie stützen können. Schleicher 
compend. s. 225 weils zur stütze eines ursprünglichen arj a 
nur das suffix ra anzuführen; diese stütze ist so gut wie 
keine. Endlich Fick s. 14 stellt mit alius u. s. w. drei 
sanskritwörter zusammen, die, wie mir scheint, weder mit 
einander noch mit alius etwas zu thun haben. 

Noch ein heispiel des Überganges von n in 1 hat Kuhn 

Zeitschr. f. vergl. sprachf. XX. 1. 4 



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Bugge, zur etymologischen Wortforschung. 



leitschr. X, 24G (vgl. Pictet origines Indo-Europ. II, 474) 
in avXog =» skr. vänä-s vermuthet. In ähnlicher weise 
ist im altn. perflast = parfnast nach f, das v ausge- 
brochen wurde, 1 aus n entstanden. 

Denselben Übergang vermuthe ich in äfinsXog rebe, 
das ich mit dem kt. pampin us ranken, rebenlaub identi- 
ficire: aumXog steht für nduneXog, indem das erste n durch 
dissimilation abfiel, vgl. intctucci für ninxa^ai^ %xfm für 
rtiifjü), onxog für nonrog, i%Xa für x/^Aor, oyyvt] für /.dy^vri 
(Gurtiii8 grundzüge s. 638 f.); nduneXog wieder steht dann 
für ndunevog, und auch bei der änderung des v in X wirkte 
dissimilation mit, denn u ging voraus. 

Endlich kann das fremd wort advxaXov = skr. k and a- 
Da m hinzugefügt werden. 

Wenn nun auch nicht alle angeführten beispiele bewei- 
send sein sollten, so darf ich es doch für unzweifelhaft 
erklären, dafs X im inlaut griechisch/r Wörter öfter aus v 
entstanden ist, so dafs von dieser seite kein angriff gegen 
meine deutung von (fiXog gemacht werden kann. Für diejeni- 
gen aber, die den Übergang von v in X gar nicht anerkennen, 
wäre tpiXog vöm reflexivstamme oye durch das nämliche suffix 
abgeleitet, wie vccvxiXog von vavxtjg, oqyiXog von ooyrj. 

Cbristiania, im juni 1870. 

Sophus Bugge. 



Messapisches. 

Hermann Peter, der neueste herausgeber der Scr. Hist. 
Aug. Lps. 1865, hat im Julius Capitolinus vjt. M. Anto- 
nini philosophi c. I, 6 wie folgt drucken lassen : „cuius fa- 
milia in originem recurrens a Numa probatur sanguinem 
trahere, ut Marius Maximus docet; item a rege Sailentino 
Malemnio, Dasummi filio, qui Lupias condidit tf . Er ist 
hierbei der Bamberger und Heidelberger Handschrift ge- 
folgt, soweit es die Schreibart des namens Malemnius be- 
trink, welchen die Mailänder ausgäbe Malennius (so auch 



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Schmidt, messapisches. 



51 



Th. Mommsen unterital. dialekte 8. 71) schreibt, dagegen 
von beiden handschriften und der Mailänder ausgäbe in 
der Schreibung Lupias abgewichen, statt bei Lopias sei- 
ner quellen zu verbleiben. Es soll im folgenden der be- 
weis geführt werden, dafs dies nicht recht gethan war, 
sondern hiermit grade eine eigenthümlichkeit des messapi- 
schen dialektes zerstört wurde, sei es, dafs es sich dabei 
blos um archaisirende Schreibart, oder um abweichende 
landeseigenthumliche ausspräche oder beides zugleich han- 
delt. Das heutige Lecce hiefs im alterthume Lupiae. 
Strab. VI c. 3 §.6 vol. I p. 448 Kram. : kv Sh rij /ueooyaiq 
'Püiötcu t£ sioi xai Aovniat xai fiixgov vnk(> rrjg #aAar- 
TtjQ Alexia. Eine Variante findet sich zu d. st. nicht. 
Ebensowenig zu Appian. tucpvk. /, 9 p. 657, 24 Bekk.: 
ov (uccxqccv ano tov Boevteöiov noXiv kxxog ovßav odov, 
fl övofxa Aovniai, oder zu Pomponius Mela III 2, 7 
p. 146 ed. Weichert: Ennio cive nobilis Rudiae ... Lu- 
piae . . . Dagegen variiren die handschriften zu Pausan. 
VI, 19, 9: onoaoi dk mgi IxaXiag xai noXewv knokvTiQa- 
yfjiovfjffav xwv kv avxrj Aovniag cpaai xufikviiv Boevxe- 
aiov TS fiBxa^v xai YSQOvvxog fisxaßeßXtjxkvai xo ovofia 
2vßagiv ova&v xo agxaiov, Aovniag geben FCSMVaAg 
LbPc* Aovniav AXKBAmVbLa und Va als randbemer- 
kung Aovöniag (sie) ro vvv Atrt,i. Die unnütze ände- 
rung &ovoiov von Härtung und Löscher wird von Schu- 
bart und Walz mit recht zurückgewiesen. Aber kein 
grund war zu dem sie hinter Aovaniag; denn derselben 
lesart begegnen wir im Cl. Ptolemäus als der alten vul- 
gate. Ferner lesen wir zwar Lupias im Itin. Anton, p. 26 
ed. Colon. Agr. CIOIOC, aber wie der commentar des Hiero- 
nymus Surita*) zeigt aus correctur für das handschrift- 
liche Lipias . . . mpmXXV „manuscripta cum Longoliana 
Lipias mpmXXV«. Bei Cl. Ptolem. III, 1 §. 14 vol. I p. 
142 Nobbe = p. 175 ed. Wilberg et Grashof ist am be- 
sten beglaubigt „Aovnmat BEP.l. Aovamai vulgo", wo- 

i v 

*) Derselbe a. 281 will bei Steph. Byz. p. 815, 17 ed. Meinek. s. v. 
Bovqioi das wort Kwittal in Aovntai (Awntai) verwandelt wissen. Seine 
übrigen besserungen treffen zu. 

4 * 



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52 



Schmidt 



mit zu vergl. Gruter mscr. 374, 5 : Luppiae, und tab. Peu- 
ting. sogin. VIb Luppia, Plin. N. H. III, 11 (16) p. 150 
Detlefs, statio Miltopes Lupia Balesium „lupia AF 1 lubia 
F* npia r". Frontinus aber im Über Colon. I p. 211,2 
vol. I ed. Lachm. schreibt: Territoria Tarentinum Lyp- 
piense Austran um und lib. II p. 262, 9. 10. — Ignatinns 
Lyppiensis Metapontinus , mit lyppiensem aus A und 
lippiensem aus P an erster stelle. Auch die Schreibung 
mit i ist nicht ganz unerhört, wie das schon angeführte 
Itiu. Anton, zeigt und daneben Itin. Hieros. p. 15? in der 
verschreibung: mansio Clipeas in. XII. Unter diesen stel- 
len, welche theils bei Forbiger Geogr. bd. III p. 756 theils 
bei Ariodante Fabretti Gloss. Italic, p. 1083 gesammelt 
sind, wenn auch ohne rücksicht auf abweichende lesarten 
der handschriften, befindet sich nun freilich keine, welche 
für Lopias der handscbr. BP (M) bei Julius Capitolinus 
zeugte. Allein dafs die scala: Lopiae Lupiae Luppiae 
(Lupia) Lyppiae Lipiae (Lipeae) ylovGniai Lecce (v^rfi) 
dennoch richtig ist, soll uns die gegenüberstellung von Ru- 
diae darthun, über welches vgl. Forbiger p. 752 «nd Fa- 
bretti s. 1557. Nicht Carovigno oder Musciagna oder 
Ruia, wie man sonst annahm, sondern Rugge ist jetzt ganz 
sicher gestellt als das alte Kudiä, von dem Silins Itali- 
cus Punic XII, 396 singt: 

Ennius antiqua Messapi ab origine regis 
miscebat priinas acies Latiaeque superbum 
vitis adornabat dextram decus: hispida tellus 
miserunt Calabri; Rüdiae genuere vetustae 
nunc Rudiae solo memorabile nomen alumno. 
und mit ihm im eiuklang Pomponius Mela III, 2, 7 sagt 
Ennio cive nobiles Rudiae. Bei Strab. VI p. 282 Cas. 
(=431 Alm.) ist der ort freilich auch plurale tantum: tni 
P<s)Ötm>, n6Umq 'ElX^viÖo^ £| i}v 6 not^rrjg'Lvviog und 
iv öl ri) fjitaoyaiq 'Pwdtai tk uöi xai slovniai, aber, wie 
man sieht, ist der vokal der ersten silbe ein abweichen- 
der. Zwar ist Piafiiuiv sowohl wie 'Ftadiai correctur Clu- 
vers It. antiq. p. 1249, welche Kramer p. 448 reeipirt 
hat, die handschriften geben 'PoaÖcdiuv (Pu)dcao>v Cor.) und 



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roessapischca. 



53 



an zweiter stelle 'Pcodatai der Paris. (A) und Med. (B) 
denen Corais folgt, potti<u>>i Cluver: aber wenigstens für 
das co der ersten silbe treten sie ein. Oder sollen wir lie- 
ber sagen für den o-laut? Denn Silins Italicus spricht aus- 
drücklich für die kurze der ersten silbe und für sie zeugt 
auch Steph. Byz. 546, 3 ed. Meinek. :'Po()ai- nohq Ira- 
Xiag. t6 htvtxov PodaiaTcii. Hierunter kann doch kaum 
eine andre Stadt als Rudiä gemeint sein, welche die tab. 
Peuting. ebenfalls ohne iota Rudae nennt, und die bei 
Ptolein. III, 1 §. 76 vol. I p. lr>4 Nobb. (p. 186 Grash.) 
'PovSia (Povötct M.) genannt wird, wofür der herausgeber 
ohne grund ein aus Mavtiuvota abgekürztes fingirtes Joi)- 
Qtrx vorschlägt. Endlich sagt auch Frontin. lib. Colon. II 
p. 262, 10 ed. Lachm. Rubustinus Rodinus Tarentinus, so 
dafs das o ebenso aufser zweifei steht, wie in Brondisinus 
ager ebenda p. 262, 6 für Brundisinus. Man fühlt sich 
daher bei Strabo veranlagst 'Pod- für Pw<5-, dem Oblichen 
Povd- entsprechend, herzustellen. Wenn aber nach diesen 
Zeugnissen Podiat oder 'Poöiai die heimische form von 
Rudiae war, so ist entschieden kein grund im Julius Ca- 
pitolinus das festüberlieferte und in den alten ausgaben 
(z. b. Lugd. Bat. 1621) gehaltene Lopias gegen Lupias auf- 
zuopfern. Vielmehr stellt sich Lopiae : Lupiae s Rodini 
: Rudini und wenn eine dem Lyppiensis entsprechende 
Schwächung von Rudiae fehlt, so tbut das nichts zur Sa- 
che, erklärt aber sehr hübsch das verhältnifs der heutigen 
namen y/er£t Lecce und Rugge zu einander. Wir haben 
kein recht zu fordern, dafs das u oder der mittellaut 
zwischen o und u in Rudiae ebenso durch y allmählich zu 
i herabsinken mufste, wie in Lopiae geschehen ist — und 
in dem demnächst zu besprechenden eigennamen, welchen 
Julius Capitolinus a. a. o. — alle achtung vor seiner accu- 
ratesse in orthographischen specialitäten — völlig richtig 
Dasummi schreibt. Ich darf als bekannt voraussetzen, 
was Th. Momra8en mit gewohnter gelehrsamkeit über die 
weite Verbreitung der hochadligen familie der Dasii (die 
auch illyrisch ist: dd&Q^ Mionn. S. III, 334) beigebracht 
hat unterital. dialekte s. 71, 72. Hier handelt es sich le- 



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§4 



Schmidt 



diglich um die drei Oberlieferten formen desselben von 
jenem Dasius abgeleiteten namens der Dasimer: Ja^ofiag 

in der inschrift von Ceglie Ii (2970 Fabretti): 

9 ? 

AAIOMA*MHrONI$ 
HOITAKOA^OI 

2) 4a£if*ctg in Inscr. Ceglie 12 (2971): 

A All MA*FEPTAH ETI * 

wozu zu stellen inschrift von Lizza (Aletium) 1 » 2996 

AAIIMAIHl AAIANAIAIHI, in welcher jedoch das A nicht 
feststeht. 

3) Dasummi in unsrer stelle. 

Die genauigkeit des historikers zeigt sich hier in der 
Verdoppelung des M im genetiv, da es eine aus Mommsen, 
W. Fröhner Philolog. bd. X, G. Stier d. zeitschr. VI, 142ff. 
sattsam bekannte eigenthümlichkeit des messapischen dia- 
lektes ist, vor der genitivendung ihi (I Hl} den vor der no- 
minativendung as (A S) nur einmal auftretenden consonanten 
zu verdoppeln. Eine genaue Zusammenstellung aller bei- 
spiele zeigt freilich, dals es nur die buchstaben AMNP20 
sind, auf welche dies gesetz anwendung findet, wobei 0 
in TO Übergeht; aber eben unser Dasummi (AAIOMM!HI) 
und, wie in der inschrift 2996 zu restituiren sein wird, 
AAIIMMIHI erhält dadurch erwünschte bestätigung. Die 
quantität des namens JaÜfiag wird tribracbisch sein, da 
aus Sil. Ital. XIII, 30 — 32 Aetoli, Däsio fuit haud igno- 
bile nomen die quantität der ersten silbe feststeht, aus 
einer vergleichung von 

Decius Dasius 
(decumus ) Dasumus 

JaZoptag 

Decimus /Ja£ifActg 
Decmus Dasmus 
aber charakter und quantität des o (u). 

Kehren wir nach dieser abschweifung zu Lopias zu- 
rück, so zeigt sich nunmehr, dafs die oben angesetzte 
ecala 



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meseapisches. 



Lopiae*) durch Rodini Brondisini dafrfiae Ja£ohovviht 

' 2995, G 

Lup(p)iae Rudiae Brundisini Dasummi 
Lyppiensis 

Lipias Dasimi JaCikopag 

2947 

(Lipeas) (Dasmi) 
ihre schönste rechtfertigung findet. 

Ob der name des fürsten Malemnius lautete oder Ma- 
lennius wage ich nicht zu entscheiden. Bis jetzt hat sieh 
allerdings die gruppe ^7 im messapischen noch nicht ge- 
funden, allein das scheint bei einem dialekte, der A£, ?£, 
fiv 9 av, x* verbindet, kein grund die handschriftliche lesart 
zu verlassen. 

Jena, oct. 1870. Dr. Moriz Schmidt. 



Ziramerische chronik, herausgegeben von dr. K. A. Barack, hofbiblio- 
thekar in, Donaueschingen. Litterar. verein. Stuttgart 1869. IV band*. 
I. e. 561; II. s. 607; III. 8. 608 ; IV. s. 803. 

Noch etwas Ober die grofse bedeutung unserer chro- 
nik sagen zu wollen, ist überflüssig. Wer Unlands auf- 
sätze in den frühem Jahrgängen der Germania, Felix Lieb- 
rechts berichte in den jüngsten heften derselben, den rei- 
chen gebrauch, den das grofse deutsche und das neue mit- 
telhochdeutsche Wörterbuch von Lexer daraus macht, kennt, 
der mufs staunen über die kaum zu bewältigende masse 
Stoffes für sage, sitte und spräche; die geschiente geht uns 
nichts an. Nicht genug, dals wir schwäbische odep ale- 
mannische sagen und sitten erhalten: wir finden eine hüb- 
sche Variante von den kindern von Hameln, Hütchen 
u. s. w. Was die ritter- und pfaffenmären, die schildbür- 



*) Es soll nicht verschwiegen werden, dafa das messapische aiphabet 
nur das zeichen O verwendet ein VY nicht hat. Aber Lopiae wird sich 
trotzdem nicht ohne weiteres Lupiae lesen lassen. Denn der Römer mufs 
doch in Dasummi ein u; in Löpiae ein o, ebenso Frontin ein y in Lyp- 
pieose, Strabo in Rudiae ein o (a>) gehört haben. 



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56 Birlinger 

gereien, die schwänke angeht, so weifs sie unser gebildeter 
cbronist stets zu localisieren. Ich bin nach wiederholter 
lektöre immer fester in meiner ansiebt geworden: der Ver- 
fasser griff die fliegenden, (wie alles echt volkstümliche) 
heimatlosen mären auf und gab sie für thaten von leuten 
in Möfskircb, Klosterwald, Eberstein u. s. w. aus, was ich 
von J. Pauli desgleichen behaupten möchte. Damit stimmt 
das staunen F. Liebrechts Germania XIV, 386 und seine 
aussage, das „warhaftigclichen", das stets dabei sein mufs, 
dürfe bei dergleichen fällen nicht sehr geprefst werden. 
Mir kommt es gerade vor, wie wenn ein pabst den jahr- 
hunderte lang beisammen liegenden „hailtumben" oder re- 
liquien beinchen für beinchen den nainen aus dem marty- 
rologium beliebig schöpft, so dafs es sich herausstellt, dafs 
der im fernen Spanien gemarterte Pelagius, dessen glied- 
mafsen in den flufs geworfen werden, gleichfalls bei Pe- 
tershausen, Constanz, Rotweil erscheint. Ueherall werden 
die daher schwimmenden glieder, füfse aufgefangen u.s. w. 
Für den sagenforscher bat Uhland den herrlichsten Stoff 
schon, wie oben angedeutet, aus den bandschriften genom- 
men. Ich mache nur noch aufmerksam, aufser St. Othinar 

I, 53 ff. IV, 504, auf St. Pirminslegenden III, 273; I, 75; 
St. Gallus IV, 414; St Ulrich, den rattenheiligen III, 
272; 11, 330.322. 11, 547; auf St. Wolfgangen leib 

II, 578; auf St. Leonhard u. s. w. St. Nicolausbild 
IV, 224; Mariensagen I, 300; II, 48i ; verhängnifs- 
volle schüsse I, 431 ff. Frevel bestraft 1, 433; 11, 330; 
IV, 194; III, 45; 314. Wuotisheer II, 201; III, 79; IV, 
219; wilder jäger IV, 220 u.s. w. Zauberei III, 81 ff. 
IV, 41 1 ; II, 405 (Jörgenscheibe); III, 273 ff. 29. 45. 83. 27b. 
IV, 408. 409. II, SO. 197. Gespensterthiere III, 3; I, 
384 (hase); 11,219 (füllen); II, 220 (katze) u. s. w. Um- 
gehende seelen 1,314. 328. 446.465; II, 47. 215. 208. 
201. 199. 200. 484. 214. 483. 284. 298; III, 144. 91. 128. 
131; IV, 133. 206. 180. 18). Der Enten wick zu Sach- 
senheim ist ausfahrlieh behandelt III, 85 ff. Oer kobold 
vom Rechberg IV, 228. Von den zwergen I V, 229 ; 1,11; 
IV, 232 und öfter. Zu IV, 335, wo von „ lausnitzischen 



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57 



zwergen" die rede ist, die da niedliches hafengeschirr be- 
reiten, möchte ich eine stelle als beitrag zur vergleichen- 
den sagenforschung hier anfügen. Thurneissers im Thum 
buch „von kalten, warmen, minerischen und mettalischen 
wassern — durch Salzmann, Strafsburg 1612 fol. a s. >78 
sagt: „und ist derhalben von den Merkischen und Lauls- 
nitzischen ßawren ein sag mär aufkommen, dafs der en- 
den die zwerglein, so in den heimlichen Spelunken woh- 
nen solche bereiten und also (die irdinen häfen) dahin 
setzen sollen und wiewol man keinen menschen findet, der 
etwas wahrhaftiges darvon anzeigen oder das solche Piginaei 
von jhnen lebendig gesehen, für warhafft sagen können, so 
sind doch nit weit von danneu etliche anzeigungen, dafs 
solcher Leutlen gebein da sind gefunden worden, under 
welchen glaubwirdigest ein ganz cörperlein, welches 
nur 2 Werkschuh 3 Zoll lang gewesen ist — derohalben, 
so kommen diese häfen her, wo sie wollen u. 8. w." — Die 
chronik bietet ferner dem sagenforscher : Wahrzeichen II, 
348ff.; 1,201.190 (drachenseh waifs); I, «329 (blut unaus- 
löschlich); 330. 100 (alpirsbacher hörn) II, 46 ff.; III, 131 ff. 
( wappen zeigen tod an); I, 434. Hortsagen II, 383: 
IV, 135. Jungbronnen 11, 484; historische sagen I, 52 
(Hunnen); stammsagen IV, 347 (wirtembergisch); II, 'J67 
(bairiscb); heidnische Stadt I, 20; starke ritt er I, 448; 
II, 50. — Was für sitte, aberglauben, scbildbürgereien hier 
alles beisammen steht, ist endlos. — Uns geht zunächst 
die spräche an. Die Stellung zur neuhochdeutschen 
Schriftsprache, die sich seit Luther auf grund der kaiser- 
lichen und churfürstlichen kanzleisprache besonderen ge> 
deihens und pflegens zu erfreuen hatte, ist die: Die Ver- 
fasser der Zimmerschen chronik uud der letzte ausarbeiter 
(1560) gehörten einer höchst gebildeten familie an, die sei- 
ner zeit reisen machte und in den reichskanimergeriehten 
wirkte, an deutschen und französischen höfen jähre lang 
zubrachte. Das ist ein wichtiger umstand. Darum ist der 
text auch schon vollauf aus der altern haut entschlüpft, 
die noch in jener zeit am Oberrhein die volkstümlichen 
Schriften umhüllt; kaum dürften die alten u, die besonders 



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58 



Birlinger 



in Ortsnamen: (Kröchen wis) nachspukeii, bedeutend in die 
wagschale fallen; während die urbarbücher von dorten 
ü, i für nhd. au, ei noch aufweisen. An ein sl, sm, sr 
ist kein gedanke mehr. Die praet. der i, ei, ai-verbal- 
classe sind sämmtlich in das neue i eingerückt, während 
a. 1520. 1530. 1540 noch ai, schratb, blaib, erschain, vor- 
kommen. Viele verderbte lautverhältnisse von heute sind 
da noch echt: liegen (mentiri), trtegen u.. 8. w. Der stil 
ist einfach, körnig, echt alemannisch oder, wie der grofse 
häufe sagt, schwäbisch, wohl gespickt mit den dem volke 
eigenen bildern und besonders Sprichwörtern. Interessant 
sind die Unterscheidungen hochdeutsch, oberlendisch, 
Alemannier, Schwaben u. s. w. Unsere chronik ge- 
braucht „ hochdeutsch u noch durchaus örtlich, bald für 
oberrheinisch, bald für süddeutsch überhaupt. Der kämpf 
der Römer (Marius) mit den Cimbrischen und Hoch- 
deutschen 1,4. 5; s. 18, I werden die „hohen teut- 
schen landt" dem Zabergew, dem Riefs, dem Franken- 
land entgegengesetzt. Vgl. I, 20. 21. 22. 32. 33. 57. 63. 
79. 111. 286.474; 11,181. 312; III, 247. 313.318.552; 
IV, 169. 374. Uebergänge von dem örtlichen sinne des 
„hochdeutsch * in die bedeutung von hochdeutsch mit 
spräche verbunden, wie heute es allein gebräuchlich, müfs- 
ten künstlich gewonnen werden. Einige stellen sind zu 
verführerisch, allein bei richtiger beurtheilung findet sich's 
doch anders. Oberlendisch III, 4. 54; niederlendisch 
(cölnisch) 11,184; 1,260; IV, 292 und öfter. Frankfurt 
ist unserm Chronisten noch oberlendisch. Wenn er den 
alten antiquirten namen „Alemannier" gebraucht, geschieht 
es, wenn von alten königen oder frühern Verhältnissen die 
rede III, 1 1 9. 348 u. s. w., wogegen schwäbisch auch für 
alemannisch gang und gäbe III, 384. 492. 390. 521. 
523. 543. 548. IV, 386. — Die Unterabteilungen von Schwa- 
ben und Alemannien: Riefs IV, 199. A Ige w III, 224. 
I, 465. in, 91. Niederbaden III, 126; Bär I, 12. 137; 
I, 18. Bärgew. Sonstige völkerschaftliche Unterschei- 
dungen (sprachlich) sind : Schweizerisch II, 34. Bayerisch 
I, 488. Wälsch I, 547. Friesen, Sachsen III, 606. IV, 35 



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59 



u. 8. w. Gerne führt der chronist die fremdartigen rede- 
weisen dieser verschiedenen Völker an, so dafs man sich 
unwillkürlich manchmal des bösen Helmbrecht erinnert. 
Interessant ist immerhin die ganz unrichtige etymologie 
von Kotweil, Rotenzimmern u. s. w., die bis beute 
fortspukt und die uns freilich an die versuche des Beatus 
Rhenanus lebhaft erinnert, als ob Hotten (häufen volkes) 
zu gründe läge. Etliche wollen (sagt die chronik I, 10), 
dafs die Stadt Rot weil den namen „von dem rot he n 
boden oder erdtreich derselben gegend habe. Ä 111,347: 
„und wiewol etlich vermainen, der nam Rotweil seie der 
statt erstlichs von der rotten Staig und dem roten 
er t er ich entsprungen, so ist doch nichts gewissers, dann 
das der von den zimbrischen rotten sein anfang bekom- 
men". Interessant also, sagte ich, weil man das bedürfnis 
sieht an zwei stellen die Ortsnamen desselben Stammes zu deu- 
ten und zweitens weil die richtige etymologie als falsche 
beigezogen ist! Desgleichen wundert einen, wie das be- 
stimmende adj. hoch bei „Hohenzollern" unserm Chroni- 
sten auffällt; es erhellt, dafs Hohenzoller früher üblich, 
im 15. 16. jahrhundert aber Zolle rn herkömmlicher sebieo. 
1,465. „Hernach ist das wertlin ander Schlösser mer bei 
unser zeiten zugeben worden, gleichwol mer ufser hochfart 
und bracht, dann notwendigkeit halben. Aber das schlofs 
Zoller hat difs epitheton „Hohen u vor 150jaren gehapt". 
I, 6 begegnet ein etymologischer versuch bezüglich des 
namens Biorix „mag in teutscher sprach könig Weirich 
genannt werden". I, 209 wird „Bichtlingen", der ortsname, 
erklärt: „man bats von alter her nur Birthlingen gehaifsen, 
gedenk Bürklingen von birkenstocken"! 

Wenn ich den ganzen text der zimmerischen chronik, 
ohne Verfasser und ort zu kennen, sprachlich sicher stellen 
müfste, so könnte er, was seine Schattierungen mundart- 
licher natur anlangt, nur auf alemannische heimat zurück- 
gewiesen werden. Da nun aber unsere Zeitschrift schon 
so viele merkmale dieses Sprachgebietes gebracht hat, so 
ist es das lohnendste unseren text an den aufs&tzen der- 
selben wirklich als alemannischen nachzuweisen. Aufser- 



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60 Birlin^r 

dem als anhang mögen eigenheiten ihre stelle finden, die 
in meiner alemannischen spräche betont wurden. Die ge- 
sammte lautlehre hat Barack in übersichtlicher weise bei- 
gegeben, desgleichen ein Wörterverzeichnis. Die Schreib- 
weise u für ü zu belassen liegt gar kein grund vor, stört 
sogar den grammatisch ungeübten leser bedeutend. Die 
Schreibung ü für i vor 1, r u. s w. ist im 16. jahrh. allen 
rotweiler Schriften noch eigen: Württemberg mufs die längst 
nicht mehr verstandene weise heute noch nachschleppen. 

Gemäfs dem alemannischen gesetze der alten kürzen 
und schärfungen gilt für die chronik, was zeitschr. XVIII, 
41 von Pauli, Ulenspiegel bemerkt ward. Vgl. XIX, 145. 
Barack hat chronik IV, 468 ff. eine grofse belegezahl bei- 
gebracht. Ich merkte mir aus dem texte: ba/fner, ba)fen 
11,82; gehorsammen 36; harfcfern IV, 17; ha/fenreff II, 351 ; 
waMen II, 576; naromen (stets) II, 18. 79 u. 8. w.; ha66ich 
569 ; Re/Zinger (augsb. gescblecht Rehlinger) II, 455 ; saur- 
hefelll, 43; esse\ (stets) 11, 23.290; fre/fel517; Endressen 
53. — wi**en (prata) II, 24. 390. 450. 451 u. s. w. Schmif- 
fenthörle45; fyoelswis, O. N. II, 480; wirfden I, 410; liefern 
343; — stets persowwlich II, 45 ; gewownbeit 408; wonnen 
I, 3; verwarlos*et 132; gestoben 216; Sonnencronnen 157. 
1,8; barbenro^en III, 455; hürren 11, 555. Diese alte 
quantität dehnte sich selbst volkssprachlich auf ä, 6, ü 
aus, wozu viele beispiele in unserer chronik stehen. Vgl. 
alemannische spräche 56, wozu Brunswiks järren (annis); 
Forer - Heufslins starr (stär) auch zu rechnen; ebenso stritt 
chron. I, 7. 

Andrerseits treffen wir, wie zeitschr. XIX, 145, deh- 
nung der kurzen vocale vor ch, r, 1 u. s. w. thaal II, 
44.45; waal 130. 1,75; unfaal 153; faal 1,34; sad I, 103; 
anfaal 184. — awcht = acht zu zeitschr. XIX, 145. ge- 
schier II, 394. Haben sich einige lange ü erhalten: «ss- 
geschriben II, 1; nachpwr neben au II, 1; husen 9; hüs 
oesterrich II, 226, so kommen daneben Haugo II, 3 1 , sogar 
Martin Lauter, Winterthowr I, 43 vor. — Die doppellaute 
au zu ü, 6 wenn m folgt, alem. spräche 83: rwmm (räu- 
men) I, 128; schwmmet II, 10; trompt IV, 139 Die noch 



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an?.» igen. 



(51 



J. Pauli und dem Ulenspiegel eigeuen ou für ö in zeitschr. 
XVIII, 41 sind der chronik ganz fremd; jenes gehört noch 
der älteren alemannischen zeit an. Dagegen kommen in 
der chrouik eu, ew für au, aw vor in gew: Turgew?, Bar- 
ge«?, Zürchgew? I, 12. 18. 159; Breisgew 184; Sunke«? 409. 
Diese formen sind ebenso berechtigt wie die heutigen zahl- 
reichen Gäu für Gau; sie fufsen auf der alten form mit 
j, i: gavi, neben der. sich schou früher ein gava, gawa 
wie ein bawa, awa fand, so dafs Hau, Au wie heu und 
ew, ey ihre volle berechtigung haben. So sind die ural- 
ten namen Heuberg, Eiach am obern Necar, gebirg und 
kleines wasser zu erklären. Den falschen scheinbar rück- 
uudantenden formen durchlaucht, durchlauchtig stellt die 
chrouik noch durchlewchtig II, 120. 462 und öfter gegen- 
über. Wiederum echt alemannisch ist grewsenlich für nhd. 
grausig II, 34. 208. 24 \ 263 und oft, das heute noch volk- 
üblich. Ebenso für iu, ie: eu : spewren II, 247; Tettin- 
gen (Thüringen) I, 45; steifbruder I, 111; knewwet II, 
o2K — Zu den consonanten läfst sich weit weniger be- 
merken; die echt alemannischen merkmale des eingescho- 
benen n in faust zeitschr. XIX, 145 begegnen selten : feuw- 
sten I, 3 42 u. s. w.; merser und morse/, cörper und cörpe/ 
sind unvermeidlich. Das alem. spräche 109 betonte gesetz 
des harten k nach 1 weist unser chronist einigemal auf: 
vertilg&en I, 240. 478. II, 181. Die vielen dativischen ad- 
verbia hat Barack IV, 485 massenweise zusammenge 
stellt. Die Superlative finden sich gerne mit wunder 
gebildet: wunderholt 11, 452; wundergail 111,76; wunder- 
karg 111, 564. — gern I, 128. Auch ein volksthümliches 
bluetübel kommt vor II, 344. Zur neuhochdeutschen de- 
clination bietet die chronik manche belege; manches alte 
schleicht sieb noch fort: herzer z. b. für herzen. Noch 
echt und gut ist Schwebischen-Hall 11,35 für unser 
heutiges falsche Schwäbisch- Hall. — Ein hauptmerkmal 
des alemannischen ist die partikel ald, alder (old) = oder: 
sie begegnet nur noch 3 — 4 mal gleichsam in ihrer letzten 
zuckung I, 195. 6. 352, 4. 403, 31. Dagegen fallt die di- 
minutive pluralendung -höslach 111,371 auf. Sie ist nur 



62 



Birlinger 



schwäbisch und als - e c h , -ich, aber merklich tonlos, frän- 
kisch und jüdisch. Vgl. augsb. wtb. 302. Die augsburger 
drucke von Geiler, z. b. der Pilgrim, lassen formen wie 
kneblacA, helzlacA, negelacA, stätlacA, rösslacA mit unter- 
laufen. Es lassen sich oft sogar reformationsschriften von 
wenigen blättern, Streitblätter, an solcher form erken- 
nen, die ohne jähr und druckort sind. Wer einen häufen 
belege haben will , schlage die beilagen zu prof. Brunners 
beiträgen zur geschichte der markgrafschaft Burgau auf: 
29. 30. heft des histor. Vereins von Schwaben und Neuburg 
1865 s. 106 ff. lehenlach, .höflach u. s. w. 

Um noch eines alten spezifisch augsburg. ausdrucks zu 
gedenken, den die chronik auch als solchen auffuhrt, nenne 
ich Spinnenstecher; in meinem wörterb. 408 erwähnte 
ich dessen, war aber bis auf die Zimm ersehe chronik nicht 
recht klar darüber. Man verstand darunter die hausknechte, 
die zugleich gefügige aushelfer geiler hausfrauen sein mufs- 
ten: „do hat sie ain kleins knechtlein, das bei irer mutter 
auch ein spinnenstecherlin gewesen, wie man dise ge- 
sellen zu Augsburg pflegt zu nennen**. 11,465. 

Im folgenden will ich an meinen aufsätzen Zeitschrift 
XV, 191 ff. 257ff; XVI, 421 ff.; XVIII, 41 ff.; XIX, 144 ff. 
den alemannischen charakter unseres chroniktextes hinsicht- 
lich des Wortschatzes darzulegen versuchen. Zeitschr. XV, 
193ff.; XVI, 424; XVIII, 41 : Totenbaum. Chronik I, 
349, 29: „er hat auch ain totenbaum, darin er nach sei- 
nem absterben gelegt zu werden begert, steetigs in seiner 
schlafcammer neben seinem bet steen gebapt". 1,447,22: 
„also in allem graben do fand man tief im ertrich ain an- 
dern dodtenbaum — do ward vil vom bäum geret — 
do war der under bäum den sie suchten hinweg oder 
verschwunden". III, 92 ff. : „in dem aber, als man den 
vermainten todten in den todenbaum gelegt, hat errich- 
ten und sich zu bewegen angefangen. — lassent ine also 
in dem todtenbaum ligen, uf das er morgens bei früer 
tagzeit begraben werde. — do fanden sie den knaben in 
dem todtenbaum sitzendt und lebendig". — Daneben eini- 
gemal todten bar I, 308; III, 222; letzteres bedeutete ur- 



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63 



sprüoglich das gerüste, die trage, worauf der todten- 
baum zu liegen kommt. Heute ist der unterschied ver- 
wischt. Zeitschr. XV, 197: Tobel, Dobel. Chronik II, 
469,8: ins Dahanloch, ist ain wüster dobel (Guetenstein). 
1,338, 4: in demselbigen wilden und rauchen tobel blib 
diegrefin etlich jar u. s. w. (Ida von Tockenburg.). Zeitschr. 
XV, 196: klinge. Von einer tirolerlandschaft: „wie er 
nun lang im bürg umbher gangen, do ist in einer klin- 
gen oder finsteren thele ein erdenmendle zu im kom- 
men". Zwei örtlichkeiten bei Eberstein und Möhlheim a.d. 
Donau hei Isen laut unserer chronik im „clingel", was 
schwerlich zu klinge steht. Zu s. 198: Weithow. Der 
schon genannte Horber wald IV, 238, 1. Zu 199: k ei b. 
„darauf (ward) gleich der abzug beschlossen und wer lust 
zum fechten, der meg mer leut holen, damit man den 
keiben stark genug sein könde". III, 380. Die Schram- 
berger wurden von den reisigen Rotweilern also genannt. 
Zu 202 ff. ucht bietet die chronik kaum etwas wichtiges. 
Ein name Uchter erscheint 11, 537. Uchtland 11, 370; 

I, 363. Zu 203: verweichen 8. chronik 1,447: (ein to- 
ten bäum unter einem andern beim nachgraben) „do war 
der under bäum, den sie suchten allerdings hinweg oder 
verschwunden oder doch zum venigsten inen dermassen 
verweicht und verendert, das sie ine nit sehen möchten". 

II, 362, 35: „N. hat aber in ain küssen geredt und die 
stim also verweicht, das der glaser nit anders vermaint, 
dann der hausknecht geb im von ferrem antwort". I, 
454, 13: „also hat er (einer mit bösen münzen) sich aber- 
mal verweicht das er nit leuchtlichen hat erkennt mu- 
gen werden" (also = sich verkleiden). 11,515,33: „er 
konte aber mit der handt die stim verheben und verwel- 
chen, das der Schlosser vermaint, es het einer uf der an- 
dern seite geschrien". Zeitschr. XV, 206 führte ich reu- 
tinen als alemannisch an; im fränkischen rode, zeitwort 
roden; niederrheiniscb -rath in vielen orts-, flur- und 
personennamen: Benrath u. 8. w. Die Z. chronik bat 
dem entsprechend mehrere belege. H, 482, 5: „und dieweil 
aber dozumal reuten uud stocken nit im prauch gewe- 



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64 



Birliuger 



sen" u. 8. w. IV, 304, 9: „dardurch dann die landtsart 
mer, dann in mentschen gedechtnus, ufgetbonn und schier 
kein winke] , auch in den rewhesten weiden und höchsten 
gepirgen, unansgereut und unbewonet büben". 21: „also 
fiengen dieselbigen an zu reuten und zu stocken, die al- 
ten felder und wisen widerumb — ufzethuen" u. s. w. Die 
chronik beifst dieses neue ausgestockte gebiet „Hardt oder 
Meuliskreut". Vgl. dazu christins-Reutin I, 191,32. — 
Die Ortsnamen mit -reut wie „Münchsgreuter Bühel" 
II, 107, 10 finden sich auch auf bairischem (österreichi- 
schem) gebiete. — Dafs sich Reutin heute als gemeinde- 
theil der bürger sprachlich festgesetzt, kommt daher: jeder 
neu aufgenommene bekam eine „wüste" strecke zum an- 
bau. Die sache fiel weg, das wort ist geblieben. — Zu 
laiten, laitfafs XV, 208 dürfte wohl schwerlich laidt- 
schiff chron. I, 54, 26 gehören, indem alemannisches loi- 
ten, anleiten, anleite, sieh Schmid s. v., hereinspielt. Zu 
zeitschr. XV, 209 gehört Serbien chron. II, 458, 26: 
„denn er wardt krank und serblet, das er in kürze her- 
nach starb". — Spezifisch alemannisch kann es kaum ge- 
nannt werden. Hurst zeitschr. XV, 2 10 ff. erscheint chron. 
IV, 8, 26: „hab er (Herzog Ulrich) den (Hutten) zu ross 
angesprengt und etlich mal umb ain hurst hinum gejagt". 
Zu zeitschr. XV, 257: „wie der hirt vilmals fürgeben hette, 
wellte er den hosten ochsen in seiner rindermänni daran 
zu bawstewr geben". — Zu kriesen = kirschen XV, 257 
gibt die chronik mehrere belege ab. IV, 304, 32: im Krie- 
sen loch, flurname zwischen Möfskirch und Sigmaringen. 
I, SOS, 34 ff. „bald darnach haben sie ain grofsen kries- 
baum uf der almut voller kriesen gehapt" u. s. w. — 
Kriesenstein II, 41 1 ff. Zu Zt. 259. Die Zimmerische 
ehr. III, 189 schreibt Aichorn; hat also längst die rich- 
tige ableitung nicht mehr gekannt; das Wäldchen bei Con- 
stanz Aichhorn II, 283, 13 u. s.w., was mit cornu zu- 
sammenhängt. — Rotten = besuche, z. b. abendliche, zeit- 
schr. XV, 259, ist wol nur weitergebildete bedeutung von 
den rotten chron. 1,9. 10 = häufen, abtheilung. — Zu 
Unterzug XV, 261 sieh chron. IV, 265, 22: „do wardt 



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nach langem rathschschlagen beschlossen, das dem vcr- 
derpten und kurzen gebelk mit durch- und underzügen 
solt geholfen werden«. — Zu XV, 262 (oben) wäh hat 
unsere chronik selbstverstäüdlich belege: wehe und hoche 
leute III, 28, 6 u. s. w. Zu meser XV, 261 hat die ehr. 
II, 215 einen beleg: „do het sein herz ain gestalt, wie ain 
weseme rueben". Zu Haimgarten XV, 262 sieh ehr. 
II, 350, 4: „ein haimgarten — also würt der lindengart 
dorin das hofgericht jedesmals angefangen und geendet 
wart, genant 14 . — Zeitschr. XV, 264: holdschaft; 
das ich im zur selben stundt 

vor holtschaft kain wort nit reden kundt I, 5, 35ff. 
Zu XV, 264: Letze sieh chron. I, 420, 7: „die pess gegen 
dem Hegawj und Madach mit letz inen, geschlegen und an- 
derm verwart tt . So noch oft in der chronik. — Zu zeitschr. 
XV, 265: „hinüber geen Sauldorf in die speck, von der 
Rinderspeck die Ablach uf in Eglins mili tt u. s. w. Chr. 
II, 140, 26. I, 422, 27. Zu XV, 266: rösch vergl. chron. 
I, 269, 6: „dann demnach seine vorfarn gemainlich rösch 
und unfridlich und die mertails ire Sachen uf die faust 
setzten" u. s. w. 11, 288,19: „mit forder röschen und 
gengen pferden". Zu abkoren s. 266 sieh chron. 11,593,6: 
„den beclagt ain junge dochter am corgericht zu Basel, 
als het er ir die ee verhaisen" u. s. w. Zeitschr. XV, 267: 
zu Faulbäche vergl. chron. II, 135,9: im Faulbron- 
nen, eine örtlichkeit. — Zeitschr. 268: ferken. Chron. 
1,81: „darauf, so furderlich er möchte ferket er sie an- 
sehenlich ab mit harnasch, pferden und anderm" u. s. w. 
S. 302, 19: „fülten sie den sack mit korn und fergketen 
den vogt widerumb ab u . Zeitschr. 269: hotzelu Chrou. 
1, 439 ff. : „sie ist dem edelman in der schofs Über sich 
gesprungen und gehotzet, sprechend: ei er kfitzelt mich a . 
Genau entspricht ihm 511, 2: „sie hat dises schwanks 
mehrmals in der kirchen gelacht, das sie geschottlet a . 
Zu zeitschr. XV, 266: almarei. Chr. II, 429, 13: „der ab- 
lafsbrief ligt oben in der Almareien, da die Schlüssel an 
dem ledlin sein". Zu zeitschr. XVI, 48 ff. Unsere chronik 
gebraucht z. b. III, o&$ aglaster für elster: es hetten die 
Zeitschr. f. vgl. spracht. XX. 1. 5 



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Birliufcer 



ag last er in ain kemmet genist. (22). Zu zeitschr. XVT, 
427: blangen. Chr. II, 7, 29: 

Ich sich wol, das dich b lang et 
nach wein, der dir für die äugen hanget. 
Zu zeitschr. XIX, 14K: vergleiche neben bachis, brätis: lief» 
das bachas steen IV, 281, 35. Ebenda zeitschr. 146: fet- 
chen. Chr. II, 526, l9ff. „so im dan N. ein ganz henncn 
fürgelegt, hat er gemeinlich frawen Appolonien ein feigen 
darvon wellen fürlegen und mertails den fetgen under 
disch fallen lassen". Zu zeitschr. X VIII, 43: auser. Die 
chronik II, 545, 5 u. s.w. kennt „onser: der hat ain fle- 
schen mit wein und ain gueten bratnen esch in ainem 
onser mitgepraeht" und so öfter. S. 534, 13 steht waid- 
onser. Zu uns. zeitschr. s. 48 gehört das gevetterig 
= pathen, in der chronik. III, 538, 9: gevettrig sein ge- 
wesen abt Gebhart u. s. w. I, 148; II, 486. 452. 543. 549; 
IV, 17. — Echt alemannisch ist die bin ne, benne ein mit 
brettern eingeschalter dünger-, sandwagen, zwei- oder vier- 
rädrig. Chron. I, 459, 23 : „als es aber sommers zeit und 
ganz haifs wetter, ward er mit grOnem laub in der ben- 
nen bedeckt." III, 79, 2: „do ist irem furraan, der sie in 
einer bennen gefüert, was not beschehen u. 8. w. tt 

Zu isschmarren zt. XVIII, 45 bringt chron. I, 257 
Eisschemel. — Ein echt alemannisches wort gluffen = 
Stecknadeln gebraucht die chronik auch I, 32b, 1 : mit den 
junkfrawen und megten zu spilen umb gluffen. S.324, 1 1: 
„der heftet — die alb und das lang badhembt mit ainer 
gluffen an ainandern". Ferner begegnet baschgen, wie 
in alemannischen schriften oft, auch hier. III, 442, 35 ff.: 
„es machten aber die weiber den argwon, die etwas laut 
waren und nit mochten gebaschget werden 4 *. IV, 77, 23: 
„damit (simulierter plötzlicher krankheit) werde sie den man 
baschgen" d. h. dämmen, niederhalten, bezwingen. Heute 
noch üblich. Im Argen- und untern Schussenthai von den 
hirten gebraucht, die des viehes nicht mehr meister wer- 
den. Auch in den Westschwarzwnldthälern, im Renchthal, 
ferner im stände Schaffhausen, im Wisenthai (Hebel) lebt 
es noch beim volke Ein altes Teilenspiel (die sage von 



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an zw igen. 



67 



der Befreiung der vier waldstädte von W. Vischer, Leipzig 
1867 s. 176 ff.) hat: 

Heiutz Vögely lieber Knecht mein 
Ich hab bedacht ein guten Sinn 
Ob ich möcht meine Bawren paschgen 
Und bringen ihr Gelt in mein Kasteu. 
Vgl. Grimm wtb. I, 1152, wo der alemannische Charakter 
auch dargethan ist. Wiederum alemannischer heimat gehört 
hauren „ niederkauern " an; chron. III, 500, 2: under den 
weibern aber, die auch im schiff, were eine uf dem boden 
gehauret. Um den Feldberg, im Breisgau, heute nie- 
derhüra Im Haueusteinschen (Hotzenwald) allgemein 
bekannt. Ueber die vermeintliche alte quantität des Wor- 
tes sieh alem. spräche s. 78. — Grimm im wtb. IV, 2(>3 
führt aus alemannischen quellen ein fries, ein zeitwort 
friesen = feldgraben ziehen an; Schmid schwäb. wtb. 205 
ebenso. Ersterer weifs mit der erklärung keinen bescheid; 
trennt aber sorgfaltig das wort von dem in der baufach- 
sprache. In der Baar, bei Tuttlingen, Spaichingen kennt 
jeder bauer fries für strafsengrabendohle. Die Zimmer- 
sche chronik III, 606 gibt uns den anhaltspunkt bei erklä- 
rung. Die ersten arbeiter und künstler in diesem fache 
bei uns waren Friesen, jedenfalls Niederländer. „Ein 
Friesen, so die weir macht" 606. 11. Mag sein, dafs 
jeder dieses geschäftes, sogar einheimische den namen be- 
kamen. — Chron. IV, 11t. 8. 9: behameln: „von denen 
(bauern) wardt sie zuletzt in der frucht — wider behamlet" 
(eine durchgegangene). Vergl. meinen Felix Faber, pilger- 
büchlein 738: die lyt send sy behamlen, mit frevel gri- 
fents dran. Augsb. wtb. 218a. — Das alemannische römi- 
sche torkel, dorkel III, 539, 16ff. wechselt mit trott, 
trottbau m in andern alemannischen Schriften: „er hett 
ain dorkel im haus und die gerechtigkeit darzu erkauft; 
denselben dorkel liefs er verkaufen" u. s. w. — Das den 
Schweizern bekannte deichen, schleichen, davon schlei- 
chen (Grimm wtb. III, 906) hat auch die Zimm. ehr. III, 
204, 2: der muelst dann die mucken verborgenlich ufslassn 
und wider darvon deichen. 11,401,5: „und muesten 

5* 



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feirliiiRer 



dieselb nacht one liechter heim deichen". — In unserm 
rechtsrheinisch alemann. gebiete hört man gäpen, göpen 
= spielen von kindern, gleichsam wie junge hunde und 
katzen (harren). Schmid 236 bringt es als schwarzwäl- 
discb, also Obereinstimmend mit unsern grenzen. Die chro- 
nik III, 279 ff. : iedoch dingen sie darbei ufs drei stuck, 
nemlich kinderspill, als wann die halbgewacbsne kinder 
mit ainandern sich paren und gaupen u. s. w. — Rel- 
ling, kater, schölte für einen geilen mönch 11,4, 32. 174. 
ramlen 111, 539. wur für wöhr, alemannisch gesprochen 
wurr 11,521. windsgewehten 111,439; schwäb. gai- 
winden (von gab, jäh), los = mutterschwein II, 148; 
mor kommt in der chronik nicht vor. mörlegrau II, 269 
zu merula: „'s Mörle findt's Beerle K ; zu zeitschr. XV, 266 
(oben). Noch heute ist in der Baiinger alemann. gegend 
urabafist = zorn, aufregung gegen jemand volküblich, 
wie es schon Schmid 526 verzeichnet. Chron. II, 281, 22: 
das die truchsefsen von etlichen jaren her ain besondern 
Unwillen und urenbunst wider die graffen von Werden- 
berg u. 8. w. II, 211, 29: — hab er — manicbmal ufser 
haimlichem neidt und urenbunst one alle not verderbt 
und verwüstet. — Echt alemannisch ist sc hup flehen für 
falllehen chron. III, 53 : „nachdem aber ir voriger mann et- 
lich äcker und wisen von der berschaft zu schupfiahen 
gehapt, so fielen dieselbigen ledigclichen an die Herr- 
schaft". In den urbarien und Urkunden vom nördlich-öst- 
lichen Bodenseeufer heute noch dem namen nach volküb- 
lich. — Echt alemannisch sind die formen ker für keller 

II, 9; I, 345. jauchart IV, 98 u. s. w. molle = Sala- 
mander II, 781 ist heute noch üblich. 

Auch für die liturgische deutgehe spräche gibt unsere 
chronik manchen beleg. Die mit dem petrefaktischen fron- 
zu8ammengesetzten Wörter sind bekannt: fronaltar, baupt- 
altar der kirche mit dem sanetissimum 11,250.415; IV, 
252. fronfasten I, 307. „an unsers Herrgotz abend t* 

III, 214, 10 ist der tag vor dem fronleichnamsfest. Non- 
zeit 11, 224,6: die zweite hälftc des vormittags. Weich- 
lege, weihelege = fridhof 1,309,29. 328,35; 11, 405,10; 



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anzeigen. 



69 



III, 118, 36. — Der name für hilfsgeistliche: Helfer, den 
Altwirtemberg noch hat, kommt öfters vor II, 322.346.490; 
111,255.319; IV, 298. Die namen Custor, Sigrist IV, 
217, Chorales III, 463 begegnen desgleichen. Sigrist ist 
nur alemannisch. Kelc hbueb, schelte 11,340.346. Spren- 
geltauf IV, 103. Beichtpfennig 1,257. Hailgengeld 
II, 480. 

Alles dieses ist ein zeugnis von dem grofsen reich- 
thum des umfangreichen Werkes, das nur deutscher fleifs 
und deutsche ausdauer zu wege bringen konnten. Dank 
dem herausgeber und noch besonders A. v. Keller, der 
selbst wirksam hand anlegte. 

Bonn, nov. 1870. Birlinger. 



Zu Benfe t : Ueber die entstehnng und Verwendung der im Sanekrit mit 
r anlautenden personalendungen. Göttingen 1870. 

In dieser an scharfsinnigen Beobachtungen reichen ab- 
handlung sucht der verf. auf s. 42 ff. nachzuweisen , dafs 
die von ihm zu erklärenden personalendungen rante, ranta 
nichts anderes seien, als dritte personen pluralis des präsens 
und imperfects medii von wz. ar. Diese verbalformen seien 
angetreten, wie diejenigen von i zur bildung des passivs, 
von as zu der des aoriats u. s. w. Dabei wird die erklä- 
rung dieser formen im sanskrit-wörterbueb vermilst. 

Kann ich nun gleich ein argumentum ex silentio wie 
8. 43 nicht für alle falle gelten lassen, weil dadurch einem 
Wörterbuch — zumal einem solchen, welches notgedrun- 
gen den exegeten vorangeht — zu viel zugemuthet wird, 
wenn man von demselben lösung eigentlich grammatischer 
fragen und erklärung aller stellen und aller Schwierigkeiten 
erwartet, so mufs ich doch bekennen, dafs im vorliegen- 
den fall ein wirklicher mangel aufgedeckt ist. Verrouthlich 
wurde bei bearbeitung der wz. ar die form ranta, weil sie 
keine geeignete anknüpfung fand, zu wz. ram verwiesen, und 
bei wz. ram erschienen wiederum, nach Sammlung aller da- 



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TO 



Roth 



ten, die beweise nicht zureichend. So mag es geschehen 
sein, dafs ranta weder unter der einen, noch unter der an- 
deren wurzel unterkommen fand. 

Ich versuche nun nach neuer prflfung die lücke zu 
füllen und dem heimathlosen ranta zu einer stelle zu ver- 
helfen: indem ich es nicht mit Benfey zu wz. ar, sondern 
mit den commentatoren zu wz. ram, genauer zu wz. ran 
stelle. Die drei stellen, um deren erklärung es sich dabei 
handelt, glaube ich übersetzen zu dürfen wie folgt: 

Rv. I, 61, 11: asje* M u tveääsä ranta sindhava: pari 
jad vagrena slm ajakbat | — — turvitaje 
gädha — ka: || Durch seine gewalt standen die flösse 
still, als er mit dem donnerkeil sie aufhielt (oder: traf) — 
für Turvlti machte er eine furth*). 

Das mehrmals erwähnte wunder, dafs Indra den Turvlti 
trocknen fufses durch den ström führt, ist so gedacht, dafs 
der geworfene blitz das wasser staut. Diese auffassung von 
ranta wird, wie mir scheint, gegen jeden zweifei gesichert 
durch vergleichung der beiden parallelstellen: äramaja: sä- 
rapasas taräja kä' turvitaje ka vajjaja ka srutira II, 1.?, 12. 
tvam mahfm avani vicvädhenä turvitaje vajjaja ksarantlm | 
äramajö namasai 'gad arna: IV, 19, 6. 

Rv. VII, 39, 3: gmajä ätra väsavö ranta devä urdv an- 
tarikSe margajanta cubhra: | arväk pathä urugraja: krnu- 
dhvä crötä dütasja gagmüsö nö asjä || Auf ihren bahnen 
stehen dort die guten götter still, im weiten luftraum putzen 
sich die schönen: setzt eure wege fort, weitfahrende, hört 
auf unseren boten, der zu euch kommtl**) 

Die Marut scheinen sich zu bedenken, ob sie zu den 
anrufenden herabkommen wollen, und werden aufgefordert 
der durch Agni überbrachten einladung zu folgen. 

Rv. VII, 36, 3: a vätasja dhrägatö ranta itja aplpajanta 
dhenavö na sridä: | mahö diva: sadanö gajamanö 'kikradad 

*) Benfey: Durch dessen kraft allein setzten sich die ströme in bewe- 
gung. 

**) Benfey: Die bahn durchwaudelnd setzten sich in hewegunp (mach- 
ten «it-h hieher auf) die guten götter, es gleiten hin die strahlenden im 
weiten Äther. 



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annigen. 



71 



vysabhä: säsrninn ridban i Still stehen des streichenden 
wind es zöge, es strotzen wie milchkühe die brunnquellen 
(d. i.%wolken); am grolsen bimmelshaus ins leben tretend 
brüllt, noch im schoofs, der stier*). 

Das ist eine Schilderung der kurzen stille vor dem 
losbrechenden gewitter: die winde, welche das gewölk her- 
trieben, legen sich, die wölken sind zum bersten voll und 
der donner (Pargauja) grollt, gleichsam verborgen noch, vor 
dem ausbruch der blitzschläge. 

Wenn gleich in der letzten stelle Benfey's auffassung 
nicht gegen die Wirklichkeit verstiefse, so wird man doch 
die vorgeschlagene erklärung — abgesehen davon, dafs sie 
durch den gebrauch des ranta in den beiden anderen stellen 
gefordert ist — treffender nennen müssen. Es ist leicht 
möglich, dafs auch hier ranta präteritum ist, die Umschrei- 
bung des Padapätha aber durch rantö nur die erklärung 
des hiatus im sinn der späteren sandhiregel gibt. 

Wie ist nun die auffallende form ranta statt ramanta, wie 
die commentatoren umschreiben, zu erklären? Benfey zwei- 
felt, ob eine synkope dieser art in den veden sich nach- 
weisen lasse. Mir sind nur zwei ähnliche formen gegen- 
wärtig, obwohl vielleicht noch die eine oder andere sich 
finden mag, nämlich vanta 3. pl. von van Rv. I, 139, 10 und 
Käkantu 3. plur. von kan I, 122, 14. Beide bildungen stim- 
men zu der unsrigen vollkommen, wenn wir statt wz. ram 
die nebenform ran (s. WB. u. d. W. I. ran) darin suchen, 
welcher ebensogut als der anderen die bedeutung stille 
stehen beigelegt werden kann. Wie vanta für van anta 
so stände ranta für ran-anta. Diese Vereinfachung oder Ver- 
stümmelung durch ausstofs einer der beide unmittelbar auf- 
einander folgenden silben an ist eine etwas gewaltsame 
aufhebung unschönen gleichklangs — also unter das gesetz 
der sogenannten dissimilation fallend — oder praktisch be- 
trachtet eine nachlässige, fehlerhafte bildung, welche sich 
dadurch erklärt, dafs das obr in anta gleichzeitig das an 
des Stammes und das an der endung zu hören glaubte. 



*) Benfey: heran kommen des eilenden windes gönge. 



-r 

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72 



Kuhn 



Benfey's hypothese, weiche in ihrem ganzen umfang 
zu beurtheilen nicht meine aufgäbe ist, wäre, wenn sie eich 
bestätigte, ein wesentlicher gewinn für die erklärung der 
flexion. Gerade der scheinbarste theil der argumentation, 
durch welche dieselbe gestutzt wird, dürfte freilich durch 
den eben gegebenen nachweis hingefallen sein. 

Tübingen, Oktober 1870. R. Roth. 



' Die Ruhlaer Mundart dargestellt von Karl Regel. Weimar 1868. VIII 
und 314 ea. gr. 8. 

Zur kenntnifs der deutschen dialekte haben die letzten 
drei jähre manchen werthvollen beitrag geliefert. Wir 
nennen auf oberdeutschem gebiete die neue ausgabt* des 
Schmeller'sehen Wörterbuchs (Bayerisches Wörterbuch von 
J. Andreas Schme 11 er. Zweite, mit des Verfassers Zu- 
sätzen vermehrte Ausgabe bearbeitet von G. Karl From- 
mann München 1869 ff., bis jetzt 4 lieferungen), Anton 
Birlinger's Alemannische Sprache rechts des Rheins seit 
dem XIII. Jahrhundert. Erster Teil. Berlin 1868, ferner 
das bereits Zeitschr. XIX, 144 ff. besprochene „Brot" und 
die trefflichen monographien über zwei kleinere gebiete von 
K. J. Schröer (ein Ausflug nach Gottschee. Wien 1*69, 
ans den Sitzungsber. der Wiener Akademie) und I. V. Zin- 
gerle ( Lusernisches Wörterbuch. Innsbruck 1S69); dem 
thatsächlichen materiale nach dankenswerth , aber voller 
unnützer und nicht immer gründlicher gelebrsamkeit ist Va- 
lentin Bühl er' s Davos in seinem Walserdialekt. Hei- 
delberg 1870 (bis jetzt 2 bändchen). Auf plattdeutschem 
gebiete sind zu nennen ein brauchbarer nachtrag zu dem 
altbekannten Bremischen Wörterbuch, gröfstentheils aus dem 
handexemplar des längst verstorbenen herausgebers E. Ti- 
li ng selbst (Versuch eines bremisch-niedersächischen Wör- 
terbuchs. Zweiter Nachtrag, enthaltend Zusätze und Ver- 
besserungen. Bremen 1869. A. u. d. t. Versuch u. s. w. 
Herausgegeben von der bremischen deutschen Gesellschaft. 



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73 



VI. Theil) und die sorgfältige Grammatik des meklenbur- 
gischen Dialektes älterer und neuerer Zeit. Laut- und 
Flexionslebre. Gekrönte Preissrhrift von Karl Nerger. 
Leipzig 1869. Vor allem aber wollen wir fittr die leeer 
dieser Zeitschrift — wenn auch verspätet — des in der 
Überschrift genannten Werkes besonders erwähnung tbun, 
da es in eingehender darstellung eines räumlich be- 
schränkten, aber durch hervorragende eigenthümlich- 
keiten ausgezeichneten dialektes allen arbeiten der art 
als muster dienen kann. 

Den allgemeinen Charakter des Euhlaer dialektes be- 
zeichnet der herr verf. auf s. 1 als den einer thüringisch- 
bennebergischen übergangsmundart. Er gibt zunächst auf 
s. 2 — 78 eine gründliche darstellung des lautsystems, wo- 
bei besonders der eigenthümlicb entwickelte vokalismus in 
den Vordergrund tritt. Interessant sind namentlich die viel- 
fachen analogien mit dem englischen, die mit bezug auf das 
hennebergische schon Reinwald Idiot. I, VIII f. II, 13 f. her- 
vorgehoben hatte. Der herr verf. bebandelt diese analogien 
im lautsystem wie anderwärts mit besonderer Vorliebe: s. 
15 ff. : „Steigerung der kürzen i und u, und zwar wie es 
scheint lediglich in abbängigkeit von einem nachfolgenden 
in position stehenden m oder u zu äi und äu K , s. 67: ent- 
wickelung von w aus g, s. 75: „Übergang des nd und nt 
vor weggefalleneu oder erhaltenen endsilben in ng a ; s. $2 : 
hassärt hafs, neid, groll = engl, hatred, allerdings wohl 
hinsichtlich der betonung mit „unklarer anlehnung tt an frz. 
hazard (vgl. 149); vgl. noch s. 35. 64. 66. 162. 201. 255. 
287. 312. Diese erscheinungen bilden nach s. 15 „eine 
stütze für die ansieht von einem uralten zusammenhange 
des thüringischen und des anglischen Stammes", für wel- 
chen bekanntlich das älteste zeugnifs in der „lex Anglio- 
rum et Werinorum, hoc est, Thuringorum" vorliegt. 
Zu den formen schrek, schrSk schrie, säik sei u. 8. w. 
s. 70 vergleiche man siebenb. höckt, hockt, brockt = 
heute, haut, braut; k rockt = kraut (Schuller Beiträge zu 
e. Wörterb. u. s. w. s. VII u. 14, vgl. d. Zeitschr. XVII, 
152). Der lautlehre folgen Wortbildung und wortbiegung, 



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74 



• Kuhn 



aus welchen abschnitten wir die in eigentümlicher weise 
entwickelte Scheidung des dat. vom acc. nom. sg. s. S7 ffo 
sowie den dreifachen infinitiv s. 100 ff. hervorheben. Als 
vierter abschnitt folgt eine darstellung des eigenthümlichen 
wortvorraths, zunächst als einleitung eine lichtvolle Studie 
Ober den volkstümlichen ausdruck des dialekts überhaupt, 
dinge, die man sich sonst in den idiotiken meistens müh- 
sam zusammensuchen inufs, und deren getrennte behandlung 
ein äufserst glücklicher gedanke ist. Von besonderer be~ 
deutung ist die betrachtung der formelhaften ausdrücke 
8. 126 ff., bei welcher die fluche und Verwünschun- 
gen, dann die sprachlich noch lebendigen reste des alten 
Volksglaubens den schlufs bilden; hier kömmt ref. freilich 
die zurückfübrüng der ruhlaischen wälfir auf den gott 
Vali sehr bedenklich vor, wenn er auch ihren character 
als den einer ursprünglich heidnischen feier keineswegs 
in abrede stellen will. 

Es folgt von s. 146—296 in alphabetischer anordnnng 
der lexicalische Wortschatz mit sorgfältiger vergleichung der 
anderen dialecte, voran die fremden demente, von denen 
wir die slavischen den slavisten zu eingehender prüfuug 
empfehlen möchten, zumal der herr verf. auch den ortsnamen 
Kuhla, die Ruhl selbst s. 157 treffend aus böhm. role 
u. s. w., altsl. ralija aQOvya, arvum zu erklären sucht, kla- 
massen unnöthige worte u. 8. w. s. 153 erinnert doch stark 
an kaimatsch in unverständlicher mundart reden u. 8. w. 
8. 211, womit das in Berlin seit einigen jähren eingebür- 
gerte klumpatscb unsinn, dummes zeug (z. b. mach doch 
kenen klumpatscb nich!) zusammenzuhängen scheint. Zu 
dann'nkü pl. tannenzapfen , Schweiz, tannkuh (sowie zu 
ähnlichen s. 142 f. behandelten benennungen) vergl. man jetzt 
Gradl in dieser Zeitscbr. XIX, 58 f. Dafs -f laden als ex- 
crementum boum zu sl. blato stercus gehöre, will ref. durch- 
aus nicht einleuchten, es scheint einfach eine scherzhafte 
benennung zu sein; am allerwenigsten kann kublider 
eine bestätigung für jene annähme sein, dies gehört einfach 
zu dem auch^vom klatschenden niederfallen flüssiger massen 
gebrauchten pladdern. Unter dem worte quä tschen 



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75 



scheint dem hm. verf. entgangen zu sein, dafs man das sehrift- 
deutsche zwetschge mit einiger Wahrscheinlichkeit aus 
sebastica, sebasta abgeleitet hat (s. Schleicher Beitr. z. 
vgl. spr. V, 375). Zu redder sieb vgl. Zeitschr.XIV, 216 f. 
Bei zeder, hd. zeter wäre die abhandlung Petersen's über 
Zioter oder Tiodute (vgl. jetzt Hugo Meyer abhandl. über 
Roland s. 21) zu erwähnen gewesen, wo die zweifellos rich- 
tige herleitung aus ziotar, bäum des Ziu, gegeben ist. 

Dem Wortverzeichnisse folgt ein kurz zusammenfassen- 
des schlufswort und ein kleiner anhang von dialektproben, 
welche das eigenthümliche der mundart deutlich vergegen- 
wärtigen. 

Zum schlufs dieser anzeige wollen wir noch erwähnen, 
dafs dr. H. Dung er in Dresden mit einer wissenschaft- 
lichen darstellung des dialekts und der Volkslieder des Vogt- 
lands beschäftigt ist, aus der er in einem vortrage: Ueber 
Dialekt und Volkslied des Vogtlands. Plauen i. V. 1870 
einige interessante proben mittheilt. 

E Kuhn. 



Pin4 api try ajna, das manenopfer mit klöfsen bei den Indern. Abhand- 
lung aus dem Vedischen ritual von Dr. 0. Donner. Berlin 1870. 
S. Calvary u. Co. 36 ss. gr. 8. 

Der Verfasser hat sich durch diese kleine Schrift vol- 
len anspruch erworben auf die dankbarkeit aller freunde 
des indogermanischen alterthums, denn die genauere kennt- 
nifs des vedischen grhja-rituals ist in der that die erste Vor- 
bedingung zu einer wissenschaftlichen bearbeitung dersänimt- 
lichen indogermanischen gebrauche. So hat denn auch der 
verf selbst schon mehrfach auf parallele gebrauche der ver- 
wandten Völker aufmerksam gemacht; wir verweisen beispiels- 
weise noch auf Wachsmuth das alte Griechenland im neuen 
s. 122 und auf das reiche material bei Rochholz deutscher 
glaube und brauch I, 229 — 335. Mit dem schwarzen opfer- 
fell 8. 16 ff. vergleicht sich die kubhaut des schwäbischen 
allerseelengebrauchs bei Menzel vorchristl. unsterblichkeits- 



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76 



Kuhn 



lehre II, 321; mau sieht hier recht deutlich, wie eich die 
kirche dem alten heideuthum anbequemte. Einige kleine 
irrthümer der Donner'sehen Schrift dürfen wir hier 
übergehen, können aber nicht verschweigen, dafo eine ge- 
nauere correctur zu wünschen gewesen wäre. 

E. Kuhn. 



Daa Fremdwort in seiner kulturhistorischen Entstehung und Bedeutung. 
Vortrag im Museums-Saale des Nassauischen Alterthums- Vereins zu 
Wiesbaden am 7. Januar 1870 gehalten von August Boltz. Berlin 
1870. Verlag von Rudolph Gaertner. 34 ss. 8. 

Art und weise des verf. sind aus seinen früheren ar- 
beiten bereits bekannt (vgl. d. Zeitschr. XVII, 449ff). Wie 
ihm damals „die tiefere durchdringung und allseitige beberr- 
schung des Stoffes" abging, so auch noch heute: es fehlt durch- 
aus nicht an belesenbeit, aber auch nicht an irrthümern be- 
denklichster art, von denen wir nur die gleichsetzung des 
ksl. zelezo mit skr. ciläga 8. 13 und die herleitung un- 
seres silber aus skr. cubhras. 14 erwähnen wollen. Trotz- 
dem läfst sich nicht läugnen, dafs der verf. seinen interes- 
santen stoff im ganzen nicht ungeschickt dargestellt und 
gewil's manchem seiner zuhörer den wünsch nach gründ- 
licherer belehrung über diesen gegenständ erweckt hat, 
welcher allerdings durch die s. 24 und sonst angeführten 
werke nur zum theil befriedigt werden dürfte. 

E. Kuhn. 



Kleine Schriften von Jacob Grimm. Vierter band. Auch unter dem 
titel : Recenaionen und vermischte aufsätze von Jacob Grimm. Er- 
ster theil. Berlin, Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung (Harrwitz 
und Gos8mann). 1869. X. 467 ss. 8. 

Die Überfülle der in Zeitschriften und sonst zerstreu- 
ten aufsätze, recensionen und abhandlungen Jacob Grimms 
hat nach dem vorwort dem herausgeber (K. Möllenhoff) 



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I 



anzeigen. 77 

die auswabl einigermaßen erschwert und dadurch das er- 
scheinen dieses bandrs (dem noch ein zweiter folgen soll) 
etwas verzögert. Den hei der auswahl befolgten grundsatz, 
dieselbe vor allem auf solche stücke zu richten, „die für 
jeden facbgenossen noch jetzt lehrreich, erfreulich und brauch- 
bar, aber nicht jedem gleich zugänglich und erreichbar sind", 
kann man nur billigen, ebenso dafs unter die nicht leicht 
zugänglichen quellen die fachzeitschriften nicht gerechnet 
sind. Dafs auch die vorreden, die Jacob Grimm zu den 
werken anderer gelehrten geschrieben, von der aufnähme 
ausgeschlossen wurden, ist gleichfalls nur zu billigen, ob- 
gleich vielleicht hier doch einige ausnahmen erwünscht ge- 
wesen wären, wenn z. b. die vorrede zu Wuk Stephane - 
witscbs serbischen märchen (Berlin 10. juli 1853) aufge- 
nommen wäre, die einen passenden abschlufs zu den übri- 
gen hier aufgenommenen anzeigen über die werke dessel- 
ben Verfassers gebildet hätte 

Die so veranstaltete auswahl umfafst 62 stücke vom 
j. 1807—1826 reichend und zeigt in ihrer mannigfaltigkeit 
den ganzen umfang von Jacob Grimms tbätigkeit auf dem 
gebiete nicht allein der germanistischen philologie sondern 
auch auf dem der spräche und poesie der meisten euro- 
päischen Völker. Ueberall tritt er uns mit seiner gründ- 
lichen gelebrsamkeit in . stets anregender weise entgegen, 
die dem blick meist auch aussichten über das von ihm zu- 
nächst behandelte gebiet hinaus eröffnet. Wir finden in 
diesen arbeiten vielfältig die keime, die in seinen späteren 
werken zur vollen und herrlichen entwickelung gekommen 
sind, aber wir finden in ihnen auch zuweilen das 
streben weit auseinander liegendes zu combiniren, das ihn 
auch im späten alter nicht verliefs, und nur durch gröfsere 
Sicherheit der methode und richtigere erkenntnifs in engere 
schranken zurückgeführt wurde. Die aus dem jähre 1813 
herrührenden „gedanken über mythos, epos und geschiente" 
(hier s. 74 ff.) gehen uns eine probe dieser weitgehenden 
combinationen, und lassen dabei noch so sehr die später 
bei Jacob Grimm so bewundernswerthe Sicherheit der ety- 
mologischen deutung der namen vermifsen , dass man fast 



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78 



Kuhn, tinzeigen. 



versucht sein möchte als ihren Verfasser einen andern als 
den trefflichen meister gerade auf diesem gebiet der for- 
schung zu vermuthen. Allein so wenig Grimm selbst d™ 
nochmaligen abdruck des ganzen aufsatzes gebilligt haben 
würde, so unschätzbar ist er doch für die entwickeluugs- 
gesehichte desselben und er behält auch beute noch für 
vieles seineu werth in dem abschnitt, welcher die sage vom 
Teil behandelt (vgl. aueb den ersten aufsatz s. 11, wo der 
druekfehler Havold statt Harald stehn geblieben ist). Von 
grösseren aufsätzen, die noch heute mannigfache reiche be- 
lehrung bieten, nennen wir die anzeige von v. d. Hagen 
und Büschmgs deutschen gedichten des mittelalters, die 
verschiedenen über die Nibelungennoth, die Über die 
Edden, über verschiedene Schriften Rasks und über Grafts 
althochdeutsche präpositionen , über Klings bruder Bert- 
hold sowie die über finnische, keltische, litauische, sla- 
vische, besonders serbische spräche und litteratur. Die 
kleinen anzeigen seien dabei nicht vergessen, z. b. die über 
Dorows denkmäler s. 270 f., in welcher der später in die 
deutsche mythologie aufgenommene, neuerdings von Möllen- 
hoff in seinen und Scherers denkmälern behandelte spruch 
„gang üt nesso" u. s. w. zur besprechung kommt; ferner die 
über H. Hoffmanns (jetzt H. von (aus) Fallersleben) alt- 
hochdeutsche glossen und über Graffs Dintiska I. 1, sowie 
die über den gothischen kalender in der anzeige von Mai's 
Ulphilas s. 125 ff, von Zeunes goth. sprachformen u. s. w. 
und Castiglionis goth. cal. s. 377 ff. Alle diese arbeiten 
sind auch weiteren leserkreisen darum um so mehr zu emp- 
fehlen, als sie sich nicht allein auf den blos kritischen 
Standpunkt stellen, sondern auch vielfach für den Iaien und 
anfänger sachliche und historische erläuterungen bieten, 
über welche die heutzutage etwas vornehm — oder sollen 
wir lieber sagen bochmüthig — gewordene germanistik laut- 
los hinwegzugehen pflegt. 

Der herausgeber bemerkt am schlufs des Vorworts, dafs 
er das glück gehabt, die letzte arbeit für den druck und 
die ganze sorge für denselben hrn. dr. W. Wilmanns 
als Stellvertreter überlassen zu können und dafs der fünfte 



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Br^al, im*cellen. 



band in kurzem nachfolgen werde; dieser wird auch ein 
möglichst vollständiges, chronologisches verzeiehnifs aller 
Schriften Jacob Grimms und das register für alle bände 
dieser Sammlung bringen. Das letztere wird sicherlich eine 
sehr willkommene ergänzung der von Woeber und Andre- 
sen gelieferten register ausmachen. 

A. Kuhn. 



1) Fastus „der trotz 44 . 

Corssen erklärt das wort fastus als ein geistiges prun- 
ken, und führt es auf eine wurzel bbäs „glänzen" zurück 
(Vokalismus I 2 , 141). Dagegen läfst sich zweierlei einwen- 
den. Erstens ist die bedeutung des Wortes vorwiegend eine 
moralische, wie aus dem ;_rebrauche der Schriftsteller zur 
genüge hervorgeht. Ferner, was die wurzel bhäs anbe- 
trifft, so ist ihr vorkommen in den europäischen sprachen 
noch manchem zweifei unterworfen, wenngleich der ge- 
nannte scharfsinnige forscher in seinen lateinischen ablei- 
tungen einen vielfachen gebrauch davon macht. 

Fastus gehört, meiner ansieht nach, der wurzel dhars 
an. Dhars bewahrt bekanntlich sein a (#(>a'rro b -, ftdaao^ 
/fyttrft's). Mit suffix tu verbunden gab es farstus, welches 
sein r ebenso einbüfste wie wurzel tars im partieipium 
# torstus, tostus. Fastus ist somit die Selbstüberhebung, der 
trotz (kg tovto ftoatrtog avqxei. Herodot VII, 9) und ist 
dem sinn wie dem Ursprung nach mit dem deutschen 
dreist verwandt. 

Somit wäre die wurzel dhars (Curtius no. 315, Pott 
no. 776), welche auffallenderweise im lateinischen fehlte, 
auch für diese spräche belegt. 

Eine Verwandtschaft von fastus mit fastidium läfst sich 
nicht abweisen. Aber ein suffix dium ist im lateinischen 
unerhört, auch würde die länge des i ein hindernifs dar- 
bieten. Was sollen wir nun mit dem schwierigen worte 
anfangen? Ich nehme die ausstofsung einer silbe an, wie 
sie in antestari (ante-testari ), Stipendium (stipi-pendium), 



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80 Br«fol, nmcellen. 



semestris (semi-mestris) vorliegt. Fastidium steht also fttr 
fastt-tldium, fastu-tacdium. Solche composita sind im alt- 
lateinischen nicht selten: ich erinnere beispielsweise an 
usucapio, manipretium. Aus fastidium entstand fastidire. 

2) Pectus. 

Das skr. paksa (masc.) „seite, flügel u hat sich aus 
pakta gebildet, wie man nach der analogie von rksa, 
uaksa-tra, taksan schliefsen darf. Es gibt» aber auch ein 
neutrum paksas, welches wie retas, crötas, srötas durch 
ein primär-sufifix tas gebildet ist (Benfey, vollst, gr. §.401), 
das sich auch im griech. xgarog, <nri)ru£ 9 %r { Tog wiederfin- 
det. Diesem paksas, welches im Rik in der bedeutung 
„ seite u gebraucht wird, entspricht das lat. pectus. Die 
ursprüngliche bedeutung dieses namens war also „seite, 
brustseite" und es hat der häufige gebrauch des plurals 
seine gute begründung. 

Ich sehe, dafs diese etymologie von pectus schon durch 
prof. Hupfeld in der Zeitschrift (VIII, 375) angedeutet ist, 
doch blieb dieselbe bis jetzt unberücksichtigt. 

Paris, 22. juni 1870. Michel Breal. 



Suffix -vytj. 

Mit recht vergleicht Benfey Or. und Occ. I, 279 das 
snftix des gr. {WQuolvxtj mit dem skr. -üka der aus inten- 
siven gebildeten adjectiva wie gahgapüka u. 8. w. Das 
selbe suffix, nur mit erweichung der tenuis (Curtius grund- 
zfige n 8. 4^5 ff.), haben wir offenbar in den abstractis 
wie iiaour(Qvyrj u. 8. w. mit ihren denorainativen auf -tWw, 
-t>>> und ein paar anderen ableitungen, die man bei Haine- 
bach de graecac linguae redupl. auf s. 5. 7. 10 f. verzeichnet 
findet Hinsichtlich des accents ist zu bemerken, dafs die 
skr. adjectiva und das bei der concreten bedeutung geblie- 
bene tioniiolvx)} auch in der paroxytonierung des Suffixes 
zusammenstimmen, während uctyfictQvyi) u. s. w. der allge- 
meinen neigung der abstracta auf zur oxytonierung (Bopp 
accent. syst. s. 23) gefolgt sind. E. Kuhn. 



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Coracn, eine umbrische gefrifsinsclirift. 



81 



Eine umbrische gefafsinschrift 

von Fossato di Vico. 

Im umbrischen Appennin zu Fossato di Vico im di- 
strikt von Foligno wurde im frühling des vorigen jahres 
eine umbrische inschrift aufgefunden, nach dem fundberichte 
des herrn Marco Micheletti vom 29. mai 1869 eingeritzt 
in eine kupferplatte, die mittelst zweier krammen von blei 
an den oberen rand eiues gefafses von gebranntem thon 
befestigt war, dessen cylindrische form eine hinneigung 
zu der gestalt eines abgestumpften kegels zeigte. Das bruch- 
stück dieses gefafses mit der kupferplatte fand sich in ei- 
ner runden regelmäfsig in den lebendigen fels gehauenen 
grübe, an deren wänden noch spuren von kalkbewurf sicht- 
bar waren, der in form von mosaik bearbeitet war. Zu- 
gleich fand- man in der grübe die zerstreuten knochen ei- 
nes leichnams, viele bruchstücke von gefafsen von buntem 
<^las und andere von gebrannten thongeföfsen, sechs bruch- 
stficke cannelierter säulen von weifsem travertin und zwei 
andere mit zerbrochenen kapitellen, alle in griechischem 
kunststil. Die inschrift der kupferplatte behandelt der 
durch sein Corpus Inscriptionum Italicarum um die Samm- 
lung und erklärung der italischen Sprachdenkmäler wohl 
verdiente italienische gelehrte Ariodante Fabretti in 
seiner schrift: Sopra una iscrizione Umbra sco- 
perta in Fossato di Vico osservazioni di Ario- 
dante Fabretti Torino, Stamperia reale 1869. Der 
herr Verfasser theilte mir schon im juni des vorigen jahres 
eine abschrift der inschrift mit nebst einem bericht über 
den fund und seinen erklärungen, und forderte mich auf 
ihm bemerkungen über die sprachlichen formen derselben 
zugehen zu lassen. Das ist denn auch geschehen; aber 
das verdienst, den sinn der inschrift in allen wesentlichen 
pnneten richtig erkannt zu haben, gebührt Fabretti. Ich 
habe durch meine sprachlichen bemerkungen seine ansich- 
ten meist nur gestützt und bestätigt. Natürlich handelt es 
sich hier vorwiegend um die sprachlichen formen der 

Zeitschr. f. vgl. spraebf. XX. 2. Q 



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02 Coraseü 

umbrischen gefölsiuschrift. Die buchstabenformen der- 
selben sind nach dem faesimile Fabretti's folgende: 



CVBRAR-MATRfc R'B/o-tSO 

OSE TO- C/JTf R NO-N C4V 
iV'MAßO /VjVTO Ulli 




Die insohrift lautet also: 

Cubrar matrer bio eso | oseto cisterno n. c. 

J,VIIII | su maronato | V. L. Varie T. C. Fulonie. 

Es liegt somit hier ein umbrisches Sprachdenkmal in 
altlateinischer schritt vor, und es läßt sich daher aus der 
form der buchstaben und der Schreibweise ein schlufs ziehen 
auf das Zeitalter, in welchem dasselbe abgefafst ist. Alter- 
thümlich sind namentlich die spitzwinkligen und stumpf- 
winkligen formen der buchstaben a, e, f, 1 (F. Ritsehl, zur 
gesch. d. lat. alphab. s. 10 f. 22), unter denen insbesondere 
das sehr spitzwinklige 1 dafür spricht, dafs die vorliegende 
inschrift vor dem Zeitalter der Gracchen abgefafst ist (a. o. 
8. 3. Ritsehl, Prise. Lat. mon. epigr. p. 123). Die latei- 
nisch geschriebenen stücke der tafeln von Iguvium zeigen 
durchweg schon das gewöhnliche A, die rechtwinkligen 
buchstabenformen E und F und ganz vorwiegend auch das 
rechtwinklige L, ebenso wie das oskische gesetz der tafel 
von Bantia. Da nun diese Schriftstücke im Zeitalter der 
Gracchen jedenfalls zwischen 186—118 v.Chr. abgefafst 
sind (Verf. ausspr. II, 1 22 f. 2 a.), da ferner schon die schrift 
des Senatsbeschlusses über die bacchanalien mit wenigen aus- 
nahmen die buchstabenformen A, E, F aufweist, so mufs 
man folgern, dafs die gefäfsinschrift von Fossato di Vico 
aus älterer zeit herrührt, das heilst also: vor dem Zeitalter 
der syrischen und macedonischen kriege niedergeschrieben 



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eine umbrische gefäfflinschrift. 



83 



ist. Dieser schlufs wird dadurch bestätigt, dafs in diesem 
Schriftstück die consonanten nicht doppelt geschrieben sind 
in oseto neben lateinischem ossuarium und in Fulo- 
nie = lat. Fullonii, wie in den altlateinischen Sprach- 
denkmälern vor Ennius die consonantenverdoppelung nicht 
gebräuchlich war (Verf. a. o. I, 13. 14). Diese fehlt auch 
in den sabellischen Sprachresten mit lateinischer schritt, die 
sämmtlich aus der zeit vor den Gracchen herrühren (Verf. 
Z. IX, 135. XV, 254—256. Ausspr. II, 117 f. 2 a.). 

Die beiden ersten worte der inschrift von Fossato di 
Vico sind neuumbrische formen des genitiv sing., deren 
auslautendes s zu r geworden ist, und zwarCubrar vorn 
stamme Cubrä-, eine genitivform wie totar, Jovinar, 
vestisiar, Noniar, Prestotar, Tursar, Qerfiar, 
Miletinar, Padellar, und matr-er vom consonantischen 
stamme matr-, mater-, eine genitivform wie far-er = 
lat. farr-is, nom-ner = lat. nomin-is (A. K. umbr- 
sprachd. I, III. 128. Verf. ausspr. I, 770. II, 722. I, 771. 
II, 253). In Cubrar ist inlautendes p vor r zu b erweicht 
wie in den neuumbr. wortfonnen abrof, cabriner, subra 
neben altumbr. ap r uf, kaprum, supru und lat. apros, 
caprinus, supra (A. K. a. o. 1,89); also neuumbr. Cu- 
brar entspricht altumbr. *Cupras und lat. Cuprae, mithin 
ist Cubrar matr er = lat* Cu prae matris. Der gen. des 
namens der gottheit steht hier wie in der inschrift eines gra- 
bes von Hispellum in Umbrien, C. I. Lat. I, n .1410: Deum 
Maanium. Die umbrische göttin Cubra mater entspricht 
jedenfalls der von Etruskern und Picentern verehrten 
Cupra dea. Da nun nach Varro's aussagen cuprum in 
der spräche der Sabiner bonnm bedeutet (L. L. V, 159) 
und die sabellische form des steines von Crecchio kLperu 
dieselbe bedeutung hat (Verf. Z. IX, 1.21 f.), so ist die um- 
brische Cubra mater eine bona mater und der lateini- 
schen Bona dea verwandt. Die form Cupra findet sich 
auch in den picenischen Ortsnamen Cupra montana und 
Cupra maritima, und von cupro- ist mit dem suffix 
-io weiter gebildet Cupr-iu-s in dem gottesnamen Mars 
Cuprius und in dem Ortsnamen vicus Cuprius „das 

6 # 

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84 



Corssen 



gute Stadtviertel" im gegensatz zu vicus Sceleratus, 
dem„ Verbrecher viertel" (Varro, a. o. vgl. Momms. unterit. 
dial. 8. 350. Verf. a. o. Fabretti Iscr. d. Foss. d. V. p. 9). 
Wie sich weiter herausstellen wird, ist der umbrischen göt- 
tin Cubra mater der aschentopf, in welchen die kupfer- 
tafel mit der inschrift eingelassen ist, in dem grabe von 
Fossato di Vico geweiht; sie mufs also doch zu dem be- 
gräbnifs in irgend einer beziehung gestanden haben, eine 
todesgottheit gewesen sein. Im lateinischen sind von ma- 
-nu-s „gut" abgeleitet die namen der gottheiten Ma-n-cs 
(di) die „guten" geister der verstorbenen, Ma-na die r gute" 
todesgöttin, die zugleich Geneta „geburtsgöttin" genannt 
wird, Ma-n-ia die „gute" geistermutter und larenmutter 
(Verf. ausspr. I, 431). Es ist also erklärlich, dafs auch eine 
umbrische todesgöttin Cubra mater „gute tnutter" genannt 
wurde. Ebenso liegt in dem geheimen nächtlichen dienst 
der römischen Bona dea eine andeutung, dafs eine sehe 
ihres wesens dem dunkel der unterweit angehörte, wie dies 
bei der eleusinischen Demeter und bei anderen gottheiten 
der fall war. 

Der umbrischen form os-e-to würde eine lateinische 
Stammform oss-e-to- entsprechen mit dem sinne oss-u-a- 
riu-m. Os-e-to ist eine bildung wie lat. arbos-e- tu-m, 
vim i n-e-tn-m, ar undin-e-tu-m, salic-e- tu-m, f ru- 
tic-e-tu-m, dumic-e-tu-m, vepr-e-tu-m, aescul- 
e-tu-m, bux-e-tu-m, iunc-e-tu-m, rub-etu-m, 
fiin-e tu-m, pin-6-tu-m, vin-e-tu-m, sabul-e- 
tu-m, dum-e-tu-m, aspr-e-tu-m, citr-e-tu-m, 
cor yl-e-tu-m, querc-e- tu-m, ros-e-tu-m, oliv-e- 
tn-m. Diese Wörter sind ursprünglich neutrale participial- 
formen von verben der e-conjugation (Verf. ausspr. I, 304 f. 
II, 29X33 1.2a.). Also wurde zum beispiel vom stamme fimo- 
„mist" ein verbum *fim-e-re „mit mist versehen sein" und 
davon fim-e-tu-m gebildet, das ursprünglich „mit mist 
versehen" bedeutete, dann substantivisch „mit mist versehene 
stätte, mistgrnbe". So wurde vom umbrischen stamme os- 
„bein, gebein" ein verbalstamm os-e „mit gebeinen ver- 
sehen sein" gebildet, und von diesem der participialstamm 



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eine utnbrischo gcftfsinschrift. 



85 



08-6- to eigentlich „mit geheinen versehen", dann „mit ge- 
beinen versehener bebälter" und daher auf der kupferplatte 
des in rede stehenden topfes von gebrannten» thon „gebein- 
topf, aschentopf, aschenurne" lat. oss u ari um. Os-ö-to 
ist also ein neuer beleg dafür, dafs der umbrische dialekt 
eine e-conjugation hatte wie der oskische und die lateini- 
sche Sprache. Diese conjugationsklasse ist bereits nachge- 
wiesen aus den umbrischeu verbalformen habe = lat. ha- 
bet, habe- tu = lat. habeto,ure-to = lat. [ad]-oleto, 
vi rsg- tu, a-virse-tu, part. pcrf. pass. vom verbalstamme 
virse = lat. vide- in vide-re, tace-z = lat. taci-tu-s 
von tace-re (Verf. a. o. II, 732). Os-e-to ist, wie sich 
weiter unten herausstellen wird, der nomin. sing, neutr., 
der sein auslautendes in eingebflfst hat wie die gleichen 
neuumbrischen nominativformen der tafeln von Iguvium: 
screhto, purdito, orto, stahmito, muieto, tuderato, 
während daneben das m geschrieben ist in den neutralen 
nominativformen derselben Sprachdenkmäler: ortom, pur- 
ditom, vasetom, daetom, frosetom, peretom, pe- 
setom (A. K. umbr. sprachd. I, IIb). 

Auf oseto bezieht sich zunächst der nom. sing, neutr. 
eso des demonstrativen pronominalstammes eso-. Dieselbe 
form eso erscheint auch in den lateinisch geschriebenen 
stücken der tafeln von Iguvium (VI a, 8), und desselben 
Stammes sind die accusativformen eso, esu,eso-c,iso-c, 
esu-c, die ablativformen sing, esu, esa, plur. es-ir, is-ir 
u.a. Zahlreiche formen desselben pronominalstammes ei so-, 
ei'so-, eizo-, eso-, iso-, weist der oskische dialekt auf, 
und auch in den sabellischen Sprachdenkmälern finden sich 
solche von der Stammform eso- (A. K. umbr. sprachd. 
I, 135. Verf.ausspr.II, 1082. 1078. 1081 wortregist.) 

Wie eso bezieht sich auf oseto das wort bio, das 
Fabretti pio gedeutet hat. Ich kann zwar kein beispiel 
beibringen, dafs im neuumbrischen anlautendes p zu b er- 
weicht würde; aber da in diesem dialekte nicht blofs das p 
vor r zu b erweicht wird in abrof, cabriner, subra, 
sondern auch b zwischen vokalen in habina neben älte- 
rem hapinaf und hapinaru (A. K. a. o. I, 88. 89), so 



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86 



Coresen 



darf man doch wohl annehmen, dafs sich auch das anlau- 
tende p des umbrischen Stammes piho-inpih-a-fi, pih- 
-a-tu, pih-a-z, pih-ane-r, pih-a-klu u.a. osk. pii- 
ho-, wo h lediglich zeichen des vorhergehenden langen 
vokals ist, sabell. pio-, peio-, lat. pio- (Verf. krit. beitr. 
s. 391 f.) in der form bio zu b erweicht habe wie in den 
lateinischen wortfbrmen burrus, Burrus, buxus, buxis, 
bibere, bua, bustum u.a. (verf. ausspr. I, 126 f. 2. a). 
Dieser italische nominalstamm pio- ist ausgegangen von 
der wurzel pu- „reinigen", bedeutet daher eigentlich „rein", 
daher zunächst „heilig, geheiligt", zum beispiel in den Ver- 
bindungen lat. far pium, sal pium, sabell. p i e b i o = lat. 
pio bove (Verf. krit. beitr. s. 391— 393. Z.X,24). Diese 
bedeutung „geheiligt", sacrum, consecratum palst für 
bio der in rede stehenden umbrischen inschrift, aufoseto 
bezogen, so vortrefflich in den Zusammenhang der ganzen 
inschrift, wie sich das im verlauf dieser Untersuchung noch 
klarer herausstellen wird, dafs ich an der richtigkeit der 
deutung Fabretti's von bio = lat. pium nicht zweifele. 
Ich fasse nun bio als prädikat zu eso oseto, so dai's 
uwbr. est ausgelassen ist, oder die 3. ps. sg. couj. si = 
lat. sit oder die dem lat. esto, osk. es tu d entsprechende 
umbr. form der 3. pers. sing, imperat. von der wurzel es-. 
Die auslassung von est oder esto, sunt oder sunto ist 
im lateinischen bei sacrum ganz gewöhnlich, zum bei- 
spiel in formcln von grabschriften und weihinschriften wie: 
Dis manibus sacrum; somno aeterno sacrum; deis 
inferum parentum sacrum; Devas Corniscas sa- 
crum; lapides profani, intus sacrum u.a. Also die 
bisher gefundene bedeutung für die worte Cubrar matrer 
bio eso oseto = Cuprae matris sacrum [est] hoc 
ossuarium ist für die weihinschrift eines aschentopfes in 
dem umbrischen grabe von Fossato di Vico ebenso passend 
wie die weihinschrift Dis manibus sacrum auf römi- 
schen grabdenkmälern. 

Cisterno würde man für eine neutrale form des noni. 
sing, wie oseto halten, wenn derselben nicht lat. cisterna 
zur seite stände. Diese wortlbrm spricht dafür, dafs auch 



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eine umbrische gefäfsinschrift. 



87 



umbr. ci8terno nom. sing. fem. ist, entstanden aus 
cisterna, indem das auslautende a sich zu o abschwächte. 
Das ist geschehen in neuumbr. suepo = lat. siqua, und 
für neuumbr. o steht altumbr. u in mutu = lat. multa, 
etantu = lat. tanta, suepu = siqua (A. K. a. o.I, 110), 
und in der oskischen nominativformen vio = lat. via, 
Vftelio = lat. Italia, raolto = lat. multa, uruvo dem 
sinne nach lat. curva (Bruppacher, laut), d. osk. spr. s. 16). 
Die abschwächung des auslautenden a zu o ist mithin auch 
für cisterno = lat. cisterna einleuchtend. Ich habe dieses 
umbrische wort früher auf die runde unterirdische grab- 
kammer bezogen, in welcher der aschentopf mit der in- 
schrift gefunden wurde. Fabretti will favissa, ftiioav- 
/Mi, darunter verstehen (a. o. p. 11), also behälter für tem- 
pelgeräthe und tempelschätze. Ich kann jetzt diese beiden 
ansichten nicht für richtig halten, da inschriften auf ge- 
fafsen, weiheinschriften wie grabschriften, sich immer nur 
auf die bestimmung oder den inhalt dieser gefäfse selbst 
beziehen. Mir ist nie ein gefäfs mit griechischer, lateini- 
scher oder etruskischer inschrift vorgekommen, die sich 
auf den räum des tempels oder der grabkammer oder ei- 
nen theil der räume bezöge, in welchem das geföfs stand. 
Es liegt ja auch in der natur der sache, dafs man eine 
inschrift, welche sich auf einen solchen festen räum bezieht, 
nicht auf einen beweglichen gegenständ schreibt, der zu 
jeder zeit aus demselben entfernt werden kann. Cis-t-er- 
-na ist eine Weiterbildung von cis-ta mit dem doppelsufHx 
-er-na, das sich in cav-er-na, luc-er-na, Lav-er- 
-na u. a. zeigt (Verf. ausspr. I, 235 f. anm. 2a.), und beide 
Wörter stammen mit umbr. osk. cas-tru, lat. cas-tru-m, 
ca-sa, cas-si-8, cas-sila, squa-ma von wz. skad-, 
„decken, bergen" (a. o. 1/646); cis-ta, cis-ter-na bedeuten 
also „bergende gegenstände, behälter", sei es von eckiger oder 
von runder form. Demnach kann umbr. cis-ter-no jeden- 
falls auch einen aschenbehälter von cylindrischer form be- 
deuten, in dem man die gebeine eines todten „birgt", eine 
olla conditiva, den aschentopf mit der obigen inschrift. 
Noch ist das syntaktische verhältnils von cisterno zu 



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88 Coresen 

oseto in betracht zu ziehen. Es ist eine eigenthünilich- 
keit der umbrischen Satzverbindung, substantiva in demsel- 
ben casus ohne verbiudungspartikcl neben einander zu stellen, 
z. b. in folgenden sprachstucken, Tab. Iguv. VI a, 29f.: Di 
G rabovie, pihatn oerer Fisier, totar Jovinar nome* 
nerf, arsmo, veiro, pequo, castruo, fri; pihatu,fu- 
tu fos, pacer pase tua oere Fisi, tote Jovine, eror 
nomne, erar nomne; das ist lateinisch: Die Grabovic 
piato Collis Fisii, civitatis Iguvinae nomen, prin- 
eipes, -OS, viros, pecua, praedia, segetes (?); piato, 
esto volens, propitius pace tua colli Fisio, ci- 
vitati Iguvinae, eius (collis) nomini, eins (civita- 
tis) noraini (A. K. a. o. II, 156 f. 162). Solche nebenein- 
anderstellungen von Substantiven kehren namentlich in 
den gebeten der tafeln von Iguvium häufig wieder. Auch 
im altlateinischen Sprachgebrauch sind sie ganz gewöhnlich 
in formein wie populus Romanus, Quirites; Trium- 
viri auro, argento, aere flando, feriuudo u. a. So 
kann also in der umbrischen inschrift des gefäfses von 
Fossato diVico oseto, cisterno stehen in der bedeutung: 
oseto eno cisterno ^ lat. ossuariu m et olla in der 
form eines tv Ötd Svutv für ossuaria olla (Grut. Inscr- 
p. 626, 6: ollae ossuariae). 

Die auf cisterno folgenden initialen und zahlzeicheu 
n. c. ^ Villi hat Fabretti richtig gedeutet: nummis col- 
1 a t i 8 L Villi, und ich habe die beiden anfangsbuchstaben 
n. c, gestötzt auf die wortformen numer = lat. nummis 
und ar-fer-tur, ars-fer-tur, dem sinne nach: sacerdos, 
qui adfert, ergänzt zu n[umer] c[omferter] = lat. 
nummis collatis (Fabr. a. o. p. 11). 

Von den beiden auf das Zahlzeichen folgenden Wor- 
ten su maronato ist su die präposition sub, die vor 
dem anlautenden consonanten des folgenden wortes, mit dem 
es enklitisch zusammengesprochen wurde, das auslautende 
b eingebttfst hat wie das su- im ersten compositionsgliede 
vor eonsonantischem anlaut des zweiten compositionsgliedes 
in su-tentu, su-feraklu (A. K. a. o. II, 419, Verf. 
ausspr. II, 871. 2 a.). So schwindet das auslautende b der 



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eine umbrische gefÄfsinachrift. 



89 



lateinischen präposition ab vor consonantischem anlaut des 
folgenden wortes in den enklitischen tonverbindungcn 
amätre, aaceteris, aVärio, aquo u. a. wie in den com- 
positen amittere, amovere, avehere, avellere, aver- 
rere, avocare u.a. Mar-on-a-to ist eine bildung vom 
stamme raar-on- wie lat. cu ri-on-a-tu-s von curi-on- 
mit dem Suffixe -a-tu, derselben art wie princip-atu- s, 
consul -a-tu-s , decemvir-a-tu-s , tribun-a-tu-s , 
deren langes ä ursprünglich der charaktervocal der a-con- 
jugation ist (Verf. krit. beitr. s. 339; ausspr. I, 304. 2 a.) 
Neben mar-on-a-to erscheint mar-on-a-tei in einer 
umbrischen inschrift, die im j. 1742 zwischen Bastia und 
Assisi gefunden wurde und sich im öffentlichen museum 
zu Perugia befindet. Sie lautet mit einer ergänzung: 

Ager emps et 

termnas oht [retie] 
C. V. Vistinie Ner. T. Babr. 

maronatei 
Vois. Ner. Propartie 
T. V. Voisiener. 

Sacre stabu; 
das ist: Ager emptus et terminatus auctoritate 
C. V. fil. Vistinii, Ner. T. fil. Babrii, curatura 
Vois. Ner. fil. Propertii, T. V. fil. Voisieni. Sa- 
crum sto (A. K. umbr. sprd. II, 390 f. Fabrett. a. o. p. 7). 
Fabretti folgert mit vollem rechte aus mar-on-a-to der 
inschrift von Fossato di Vico, dafs mar-on-a-tei kein 
eigenname sein könne, wie Kirchhoff annahm, sondern ein 
aint bezeichne, wie schon Huschke aufstellte (Rhein. Mus. 
,XI, 346. Iguvin. taf. s. 509. 693, der das wort durch cu- 
ratione übersetzte. Mar- on-a-t-ei ist abl. sing, des 
u-stammes mar-on-a-tu- wie arputrat-i vom stamme 
arputratu-, tref-i, man-i von den Stämmen trefu-, 
manu-, da das auslautende ei von mar-on-a-t-ei einen 
mittellaut zwischen e und I bezeichnet, und der umbrische 
dialekt vielfach schwankt zwischen e, ei und I (Verf. ausspr. 
1, 790. 2 a.). In jenen umbrischen ablativformen ist -u-i, 
-u-ei zu -i, -ei verschmolzen (A. K. a. o. 1, 125. II, 402. 



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90 



Corssen 



Verf. a. o. I, 203. IT, 54 anm.* # ). Da nun mar-on-a-t-ei 
ablativ ist, so kann inar-on-a-to, obwohl es von der 
präposition su[bj abhängig ist, nicht ebenfalls eine ablativ- 
forui sein, zumal sich sonst in den umbrischen Sprach- 
denkmälern kein beispiel einer auf o auslautenden ablativ- 
form von einem u-stamme findet; das wort mufs vielmehr 
eine neuumbrische form des acc. sing, vom stamme mar- 
-on-a-tu- sein, die das auslautende m abgeworfen hat wie 
trifo vom stamme trifu- = lat. tribu- (A. K. a. o. I, 
12.5). Es ist allerdings auffallend, dafs in der Verbindung 
8ii maronato die präposition su[b] mit dem accusativ 
construiert ist, aber doch nicht auffallender als dafs die prä- 
position neuumbr. post, altumbr. pus den ablativ regiert 
in Verbindungen wie altumbr. pus veres Tre planes = neu- 
umbr. post verir Treblanir, das ist lat. post portam 
Trebulanam, und ebenso die oskische präposition post 
(A. K. a. o. I, 155). Der ablativ mar-on-a-t-ei und 
der accusativ mar-on-a-to vom u-stamme mar-on-a-tu- 
sind also von dem grundstamme mar-on- gebildet wie lat. 
curion-a-tu-s von curi-on-. Von diesem stamme m ar- 
-on - findet sich der nom. plur. zur bezeichuung von städti- 
schen beamten in einer lateinischen inschrift von Assisi 
(C. I. Lat. I, 1412. Fabrett. a. o. p. 5), die mit einigen er- 
gänzungen folgendermafsen lautet: 

Postfumus] Mimesius C. f., T. Mimesius Sert 
[oris] f., Ner[o] Capidas C. f. Ruffus]., Ner[o] 
Babrius T. f., C. Capidas T. f. C. n., V. Volsienus 
T. f. marones murum ab fornice ad circum et 
fornicem cisternamqfu e] d[e] s[enatus] s[enten- 
tia] faciundum coiravere. 

Fabretti weist nach, dafs in dieser inschrift das wort 
marones nicht ein zuname sein könne zu den drei vorher- 
gehenden namen der genannten sexviri nach dem zunamen 
Ruf us, die drei männer aus verschiedenen geschlechtern 
bezeichnen, dafs marones vielmehr ein den sexviri ge- 
meinsamer beamtentitel und mit Huschke: curatores zu 
erklären sei. Nachdem der beweis geführt ist, dafs umbr. 
mar-on- a- tu- ein amt ist wie lat. curi -on-a-tu-, so- 



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eine umbrische geffcfsinschrift. 



91 



mit umbr. mar-on- ein beamter wie lat. curi-on-, kann 
darüber kein zweifei mehr obwalten, dafs die form mar- 
-on-es in der vorstehenden lateinischen inschrift nom. plu- 
ralis des umbrischen beamtentitels mar-on- sei. Es fra^t 
sich nur noch, ob sich die bedeutung curato res für m a- 
rones und curatione oder curaturä fiir maronatoi, 
curationem oder curaturam für maronato auch ety- 
mologisch rechtfertigen läfst. Ich leite diese wortformen 
mit gr. fxtQ-fiijQ-a , fiiQ-i-fiva sorge, fity-p ai q~ui , usq- 
-ut]Q~i£<a sorge, lat. me-mor, me-mor-ia, me-mor- 
-a-re her von der wurzel smar- gedenken (Curt. gr. et. 
n. 466. 3 a.), so dafs also der umbrische beamtentite) mar- 
-on- den angeführten griechischen Wörtern in der bedeu- 
tung am nächsten steht und curator, procurator be- 
deutet, daher mar-on-a- tu-: curatio, curaturä. 
Das suffix -on ist in mar-on an die verbal wurzel gefügt 
wie in den lateinischen bildungen ed-on-, err-ou-, ger- 
•on-, vol-on-, mand-on-, com -bib-on-, con-ger- 
-on-, ad-scd-on; dasselbe suffix in der altumbrischen 
gestal? -un ist an eine verbal wurzel gefügt und mit dem 
suffix -a weiter gebildet in dem uamen der umbrischen 
göttin Ves-un-a, der mit lat. Ves-ta von wz. vas- „glän- 
zen, brennen" stammt. In dem lateinischen beamtentitel 
curi-on- ist hingegen das suffix -on an einen nominal- 
stamm gefügt wie in resti-on-, pelli-on- Capit-on-, 
Front-on-, Nas-on-, neuumbr. Vofi-on-e und altumbr. 
-un in Vufi-un-e, Petr-un-ia (vergl. Verf. ausspr. I, 
."»74. 575. 577. 580 f. II, 194). Der umbrische beamtentitel 
mar-on- erscheint als zunamen verwandt in der aufschrift 
eines aschentopfes der vigna S. Cesario, C. I. Lat. I, 
M27: M. Orucule[ius] Maro a. d. VI. k. Dec. (Fa- 
brett. a. o. p. 6), und von Maron- sind mit dem dimi- 
nutivsuffix -lo, -la weiter gebildet die zunamen Mar-ul- 
-lu-s, Mar-ul-la, von denen dann weiter der familien- 
namen Mar-ul-l-iu-s ausgegangen ist (Verf. ausspr. II, 
149. 2a.). Der zuname Maro erscheint etruskisch in 
der gestalt Märu in der rotb aufgemalten inschrift auf dem 
oberen rande eiues zerbrochenen Sarkophags von marmor, 



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92 



Cornsen 



der im april dieses jahres auf dein Montarozzi bei Corneto, 
der nekropole von Tarquinii, bei den ausgrabungen der ge- 
brüder Marzi zu Corneto in einem grabe gefunden worden \at. 
Ich habe von dem in einem magazin der genannten herrn 
befindlichen original der inschrift am 2. mai 1870 eine 
Zeichnung aufgenommen, die folgenden text bietet: 

Scurnas. M. A. Maru m. t. z. p. t. ril XXXXV. 
In dieser grabschrift ist S c urnas familienname, eine no- 
minativform wie Vipinas in der Verbindung Caile Vi- 
piuas — lat. Caelius Vibenna (Fabr. C. I. Ital. n. 
2165. 2166), Velthurnas = lat. Volturnius (Co- 
nestab. Monum. di Perug. P. IV, n. 64 p. 78) u. a. und 
wie lat. paricidus, hosticapas (Verf. ausspr. I, '28.'). 
588. II, 43. 44. 231. 398. 424. 425); M. ist sigle des Vor- 
namens, zu ergänzen zu M[arcel = lat. Marcus oder 
zu M[ani] = lat. Manius. Der vorname ist hier nach 
dem familiennamen gestellt wie in den etruskischen 
inschriften, Fahre tt. C. I. Ital. n. 950: Arria Thana, 
n. 867, 2 h: Marcni Larth Aru[nt]ni; n. 21ü2 # : Ca- 
les L[ar]th L[ar]th Vala; n. 2137: Sentinei Larthi; 
n. 2418: Crisu Aule die vornamen Thana, Larth, Lar- 
thi, Aule den familiennamen folgen. Ebenso steht der 
vorname nach dem familiennamen oder geschlechtsnamen 
in den altlateinischen inschriften, C. I. Lat. I, 30: Cor- 
nelius Lucius Scipio Barbatus; I, 831: Alfenos 
Luci[osJ. Die zweite sigle der obigen etruskischen in- 
schrift A. bezeichnet den namen des vaters des verstor- 
benen A[ule]; dieser ist aber im genitiv zu denken mit 
der bedeutuug Auli filius. Maru ist also der zuname 
des Scurnas. Ganz dieselbe folge und bedeutung der 
einzelnen namen für die benennung der person zeigt die 
angeführte grabschrift: Cales Lth. Lth. Vala, nämlich 
den familiennamen, die sigle des nachgestellten vornamens, 
die sigle des im genitiv zu denkenden vaternamens und 
den zunamen. Der nach Maru folgende theil der sarko- 
phaginschrift von Corneto kann hier dahin gestellt bleiben. 
Nach allem gesagten erweist sich meine früher aufgestellte 
ableitung des namens Mar-o von wz. mar- glänzen (aus- 



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eine nmbrisclie gefafsinnchrift. 



93 



ßpr. I, 404. 2 a.) als irrig; derselbe stammt vielmehr mit 
umbr. mar-on-, mar-on-a-tu, mar-on-a-t-ei, etrusk, 
Mar-u von wz. smar- „gedenken, sorgen a . Der beam- 
tpntitel ist im lateinischen und etruskischen zum zunamen 
geworden wie zum beispiel die amtstitel augur undpon- 
tifex maximus in den benennungen: Q. Mucius Seae- 
vola Augur und: Q. Mucius Scaevola Pontifex 
maximu 8. 

Auf maronaio folgen in der gefäfsinschrift von Fos- 
sato di Vico die namen der beiden marones, der cura- 
tores, während deren amtsführung der besagte aschentopf 
der todesgöttin Cubrar mat er geweiht worden ist. Diese 
namen sind also alle genitivformen, und zwar sind die bei- 
den familiennamen Varie und Fulonie gen. sing, von den 
stammen Vario-, Fulonio-, die auch in den römischen 
formen Variu-s, Fulloniu-s enthalten sind. Die geni- 
tive Varie und Fulonie stimmen uberein mit den ge- 
nitivförmen der umbrischen inschrift von Bastia: Vestinie 
und Propartie in der abwerfung des auslautenden s des 
genitivsuffixes wie in altumbr. katle = lat. catuli,Qerfe, 
Kastruciie, neuumbr. agre = lat. agri, Tlatie, Fisi e, 
Fisovie (A. K. I, 116). Also lassen sich die namen der 
beiden umbrischen marones folgendermafsen ergänzen: 
V[ibie] L[ucie] Varie, T[ite] C[aie] Fulonie, und 
sind von Fabretti richtig ins lateinische übersetzt Vibii 
Lucii fil. Varii, Titi Caii fil. Fullonii (a. o. p. 9). 

Nach der vorstehenden Untersuchung lautet nun der 
text der umbrischen gefäfsinschrift von Fossato di Vico 
mit den nachgewiesenen ergänzungen der nicht vollständig 
ausgeschriebenen Wörter folgendermafsen: 

Cubrar matrer bio eso oseto cisterno n[u mer] 

c[omferter] Villi su maronato V [ibie] L[ucie] 

Varie, T[ite] C[aie] Fulonie; 
das bedeutet also: 

Cuprae matris pium (i. e. sacrum est) hoc ossu- 

arium [et haec] cisterna (i. e. olla conditiva) 

ntummis] c[ollatis] LVIIII sub cu ratura V[ibii] 

L[ucii] fil. Varii [et] T[iti] C[aii]fil. Fullonii, 



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94 



Corss€n 



Wir haben also vor uns die weiheinschrift eines be- 
hältnisses für die geheine eines todten, durch welche das- 
selbe der todesgöttin Cupra niater, die als eine „gute 
mutter" bezeichnet ist, geweiht wird. Da es nun für das 
wesen der sache gleichgültig ist, ob ein solches behältnifs 
eine grabkammer mit einem leichenbette, die nische eines 
gesammtgrabes , ein Sarkophag, eine aschenkiste oder ein 
aschentopf ist, so hat die behandelte inschrift dieselbe sach- 
liche bedeutung für die bestattungsweise der todten und für 
die religion der Umbrer wie bei den Römern die weihein- 
schriften auf grabdenkmälern : diis Manibus sacrum, 
deum Manium und ähnliche. Die gefafsiuschrift von 
Fossato di Vico ist keine grabschrift; denn sie nennt den 
namen des verstorbenen nicht, der in dem aschentopf von 
gebranntem thon mit der beschriebenen kupferplatte beige- 
setzt war, wie das wort oseto=lat. ossuarium lehrt. Viel- 
leicht war neben der weiheinschrift der name des todten 
iu den gebrannten thon des aschentopfes mit dem metalle- 
nen schreibgriffel eingeritzt. Solche graffitinschriften sieht 
man häufig auf den thönernen aschentöpfen der Etrusker, 
und auf den aschenkisten derselben finden sich nicht sel- 
ten zwei verschiedene inschriften, die eine auf dem deckel, 
die andere auf dem kästen selbst. Zahlreiche lateinische 
inschriften auf römischen grabdenkmalen bestehen ja aus 
zwei ihrem wesen nach verschiedenen t heilen, der weihein- 
schrift wie: diis Manibus sacrum, deum Manium, 
deis inferuin parentum sacrum u. a., und der eigent- 
lichen grabschrift mit dem namen des verstorbenen. Aehn- 
liches kann auch auf dem besprochenen umbrischen aschen- 
topf e stattgefunden haben, von dem uns nur bruchstücke 
erhalten sind, wie der fundbericht angiebt (Fabretti 
a. o. p. 4). 

Für die culturgeschichte der Umbrer stellen sich aus 
der erklärten gefäfsinschrift von Fossato di Vico besonders 
zwei ergebnisse heraus. Nach dem fnndberichte sind mit 
dem aschentopfe die knochen eines leichnams gefänden 
worden (gli ossami sparsi di un cadavere, a. o. p. 5); das 
kann man doch nicht verstehen von resten verbrannter 



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eine Umbrüche gefUfsinschrift. 



Ü5 



knocheu, sondern nur von den gebeinen eines unversehrt 
bestatteten leichnains. Daraus ergiebt sich, dals bei den 
Uinbreru die griechische sitte des verbrennens der todten 
und die einheimisch italische der bestattung des ganzen 
leichnams neben einander bestanden wie bei den Römern, 
Etruskern (Verf. Z. XVIII, 199 f. 201) und, wie die folgende 
abhandlung über kürzlich gefundene osk. grabschriften er- 
geben wird, auch bei den Völkern oskigcher zunge. Aus den 
bruchstücken von säulen griechischen Stils, die in der gruft 
von Fossato di Vico gefunden worden sind, erhellt ferner, 
dafs griechische kunst nicht blofs in Unteritalien, Latium 
und Etrurien eingewandert ist, sondern auch zu den Um- 
brern ihren weg - gefunden hat, wie das auch die bronze- 
statue des umbrischen Mars von Todi in dem Museo 
Gregoriano des Vatican jedem beschauer beweist, und ein- 
gedrungen ist bis in die gräber tief im binnenlande des 
umbrischen Appennin. Immer deutlicher treten die kenn- 
zeichen und merkmale hervor, wie tief und weitgreifend 
der einflufs griechischer bildnng auf kunstfibung, sitte, glau- 
ben, sage und spräche der italischen volksstämme schon 
in alter zeit gewesen ist. 

26. novemb. 1870. W. Corssen. 



Zum oskischen dialekt. 

I. Oskische grabschriften. 

Indem ich beabsichtige einige neuerdings gefundene 
grabschriften in dieser abhandlung zu erläutern, schicke 
ich die von mir schon früher in dieser Zeitschrift be- 
sprochenen grabschriften voraus mit dem kurz zusammen- 
gefaßten ergebnifs meiner Untersuchungen über dieselben, 
damit hier alle bisher gefundenen oskischen grabschriften 
beisammen sind und bequem übersehen werden könneu. 



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96 



Corsseo 



1. Grabschrift von Sorrento. 

V. • • 
l rinei s. 

Diese grabschrift, deren original, auf einem einfachen 
rechteckigen stein mit grofsen buchstaben geschrieben, ich 
im juni dieses jahres im Museum zu Neapel gesehen 
und abgezeichnet habe, ist der familienname des ver- 
storbenen im genitiv vom stamme Virino-, dessen no.ni- 
nativ Vir ins lautet. Zu dem genitiv des namens des ver- 
storbenen ist osk. mein n im = lat. monumentum zu er- 
gänzet]. Die abfassung dieser grabschrift fallt etwa in die 
zeit von 421 bis 338 v. Chr. (Verf. Z. XVIII, 187 f. vgl. 
XI, 338. 359). 

2. Grabschrift von Anzi. 
Diese mit griechischen buchstaben in der giebelspitze 
eines grabsteines von der form einer aedicula über dem 
relief des verstorbenen geschriebene bei Anzi in Basilicata, 
dem alten Anxa in Lucanien, gefundene inschrift lautet: 
// uj x jr o '/ykoj. o) n aoyofMu eiv. xand it coli Kttj.a^ 
keixsiT, xm. a/E{)iji ?»ioxaxsiT au söot ßgar tu u 
M et cttava[t] ; 
in lateinische schrift übertragen: 

Pot vollohom sorovom ein. kapiditom Kahas 
leikeit, ko. acherei liokakeit svam esotbratom 
M ei aiana| i]. 

(Z. XVIII, 189. 190 f.). Meine Übersetzung dieser grab- 
schrift nach dem sprachgebrauche lateinischer grabschriften 
lautet : 

Quod exstruere cinerarium et ollarium Cahas 
pollicitus est, in co . . . . o collocavit sie hoc 
votum Meiaianae. 
Im anschlufs an die etymologie der oskischen wörter habe 
ich deu infinitiv vollohom durch vallare, die accusa- 
tivform sorovom durch praeditum (toqw (sepulcrum) 
und die accusativform kapid itom durch praeditum ca- 
pide (sepulcrum) wiedergegeben (a. o. 245). Diese in- 
schrift lehrt, dafs die oskisch redenden Samniten Lucaniens 



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zum oskischen dialekt. 



97 



die griechische sitte des verbrennens der leichname and 
der bestattung Oberhaupt angenommen hatten. Die griechi- 
sche schrift, die Orthographie, die alterthümlichen und 
sprachgeschichtlich wichtigen formen und die einfachen 
namen der personen sprechen übereinstimmend dafür, dafs 
die grabschrift von Anzi schon vor dem beginne der Sara- 
niterkriege abgefafst worden ist (a. o. 249 f.)- 

3. Grabschrift von Cumae. 

Diese inscbrift habe ich schon früher einmal bespro- 
chen (Z. XI, 325 a, wo das dritte wort derselben Salavs 
im drucke ausgefallen ist), aber erst kürzlich durch eigene 
anschauung des Steines im mnseum zu Neapel die Über- 
zeugung gewonnen, dafs dieselbe eine grabschrift ist. Ich 
gebe hier das facsimile des Steines nach meiner im juni 
dieses jähr es angefertigten Zeichnung desselben: 




Dieser stein hat also die form einer aedicula, eines 
kleinen hausgiebels, wie der grabstein von Anzi; die in- 
schrift steht aber nicht in der giebelspitze, sondern in dem 
portal des grabhäuschens. Ich habe die inscbrift Übersetzt: 
Statius Silius Salvius, so dafs vornamen, familien- 
namen und zunamen des verstorbenen im nominativ stehen. 
Dagegen ist neuerdings die ansieht aufgestellt worden, 
Statie sei der familienname des verstorbenen, Si lies ge- 

ZeiUchr. f. vgl. sprachf. XX. 2. 7 . • 



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98 Comen 

nitiv des Vornamens des vaters und Salavs der zuname 
des verstorbenen, der vorname desselben aber sei wegge- 
lassen worden (G. de Petra, Giorn. d. scavi d. Pompei, nuov. 
ser. I, p. 240). Für diese meinung wird geltend gemacht, 
einmal dafs es auffallend wäre, wenn in einer und derselben 
insehrift drei verschiedene nominativformen auf -ies, -ie 
und -8 von stammen auf -io vorkommen sollten, zweitens 
dafs auch die inschrifl eines helmes von Palermo: Tgeftg 
r. JSecreg dedsr = lat. Trebius G. f. Sestius dedit 
(Z. XVIII, 250. 253 f. 256) erst den familiennamen des ge- 
bers, danu den genitiv des Vornamens des vaters und drit- 
tens den zunamen des ersteren verzeichnet, den vornamen 
desselben aber ausgelassen habe. Ich kann diese erklärung 
nicht für richtig halten aus folgenden gründen. Da die 
Stämme von eigennamen auf -io im oskischen den nomina- 
tiv singularis in elf verschiedenen formen aufweisen, näm- 
lich auf -iu-s, -iu, -ie-s, -ie, -ii-s, -ii, -ii-s, -ii, 
-i-s, -i, -8 zum beispiel in Plator-iu-s, Herenn-iu, 
Pompt-ie-s, Stat-ie, Pont-ii-s, Pap- ii,« Staf-ii-s, 
Pap-ii, Heirenn-i-s, Paap-i, Upil-8 (Momms. 
ünterit. dial. s. 229. Gloss. Verf. Z. XI, 325. 339f. 401 f. 
XVIII, 254f. Ausspr. I, 289 f. II, 605. 718. 2 a.), so ist 
es begreiflich, dafs einmal drei verschiedene nominativ- 
formen dieser art in einer personenbenennung sich bei- 
sammen finden können, wie zwei verschiedene TQsßg = 
Trebius und ^eöreg — Sestius in der genannten helm- 
inschrift neben einander stehen. Die wgleichung dieser 
helrainschrift mit der in rede stehenden grabschrift ist in- 
sofern nicht zutreffend, als in jener auf den familiennamen 
des sohnes der blofse anfangsbuchstabe des vaternamens 
folgt, in dieser aber nach der obigen ansieht der ausge- 
schriebene name des vaters im genitiv folgen soll, während 
der vorname des verstorbenen, der hauptperson, um die es 
sich in der grabschrift handelt, fehlen soll. Für diese be- 
zeichnungsweise bieten die oskischen inschriften sonst kein 
beispiel. Der name Silies in der vorliegenden grabschrift 
von Cumae kann nicht als vornamen erklärt werden, wei 
in einer anderen oskischen inschrift von Cumae: G. Sil Ii 



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zum oskischen dialekt. 99 

G. = lat. Gaius Sillius Gai fil. (Verf. Z. XI, 325. Fa- 
brett. C. I. Ital. n. 2760) derselbe name als familiennamen 
erscheint, weil in den lateinischen inschriften Campaniens 
und Unteritaliens Silius nur als familiennamen vorkommt 
(Momms. Inscr. R. Neap. Ind. nom. viror. et mulier.) und 
sich auch sonst nirgends ein vornamen Silius findet (vgl. 
Fabrett. Gloss It. p. 1660. 1661). Man mufs also auf 
diesen thatsachen fufsen, nicht möglicbkeiten nachgehen, 
und Silies auch in der grabschrift von Cumae als fami- 
liennamen fassen, und dann kann es nur nom. sing. sein. 
Dazu kommt endlich, dafs ein sicheres beispiel eines os- 
kischen genitiv sing, auf -i-es von einem stamme auf -io 
nicht erweislich ist, wie sich im laufe dieser Untersuchungen 
herausstellen wird. Personenbenennungen ohne erwähnung 
des vaters finden sich auch sonst im oskischen, zum bei- 
spiel Momms. unterit. dial.VIII: Tanas Numeriis Fruu- 
ter; XXXII, b: Pupdiis Stenis; XXXIII: Pakis 
Tintiriis. Meine erklärung der personenbenennung Sta- 
tie Silies Salavs = lat. Statius Silius Salvius stüzt 
sich durchweg auf erwiesene thatsachen und ist einfach; 
ene abweichende ansieht nimmt eine ausnahmsweise per- 
sonenbenennung an, eine nicht erweisliche genitivendung 
und einen vornamen, der sonst immer familiennamen ist. 
Ich mufs demnach bei meiner erklärung verharren. 

4. Grabschriften von S. Maria di Capua, 
im erbbegräbnifs der familie Minies. 

Die ausgrabungen der herren Gallozzi und Doria zu 
S. Maria di Capua auf der stelle der alten Stadt Capua 
haben neuerdings ein grofses unterirdisches grab aufgedeckt, 
Ober welches der italienische gelehrte G. de Petra im 
Giornale dei seavi di Pompei, nuov. ser. I p. 235 f. berich- 
tet. Das grab, dessen wände aus grofsen ohne mörtel ver- 
bundenen tufsteinen zusammengefugt sind, besteht aus ei- 
nem Vorraum oder vestibulum und einem hinteren räum, 
der durch eine senkrecht auf der hinterwand stehende Schei- 
dewand in zwei zellen getheilt ist, stimmt also im grund- 
rils vollkommen überein mit dem im j. 1863 von Dominico 

7 # 



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100 



Corssen 



Golini aufgedeckten etruskischcn <j;rabe bei Orvieto, dessen 
wände mit Wandgemälden und inschriften bedeckt sind. 
Das dach des campanischen grabes ist spitzwinklig und 
stützt sich auf die Scheidewand der zellen, deren wände 
mit weifsem roth und schwarz verziertem kalkbewurf be- 
kleidet sind. In der rechten zelle wurden zwei leichenbetten 
aufgefunden mit bruchstöcken von inschriften und eine 
grabschrift auf einem stück gesims, das auf die erde ge- 
fallen und zerbrochen war, und wahrscheinlich zu einem 
dritten noch nicht aufgedeckten leichenbette gehörte. In 
der linken zelle fand man drei leichenbetten, das eine mit 
vollständig erhaltener grabschrift, während von den in- 
schriften der beiden anderen nur noch ein einziger buch- 
stabe sichtbar war. Bis jetzt sind also zwei vollständig 
erhaltene grabschriften und drei bruchstücke von solchen 
zu tage gekommen. Vielleicht finden sich deren noch mehr, 
da nach dem fundberichte noch nicht der ganze räum der 
grabkammern aufgedeckt war. Als ich im juni dieses jah- 
res nach S. Maria di Capua kam, fand ich dieselben wie- 
der zugeschüttet, nachdem die beiden vollständigen grab- 
schriften mit dem gestein und kalkbewurf herausgenom- 
men und in das magazin des museum zu Neapel ge- 
schafft worden waren. G. de Petra hat von allen diesen 
inschriften sorgfältige abschritten genommen und dieselben 
in einer eingehenden und scharfsinnigen abhandlung be- 
sprochen (Giorn. d. scavi di Pompei a. o.). Durch die 
freundlichkeit dieses gelehrten, der meine epigraphischen 
arbeiten im museum zu Neapel in der zuvorkommendsten 
weise gefördert und erleichtert hat, war es mir vergönnt, 
von den originalen der beiden genannten inschriften, die 
mit rother färbe auf den weifsgelben kalkbewurf aufgemalt 
sind, eine Zeichnung aufzunehmen. Seit G. de Petra die- 
selben abgeschrieben, hat die beschädigung d er 0 j neQ durch 
das abbröckeln des kalkbewurfes mit theilen der Buchstaben 
weiter um, sich gegriffen; aber die reste der buchstaben 
lassen noch unzweifelhaft erkennen, dafs die abschritt; des 
italienischen archäologen vollkommen richtig ist. Die an- 
dere grabschrift ist noch ganz unversehrt erhalten. Ich 



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zum oskischcn diulekt. 



101 



gebe hier die abbildungen der beiden inschriften nach mei- 
nen Zeichnungen mit ergänzungen der abgebröckelten buch- 
staben durch punctierung. 

b. 

Dieselben lauten also: 

a. Upfal8 Salaviis Minies. 

b. Upfals patir Miinieis. 

Zwischen diesen beiden inschriften findet in schrift 
und Orthographie ein bemerkbarer unterschied statt. Die 
zweite derselben weist eckige formen der buchst aben f p 
und a auf, ähnlich denen der im Zeitalter der Samniter- 
kriege abgefafsten weiheinschrift von Agnone (Verf. aus- 
spräche II, 110), während die erste grabschrift mehr ab- 
gerundete formen derselben buchstaben erkennen läfst. 
Jene sind die älteren, diese die jüngeren buchstabenfor- 
men. In der zweiten grabschrift findet sich die Schreib- 
weise Miinieis. Diese entspricht den Schreibweisen in 
älteren oskischen Sprachdenkmälern piihoi, piistioi, lii- 
mitu, Viiniküs, Meli issaii [s] (Momms. unterit. dial. 
s. 213. 278. 273. 260. 270. 270). Wie in der altoskischen 
schrift die länge des vokals vielfach durch das doppelte 
schriftzeichen desselben bezeichnet wurde, so wurde auch 
langes I durch die buchstaben ii oder ii ausgedrückt. (Verf. 
ausspr. I, 16 f. 2 a.). Schon in den jüngeren Sprachdenk- 
mälern mit oskischer schrift, zum beispiel in den verfluch- 
ungsformeln der bleiplatte vonCapua findet sich diese Schreib- 
weise nicht mehr (Verf. Z. XI, 338. Ausspr. a. o.) und na- 
türlich auch nicht in der lateinischen schrift der noch spä- 
teren tafel von Bantia. Wenn nun an der stelle von Mii- 
nieis der zweiten die erste der obigen grabschrifteu Mi- 
nies bietet, so mufs man jene Schreibweise für die ältere 



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102 Corsgen 

einheimisch oskische halten, diose för die jüngere. Schrift 
und Orthographie weisen also darauf hin, dafs die zweite 
grabschrift früher abgefafst ist als die erste. 

Beide inschriften beginnen mit dem namen Upfals, 
den G. de Petra als familiennamen erklärt, indem er meint, der 
römische gentilname Offilius nach der Schreibweise bei 
Gruter (I. p. 645, n. 6) sei aus *Upfalius durch assimi- 
lation des p zu f und abschwächung des a zu i entstan- 
den (a. o. p. 237). Aber man vergleiche die Schreibweisen 
folgender namen in wohlverbürgten inschriftlichen texten: 

Aufillius, Ofillius, 

Ofilius, Obilius, 

Aufelliu8, Ofellius, Obellius, 

Aufidius, Ofdius, 

Ofinius, Obinius 
und dazu Ofius, Ofoni., Ofanius, Ofatulena (Momms. 
I. R. Neap-Ind. Nom. viror. et mulier. C. I. Lat. I. Ind. ver- 
hör.). Diese vergleichung lehrt erstens, dafs die Schreib- 
weise Offilius mit doppeltem f bei Gruter fehlerhaft ist, 
zweitens dafs die vorstehenden namen mit f, alle auf ehe- 
mals oskischem Sprachgebiet gefunden, ihr oskisches f be 
ihrer latinisierung gewahrt haben, wie die einheimisch os- 
kische form Ufiis (Verf. Z. XI, 324), hingegen die na- 
mensformen mit b das ursprüngliche f zu b umgelautet ha- 
ben, wie dies gewöhnlich im inlaut lateinischer Wörter der 
fall ist, drittens dafs in den obigen namen das anlautende 
ö aus dem diphthongen au getrübt ist. Mithin kann der 
oskische name Upfals mit dem gentilnamen Ofillius, 
der übrigens auch als vorname erscheint (Liv. IX, 7), nicht 
gleichen Stammes und gleicher bedeutung sein. Die no- 
minativform Upfals kann nicht entstanden sein aus *Up- 
falus, denn oskische nominalstämme die ein 1 vor dem aus- 
lautenden o haben, werfen nach schwinden des o (u) im 
nominativ das s desselben ab; so Aukil = lat. Aucelus, 
Mutil = lat. Mutilus, Fiml = *Firaulus, Mitl = 
lat. Mitulus, famel = lat. famulus (Verf. Z. XI, 324) 
wie die lateinischen nominativformen famul, con-sul,ex- 
-8ul, prae-sul, sub-tel, figel, mascel und umbr. ca- 



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zum oskischen dialekt. 



103 



tel = lat. catulus (Verf. ausspr. II, 605. 2 a.). Upfal-s 
mufs also vor dem 8 des nominativs das ganze suffix -io, 
-iu eingebfifst haben wie die oskischen namen Upil-s = 
lat. Opilius, Heiren-s = lat. Herennius, Treb-s = 
lat. Trebius, Salav-s = lat. Salavius, S al vius (Verf. 
Z. XI, 324 f. Ausspr. a. o.). Auch im lateinischen ist das 
suffix -io, -iu vor dem s des nominativs geschwunden in 
den compositen quinc-unx, dec- unx, sesc-unx für 
*quinc-unciu-s u. s.w. von uncia (a. o. II, 593). G. de 
Petra hat jedenfalls recht, Up-fals als compositum zu 
fassen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dafs das erste glied 
desselben die oskische präposition op = lat. ob ist; aber 
deshalb kann Up-fals doch vorname sein. Auch der zu- 
sammengesetzte namen U-pil-s = lat. O-pil-iu-s neben 
lat. o-pil-io, u-pil-io (a. o. I, 211), griech. oio- 
-n6X-o-g und lat. Pal-es (a. o. II, 429) ist ja als Vor- 
namen verwandt, und ebenso lat. O-piter (C. I. Lat. 1, 146) 
für *avi-piter wie o-pil-io für *ovi-pil-io (Verf. au8- 
spr. I, 211 anm. II, 858). Da nun der name Upfals in 
beiden grabschriften von Capua voransteht, so mufs man 
schliefsen, dafs es der vorname des verstorbenen sei, so 
lange kein zwingender grund vorliegt, hier die in der os- 
kischen personenbenennung nur ausnahmsweise vorkommende 
weglassung des Vornamens anzunehmen. 

Auf den vornamen Upfals folgt in der ersten grab- 
schrift die namensform Sal av-ii -8, eine nominativbildung 
wie osk. Adir-ii-8, Babb-ii-s, G aav-ii-s, Mak-dii-8, 
Maakd-ii-s, Met-ii-s, Muluk-ii-s, Niumer-ii-s, 
Popid-ii-8, Pupid-ii-s, Pupd-ii-8, Staat-ii-s, 
Slab-ii-s, Tintir-ii-s, Treb-ii-8 (Momms. Unterit. 
dial. Gloss. Verf. Z. V, 89), Uf-ii-s, Mah-ii-s, Pur- 
-ii-s, Sta-ii-s (a. o. XI, 324. 327. 328. 329, vgl. a. o. 
36M) Siut-iis, Pont-ii-s (Fiorelli, Monum. Epigr. Pom- 
pejan. p.5, n. 1. tab.I. Fabrett. Gloss. Ital.), Vaaviis (Fabr. 
C. J. Ital. 2802, 2a.) Virr-ii-s, Virri-ii-s, Opp-ii-s, 
Hellev-i[i]-s, Gav-ii-s, Stat-ii-s (Verf. Z. XI, 338f.). 
Da nun Salav-s in der grabschrift von Cumae als Zu- 
namen erscheint, so ist man berechtigt auch Salav-ii-s 



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104 



Corsson 



als solchen zu fassen, wie auch G. de Petra annimmt (a. 
o. p. 237), falls er sich an dieser stelle in diesem sinne 
nach der oskischen benennungsweise rechtfertigen läfst. 

Zu diesem zwecke mufs zunächst die form des auf 
Salav-ii-8 folgenden namens Minies und seine bedeu- 
tung untersucht werden. Die lateinische form desselben 
Minius erscheint zweimal sicher als vornamen (Momms. 
Untcrit. dial. s. 270. 285. G. de Petra a. o. p. 241. Fa- 
brett. Gloss. Ital. p. 1176), aber öfter als gentilname; so 
in einer inschrift von Beneventum, I. R. Neap. Momms. 1668: 
Minio Felici, von Herculanum a. o. 2338, d: A. M iniu s 
Januarius, von Allifae, a. o. 4771: Sex. Minio Se[x]. 
fil. Ter. Silvano, also auf ehemals oskischem sprach- 
boden, und auf einem steine von Caere, C. I. Lat. I, 1548: 
C. Mini. M. L. 1. Artemo. Derselbe familiennamen ist 
enthalten in den etruskischen formen Menis, Meina, Mei- 
n ei (Fabr. Gloss. It. p. 1147. 1 155). Minies kann nicht gen. 
sing, vom vornamen des vaters des verstorbenen (G. de 
Petra a. o. p. 239 f.) sein, da die oskischen Stämme auf -o 
den gen. sing, stets auf -eis, -eis bilden (Verf. ausspr. I, 
629. 768.), und Silies oben als nom. sing, nachgewiesen 
ist, campaniscb - etruskische namensformen auf -ies in 
etruskischen Schriftstücken aber hier gänzlich aus dem spiele 
bleiben müssen. Demnach ist Min-ie-s nom. sing, vom 
familiennamen des verstorbenen und entspricht den oski- 
schen nominativformen Sil-ie-s, Pompt-ie-s, Ma 
ra-ie-8, Afar-ie-s, So-ie-s, den sabellischen Al-ie-s, 
(Verf. Z.IX,170), Pont-ie-s (Verf. Aunal. d. Inst arch. T. 
XXXVIII, p. 113f. 118), den volskischen Cosut-ie-s, 
Tafan-ie-s, Pakv-ie-s (Verf. de Volscor. ling. p. 5. 
Z. XVIII, 254f.). 

Wenn nun nachgewiesen ist, dafs in der ersten grab- 
8chrift von Capua Upfals nom. sing, des Vornamens, Sa- 
laviis nom. sing, des zunamens und Minies nom. sing, 
des familiennamens ist, dann bleibt noch darzuthun, dafs 
nach oskischer benennungsweise der zunanie auch vor dem 
familiennamen stehen kann. In oskischen inschriften fin- 
det sich diese Stellung nicht, wohl aber in den von Livius 
überlieferten oskisch-samnitischen namen Taurea Jubel- 



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zum oskischtn diaUkt 105 

ÜU8 (XXVI, 15) und Brutulus Papius (VIII, 39. vgl. 
Momms. Unterit. dial. 8. 240. 245). Da diese voranstellung 
des zunamens vor den gentilnamen des mannes nicht alt- 
lateinisch ist, sondern erst in der kaiserzeit nach Augustus 
vorkommt, so mufs dieselbe in jenen namen eine oskiseh- 
samnitische benennuungsweise sein, die sich bei der lati- ' 
nisierung derselben erhalten hat. Also wie die zunamen 
Taurea und Brutulus so steht in der vorliegenden in- 
scbrift der zunamen Salaviis vor dem geschlechtsnamen. 
Die grabschrift Upfals Salaviis Minies bezeichnet 
demnach einen mann aus dem geschlechte der Mi nie 6, 
denen das bei S. Maria di Capua aufgefundene erbbegräb- 
nifs gehörte, mit vornamen Upfals und mit zunamen Sa- 
laviis. In der zweiten grabschrift von Cumae ist natür- 
lich Upfals vornamen wie in der ersten; patir = lat. 
pater verglichen mit osk. pater-ei hat e zu i verdünnt 
wie die passivform 1 am ati r (Momms. Unterit. dial. s. 272, 
vgl. Kirchh. stadtr. v. Bant. s. 2J. Z. III, 215. 269. Brup- 
pacher, lautl. d. osk. spr. s. 76f.) neben den passivformen 
vincter, sakarater, sakahiter, comparascuster 
(Verf. ausspr. II, wortverz. Osk. 1079 f. 2a.). Miinieis ist 
gen. sing, wie Niumsieis = lat. Numisii, suveis = 
lat, sui, lovfreis = lat. liberi, sakarakleis = lat. 
sacelli, minstreis — lat. ministri (dem sinne nach 
minoris), kombennieis, senateis, Herekleis, eiseis, 
ei z eis (a. o. I, 768), und zwar ist auch hier Miinieis 
familiennamen, nachdem sich Minies der ersten grabschrift 
als nominativform eines solchen ergeben hat, kann also 
nicht bezeichnen Minii filius, da die abstauimung vom 
vater durch den genitiv des Vornamens desselben bezeich- 
net wird. Ein sprachliches bedenken kann demnach nicht 
obwalten, die oskische personenbenennung : Upfals patir 
Miinieis zu erklären: *Upfalius pater Minii. Aber 
gegen diese erklärung ist ein sachliches bedenken von 
G. de Petra geltend gemacht und eine andere auslegung 
aufgestellt worden , die berücksichtigung verdienen (a. o. 
p. 241.). Derselbe sagt, da sonst in der oskisehen perso- 
nenbenennung der genitiv des vaternamens zur genaueren 
bestimmung der person hinzugefügt würde, so müsse man 



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Corsaen 



diese ausdrucksweise auch in der vorliegenden inschrift an- 
nehuien; es sei nicht glaublich, dafs hier patir mit dem 
genitiv des sohnesnamens zu diesem zweck verwandt sei; 
Miinieis müsse der name des ascendenten, nicht des 
descendenten sein, also Minii filius bedeuten, mithin sei 
patir zuname wie im lateinischen Paterculus. Es ist 
richtig, dafs in oskischen Sprachdenkmälern eine personen- 
bezeicbnung mittelst des descendenten wie patir Mii- 
nieis = pater Minii sonst nicht vorkommt; aber bei 
der geringen anzahl der oskischen grabschriften , die wir 
bis jetzt kennen, schliefst dieser umstand die berechtigung 
zu der annähme derselben nicht unbedingt aus. Diese er- 
hält dadurch eine stütze, dafs in einer faliskischen grab- 
sebrift die verstorbene person durch angäbe des Verwandt- 
schaftsverhältnisses zu einem descendenten genauer be- 
stimmt wird. Dieselbe lautet: 

Vipia Zertenea loferta 

Marci Acarcelini 

mate he cupat, 
und ist von Mommsen unzweifelhaft richtig übersetzt wor- 
den: Vibia Sertinia liberta Marci Acarcelini 
mater hic cubat (monatsber. d. akad. d. wiss. z. Berl. 
1860, 8. 451 f. vgl. Verf. ausspr. II, wortregist. Falisk. 
8. 1077). Hier ist die verstorbene freigelassene Vipia Zer- 
tenea, die einen mann aus der familie der Acarcelini 
geheirathet haben mufs, genauer bestimmt durch die an- 
gäbe ihres sohnes Marcus Acarcelinus, also eines de- 
scendenten. Es ist demnach glaublich, dafs in der oski- 
schen grabschrift : Upfals patir Miinieis dieselbe nä- 
here bestimmung der verstorbenen person durch die be- 
zeichnung ihres sohnes und descendenten vorliegt. Die an- 
nähme, dafs patir hier zunamen sei, erhält durch das beispiel 
Pater-cu-lu-8 keine haltbare stütze, denn in diesem zuna- 
men ist gerade das doppelte diminutivsuffix für die bedeutung 
desselben wesentlich, da es ihm den Charakter eines ge- 
müthlichen liebkosungs Wortes verleiht. Das grundwort pa- 
ter findet sich weder im lateinischen noch in einem der 
verwandten dialekte jemals als zuname. Wohl aber wird 



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zum oskischen dialekt. 107 

das gattuogswort pater mehrfach zu der personenbenennung 
hinzugesetzt, um den vater von dem söhne zu unterscheiden, 
wenn beide gleiche vornamen hatten; so in einer altlatei- 
nischen inschrift von Rom: 

C.I.Lat.1, 1020: M. AebutiusM. 1. Macedo pater, 

M. Aebutius M. 1. Callistratus f[i- 
lius]. 

und in einer inschrift von Montesarchio nicht weit von 
Caudium und Abella, also auf ehemals oskischem sprach- 
boden: 

a. o.I, 1224=1225: L. Scribonius L.f. Libo pater 

L. Scribonius L. f. Libo fil. 
patronei turreis ex d[ecreto] d[ecurionum] ffacien- 
das] cfuraverunt]. 

Auch im oskischen dialekt wird durch den zusatz pa- 
tir ein Cipius vater unterschieden von Cipius söhn in 
einer pompejanischen ziegelinschrift (G. de Petra, a. o. p. 153. 
241, not. 1), von der noch weiter unten die rede sein wird. 
Man darf hiernach schliefsen, dafs in der oskischen grab- 
schrift von Capua: Upfals patir Mifnieis das wort 
patir denselben zweck hatte wie osk. patir, lat. pater 
in den angeführten inschriften, dafs es also einen Upfals 
Muni es vater, der auf dem leichenbette im hintergrunde 
der linken zelle der kryyte bestattet war, unterscheiden 
sollte von einem Upfals Miinies söhn, der vermutblich 
auf einem der beiden leichenbetten zur rechten und zur 
linken hand von jenem vor oder nach dem tode des vaters 
seine ruhestätte fand. Vielleicht ist der buchstabe V, der 
sich auf dem leichenbette rechter hand erhalten hat (G. 
de Petra a. o. p. 237) der anfangsbuchstabe zu dem vor- 
namen Upfals eines Miinies söhn. Aber mag dieser söhn 
auch nicht an der seite des vaters bestattet worden sein, 
mag der buchstabe V einem anderen namen angehört ha- 
ben, jedenfalls ist einleuchtend, dafs in der vorliegenden 
grabschrift die genauere bezeichnung des verstorbenen mit- 
telst angäbe des descendenten, welche auch die angeführte 
faliskische inschrift aufweist, den zweck hat, einen vater 
von einem gleichnamigen söhn zu unterscheiden, mag nun 



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108 



Corosen 



dieser oder jener eher gestorben und in dem crbbegräbnifs 
bei Capua beigesetzt worden sein. Da beide denselben fa- 
miliennamen hatten, so war es für den sachlichen sinn gleich- 
gültig, ob man nach Upfals patir den genitiv Muni eis 
setzte, also sagte: Upfals der vater des [Upfals] Mi- 
ni us, oder den nominativ Muni es schrieb, so dal's der 
sinn derbenennung gewesen wäre: Upfals der vater ein 
Mini us. Man wählte den genitiv des sohnesnamens wie 
man den genitiv des vaternamens so häufig schrieb, wo es sich 
nicht um Unterscheidung gleichnamiger personen handelte. 

Von den bruchstücken der Inschriften auf zwei leichen- 
betten der rechten zelle des grabes von Capua, die mir 
nicht zu gesicht gekommen sind, lautet das auf dem er- 
sten todtenbette vom eingange her nach G. de Petra 
a. o. 236: 

c. Min. V ... . 
Hier ist Min. wahrscheinlich abkürzung des familien- 
namens Minies. Ob V der anfangsbuchstabe des Vor- 
namens des vaters Upfals ist oder eines zunamens, kann 
man nicht wissen. Ebenso mufs dahingestellt bleiben, ob 
der vornarae des verstorbenen vor Min. weggelassen ist 
wie in der helminschrift von Palermo, oder ob die sigle eines 
vornamens vor Min. einstmals vorhanden war, aber ver- 
blichen ist. 

Das bruchstück der inschrift des zweiten leichenbettes, 
G. de Petra a. o: 

d. Kluv .... 
kann der rest des vornamens eines Minius sein. Eine 
terracotte von Capua zeigt auf der einen seite einen behelm- 
ten köpf mit der aufschiift: 

Kluva Diuvia damu, 
auf der anderen ein laufendes schwein mit der inschrift: 

Kluvi damu 8 e Diuvia. 
Mir sind auch jetzt noch die wortformen damu, da- 
muse dieser schon früher besprochenen inschriften dunkel 
(Z. XI, 322); aber so viel ist ersichtlich, dafs Kluva, 
Kluvi in denselben die Stellung von vornamen haben. Auch 
wird eine Capuanerin Cluvia genannt (a. o.) 



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zom oskischen dialekt. 109 

Das bnubstück der inschrift eines leiehenbettes der 
linken grabzelle: 

ist schon oben erwähnt worden. 



Verschiedene oskische inschriften. 

1. Stempelinschrift eines ziegels von Pompeji. 

Bei den ausgrabungen in Pompeji fand sich am 22. april 
1869 eine oskische inschrift, die mit einem Stempel auf 
einen kurzen massiven Ziegelstein eingeprägt ist, der als bau- 
material in einem hause der zweiten abtheilung des ersten 
Stadtbezirks verwandt ist. Ich habe die inschrift bei mei- 
nem aufenthalt in Pompeji im juni vorigen jahres leider nicht 
gesehen, da das heft des Giornale degli scavi di Pompei, 
nuov. ser. Vol. I, p. 153 f., in welchem G. de Petra dieselbe 
erklärt, mir noch nicht zu gesicht gekommen war, ich auch 
sonst keine künde von dem funde erhalten, Überdies dort 
vielerlei anderes zu sehen und zu lernen hatte. Der italie- 
nische gelehrte giebt die inschrift folgendem ai'sen wieder: 

m vn-arTRn-i->i 
nv 

. - 

und bemerkt dabei, dafs in der ersten zeile zu ende links 
ein stück des ziegels ausgesprungen sei, auf dem für zwei 
buchstaben platz war, und dafs in der zweiten zeile für V auch 
N gelesen und das noch sichtbare schriftzeichen 1 zu 
TT s= p oder zu □ = v vervollständigt werden könne. 
In der sigle des ersten namens Ki. sieht G. de Petra den 
oskischen familiennamen Kiipiis in der mit rothen buch- 
staben auf den tufstein gemalten inschrift eines pfeilers der 
casa di Pansa zu Pompeji (Momms. Unterit. dial. XXIX d) 
=B lat. Cipius, ebenfalls in einer pompejaniscben inschrift, 
gewifs mit vollem rechte, da der vornamen ja fehlen kann. 
Patir steht neben dem oben besprochenen patir wie 



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110 



Corasen 



pid neben pid, idik neb mi idik, in im neben inim, 
liki'tud neben licitud u. a. (Bruppach. lautl. d. osk. spr. 
s. 25 f.), indem das oskische i nur einen mehr nach e hin- 
neigenden laut des vokals i bezeichnet. Unsicher ist die 
lesung und ergänzung der folgenden schriftzüge. G. de 
Petra ergänzt die auf patir folgenden buchstaben Po . . 
zu Po[mp.], das er für die abkurzung von Pofmpa ii afsj 
„zu Pompeji 44 erklärt. Ich würde hier den nom. sing, des 
ein wohnernamens Pompaiians ergänzen statt des stadt- 
namens, weil jener in einer pompejanischen inschrift 
zweimal wirklich vorkommt in den Verbindungen kvaisstur 
Pompaiians und vereiiai Pompaiianai (Momms. a. 
o. 138, XXIV). Für eine von einem Pompejaner her- 
rührende zu Pompeji gefundene inschrift hat diese ergän- 
zung doch mindestens einen hohen grad von Wahrschein- 
lichkeit für sich. Sind aber die bisherigen erklärungen 
richtig, dann ist auch die lesung ops. der buchstaben 
der zweiten zeile und ihre ergänzung zu ops[ed], die G. 
de Petra vorschlägt, ansprechend und einleuchtend, zumal 
dieselbe abkürzung ups. für upsed (Momms. a. o. 8. 171. 
IV. Verf. Z. XI, 323) sich auch in der inschrift eines mar- 
mornen tischfufses aus Samnium, jetzt im museum zu 
Neapel, findet, und ops. für ops annain auf einem feamni- 
tischen tempelfries (Verf. Z. XI, 329). Op-s-e-d, up-s- 
-e-d, etymologisch genau entsprechend lateinischem *op- 
-er-avi-t wie op-s-anna-m lateinischem op-er-an- 
da-m (Verf. Z. XIII, 185 f. Ausspr. I, 195. 554. 11, 911. 
912, vgl. wortregist. Osk. s. 1079. 1080), konnte ebenso gut 
von einem pompejanischen ziegelbrenner mit seinem fabrik- 
stempel auf einen ziegel geprägt, wie von einem samniti- 
schen steinhauer in einen marmornen tiscbfufs eingehauen 
werden, da ja auch im lateinischen operari, opera, ope- 
rarius gerade viel von handwerkerarbeit gesagt wird. Ich 
bin also in allen wesentlichen punkten mit G. de Petra's 
erklärung der vorstehenden inschrift einverstanden, nur 
würde ich nicht übersetzen: Cipius pater Pompejis 
fecit, sondern aus den angegebenen gründen: Cipius 
pater Pompejanus operatus est. Der ziegelbrenner 



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zum oskischen dialekt. 111 

Cipius zu Pompeji wurde also durch den zusatz patfr 
von einem söhne gleiches namens unterschieden. 

2. Weiheinschrift von Molise. 

Im bezirk von Molise, einer kleinen gemeiode der 
provinz gleiches namens zwischen Campobasso und Pie- 
trabbondante wurde im jähre 1868 oder etwas früher ne- 
ben der kirche S. Maria del Piano ein weifser kalkstein in 
form eines parallelepipedon gefunden, der in der genannten 
kirche eine zeit lang als altar gedient hatte. Auf der vor- 
deren senkrechten langseite desselben läuft längs des obe- 
ren randes eine einzeilige oskische inschrift hin, während 
auf der oberen wagerechten fläche sich eine aushöhlung in 
form eines mörsers befindet. Der italienische archäologe 
Ambrogio Caraba erhielt von der inschrift durch die 
berren Alfonso und Niecola di Jorio erst eine abschrift und 
dann einen papierabklatsch , und giebt auf grund dessen 
eine erklärung derselben im Giornale degli seavi di Pom- 
pei, nuov. ser. I, p. 209 f. Da die stereotype oskische schrift, 
in welcher das Giornale diese und andere oskischen in- 
Schriften abdruckt die eigenthümlichkeit der buchstabenfor- 
men im original nicht erkennen läfst, der text der inschrift 
aber unzweifelhaft richtig ist, so gebe ich die inschrift von 
Molise hier gleich in lateinischer schrift wieder: 
Bn. Betitis Bn. meddis proffed. 

Jeder sachkundige sieht auf den ersten blick, dafs 
diese inschrift die sigle eines vornamens, einen familienna- 
men, die sigle des vornamens eines vaters im genitiv, 
einen vielfach vorkommenden beamtentitel und ein ebenso 
bekanntes verbum enthält. Caraba vergleicht die sigle 
Bn. mit dem abgekürzt geschriebenen vornamen Ban. ei- 
ner lateinischen inschrift des Samniterlandes, deren anfang 
lautet: C. Fladius Ban. f.; Ban. aber erklärt er aus 
grieeh. ßdvvag nach Hesych. : Bdvvctg ßaöilevg nctQOt 
iTccfowraig,, ui de fAtyiorog dgzaiVj gleich ßava£, jrdra^ 
dvce^. In osk. Bn. = äol. ßdvvag scheint hiernach 
oskisches b neben dem griechischen j von jdva£, das 
lateinischem v gleich lautet, zu stehen wie oskisches b in 



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112 Corssen 

bouust, kom-beued, kum-bennieis neben lateinischem 
v in venerit, con-ventus. Aber da in diesen Wörtern 
osk. b und lat. v aus ursprünglichem gv entstanden sind 
(Bruppach. lautl. d. osk. spr. s. (>4), hingegen in anderen 
Wörtern anlautendes v =s griech. jr im oskischen und im 
lateinischen Übereinstimmend erscheint, zum Beispiel in osk. 
vio = lat. via, osk. ß sqöoqei = lat. Versori, osk. vor- 
sus =as lat. versus, osk. vollohom = lat. vallare, osk. 
vincter = lat. vincitur u. a. (a. o. s. 70), so mufs man 
folgern, dafs der vorname Bannas nicht einheimisch sam- 
nitisch-oskisch ist, da er sonst das ursprünglich anlautende 
v = ß gewahrt haben würde, das aus der griechischen 
form ßävct% erhellt, sondern von den Italioten, das heifst 
den Griechen Unteritaliens, zu dei Samniten gelangte. 
Die nominativform Bannas konnten diese unverändert 
lassen, da sie ja nominativformen auf -as von männlichen 
auf -ä auslautenden Stämmen hatten in den namen wie 
Tana-s, Mara-s, Kaha-s, die den altlateinischen nomi- 
nativformen paricida-s, hosti capa-s entsprechen (Verf. 
Z. XVIII, 242 f. Ausspr. II, Wortregister 2 a.). Jeden- 
falls hat also Caraba die oskische sigle Bn. durch die la- 
teinische Ban. und das italiotische gattungswort ß cevvag 
„könig, fürst, oberster" zutreffend als Bannas erklärt. 
Die sprachliche möglichkeit, für die zweite sigle Bn. die 
form des genitiv *Bannai für den vornamen des vaters an- 
zusetzen, zu dem das dem lateinischen filius entsprechende 
oskische wort zu ergänzen ist, ergeben die lateinischen ge- 
nitive wie paricidae, scribae, popae, scurrae, scul- 
nae, naccae, lixae, advehae, convivae, collegae^ 
perfugae, indigenae u. a. von männlichen auf -ä aus- 
lautenden stammen (vgl. Verf. ausspr. I, 28f>. 588 f. II, 43. 
'2 a ). Der auf ehemals oskischem Sprachboden erscheinende 
familiennamen Bann-iu-8 (Momms. I. R. Neap. 6310, 41), 
den Caraba nicht anführt, vom stamme Ban na- mit dem 
snffix -io weiter gebildet, giebt der erklärung des italieni- 
schen archäologen eine neue stütze; nur bleibt freilich noch 
die möglichkeit, dafs der oskische vornamen gleichlau- 
tend war mit dem familiennamen Bannius, da im oski- 
schen eine ganze anzahl von namen, die mit dem suffix 



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zum oskischen dislekt. 



113 



-io gebildet sind, zugleich als vornamen und als familien- 
namen anftreten (Momms. unterit. dial. s. 243). Der fa- 
milienname Betitis ist natürlich lat. Betitius, Betutius, 
ein gentilname der nicht nur zu Aeclanum häufig war, son- 
dern auch sonst auf ehemals oskischem sprachboden sich 
mehrfach findet (Momms. a. o. 6310, 42. ind. nom. vir. et 
mulier. p. 418, col 1). Betitis ist eine nominativform, die 
vor dem nominativzeichen 8 i u zu i verschmolzen hat wie 
osk. Heirenis, Niumsis, degetasis, Stenis, Ohta- 
vis, Asis, Bivellis, Viibis, Luvkis, Luvikis,Ka- 
linis, Caisidis, Pakis (Verf. Z. V, 89. XI,338f. 401f. 
XVIII, 254. 257), sabellisch Poleenis (Verf. IX, 133, 149), 
Alpis, Apidis (Verf. Annal. d. Inst. arch. T. XXXVIII, 
U3f. 118), umbr. Trutitis, Atiersir (a. o. A.K. umbr. 
sprachdeukm. I, 116. II, 309. 393f.), lateinisch Brutis, 
Fulvis, Ventinaris, Aurelis, Anavis, Caecilis, 
Clodis, Ragonis u. a. (vgl. Verf. ausspr. I, 289. II, 
718f. 2 a.). 

Die form med-di-s-s der inschrift von Molise ist 
nom. sing, wie auf dem opfertisch von Herculanum im 
museum zu Neapel (Momms. unterit. dial. 8. 179, XVIII), 
also aus *med-dik-s entstanden, wie die formen me-dik- 
-ei, fieä-Sei^ u. a. zeigen. Wenn A. Caraba die falsche 
ableitung dieses compositum von gr. f.iijdo /uat, wieder vor- 
bringt (a. o.), so hat er weder kenntnifs genommen von 
der altoskischen form met-d[i'k-s] oder met-d[is-s], 
met-d[i-s], noch von der längst gegebenen erklärung, dafs 
der erste bestandttheil dieses compositum der oskische 
stamm me-ti- ist, der dem griech. /« y\ - r i - , skr. mä-ti-, 
entspricht, das zweite glied desselben, deik-, dik-, ein no- 
minalstamm gleichen Ursprungs mit lat. deic-ere, dic- 
-ere, osk. deic-um, dafs mithin *meti-deiko-s die 
grundform des oskischen beamtentitels ist und „rathsprecher* 
bedeutet wie lat. iu-dex „rechtsprecher" (Verf. Z. XI, 
331 f. Ausspr. II, 381 f. vgl. wortregist. Osk. s. 1079. 2a.). 

Die verbalform prof-fe-d ist natürlich in der obigen 
inschrift 3. pers. sing. perf. entstanden aus *prof-a-fe-d 
= lat. prob-a-vi-t (A. K. umbr. sprd. II, 160 anm. 

Zeittchr. f. vgl. sprachf. XX. 2. 8 



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114 



Cossen 



Verf. Z. XIII, 1«5f. Ausspr. I, 195. II, 911. 912). A. Ca- 
raba behauptet gegen diese nach laut und sinn gerecht- 
fertigte erklärnng ohne ein wort der Widerlegung, hesser 
sei die herleitung dieser perfektform von pro-ficere oder 
von pro-ferre. Die hinfälligkeit dieser verbesserungs- 
vorscbläge erhellt aus der thatsache, dafs im oskischen 
weder k, c noch r spurlos ausfällt (ßruppach. osk. lautl. 
s. 57 f. 76 f.). 

Die weiheinschrift von Molise: Bn. Betitis Bn. 
meddiss proffed ist nach dem gesagten zu übersetzen: 
Bannas [Bannius] Betitius Bannae [ßannii] filius 
meddix probavit. Caraba meint, der stein auf dem 
diese inschrift geschrieben steht, sei ein altar und die 
mörserartige aushöhlung auf der oberfläche desselben zum 
auffangen des blutes der opferthiere bestimmt gewesen. Ist 
das richtig, so hat also ein samnitiscber beamter den bei 
einem steinhauer bestellten altar in empfang genommen 
und gutgeheiisen, wie auch seine aufstellung in einem 
tempel bestätigt, und thut dies in der inschrift desselben 
kund und zu wissen. 

3. Die inschrift eines censors von Bovianum. 

(Pietrabbondante.) 

Die bei den ausgrabungen von Pietrabbondante au der 
Stätte der alten Samniterstadt Boviauum gefundene inschrift, 
welche von der amtsthätigkeit eines censors daselbst han- 
delt, habe ich schon früher in dieser Zeitschrift besprochen 
(XI, 402), indem ich den text zu gründe legtej der sich 
aus dem von Menervini im Bulletino Neapolitano (nuov. ser. 
VII, 1. tav. I) gegebenen facsiiuile des steines ergab, in 
welchen die inschrift eingehauen ist. Denselben text wie- 
derholt auch Fabretti (C. I. Ital. n. 2873, 3). Ich habe 
von der inschrift im museum zu Neapel am 14. juni 1870 
eine Zeichnung aufgenommen, und da diese zu dem ergeb- 
nifs führte, dafs der bisherige text derselben an mehreren 
teilen unrichtige lesarten enthielt, so habe ich von allen 
stellen, die ich abweichend lesen mufste, oder die zu ir- 



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zum oskischen dialekt. 



115 



gend einem zweifei anlafs gaben, einen nassen papierab- 
klatsch und einen trockenen papierabdruck mittelst auf- 
streicbens von graffit genommen. Das übereinstimmende 
ergebnifs dieser drei mittel zur Herstellung inschriftlicher 
texte an allen stellen mufs ich in dem nachstehenden fac- 
simile des Steines von Pietrabbondante veranschaulichen, 
weil ohne ein solches meine berichtigungen des textes und 
meiner früheren erklärung der inschrift dem leser nicht ein- 
leuchtend werden können. 



UN-ttiflTdV 

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8 1 



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116 



Corssen 



Dafs an der rechten seite dieses Steines am anfange 
der zeilen der von rechts nach links geschriebenen inschrift 
mindestens ein schmaler streifen der kante fehlt, wahrschein- 
lich weggehauen wurde, um den stein zu irgend einem bau- 
lichen zwecke zu benutzen, zeigen die unvollständigen oder 
den rand berührenden buchstaben und die verstümmelten 
oskiscben wortformen zu anfang mehrerer zeilen, die sich 
durch hinzufügung je eines buchstabens leicht herstellen 
lassen. Mit diesen ergänzungen lautet der text der inschrift 
also folgendermafsen : 

1. . urtam Ins 

2. ? [e]d Safinim sak 

3. ? . upam iak oin 

4. im keenzstur 

5. Aiieis Maraiieis, 

6. [pjaam essuf ombn. 

7. [a]vt postiris esidu 

8. [m] uunated füs 

9. nim leigoss samii 
10. [l]ovfrikonoss fif. 

Also die berichtigten lesarten sind z. 6 statt pam: 
aam, z. 7 statt et: vt, z. 9 statt samil: samii. Meine 
ergänzung zu z. 6 ist gerechtfertigt durch paam = lat. 
quam, acc. sing. fem. des relativpronomens in der inschrift 
eines quästors von Pompeji (Momms. unterit. dial. s. 183, 
XXIV); z. 6 durch avt == lat. autem, das in der inschrift 
dos cippus von Abella fünfmal zu anfang des Satzes wie- 
derkehrt (Verf. Z. XIII, 161 f. 241 f. Fabrett. C. I. Ital. 
n. 2783). Z. 7 ist die ergänzung eines m zu dem esidu 
am ende der vorhergebenden zeile gerechtfertigt durch die 
formen esidum, isidum = lat. idem (Verf. Z. XI, 329. 
330. Ausspr. I, 386. II, 339. 388. 915. 2 a.), z. 10 die er- ■ 
gänzung des 1 durch lovfreis = lat. liberi und lou- 
fir[ud] ss lat. libero (Momms. unterit. dial. s. 273. 
Verf. Z. XI, 416 f. Ausspr. wortregist. Osk. s. 107.2a.). 
Durch diese textberichtigung werden zweifelhaft die früher 
angenommenen wortformen sa-kupam (Verf. Z. XI, 41 2 f.) 
und ombn[et] (a. o. 414); doch ist in jener jedenfalls ein 



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zum oskiachen dialekt. 



117 



acc.fem. enthalten und o mbn. wahrscheinlich eine abgekürzt 
geschriebene verbalform wieops. ups. für opsed upsed. 
Der syntaktische Zusammenhang der aus zwei hauptsätzen 
bestehenden inschrift, der erste derselben mit einem rela- 
tiven Zwischensatz, bleibt so, wie ich ihn früher angegeben 
habe (a. o. 406 f.). 

Indem ich auf meine früheren erklärungen der übrigen 
wortformen der inschrift verweise, gebe ich, was ich von 
der inschrift verstanden habe, durch folgende lückenhafte 
Übersetzung wieder: 

-am -it Samnitium -am hac universorum cen- 
sor Aieius Maraieius, quam — — it (?). Autem 
posterius idem unavit in templo legitimos (?) 
simul liberigenos — . 

Ich verstehe jetzt von dem ersten satz nur, dafs der 
ccnsor Aieius Maraieius eine amtshandlung vornimmt, 
die alle Samniten von Bovianum betrifft, also aller Wahr- 
scheinlichkeit nach einen census, eine Schätzung, wie sie 
zu Rom der censor mit dem lustrum, dem sühnopfer, 
in einem von augur geweihten räum oder bezirk, dem 
templum, auszuüben pflegte. Der zweite satz besagt, 
dafs derselbe censor später nach der ersten amtshandlung 
die freigeborenen Samniten, also mit ausschlufs der frei- 
gelassenen und sklaven, in das templum zusammenbe- 
rufen habe. Man darf also vermuthen, dafs die im ersten 
satz bezeichnete amtshandlung des censors die bestimmung 
des census mittelst anfertigung der steuerrollen war, und 
dafs im zweiten satze von dem lustrum oder sühnopfer 
des censors im templum für die freigeborenen Samniten 
die rede ist. 

1. decemb. 1870. W. Corssen. 



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118 



Erörterungen aus dem gebiete der italischen 

sprachen. 

1. Ueber das umbrische prinuvatus s. prinuatur. 

Wie sich in der älteren umbrischcn spräche in eini- 
gen Wörtern aus dem vokal i vor einem vokale der ihm 
verwandte consonant j entwickelt hat, der in der spä- 
teren spräche ausfiel, wie tri ja = lat. tria und triju- 
per (ter) gegenüber späterem trioper beweisen, ebenso hat 
in der älteren umbrischen spräche in mehreren Wörtern der 
vokal u vor einem vokale den ihm verwandten consonan- 
ten v angenommen, der auf gleiche weise in der späteren 
Sprache ausfiel, wie älteres tuva (duo) und tuves (duo- 
bus) gegen jüngeres duir (duobus), älteres kastruvuf s. 
kastruvu = jüngerem castruo, älteres vatuva s. va- 
tuvu = jüngerem vatuo und der localis manuve (in 
manu), welcher aus manu-eme entstanden ist*), zeigen. 
Derselbe Vorgang fand im oskischen statt, indem sich auch 
hier in der älteren spräche aus dem u ein v entwickelte, wel- 
ches in der jüngeren wieder ausfiel, wie aus einem vergleich 
des älteren eitiuvü mit dem jüngeren eituo hervorgeht. 

Doch fiel dieses v in der späteren umbrischen spräche 
nicht immer aus, sondern erhielt sich sogar, nachdem das 
ihm vorangehende u sich in o verwandelt hatte. So fin- 
den wir von dem pronom. possess. der zweiten person den 
abl. sing. fem. einmal tuva (VLa, 42) **), dagegen dreizehn 
male tua, und den gen. sing, neutr. zwei male (Vl.b, 30) 

*) Aufrecht und Kirchhoff, welchen es umbr. sprachd. bd. I p. 125 un- 
klar ist, ob manuve „mit der hand" oder „in der hand" bedeute, also ob 
es abl. oder localis sei, entscheiden sich bd. I p. 100 und bd. IT p. 349 mit 
recht bestimmt für das letztere, indem ßie das auslautende e für den rest 
des casussuffixes erklären, für das sie freilich irriger weise bd. I p. 100 
emem und bd. II p. 349 emen halten. Auch haben sie, während es ihnen 
bd. I p. 60 fälschlich schien, dafs das u in manuve aus dem folgenden v 
sich herausentwickclt habe, bd. I p. 100 und bd. II p. 349 richtig gesehen, 
dafs vielmehr umgekehrt aus dem auslautenden u des thema manu 6ich 
vor dem vokal des antretenden casussuffixes ein v entwickelt hat. 

**) So wenig wir grund haben, das zwei male sich findende tover, 
was Aufrecht und Kirchhoff iimbr. sprachd. bd. 1 p. 63 möglich scheint, für 
fehlerhaft zu halten, ebenso wenig ist ein solcher vorhanden, das nur einmal 
sich zeigende tuva mit Aufrecht und Kirchhof) , die dieses sogar im texte 
in tua verändert haben, bd. II p. 422 für irrtbtimliche Schreibart anzu- 
sehen. 



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erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 119 

tover, dagegen sechs male tuer geschrieben. Aus dem 
älteren tuvo, welches indessen in der späteren spräche, wie 
Vl.a, 42 deutlich zeigt, nicht völlig schwand, entstand also 
sowohl mit ausfall des v tuo, als auch mit beibehaltung 
desselben, aber mit Übergang des u in o tovo. Mit tuvo 
sind zu vergleichen sowohl die oskischen formen des pron. 
possess. der dritten person, der gen. sing. masc. suvcis 
(Cipp. Abell. 9. 35) und der abl. sing. fem. suvad (Momm- 
sen unterit. dial. p. 171. IV) als der auf einer älteren latei- 
nischen inschrift (Corp. Inscr. Lat. Vol. I, 1242) sich fin- 
dende dat. sing, suvo, sowie mit tovo die auf älteren 
lateinischen inschriften sich zeigenden formen des pron. 
possess. der dritten person, der abl. sing, sovo (Corp. I. L. 
Vol. I, 1007), der gen. plur. sovom (Corp. I. L. Voll, 
588), der dat. plur. so v eis (Corp. I. L. Vol. I, 198, 
50. 1258) und der abl. plur. soveis (Corp. I. L. Vol. 
I, 1297)*). Auf gleiche weise hat sich das aus früherem 
u entwickelte v erhalten, das u aber ist in o übergegan- 
gen in dem älterem purtuvetu s. purtuvitu entspre- 
chenden jüngeren purdovitu, einem mit der praep. pur 
gebildeten compositum, dessen auch in den lateinischen 
formen duim, duis, duit, duint sich zeigende wurzel 
du = da (geben) im umbrischen vor vokalisch anlauten- 
der endung v annahm. Vergl. noch das von Juv (Jovis) 
abgeleitete adjectivum, welches in der älteren spräche Ju- 
vio, in der jüngeren Jovio, und das von dem namen der 
stadt Iguvium gebildete adjectivum, welches in der älte- 
ren spräche Ikuvino s. Ijuvino, in der jüngeren dage- 
gen Ijovino s. Iovino lautet. 

*) Während Aufrecht und Kirchhoflf umbr. sprachd. bd. I p. 63 für das 
umbrische annehmen, dafs aus tuus, indem sich aus dem u vor folgendem 
vokal ein v entwickelte, sich zuerst tuvus und später tovus gebildet habe, 
behaupten sie bd. II p. 221 in Widerspruch hiemit, dafs dies wohl die ent- 
stehungsweise der oskischen formen suvefs und suvad sei, dagegen 
(vergl. auch Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachd. bd. I p. 66 und bd. II 
p. 171) in dem umbr. tover und latoin. soveis der grund des v darin 
liege, dafs dieses ov aus ursprünglichem av hervorgegangen wäre, so dafs 
das v jener oskischen formen mit dem v dieser umbrischen und lateinischen 
nicht schlechttveg identificirt werden dürfe. Ich kann dieser Scheidung nicht 
beitreten, da mir die analogie zu fordern scheint, dafs die entstehung des V 
in diesen übereinstimmenden formen in allen drei sprachen dieselbe sei. 



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120 



Hierher gehört auch prinuvatus, wofür wir in den 
jüngeren tafeln PRINVATVR geschrieben finden, welches, 
da V auf diesen sowohl den vokal u, als den consonanten 
v bezeichnet, wenn wir das bisher vorgetragene nicht be- 
rücksichtigen, sowohl prinuatur als prinvatur zu lesen 
gestattet. Beachten wir dagegen die angeführten beispiele, 
so kann es nicht zweifelhaft sein,' dafs ihnen analog pri- 
nuatur zu lesen ist, wie Grotefend und Newman gelesen 
haben, während Lanzi, Aufrecht und Kirchhoff, Corssen 
(in d. zeitschr. bd. III p. 284, über ausspräche, vokalismus 
und betonung der latein. spräche 2. ausg. bd. I p. 714. 754. 
780, bd. II p. 125 und 910) und Huschke es vorzogen 
prinvatur zu lesen, aller Wahrscheinlichkeit nach dazu 
durch die lautähnlichkeit mit lateinischem privati, durch 
welches sie dieses umbrische wort wiedergeben, veranlafst. 
Dieser Übersetzung stehen indessen mehrfache bedenken 
entgegen. Zuvörderst verschwindet diese lautähnlichkeit, 
wenn, wie es dem obigen nach erforderlich ist, prinuatur 
gelesen wird. Dann vermuthen Aufrecht und Kirchhoff 
umbr. sprachd. bd. I p. 60 und bd. II p. 246 in rücksicht 
der bildung des Wortes prinuvatus, dafs sich das in 
dessen* zweiter silbe stehende u nur aus dem folgenden v 
heraus entwickelt habe; allein diese vermuthung kann we- 
der durch die behauptung gerechtfertigt werden, dafs das- 
selbe in der sechsten und siebenten tafel in diesem worte 
regelmäfsig weggelassen sei, da hier nicht prinvatur, 
sondern prinuatur zu lesen ist, noch durch die für eine 
solche entwickelung des u beigebrachten beispiele. Wenn 
sie umbr. sprachd. bd. I p. 60 dafür manuve gegen mani 
anführen, so haben sie, wie ich oben in der ersten note 
bemerkt habe, an anderen stellen mit recht gerade das ge- 
gentheil behauptet. Was aber die anderen von ihnen da- 
für angeführten beispiele betrifft, das umbrische aruvia 
gegen arvia, das römische Pacuvius gegen Paquius 
und das marsische Pacvies, und Vesuvius gegen Ves- 
vius, so erscheint die annähme doch wohl natürlicher, 
dafs die kürzeren formen aus den längeren, als dafs diese 
aus jenen hervorgegangen seien. Das n endlich finden bei 



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erörternngen an* dem gebiet« der italischem sprachen. 121 

der annähme, dafs umbr. prinuvato = römisch, privato 
und osk. preivato sei, Aufrecht und Kirchhoff selbst mit 
recht unerklärlich und ebenso erscheint ihnen mit recht 
noch bedenklicher, als dieses, der umstand, dafs selbst im 
umbrischen das primitivum von privatus, das römische 
privus, V. a, 13 und 18 prevo lautet, also jenes n nicht 
aufweist. Corssen dagegen (in d. zeit6chr. bd. III p. 284 
und über ausspr., vokal, und beton, der lat. spräche 2. ausg. 
bd. I p. 780) meint, indem er gleichfalls umbr. prinuvato 
= röm. privato hält, dafs an pri zunächst die endung 
nu und an diese die endung vo gesetzt und von dem so 
entstandenen stamm ein causales verbum der a-conjugation 
gebildet sei, dessen partic. pri-nu-v-a-tus sich nur durch 
die erste endung nu vom lat. pri-v-atus unterscheide. 
Hier hat Corssen zunächst fibersehen, dafs das v in pri- 
nuvatus nicht der binzufugung einer endung vo seine 
existenz verdankt, sondern, wie in manuve, sich aus dem 
vorhergehenden u vor dem folgenden vokal entwickelt hat. 
Sodann ist die zweite silbe von prinuvatus nu, wie ihre 
form zeigt, nicht, was Corssen will, dieselbe, mit der pro- 
-nu-s, de-ni-que, super-ne, po-ne gebildet sind. Siehe, 
was ich Ober die mit dem suffix ne gebildeten italischen 
Wörter in d. zeitschr. bd. XIX p. 163 — 175 gesagt habe. 
Vielmehr ist dieses nu ganz von derselben art, wie das 
nu in manu, insofern prinu und manu auf gleiche weise 
von den wurzeln prin und man abgeleitete u- Stämme 
sind; denn, was das letztere betrifft, so ist es jedenfalls 
mit dem altnord. mund (band) zusammenzustellen. Die 
einfache wurzel ma, die sich im griech. fiäouai (tasten, 
noch etwas greifen) zeigt, erscheint also in beiden, in dem 
lat. manu 8 und altnord. mund, ebenso durch n verstärkt, 
wie durch r im griech. ^eegr^ das nach Schol. Ven. zu II. 
XV, 37 bei Pindar hand bedeutet, und in evfictQrjg = 
ei'XiQvg, deren wurzel mar (nehmen) sich noch im alba- 
nesischen erhalten hat*). Schon hieraus geht hervor, dafs 



*) Wenn dagegen Corssen in d. zeitechr. bd. III p. 300 und Uber aus- 
spräche, vokalistnus und betonung 2. ausg. bd. I p. 431 das lat. manua 



122 



das pri in prinuvatus von anderer art ist als das pri 
im lat. pri v us und privatus. Dazu kommt aber noch 
folgendes. Während Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachd. 
bd. II p. 416 umbr. prevo und lat. privus für aus pro- 
-Ivo entstanden halten, erklärt es Corssen in d. zeitschr. 
bd. III p. 284, krit. beitrage zur lat. formenlehre p. 433, 
Ueber ausspr., vokalism. und betonung der latein. spräche 
2. ausg. bd I p. 780 für gebildet aus dem localis pri und 
der endung vo. Nach beiden erklärungen soll also umbr. 
prevo = lat. privus eigentlich „hervorragend" und da- 
her „einzeln, gesondert" bedeuten. Dem steht aber nicht 
nur entgegen , dafs die nach jener ableitung zwar natür- 
liche bedeutung hervorragend durch keine stelle erwie- 
sen werden kann, sondern auch, dafs, wenn auch ein her- 
vorragen eine gewisse Vereinzelung und sonderung ist, wir 
doch schwerlich annehmen können, dafs dieser einfache 
begriff der trennung aus jenem hervorgegangen sei. Weit 
natürlicher erscheint die von Benary röm. lautlehre p. 293 ff. 
gegebene erklärung, nach der lat. privus aus prth-vus 
von der skr. wurzel prth (separare) entstanden ist. Doch 
bemerkt gegen diese Ebel in d. zeitschr. bd. V p. 239 mit 
recht, dafs dem skr. prth sich viel eher lat. part ver- 
gleicht als *prit, welches vielmehr prith statt prth vor- 
aussetzen würde. Gesetzt aber, dafs privo wirklich, wie 
Corssen will, aus pri und der endung vo gebildet sei, so 
steht der ableitung des umbrischen prinuvatus von die- 
ser praep. doch entgegen, dafs jenes an sämmtlichen stel- 
len mit i geschrieben ist, während das umbrische die prae- 
position pri gar nicht kennt, sondern neben der untrenn- 
baren praep. pro die sowohl trennbare als untrennbare 
praep. pre, ja dafs selbst das dem lat. privus entspre- 
chende umbrische prevo durchgängig mit e geschrie- 
ben ist. 

Wenn Kuötel in seiner abhandlung „das sühnfest von 
Iguvium", Grofs-Glogau 1862 p. 13 prinuvatus durch 

von der skr. wurzel mS (metiri) ableitet, so dafs dieses wort die band als 
„messende" bezeichne, so ist diese erklärung zu unnatürlich, als dafs sie 
einer Widerlegung bedürfte. 



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erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 123 



„vornehme" übersetzt, so scheint er an das lat. principes 
gedacht zu haben. Auch diese erklärung ist durchaus ir- 
rig; denn, ganz abgesehen vom zweiten theile des Wortes 
prinuvatus, ist erstens in princeps das m von pri- 
mus nur wegen der folgenden gutturalis c in n überge- 
gangen, ein Übergang, zu dem in prinuvatus, in welchem 
keine gutturalis vorhanden ist, durchaus kein grund vor- 
handen war. Dann aber steht auch der vokal o, da dem 
lat. primus im umbrischen promo entspricht, dieser er- 
klärung entgegen. Schlimmer aber noch als diese ist die 
von Newman in seiner interpretation der iguvischen tafeln 
p. 21 gegebene. Während er nämlich prinu durch prin- 
ceps übersetzt, denkt er bei vatus an vatuva, welches 
er p. 4 mit dem kymrischen und armorischen gwad (san- 
guis) zusammenstellt und daher durch sanguis wiedergibt. 
Prinuvatus soll demnach eigentlich princeps sanguis, d.h. 
proceres, patricii bedeuten. 

Durch das bisher vorgetragene glaube ich dargethan 
zu haben, dafs sämmtliche bisher von prinuvatus gege- 
bene erklärungen — Grotefends Übersetzung kann hier nicht 
in betracht kommen — falsch sind, dafs auf der sechsten 
und siebenten tafel nicht prinvatur, sondern prinuatur 
gelesen werden mufs, und dafs dieses wort einem verbum 
nominale, das von einem u-stamme, prinu, gebildet ist, 
angehört. Offenbar ist es auch, dafs prinuvatus s. 
prinuatur nom. plur. des partic. perf. pass. eines causalen 
verbum der ersten abgeleiteten conjugation ist. Die be- 
deutung desselben aber läfst sich natürlich so lange nicht 
bestimmen, als sich zur bestimmung der bedeutung des 
nomen prinu kein anhält bietet. 

2. Ueber die umbrischen Wörter maletu, kumaltu 8. 
kumultu = comoltu und kumates = comatir. 

Maletu, welches wir nur II. a, 18 finden, wo die 
worte lauten: „Huntia fertu katlu, arvia, strusla, fikla, 
pune, vinu, salu maletu, mantrahklu, veskla snata asnata, 
umen fertu a , kann seiner form nach sowohl imperat., als 



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124 Zeyfs 

partic. pf. pass. sein. Auch scheint die Verbindung, in wel- 
cher dieses wort steht, jede dieser beiden auffassungen zu 
gestatten. Wir sehen daher, dafs, während Aufrecht und 
Kirchhoff umbr. sprachd. bd. II p. 384 es als imperativ auf- 
fassen und salu maletu durch salem molito Übersetzen, 
andere erklärer es für den acc. sing, halten, indem Huschke 
iguvische tafeln p. 361 und 366 es durch salem moli- 
tum und Newman in seiner interpretation der iguvischen 
tafeln p. 10 durch sal (ac) molam wiedergibt. Für jene 
erklärung könnte man allerdings anführen, dafs, wenn 
maletu nicht imperativ wäre, das hinter umen stehende 
fertu überflüssig sein würde; allein nicht nur wird, wie 
hinter jedem zu opfernden gegenständ häufig fetu, z. b. 
VI. a, 58—59. VI. b, 1-2. VI. b,3. VI. b, 19—20, ebenso 
bei jeder zum opfer zu bringenden sache auf eben dieser 
tafel II. b, 14 — 16 fertu gesetzt, sondern es erscheint auch 
an und für sich unwahrscheinlich, dafs zwischen den be- 
fehl, verschiedene dinge zum Opfer zu bringen, der befehl 
salz zu zerstofsen eingeschoben sei. Natürlicher mufs es 
vielmehr erscheinen, dafs schon zerstofsenes salz unter den 
zu bringenden gegenständen genannt werde. Ich mufs mich 
daher für die auffassung des wortes maletu als part. pf. 
pass. entscheiden und übersetze demnach salu maletu, 
wie es Huschke gethan hat, durch salem molitum. 

Für dasselbe verbum in der Zusammensetzung mit der 
praep. kum s. com halten Aufrecht und Kirchhoff umbr. 
sprachd. bd. II p. 41 1 dasjenige, dessen imperativ auf den 
älteren tafeln theils kumaltu (II. a, 9. 41. IV. 28), theils 
kumultu (I. a, 34), auf den jüngern dagegen comoltu 
(VI. b, 17. 41. VII. a, 39. 44. 45) geschrieben ist. Sie mei- 
nen daher umbr. sprachd. bd. I p. 49. 60. 68. 92. 142. 154. 
bd. II p. 206. 411, dafs dessen einfaches m als verdoppelt 
zu fassen sei, und übersetzen, wie schon Lanzi Saggio di 
lingua Etrusca. Tom. I p. 377. Tom. II p. 675. 741. 815 
dieses umbrische verbum für identisch mit dem lat. com- 
molere hielt, diesen imper. durch commolito. Dieselbe 
Übersetzung gibt Corssen über ausspr., vokal, und beton. 
2. ausg. bd. I p. 207. bd. II p. 17. 27. 430. 546. 585. 910. 



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erörtertragen aus dem gebiete der italischen sprachen. 125 

911. Dreierlei steht indessen dieser erklärung entgegen. 
Erstens nämlich gehört das einfache mal et u, wie dessen 
e zeigt, der zweiten umbrischen vokalischen conjugation, 
dagegen das zusammengesetzte kumaltu, kumultu, co- 
moltu der consonantischen conjugation an; unwahrschein- 
lich aber ist es, dafs dasselbe verbum in der Zusammen- 
setzung einer anderen classe als in seiner einfachen gestalt 
angehöre, und zwar auf derselben tafel, indem II. a, 18 
maletu, II.a,9 kumaltu steht. Zweitens aber, wenn auch 
mit der Übersetzung commolito wenigstens grammatisch 
sich die stellen vereinigen, in denen bei diesem im per. der 
acc. zeref (I. a, 34) s. serse (VI. b, 17. 41) steht, so ist 
dieses doch, da commolere ein transitives verbum ist, 
an allen übrigen stellen (II. a, 9. 41. IV. 28. VII. a, 39. 
44. 45), an denen weder dieser noch ein anderer acc. sich 
findet, nicht der fall. Zwar sprechen Aufrecht und Kirch- 
hoff umbr. sprachd. bd. II p. 206 die vermuthung aus, dafs, 
da VII. a, 39, wo derselbe ritus wie VI. b, 17 beschrieben 
wird, das dort befindliche serse fehlt, anzunehmen sei, 
dafs an allen jenen stellen, wo dieses verbum ohne objekts- 
angabe erscheint, der acc. serse stillschweigend hinzuzu- 
denken sei; allein schwerlich gestattet commolere, zer- 
mahlen, zerstofsen die ergänzung eines Objektes, das 
im vorhergehenden gar nicht genannt ist. Drittens endlich 
pafst kumaltu, kumultu, comoltu, worauf Huschke 
iguvische tafeln p. 172 mit recht aufmerksam gemacht hat, 
da es an allen stellen die vorletzte, nur II. a, 41. IV, 28. 
VII. a, 44 die drittletzte opferhandlung ist, in der bedeu- 
tung von commolito nicht in den Zusammenhang. Aus 
eben diesem gründe ist es zu verwerfen, wenn Newman, 
während er II. a, 41 und VI. b, 17 diesen imperativ eben- 
falls durch commolito übersetzt, in Widerspruch hiemit 
für I. a, 34 = VI. b, 41. II. a, 9. IV, 28. VII. a, 39 die 
Übersetzung molä conspergito gibt. Ueberdies würde 
die praeposition eines diesen sinn ausdrückenden umbri- 
schen verbum doch wohl der des lateinischen immolato 
entsprechen. Die Übersetzung Grotefends dagegen durch 
cum u lato und die Huschkes durch aequato bedarf 



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126 



Zeyfe 



schwerlich einer Widerlegung. Die bedeutung dieses Wor- 
tes ist noch zu ermitteln. 

Den abl. plur. kumates (II. a, 42. IV. 28), wofür 
I. b, 37. 38 und IL a, 9 mit abfall des s kumate und 

I. a,o4 mit ausfall des e kumats steht, = comatir (VI. b, 
17. 41. VII. a, 39. 44. 45) halten Aufrecht und Kirchhoff 
umbr. sprachd. bd. I p. 68. 92. 147. bd. II p. 207 und 411, 
indem sie annehmen, dafs in ihm 1 vor dem t ausgefallen 
sei , für dem part. pf. pass. desselben verbum angehörig, 
dessen imperativ kumaltu, kumultu, comoltu lautet, 
und Übersetzen ihn daher durch com mo litis. Zur be- 
gründung dieser ansieht führen sie zweierlei an. Erstens 
nämlich sagen sie, dafs kumultu (I. a, 34) auf der zwei- 
ten (II. a, 9. 41) und vierten (IV. 28) tafel regelmäfsig ku- 
maltu laute, und zweitens, dafs die phrase kumates 
pesnimu = comatir persnimu sich immer nur nach 
einem vorangegangenen kumaltu = comoltu finde, wie 
denn dieser imperat. jener II. a, 9. VI. b, 17. VII. a, 39. 44 
und 45 unmittelbar vorhergeht, während zwischen beiden 

II. a, 41 — 42 noch die worte kapire punes vepuratu, 
antakres und IV. a, 28 — 29 die worte arkani kanetu 
stehen, wie I. a, 34 zeref = VI. b, 41 serse. Nur I. b, 
37.38, wo vor kumate noch antakre steht, geht kein 
kumaltu vorher; allein an der entsprechenden stelle VII. a, 
44. 45 findet sich ebenfalls unmittelbar vorher comoltu 
und VI. b, 41 folgen auf arnipo comatir pesnis fust 
unmittelbar die worte serse pisher comoltu, serse 
comatir persnimu. Obgleich nun aus den angeführten 
beiden umständen nicht nothwendig das folgt, was Auf- 
recht und Kirchhoff behaupten, so ist ihnen doch Schwei- 
zer-Sidler in d. zeitschr. bd. XVI p. 131 beigetreten, und 
auch Huschke iguv. tafeln p. 173 und 690, dieser Jedoch 
darin abweichend, dafs er, wie kumaltu durch aequato, 
so kumates durch aequatis übersetzt. Es stehen aber 
dieser behauptung drei gewichtige umstände geradezu ent- 
gegen. Erstens nämlich ist, wie Aufrecht und Kirchhoff 
umbr. sprachd. bd. II p. 207 selbst bemerkt haben, kein 
grund zu finden, aus welchem das 1 vor dem t im impe- 



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erörterongen aus dem gebiete der italischen sprachen. 127 



r ativ stehen geblieben, dagegen in dem partic. desselben 
verbum ausgefallen sein sollte. Zweitens, und auch dieses 
haben Aufrecht und Kirchhoff bd. II p. 207 bemerkt, ist 
nicht einzusehen, wie der vokal desselben Stammes a sich 
im partic. auch auf denjenigen tafeln behauptet haben sollte, 
auf denen er im imper. in u (I. a. kun|ultu) und o (VI. 
und VII. comoltu) übergegangen ist, dergestalt, dafs 
nach kurawltu und comoltu sich auf denselben tafeln 
kumates 8. comatir findet. Dazu kommt drittens. I. a, 
33 — 34 steht „zeref kumultu , zeref kumat[e]s pe- 
snimu" und an der entsprechenden stelle VI. b, 41 „serse 
pisher comoltu, serse comatir persnimu". Offen- 
bar gehört hier, wie der erste acc.pl. zeref s. serse zu 
dem imper. kumultu s. comoltu, so der zweite zudem 
imperat. pesnimu. Wäre nun kumat[e]s s. comatir 
part. pf. pass. desselben verbum, dem der imper. act. ku- 
multu s. comoltu angehört, so müfste dieses particip. 
durchaus ebenfalls im acc. pl. stehen; denn es ist ebenso 
unmöglich nach dem accus, zeref s. serse zu dem abl. 
kumat[e]s s. comatir noch den ablativ eben jenes sub- 
stantivums zu ergänzen, als, wie Aufrecht und Kirchhoff 
uuibr. sprachd. bd. II p. 230 wollen, kumat[e]s 8. co- 
matir ohne bestimmte beziehung auf zeref s. serse als 
neutralen ausdruck in dem sinne von „nachdem commolirt 
worden" zu fassen, da in diesem falle durchaus der ablat. 
sing, erforderlich wäre.' Diese umstände sind zu gewich- 
tig, als dafs sie Aufrechts und Kirchhoffs erklärung von 
kumates = comatir zuliefsen. Richtig haben daher 
Grotefend (Rudiment, ling. umbr. Partiell, 21 und 32) 
und Newman kuraaltu s. kumultu = comoltu und 
kumate8=comatir, wenn schon sie in der Übersetzung 
dieser Wörter gefehlt haben, verschiedenen Stämmen zuge- 
wiesen. Endlich inufs dieses letztere, wenn es auch das 
aussehen eines part. pf. pass. hat, doch ein substantivum 
sein, wie daraus klar erhellt, dafs II. a, 42 ihm das adj. 
antakres (integris) beigefügt ist, wofür I. b, 37 und 38 
mit abfall des schliefsenden s antakre kumate steht. 



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128 



Zeyfs 



3. Ueber das umbrische courtust. 

Dafs courtust (VI. a, 6) aus covortust entstanden 
sei, hatte schon Grotefend Rudiment, ling. umbr. Partie. 
II, 19 und 30 richtig gesehen, obgleich er theils darin 
irrte, dafs er diese form für zweisilbig hielt, theils sie Par- 
tie. VI p. 6 ganz falsch übersetzte. Aufrecht und Kirch- 
hoff dagegen halten umbr. sprachd. bd. II p. 59 und 410 
courtust für irrthümlich und haben es daher auch im 
textein covortust verändert, obschon sie einräumen, dafs 
sich die nothwendigkeit und richtigkeit der änderung nicht 
streng beweisen lasse. Allerdings finden wir dafür VII. 
a, 39 covortus, womit zu vergleichen sind I. b, 1 1 ku- 
vurtus und VI. b, 64 covortuso, und läugnen läfst sich 
nicht, dafs die änderung in covortust sehr leicht ist, in- 
dem sowohl u als v in der lateinischen schrift durch V 
bezeichnet wird, mithin nur ein o einzuschieben ist Fra- 
gen wir dagegen, ob es nothwendig sei die lesart des Ori- 
ginals so zu ändern, so läfst sich schwerlich in abrede 
stellen, dafs neben der vollen form covortust recht gut 
die kürzere courtust habe bestehen können. Mit recht 
haben daher diese Huschke iguv. tafeln p. 63 und 602, 
Knötel das sühnfest von Iguvium, Grofs-Glogau 1862 p. 16, 
Newman the text of the Ignvine Inscriptions p. 30 und 
Corssen über ausspr., vokal, un^ betonung 1. ausg. bd. II 
p. 353. 2. ausg. bd. II p. 912 und krit. beitr. zur lat. for- 
menlehre p. 582 beibehalten. Doch wenn Huschke und 
Corssen die entstehung von courtust aus covortust da- 
durch erklären, dafs, wie in lat. prorsus, sursum, rur- 
sus, der wurzelvokal o des zweiten compositionsgliedes 
ausgefallen und nun das v vor dem folgenden consonanten 
zu u geworden sei, so kann ich nicht beistimmen. Viel- 
mehr ist, wie im sanskrit häufig (Bopp vgl. gramm. l.ausg. 
p. 564) aus va dadurch, dafs sich das v mit dem a zu 
einem laut vereinigte, u wurde, was wir auch im lateini- 
schen wahrnehmen, wie in dem aus quatio hervorgegan- 
genen cutio (in coneutio), ebenso im lateinischen aus 
vo, indem sich das v mit dem o zu Einern laute verband, 



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erörternngen aus dem gebiete der italischen sprachen- 129 

n entstanden, und zwar nicht blos nach q, wie in den aus 
quojus, quor, quom hervorgegangenen cujus, cur, 
cum, sondern auch in anderen fallen, wie älteres voxor 
zu uxor und si voltis zu si ultis und dieses durch 
contraction zu sultis wurde. Vergl. Herrn. Ad. Koch in 
seiner abhandlung „VOXOR = VXOR« in den n.jahrb. 
f. phil. und päd. 1870. 1. abth. p. 283— 286 und p. 685-687. 
Ganz auf dieselbe weise nun ging das umbrische courtust 
aus co vortust hervor. 



4. Ueber die umbrischen Wörter urfeta und kren- 
katrum = cringatrom. 

In bezug auf ein dem Jupiter, der II. b. 24 Jupater 
Sase angeredet wird, darzubringendes opfer wird II. b, 
22 — 23 gesagt: „Pune seste, urfeta manuve ha- 
be tu", d. h. Quum (Jovi patri vitulum) sistes, orbitam in 
manu habeto; denn dafs hier urfeta der form nach genau 
dem lat. orbita entspreche, haben Aufrecht und Kirchhoff 
umbr. sprachd. bd. I p. 91. bd. II p. 349 und 422 richtig 
bemerkt. Freilich ist die bedeutung wagengeleise hier 
ganz unstatthaft, der Zusammenhang dieser stelle fordert 
vielmehr einen gegenständ, welcher in der hand gehalten 
werden soll. Urfeta, von dessen bildung ich de vocabul. 
Umbric. fictione. Particul. III p. 18 gehandelt habe, steht 
also hier in der bedeutung orbis s. rota, welche deutlich 
aus der von Huschke iguv. tafeln p. 336 beigebrachten 
stelle des Schol. zu Cic. Verr. II, 1, 59 hervorgeht: „Or- 
bita duas res significat: nam orbita et rota ipsa intelligt- 
tur et vestigium in molli solo*. Die beziehung aber, welche 
die urfeta bei diesem dem Jupiter Sancus darzubrin- 
genden opfer hat, ist offenbar dieselbe, welche die orbes 
im sacellum des Semo Sancus hatten, von denen Liv. 
VIII, 20, 8 sagt: „Aenei orbes facti, positi in sacello Sanci 
adversus aedem Quirini". Die bedeutung ist nämlich eine 
sinnbildliche, dieselbe, welche das rad in dem cultus der 
Inder, der anhänger Buddhas in Mittelasien, der Scandi- 
navier und der Angelsachsen, ja auch der Semiten (Daniel 

Zeitschr. f. vergl. sprachf. XX. 2. 9 



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130 



VII, 9 ) hat. Ueberall ist es das Symbol der ewigen Weltbe- 
wegung, des kreislaufes der Schöpfung, des ewig wieder- 
kehrenden, wie der ewigen bewegung der himmlischen ge- 
stirne, so des fortwährenden wechseis der Jahreszeiten und 
des beständigen wechseis von tag und nacht. Dazu pafst 
auch der name des Jupiter, insofern, wie der griechische 
aus diev~g hervorgegangene name Zsv-g y so der latei- 
nische Diov-is mit dem skr. djäu-8 (coelum) zusammen- 
zustellen ist. Vergl. meine abhandl. de vocabul. Umbric. 
fictione. Partie. II p. 6*). 

Wie die urfeta beim opfer II. b, 22—23 in der band 
gehalten wird, ebenso soll das krenkatro s. krikatro 
= cringatro genannte Werkzeug II. b, 27 — 29 beim opfer 
testre euze gehalten werden. Die worte lauten hier: 
„Pune anpenes, krikatru testre euzehabeto; ape ape- 
lus, mefe atentu. Ape purtuvies, testre euze habetu 
krikatru". Aufrecht und Kirchhoff meinen nun umbr. 
sprachd. bd. II p. 352, indem sie mit dieser stelle VI. b, 4 
„mandraclo difue destre habitu u und VI. b, 50 „ Erihont 
aso destre onse fertu", i. e. Idem (arsfertur) aram dextra 
ansa ferto, vergleichen, dafs, wie difua einen theil des raan- 
draelom (vgl. Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachd. bd. II 
p. 190) und onsa einen theil des asos (vgl. Aufrecht und 
Kirchhoff umbr. sprachd. bd. II p. 245), ebenso euza, von 
dem euze der localis ist, einen theil des krikatrum be- 
deute. Natürlich erscheint dieses allerdings, wenn wir nur 
diese beiden stellen vergleichen; eine andere Möglichkeit 
aber ergibt sich, wenn wir mit II. b, 27 — 29 , wie es mit 
recht von Huschke iguv. tafeln p. 338 geschehen ist, VI. 
b, 49, wo dasselbe instrument cringatro erwähnt wird, 
zusammenstellen. Wenn nämlich hier gesagt wird: „Ape 
angla combifianciust, perca arsmatiam anovihimu, crin- 



*) Wenn dagegen Laurentius Lydus de mens. IV, 58 p. 250 ed. Roe- 
ther. über den namen Sancns sagt: „ to Sayurn; om/ta ni'^aynr arj- 
fiatvn tt, Saßlvmr yXo^trai^, so ist diese behauptung, wie Grotefend Rudi- 
ment, ling. umbr. Partie. III p. 25 und Momtnsen unterital. dial. p. 354 ge- 
zeigt haben, offenbar aus einem mifsverständnifs hervorgegangen. Vgl. Auf- 
recht und Kirchhoff umbr. sprachd. bd. II p. 189. 



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erorterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 131 

gatro hatu, destrame scapla anovihimu", i. e. Quum — 
conspexerit, -am -am -itor, -atrum teneto, in dextram sca- 
pulam -itor, so ist es offenbar, dafs als objekt zum zwei- 
ten anovihimu entweder das cringatrom allein oder beide, 
die perna und das cringatrom, hinzuzudenken sind, nicht 
aber, was Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachd. bd. II 
p. 242 für allenfalls möglich halten, die perca allein ; denn 
dieses verhindert die Stellung der worte „destrame scapla 
anovihimu" unmittelbar hinter „cringatro hatu*. Jedenfalls 
also soll in dieser stelle das cringatrom auf die rechte 
Schulter genommen werden. Ebenso aber kann II. b, 27 — 29 
das, wo das cringatrom gehalten wird, die rechte euza, 
der haltenden person zukommen, was um so wahrschein- 
licher wird, als an beiden stellen, II. b, 27 — 29 und 
VI. b, 49 vom cringatrom die rede ist und an beiden stel- 
len, dort die rechte Schulter, hier die rechte euza, wo das 
cringatrom zu tragen ist, genannt wird. Gewifs ist 
dies freilich nicht, da es sich gleichwohl mit der euza so 
verhalten kann, wie Aufrecht und Kirchhoff angenommen 
haben. Da aber auf diese weise die bedeutung von euza 
ganz unklar ist, so gewinnen wir durch dieselbe nichts für 
die bestimraung der bedeutung von cringatrom. Diese 
ist vielmehr auf anderem wege zu suchen. Dafs unter 
cringatrom ein Werkzeug zu verstehen sei, zeigt die en- 
dung tro. Vergl. meine abhandlung de vocab. umbric. 
Actione. Partie. II p. 16. Krenka aber s. cringa ist ein 
mit zusatz eines a von einem nominalstamm abgeleitetes 
verbalthema, dessen zweites k durch den erweichenden eiu- 
flufs, welchen das n auf eine folgende inlautende tenuis 
in der jüngeren umbrischen spräche ausübt, in dieser, wie 
in dem aus ursprünglichem ivenka hervorgegangenen 
ivenga (juvenca) und in dem lat. Sangus (Fest. p. 317 M.) 
für Sancus, zu g geworden ist (vgl. Aufrecht und Kirch- 
hoff umbr. sprachd. bd. I p. 96), während eben dieses n 
in der älteren spräche auch ausfiel, so dafs, wie iveka 
späterem ivenga, ebenso neben kr enk atrum (I. b, 11) 
krikatru (IL b, 27. 29) späterem cringatro (VI. b, 49) 
gegenübersteht. Vgl. Aufrecht und Kirchhoff umbr. sprachd. 

9* 



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132 



bd. I p. 97. Der nominaletamm aber, von welchem krenka 
s. cringa abgeleitet ist, mufs mit den von Huscbke osk. 
und sabell. sprachd. p. 90 und iguv. tafeln p. 219 vergli- 
chenen ahd. bring und nhd. kring-el und den von mir 
in der abhandl. de vocabul. umbric. Actione. Part. II p. 16 
angeführten slawischen Wörtern krank und krong (cir- 
culus) zusammengestellt werden. Wie ferner das umbri- 
sche krenkatrum in der älteren spräche auch ohne n 
erscheint, ebenso fehlt dieses in dem griech. xgixog, so- 
wie im griech. xtQxog und lat. circus, in denen zugleich 
das r versetzt ist. Siehe über diese Versetzung des einem 
consonanten im anlaut folgenden r an den schlufs der silbe 
Ritsehl im fünften, achten und siebzehnten der plautini- 
seben excurse im rhein. mus. VII p. 555 ff., p. 561 ff., VIII 
p. 150 ff. und ebendaselbst IX p. 478 ff. Das umbrische 
verbalthema krenka 8. cringa ist demnach identisch mit 
dem des ahd. hringjan und lat. circare (Hildebrand 
Glossar, latin. p. 53), d. h. xvxkow. Krenkatro s. kri- 
katro = cringatro mufs also von urfeta verschieden 
sein und ein instrument zur beschreibung eines kreises be- 
zeichnen, nicht „circulus, ring, reif", wie Huschke osk. 
und sabell. sprachd. p. 90 und iguv. tafeln p. 218. 220. 334. 
336 und 691 will. Ich übersetze es daher durch xi'pxivog, 
circinus. Wie aber die urfeta eine sinnbildliche bedeu- 
tung hat, ebenso wird auch die des krenkatrum eine 
sinnbildliche sein, die wohl als eine ähnliche gedacht wer- 
den kann, schwerlich aber näher zu bestimmen ist. 



5. Vasce. 

Die auf einem trinkgefafse bei Jos. Kamp in seiner 
Schrift „die epigraphischen anticaglien in Cöln a , Cöln 1869 
sich findende aufschrift vasce ist weder für ein unbekann- 
tes wort, noch mit dem recensenten dieser Sammlung in 
Zarncke's literar. centralblatt 1870 no. 1 1 p. 285 fttr ver- 
derbt zu halten. Vielmehr ist vasce abgekürzt für va- 
lesce geschrieben, wie fia für filia Corp. Inscr. Latin. 
I, 1347. Mithin ist dies ein ähnlicher trinkzuspruch , wie 



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erörterungcn aus dem gebiete der italischen sprachen. 133 



die auf'schrift vires, d.h. ich wünsche dir vires, welche 
ein anderes trinkgefafs derselben Sammlung darbietet. 

> 

6. Alternip. 

Im Carmen fratrum ar Valium liest für altern ei, wie 
4a und b steht, 4c Marini alternip, welches, wenn es 
richtig wäre, weil unverändertes p im auslaut lateinischer 
Wörter nur nach abstofsung des auslautenden vokals, und 
zwar nur in dem apokopirten volup 8. volop für vo- 
lupe, sich zeigt, für alternipe gesetzt und mit ipsippe 
bei Fest. p. 105 M. zu vergleichen sein würde. Allein der 
richtigkeit dieser lesart steht nicht blos entgegen, dafs das 
adjectivum alter nus nirgends mit der verstärkenden par- 
tikel pe verbunden erscheint, sondern auch, dafs Momm- 
sen Corp. Inscr. Lat. I, 28 p. 10 über alternip bemerkt: 
„ita fere tabula; litterae tarnen deformatae magis sunt 
quam permutatae". Die herausgeber des Carmen haben 
daher kein bedenken getragen, wie 4a und b, so auch 4 c 
altern ei zu lesen, obgleich es leichter scheinen könnte, 
alternip mit Veränderung nur eines buchstaben in das 
bei dichtem und prosaikern häufige alternis, als mit 
Veränderung zweier buchstaben in altern ei zu verwan- 
deln. Wenigstens könnte man dagegen nicht anfuhren, 
dafs alternei, weil es 4a und b stände, auch 4c stehen 
tnüfste; denn für sins, wie 2a und b gelesen wird, i. e. 
sinas, findet sich 2c sers, i. e. siris 8. siveris. Gleich- 
wohl erscheint weder alternei noch alternis bei erwä- 
gung des folgenden richtig. Mit ausnähme von 1 a. b. c, 
wo die Lares angerufen werden, ist das ganze Carmen an 
den Mars gerichtet; dessen Zusammenhang würde aber of- 
fenbar unterbrochen, wenn, was an sich eine ungeheuer- 
liche annähme ist, 4a. b. c advocapit für advocabitis, 
wie man mehrfach gewollt hat, zu fassen wäre, dergestalt, 
dafs diese worte gar nicht in bezug auf den Mars stän- 
den, sondern von den fratres zu einander gesagt würden. 
Vielmehr, wie 2a. b. c Mars angeredet wird, ebenso ge- 
schieht dies 3 a. b. c, wo ich mit den meisten herausgebern 



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134 Zeyffl, crörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 

lese: Satur furere, Mars, limen sali, sta berber 
und mit Preller (in der recension von Klausen de carm. 
fratr. arval. in der Hall, allgem. L. Z. 1841. September 
no. 161) sali und sta transitiv und als simplicia pro com- 
positis nehme, so dafs also limen sali durch limen su- 
persili und sta berber durch siste verber zu erklären 
ist. Der Zusammenhang würde also, wie Preller mit recht 
sagt, dieser sein: „Satt des rasens kehre im kriegestanze 
zurück über die schwelle und lafs ruhen die geifsel", und 
der gpgensatz der aus den carceres seines haines mit dem 
kriegswagen hervorstürzende Mars, von dem Ovid. Metam. 
XIV, 820 sagt: „Conscendit equos Gradivus et ictu Ver- 
beris increpuit". Daran schliefst sich nun vs. 4, in wel- 
chem, wie advocapit zeigt, mit Grotefend (in der recen- 
sion von Klausen de carm. fratr. arval. in der zeitschr. f. 
die alterthumswissensch. 1837 no. 13) alternei in alter 
nei aufzulösen und zu construiren ist: nei alter advocabit 
cunctos Semones. Nei ist hier nach alterthümlichem 
Sprachgebrauch = non und für alter würden wir nach 
gewöhnlicher redeweise alius erwarten. Der sinn ist also: 
Nicht soll ein anderer sämmtliche Semones zu unserer 
hülfe herbeirufen, sondern hilf du uns. So reiht sich pas- 
send der schlufs vs. 5 an, in welchem Mars nochmals 
mit den worten: Enos, Marmor, iuvato! angerufen 
wird. 

Zeyfs. 



Bemerkungen über den Ursprung der lateini- 
schen suffixe clo, culo, cro; cla, cula, cra; 

cino, cinio; cundo. 

Im lateinischen werden durch das primärsuffix clo 
oder gewöhnlicher culo neutra gebildet, welche ein Werk- 
zeug (mittel, ort) zu einer handlung bezeichnen. Seltener 
sind entsprechende feminina auf cula. Wenn ein 1 vor- 
hergeht, wird der dissimilatiön wegen die suffixform cro 
vorgezogen. 



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Bugge, lat. suffixe clo, culo, cro; cla, cula, cra etc. 135 



Ebel war meiues wissens der erste, welcher (in dieser 
zeitschr. XIII, 296) die vermuthung äufserte: „Vielleicht 
sind lat. -er um und -clum nichts als euphonische Ver- 
wandlungen des -trum und -tlum". Dieselbe meinung 
wurde von Leo Meyer (vergl. gramm. II, 356 ff.) bestimm- 
ter ausgesprochen und von Ascoli in einer eigenen abhand- 
lung (8. d. zeitschr. XVII, 146—150), welche ich nicht ge- 
sehen habe, ausführlich begründet. Dagegen wurde diese 
erklärung von Corssen als entschieden fehlerhaft zurück- 
gewiesen; s. ausspräche 2. ausg. namentlich I, 39 f. 168. 
Ich bin von der richtigkeit der genannten erklärung, die 
ich selbständig gefunden hatte, fest überzeugt und werde 
sie hier zu stützen versuchen. 

Mit dem lat. c(u)lum hat Lottner (zeitschr. VII, 48f.) 
unzweifelhaft richtig das lit. klag masc. verglichen. Hier 
ist zuerst daran zu erinnern, dafs das neutrum im litaui- 
schen aufgegeben ist. Neben -kla-s erscheinen -kla 
und -kle (aus kljfi) fem. Die lettische spräche hat -kls 
masc. = lit. -klas, -kla f. = lit. -kla, -kle f. = lit. 
-kle; aufserdem noch -kli-s masc. (statt klja-s), was 
im litauischen selten ist. Die geuannten italischen und 
baltischen suffixe stimmen in der anwendung genau Über- 
ein. Sehen wir zuerst die ableitungen im verhältnifs zu 
den stamm verben. (Die litauischen Wörter sind nach Nessel- 
mann oder Schleicher, die lettischen nach Bielenstein ge- 
geben.) 

Durch das genannte lat. suffix werden von einsilbigen 
vokalischen verbalstämmen substantiva gebildet: po-culum, 
ob-sta-culum. Ebenso lit. duklas futterkorb, du'kle 
abgäbe (dü'ti geben); uz-stokle Vertretung (uz-stoti); 
s takle 8 plur. tant. Webstuhl (wurzel sta). 

Von verbalstämmen der dritten conjugation: fercu- 
lum, involucrum. So lit. Irklas rüder (Irti rudern), 
ginklas wehr (ginti wehren). Häufiger im lateinischen 
mit i (aus e) vor c: vehiculum, praefericulum. So 
lett. mett-e-klis zoll (mest werfen), tin-e-klis flecht- 
werk ( tit winden). 

Von verben der i-conjugation: redimlculum, perl- 



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136 



Bugg« 



culum, pavlcula. So lit. wystyklas windel (wystyti 
wickeln); ganyklä weide (ganyti hüten). Mit schwin- 
den des charaktervokales i: sar culum von sarire; vgl. 
lett. ganeklis Viehtrift von ganit hüten. 

Von verben der a-conjugation : oraculum, piaculuin. 
So lit. medzökle jag d (medzoti jagen), apwynoklis 
m. bandage Ness. (wynoti, bei Schleicher und Kurschat 
w y n i 6 1 i wickeln). 

Selten von verben der e-conjugation: sedi culum = 
sedile Fest, apud Paul. p. 336, torculum (wenn statt 
torc-culum) von torquere. Auch im litauischen und 
lettischen nicht sehr häufig: lett. kaweklis hindernifs von 
kawet aufhalten. 

Die entsprechenden feminina sind im lateinischen nicht 
so häufig, und selten schwankt bei einem und demselben 
worte das geschlecht zwischen neutr. und fem.: terricula 
und terriculum, verticula, spätlat. verti culum, vgl. 
ital. sonaglio (d. i. sonaculum), franz. sonnaille (d. i. 
sonacula). Im litauischen und lettischen werden viele 
Wörter fem. gen. gebildet, und nicht selten schwankt bei 
einem und demselben worte das geschlecht. 

Von seiten der bedeutung ist merkwürdige Übereinstim- 
mung, wie aus der folgenden Zusammenstellung hervorge- 
hen wird. 

Lat. redimi culum, vinculum (wenn statt vinc- 
• culum), subligaculum. So lit. wystyklas gewöhn- 
lich plur. wickelband, apwynoklis bandage. 

retinaculum. So lit. kybeklas fischerhaken (vgl. 
kabe'ti hangen). 

perpendiculum. So lit. tesykle Senkblei, richt- 
schnur (vgl. testi ausspannen). 

miraculum. Lit. stebüklas wunder (stebc'tis sich 
wundern). 

spectaculum. Lit. regykle Schauspiel (rege'ti 
schauen). 

terricula, terriculum; ital. spaventacchio u.s.w. 
schrecknifs, grundform *expaventaculum. Lit. baidy- 
kla scheuchpuppe (baidyti scheuchen). 



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lat. suffixe clo, culo, cro; cla, cula, cra etc. 



137 



pro pugn acul um, spätlat. tutaculum, prov. de- 
feDsalh schutzweit, grundform *defensacul um. Lit. 
ginklas wehr. 

Spätlat. signaculum. Lit. zenklas zeichen (vergl. 
zinöti wissen). 

jentaculum. Lit.walgyklas speise (walgyti essen). 

obstaculum. Lett. kaweklis hindernifs. 

verticula. Lett. lüzeklis glied, gelenk (vgl. luzit 
beugen). 

Span, acertajo, acertijo räthsel, grundform *ad- 
certaculum (acertar errathen). Lett. mikla räthsel 
(mit rathen). 

habitac u lum , c-ubiculum. Lit. buklas aufent- 
haltsort, wohnung Ness. (büti sein); lett. dfi wüklis Woh- 
nung (dfiwüt leben, wohnen). 

jaculum (wenn statt j ac-culum). Lit. sza udykle 
geschofs, pfeil (szäudyti schieisen). 

ferculum. Lit. neszykle trage (vgl. neszti tragen). 

specula. Lit. sargykla warte, wachthaus (vgl. ser- 
geti wache halten). 

sarculum. Vgl.lett. gräbeklis harke(grabt harken). 

Einige lateinische und baltische Wörter decken sich 
ganz, indem auch der stamm derselbe ist. 

Lat. subücula, indücula entsprechen, wenn wir 
von sub-, ind- absehen, ganz dem lett. äukla, vergl. lit. 
aukle, fufsbinde. Das stamm verbum lat. *uere ist iden- 
tisch mit dem lit. aüti fufsbekleidung anlegen, wo nur die 
bedeutung specieller gefafst ist. ücula ist aus oucla, 
au cla entstanden. 

Lat. saeculum, saeclum ist, wie Lottner zeitschr. 
VII, 49 sah, vom lit. sekla f. saat nur in betreff des ge- 
schlechts verschieden. Formell ist diese erklärung unan- 
fechtbar: ae kann hier „das schriftzeichen eines langen 
nach ä hinlautenden e" sein wie in scaena, saepes (vgl. 
Corssen ausspräche I 2 , 325 f.). Auch für die bedeutung 
ist diese ableitung zutreffend: in der älteren spräche be- 
deutet saeclum geschlecht, generation, welche bedeutung 
sich natürlich erklärt, wenn sero, sevi, satum säen, 



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138 



Bugge 



zeugen (vgl. seminium) das Stammwort ist. Synonym ist 
ysvea: avögwv ytvBrj wurde gesagt wfc hominum sae- 
cla; auch die weitere bedeutungsentwickelung ist für ye- 
ved fast dieselbe wie für saeculum: menschenalter, Zeit- 
alter, gröfserer Zeitraum. Und wie saeculum von wz. 
se, sä, so ist yevta von wz. ytv erzeugen gebildet. Leo 
Meyer (zeitschr. VIII, 249) hat für die bedeutungsentwicke- 
lung auch got. manaseps menschheit, eig. menschensaat 
verglichen. Corssen ausspräche P, 377 greift ohne noth 
zu einer wurzel, die sich im lateinischen sonst nicht fin- 
det; bei seiner deutung von wz. si binden scheint mir die 
bedeutungsentwickelung wenig natürlich. 

Fast vollständig decken sich auch lat. sediculum = 
sedile Fest, apud Paul, und lett. sedeklis sitz. 

Nach dem hier entwickelten darf ich die identität 
der lateinischen euffixe clu-m, culu-m, cru-m, cula 
mit den lit. kla-s, kla als bewiesen ansehen. Nun läfst 
sich das lit. kla-s, kla mit Sicherheit auf eine ältere form 
zurückführen, wie dies von Wenzel Burda (beitr. VI, 245) 
nachgewiesen ist. Er macht auf das altpreufs. ebsen- 
tliuns assei „du hast bezeichnet" aufmerksam; daraus 
geht hervor, dafs lit. zen-kla-s zeichen aus zen-tla-s 
entstanden ist und dasselbe suffix wie gr. %v-tAo-v enthält; 
tAo ist aber unzweifelhaft eine Variation von tqo, tra. 

Diese erklärung wird durch viele andere Wörter be- 
stätigt. 

Lit. arklas pflüg (von ariü, ärti pflügen) steht statt 
artlas = ksl. oralo statt ora-dlo, poln. ra-dlo, altn. 
ar-Ör, lat. ara-trum, kymr. ara-dyr, griech. ctgo-rgov. 
Die Stammerweiterung , welche causative bedeutung giebt, 
ist in dem litauischen und altnordischen worte weggefallen. 

buklas, aüfenthaltsort, wohnung, höhle eines thieres 
(auch existenz; nebenformen bukla, bukle) statt bu- 
-tlas (von büti sein) = böhm. by-dlo n. wohnung, alt- 
sächs. (bodel oder bodal masc.) plur. bodlös haus und 
hof, grundbesitz, ags. bold n. gebäude, wobnort, statt 
bodl, daneben botl, s. meine bemerkungen in der scan- 
dinav. zeitschr. f. philol. VIII, 291. 



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lat. sufüxe clo, culo, cro ; cla, cula, cra etc. 



139 



irklas rüder (von iriü, irti rudern) statt irtlas = 
skr. aritra m. n., ahd. ruodar, uhd. rüder. 

Lit. aükle f., lett. aukla f., au k Iis m. = altbaktr. 
aotbra n. schub. 

Lit. duklas m. futterkorb, dükle abgäbe = skr. 
däträ n. geschenk (M.Müller Rig-Veda-Sanb. transl. 228); 
altbaktr. däthra n. geschenk. 

Lit. gerkle f. gurgel, Schlund (von gerti trinken), 
gurklys m. kröpf der vögel, adamsapfel, vgl. ksl. grülo 
(collum, guttur) statt grüdlo, bohm. hrdlo. 

Lit. atminklas merkzeichen (atminti gedenken), 
paminklas muster, denkmal, vergl. lat. monstrum eig. 
anzeige (davon: muster). 

Dieser Jautübergang läfst sich in den baltischen spra- 
chen auch sonst nachweisen. Szyrwid hat lit. turklelis 
turteltaube, das aus turtle Iis entstanden ist. Ganz ana- 
log ist gl statt dl im lett. segli pl. sattel = sedli (Bie- 
lenstein I, 150). Umgekehrt tr statt kr im altpreufs. yt- 
troy Wade, vgl. lett. ikri, poln. ikra (Pott in beitr. VI, 
117). So stellt auch Pauli in beitr. VI, 445 altpreufs. 
addle tanne, poln. jodla zu lit. egle. Bei der Änderung 
von tl in kl ist wahrscheinlich, wie Ebel (zeitschr. XIII, 
296) meint, dissimilation mitwirkend gewesen, denn t ist 
näher als k mit 1 verwandt. Vgl. Benary in d. zeitschr. 
I, 77. Wie nahe die physiologischen bedingungen für die 
lautwandelung tl in kl (dl in gl, tu in kn, tr in kr) 
fast überall liegen, wird die folgende Zusammenstellung aus 
verschiedenen (sogar unverwandten) sprachen zeigen. 

Aus einem böhmischen dialecte weist Burda (beitr. 
VI, 245) anlautendes kl statt tl nach. 

Im finnischen: karel. niekla, nekla nadel, statt 
netla aus got. nöpla (Thomsen den gotiske sprogklasses 
indflydelse paa den finske, s. 68). Karel. siekla sieb, 
seihe, statt sietla, erklärt Thomsen aus dem slaw. ce- 
dilo. Ich sehe darin vielmehr ein lehnwort aus dem ger- 
manischen: altn. sald n. sieb steht statt sädl, wie ags. 
bold, seid (sessel) statt bodl, sedl, aus einer wurzel 
sä, die wir im griech. rr«w, Gijfrco wiederfinden, sald 



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140 



Bugge 



würde im gotischen sedl lauten, und dies sonst verschol- 
lene got. wort findet sich beachtenswerter weise im finn. 
siekla bewahrt. 

Im zigeun. schuklo, schukalo sauer statt schutlo 
aus schutt essig = cukta; kokli scheere statt katli 
= skr. kartrl, s. meine bemerkungen beitr. I, 154. 

Im sanskrit: a s 1 1 a schwarz, fem. asikni statt asitni 
(hilft dies asikni uns got. azgö, stamm azgön, asche 
erklären?); palitä grau, fem. paliknl statt palitnl. So 
steht wohl nakra m. ein gewisses wasserthier, in der spä- 
teren spräche nakra m. krokodil statt nä-tra von wz. 
snä sich baden, lat. nä-re schwimmen; vgl. lat. nätrix 
wasserschlange, ir. nathir, got. nadrs, natter. Vgl. auch 
skr. vakaknü beredt mit ärugatnü zerbrechend, pljatnü 
höhnisch. 

Im nord. : dän. ögle = altn. la, effla tyidva; umge- 
kehrt altn. trana, trani vgl. ahd. chranuh, gr. yiQavog. 
Im vorhergehenden habe ich nachgewiesen 

1) dafs die latein. suffixe culum, clu-m, cru-m und 
cula mit den litauischen kla-s und kla identisch sind; 

2) dafs lit. kla-s, kla aus tla-s, tla entstanden sind. 
Folglich sind lat. culu-m, clu-m, cru-m, cula aus 

tlu-m, tru-m, tla entstanden. 

Wir haben schon gesehen, wie weit verbreitet der 
Übergang von tl in kl und die damit analogen lautwan- 
delungen sind. Es mufs aber hier hinzugefügt werden, 
dafs sie auch in Sprachgebieten, die dem lateinischen sehr 
nahe liegen, häufig hervortreten. So im romanischen oft 
er, gr statt tr, dr: prov. cremer, franz. craindre = 
lat. tremere; span. crem a = tq ijttcc; katalan. pogre statt 
podre aus einer grundform potere habeo, roman. ca- 
tegra = cathedra, und mehr bei Schuchardt vokalis- 
mus d. vulgärlat. I, 158 f. 111,83. Noch näher liegt uns 
hier, dafs die romanischen sprachen den Übergang von in- 
lautendem tl (gewöhnl. aus lat. tül entstanden) in ci vor- 
aussetzen: ital. vecchio setzt noth wendig veclus = ve- 
tulus voraus. Der meinung Corssens (ausspr. P, 39), es 
sei hier suffix vermengung, nicht phonetischer Iautübergang, 



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lat. snffixe clo, culo, cro ; cla, cula, cra etc. 14 1 

anzunehmen, kann ich, wie Ascoli, nicht beitreten. Erstens 
ist diese annähme unnöthig, da phonetischer lautübergang 
von t (z. b. in der Verbindung tr) in c in den roman. spra- 
chen sonst nicht selten vorkömmt und da phonet. lautüber- 
gang von tl in kl in vielen anderen sprachen nachgewiesen 
ist. Zweitens pafst diese erklärung nicht für alle falle, denn 
Übergang von tl in cl kommt im romanischen auch da 
vor, wo von suffix vermengung keine rede sein kann; so 
rhätorom. inclegier = intellegere (Ebel zeitschr. XIII, 
296), Barclamiu = Bartholom aeus (Schuchardt vo- 
kali8mus III, 82). Die formen mit cl statt tl, tül, welche 
von den romanischen formen vorausgesetzt werden, kom- 
men in spätlateinischen handschriften häufig vor: veclus 
= vetulus, capiclum = capitulum, sicla (neugr. 
aixXa) = situla, sescla = sextula u. s.w., s. Schu- 
chardt vokal. I, 160 f. III, 82 f. Diese formen gehören nicht 
nur unwissenden Schreibern, sondern wurden im volksmunde 
gehört. Der lautübergang, der in vorgeschichtlicher zeit 
in den lat. Suffixen culu-m, cru-m, cula statt tlu-m, 
tru-m, tla eingetreten ist, wiederholt sich in spätlat. und 
roman. formen wie veclus, vecchio; raschiare d.i. 
rasclare gegen lat. rastrum. 

Auch in der römischen litteratursprache lassen sich 
einige beispiele nachweisen, anclare statt antlare. Cors- 
sen krit. beitr. 357 sagt: „Die [von Paul, excerpt. Fest, 
gegebene] erklärung des alten verbum anclare durch hau- 
rire ist eine irrige und lediglich aus der Zusammenstel- 
lung desselben mit griech. avrkap entstanden". Es ist zwar 
richtig, dafs das echtlat. anclare, an ciliare = mini- 
st rare vom griech. dvrluv ursprünglich ganz verschieden 
ist. Allein auch ccvrltiv (d. i. haurire) wurde im latei- 
nischen in der form anclare gebraucht. Bei exanclare 
weisen die bedeutungen, wie die Zusammensetzung mit ex, 
offenbar auf i^avzlBiv^ nicht auf anclare = ministrare 
hin; die form exanclare mit c findet sich (in der bedeu- 
tung ex haurire) in den besten handschriften, so Plaut. 
Stich. I, 3, 116 in allen unseren handschriften, sogar im 
Ambros., auch bei Nonius; nur in der anfuhrung dieser 



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142 



stelle bei Sergius mit t. Auch in X . VIR.SCLIT . IVD . 
Momms. inscr. r. Neap. n. 314 (= STLIT.) hat man kein 
recht einen Schreibfehler zu sehen, denn im genannten titel 
war die alterthümliche wortform lange geläufig, nachdem 
sie im sonstigen gebrauche verschwunden war. 

Die hier angenommene entstehung der lateinischen Suf- 
fixe culu-m, clu-m, cru-in, cula kann nicht dadurch 
widerlegt werden, dafs ein suffix tulo, tula, wenn auch 
sehr beschränkt, und häufiger tro, tra daneben im ge- 
brauch war. Dies kann nur zeigen, dafs der lautübergang 
tl, tr in cl, er nicht durchdrang, so wenig wie im litaui- 
schen der Übergang von tl in kl (spetlus, tutlys, put- 
1 us u. m.). 

Von den zwei lateinischen formen clu-m und cu- 
lu-m ist also clu-m die ursprunglichste. In culu-m 
ist u zwischen c und 1 eingeschoben wie in Hercules 
aus JlyaxXijg, Aesculapius aus Mffxktjmog. 

Wahrscheinlich gieng tlu-m (mit der im lateinischen 
überhaupt unbeliebten lautverbindung tl) früher in clu-m 
als tru-m in cru-m über. Wir dürfen hier von culu-m 
(clu-m) ausgehen, weil es weit häufiger angewendet wird^ 
da es einmal immer gewählt wird, wo r im worte vorher- 
geht, ferner wo weder r noch 1 vorhergeht, zuweilen sogar 
wo 1 vorhergeht (subligaculu;n, clunaculum, umbr. 
ehvelklu), während crum nur gewählt wird, wo 1 vor- 
hergeht, und sogar da nicht immer. Wenn der Übergang 
von trum in crum somit durch die analogie von ein in 
statt tlum herbeigeführt wurde, kann der umstand, dafs 
tr im lateinischen eine gewöhnliche lautverbindung ist, die 
hier gegebene erklärung nicht widerlegen. 

Diese läfst sich auch durch lexikalische Übereinstim- 
mungen stützen, welche ich hier (gröfstentheils nach As- 
coli u.a.) zusammenstelle, poclum, poculum statt po- 
lora = skr. pätra-m (worin vielleicht zwei Wörter zu- 
sammenflössen). Dazu verhält sich nortjQiov^ wie ftccxTtj- 
qiov zu ßdxTQov, nuoaniQiov zu periculum. 

vehiculum statt vehetlom = gr. ö%ETkov, kirchensl. 
vezlo rüder statt vczdlo, skr. vahftra-m schiff. 



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lat. suffixe clo, culo, cro; cla, cula, cra etc. 



143 



baculum wohl statt bac-culum (wie jaculum wohl 
statt jacculum), bac-clu m , .bac- tlom = ßdxTQov (ge- 
wifs nicht = skr. gätra). 

in-volücrum statt volutrom = Üvtqov; vgl. skr. 
varütra-m oberkleid. 

lavacrum vgl. Iostqov. 

(ind-, sub-) ücula vgl. altbaktr. aothra n. schuh, 
8. oben. 

lucrum darf nicht mit skr. lötra-ra beute identifi- 
ciert werden, wenn dies ans löptra-m entstanden ist. 

fulcrum ist kaum mit skr. dhartra-m stütze völlig 
identisch, sondern wohl aus fulccrum entstanden. 

In ferculum, praefericulum, feretrum stehen 
verschiedene formen desselben Suffixes neben einander. 

Wenn ich darin recht habe, dafs das lit. kla-s, kla 
die entstehung der lat. suffixe clu-m, culu-m, cru-m, 
cula aus tlu-m, tru-m, tla sichert, so ist die erklärung 
aus einem nominalstamme cero = skr. kara damit wider- 
legt. Diese erklärung scheint mir auch an sich unwahr- 
scheinlich. Da die wz. kar im lateinischen nicht als verbum 
gebräuchlich ist und nur in ableitungen wie cerus = Crea- 
tor spuren (alle mit r, keine mit 1) hinterlassen hat, mfifste 
auch bei dieser erklärung die entstehung der genannten suffixe 
weit zurückgesetzt werden. Man sollte dann in den ver- 
wandten sprachen entsprechende suffixe erwarten. Nir- 
gends werden aber in diesen nomina von verbalstämmen 
durch das suffix kara gebildet; die skr. und altbaktr. Wör- 
ter auf kara sind alle entweder mit einem nominalstamme 
oder mit einem casus eines nomens zusammengesetzt, z. b. 
skr. bhajankara furchtbar, altbaktr. maeghö kara wol- 
kenbildend*). Ein wort wie päkara-m (aus wz. pä -h 
kara aus wz. kar), welches Corssen für poculura vor- 
aussetzt, würde nach einem principe gebildet sein, das in 
der älteren entwickelung der japhetischen sprachen nicht 
sehr oft befolgt ist. Schliefslich sei erwähnt, dafs einige 
lateinische adjectiva durch die primärsuffixe culo oder 
cro und cri gebildet sind. Diese adjectiva verhalten sich 

•) Skr. pu&kara, puskala, carkarä sind nicht sickere ausnahmen. 



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144 



Bugge 



zu den neutralen Substantiven auf culu-m, cru-m, wie 
z. b. adjectiva auf bro, bji (creber, alebris) zu den 
neutralen Substantiven auf brum: ridiculu-s steht also 
statt riditlo-s; ludicer, ludicrus statt loidetro-s; 
volucer, volucris statt volutri-s. Man vergleiche skr. 
adjectiva auf tra: göhtitra laut rufend; pavitra (nicht 
in der vedasprache) reinigend, rein; griech. XaXti&Qog ge- 
schwätzig. Wie ridiculus, ludicer, die im neutr. oft 
substantivisch gebraucht werden, von ridere, ludere, so 
lett. smikls spafs von smit lachen*). 

bri ist sowohl secundäres als primäres suffix, daher 
scheint mir wie Corssen das suffix in anniculu-s, mas- 
culus, vernaculus mit dem Suffixe in ridiculus iden- 
tisch. Vergl. lett. jauneklis jüngling von jauns jung, 
widduklis mittelstück von widdus mitte. Die bedeu- 
tung zeigt, dafs anniculus, vernaculus nicht durch das 
diminutivsuffix culo gebildet sind; auch werden nicht di- 
minutiva von masculinis auf a mit beibehaltung dieses vo- 
kal8 durch das suffix culo gebildet. 

Da im lateinischen inlautendes c vor 1 und r oft aus 
t entstanden ist, dörfen wir dieselbe sporadische lautwan- 
delung auch bei der Verbindung des t mit anderen konso- 
nanten suchen. Das lateinische secundäre suffix ciniu-m 
entspricht in der anwendung genau dem griechischen (Svvi]. 
Man vergleiche 

vaticinium mit fxai'toavvt]^ 

latrocinium mit Y.XtnToavvr), 

patrocinium (st. patronicin.) mit deGnoGvvih 

tirocinium mit dovXoavvri. 
Wie ratiocinium von einem abstracten subst. abgeleitet 
ist, so mehrere auf ovvt], z. b. naXcctCfwavvij , xiQÖottvvi}. 
Wie latrocinium, lenoc, tiroc, ratioc. von stammen 
auf on gebildet sind, deren n vor dem antretenden suffixe 
ausfällt, so auch im griech. yvwfAOövpr] , fAVijuoavvri und 
viele andere. 

*) Steht diseipulus der dissimilarem halber statt disciculns? An- 
ders Pott et. forsch. 1. ausg. I, 193; Corssen ausspräche 2. ausg. I, 362. 



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lat. suffixe clo, culo, cro; cla, cnla, cra etc. 



145 



vaticinium ist zunächst von vaticinu-s gebildet; 
dies läfst sich mit uavTÖavvog vergleichen. So müssen wir 
auch *patrocinu-8, *tirocinu-s u. s. w. voraussetzen, 
wie wir im griech. Seanoüvvog , öovloovvog u. s. w. haben. 
Von vaticinu-s ist auf der anderen seite vaticinari 
gebildet; so setzt sermocinari ein *8ermocinu-s 
voraus. 

Eine erklärung dieses sufüxes cino aus c-f-ino oder 
aus co, ka-f-no, na scheint mir wenig ansprechend, da 
sie sich von Seiten der bedeutung nicht durch naheliegende 
analogien aus den verwandten sprachen stützen läfst. 

Aufrecht (zeitschr. I, 481 —483) hat mit den bildun- 
gen auf (fvvtj statt ri/ui? zuerst skr. neutrale abstracto auf 
tvana verglichen: patitvanä, gani tvana gattenschaft, 
ebeverbindung u. s. w. Im altbaktrischen werden ebenfalls 
neutrale abstracta durch das secundärsuffix thwana ge- 
bildet: näirithwana von näiri weib*). 

Durch die grundform tvana läfst sich, wie ich glaube, 
das lat. suffix cinu-s mit dem gleichbedeutenden griech. 
ovvo-g vermitteln, tvana wurde nach meiner vermuthung 
zuerst kvana und dies später mit Verdrängung des v 
(vgl. lat. canis a» skr. cvan) cino. 

Die lautverbindung tv ist im lateinischen (wenn wir 
von einem zweisilbigen quattuor bei dichtem absehen) 
überall aufgegeben ; es ist aber unzweifelhaft, dafs ursprüng- 
lich in den japhetiscben sprachen überhaupt diese lautver- 
bindung nicht selten war, also auch für ein älteres Stadium 
der italischen sprachen vorauszusetzen ist. Wie ursprüng- 
liches tv in der lat. spräche verändert wurde, läfst sich 
nur durch vergleichung mit den verwandten sprachen be- 
stimmen (vergl. Grafs mann zeitschr. IX ). Im lateinischen 
blieb gewöhnlich das erste element der ursprünglichen Ver- 
bindung tv unverändert, v wurde entweder in u vocalisiert 
oder fiel weg: quattuor = skr. Katväras, te = skr. 
tvä. Allein aus solchen beispielen darf natürlich nicht 



*) Dies suffix tvana wuchert auch in den neuindischen sprachen, so 
im mahrattischen (Bopp vgl. gramm. 111,268) und in der Zigeunersprache. 

Zaitschr. f. vgl, aprachf. XX. 2. 10 



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146 



Bugge 



gefolgert werden, dafs jede andere umwandelung des ur- 
sprünglichen tv unmöglich wäre. Meine vermuthung, dafs 
das secundärsuffix tvana in einem vorgeschichtlichen Sta- 
dium der italischen sprachen zu kvana verändert wurde, 
läfst sich durch aualogien aus den verwandten sprachen 
stützen. Einige altdeutsche quellen (z. b. die sogenannten 
glossae Keronis) haben iin anlaut zuweilen qu statt des 
gewöhnlichen zu: quei, quifalt, queon u s. w., und 
dieser lautübergang mufs noch ehe tw zu zw wurde ein- 
getreten sein (Holtzmann altdeutsche gramm. I, 276). Noch 
liegt qu aus ursprünglichem pv vor in neudeutschen for- 
meu wie quirl, quehle, quer u. s. w. Derselbe laut- 
übergang kommt im nordischen vor, bei wenigen Wörtern 
schon im altnordischen, bei mehreren in neueren schwedi- 
schen dialecten. Altn. kvisl f. zweig, flufsarm statt *tvisl 
= ahd. zulsala; kvistr m. zweig statt *tvistr ist mit 
dem deutschen zwist dasselbe wort. In Halland, Upland, 
Södra Möre härad, Finnland wird oft anlautendes kv(qv) 
statt tv gesprochen (s. Rydqvist Svenska spräkets lagar 
IV, 278 und Rietz): kvivla, kvä u. s. w. Vergl. auch 
provenz. poguetz = potuistis, katalan. pogue = po- 
tui (Schuchardt vokal. I, 158 f.). Der besprochene laut- 
übergang ist im germanischen nirgends durchgedrungen, 
und ebenso war der Übergang von tv in kv im voritali- 
schen nur sporadisch. Wie altn. tveir, tvistr (adj.) die 
erklärung kvistr, kvisl statt *tvistr, *tvisl nicht wi- 
derlegen können, ebensowenig können lat. quattuor = skr. 
lcatväras, te = skr. tvä meine erklärung von cinu-s 
(in vaticinu-s) als aus kvana statt tvana entstanden 
widerlegen. 

Wie das lat. sufBx ciniu-m (aus tvanja-m) gegen 
skr. tvana-m durch ja erweitert ist, so auch das slaw. 
suflßx os-tyni (blagostyni güte), wenn tyni, wie Wen- 
zel Burda beitr. VI, 193 meint, aus tvanjä entstanden ist 

Meine erklärung der lat. suffixe cino, cinio in va- 
ticinus, vaticinium wird vielleicht auf andere lateini- 
sche suffixe licht werfen. Das primärsuffix cundo in 
iracundus u. 8. w. ist bisher nicht überzeugend erklärt. 



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lat. suflfixe clo, culo, cro; cla, cula, cra etc» 



147 



Die vermuthung, dafs der guttural iu cundo von dem 
noininalsuffixe co, ka nicht verschieden sei (wie sie Leo 
Meyer zeitschr. VI, 380 mit einigen zweifeln, Corssen krit. 
beitr. s. 43. 128; ausspr. 11% 309 ohne zweifei ausspricht) 
liegt freilich nahe; 'allein diese vermuthung fuhrt zur an- 
nähme bedenklicher formen. Ein adjectivum iräcu-s vom 
verbalstamme irä hat, soweit ich sehe, im lateinischen 
keine analogie (es mfifste wenigstens iräc wie voräc lau- 
ten); und iracundo als ableitung von einem adjectiv- 
staoume iraco hat sehr schwache analogie. Jedenfalls ist 
diese erklärung des Suffixes cundo nicht so sicher, dafs 
man sich nicht nach einer andern erklärung umsehen dürfte. 
Nur als frage stelle ich folgende combination auf. In der 
vedasprache sind nominalstämme, welche von verben durch 
das suffix tvan gebildet sind, sehr häufig; in der bedeu- 
tung stehen sie den participien auf ant nahe (s. z. b. Leo 
Meyer vgl. gramm. II, 365): krtvan hervorbringend, be- 
wirkend, thätig; itvan (in Zusammensetzungen) gehend; 
vi-bhrtvan träger; äpraju tvan achtsam. Entsprechende 
bildungen kommen im altbaktrischen vor: kerethwan 
bewirker; daneben iu derselben bedeutung thwarit : vi- 
berethwant sich verbreitend, vgl. skr. vibhrtvan; cte- 
rethwant niederwerfend; vielleicht auch hieher hi- 
thwant schnell. In Verbindung hiemit kann bemerkt wer- 
den, dafs im altbaktr. thwana als primärsuffix vorkommt: 
äctaothwana n. lob. Gehört das lateinische suffix cundo 
mit skr. tvan zusammen und ist c hier aus tv ent- 
standen? 

Christiania, im december 1870. 



Sophus Bugge. 



10* 




148 



Birlinger 



Zur deutschen Wortforschung. 

1) Schleipfen = pelzen, oculieren. 

Ich mache hiermit auf eine bedeutung des wertes 
Schleipfen aufmerksam, die unsere Wörterbücher nicht 
kennen. Bairisch gibt es pelzen (bäume), schwäb. alem. 
impten, impfen für ein ganz ähnliches geschäft des 
baumgärtners. Wir haben eine reihe ausdrücke in der 
„neu eröffneten Schatzkammer verschiedener natur- und 
kunstwunder " u. s.w. 8. Nürnb. 1694 8. 533 ff. Des „kropf- 
fens oder peltzens erste art ist zwischen die rinden und 
das holz, so sonderlich zum kernobst dienlich, da soll der 
stamm zu der zeit, wenn der saft in die rinden kommt, 
wann er grofs etwas höher, wenn er klein etwas niederer 
abgesäget, hernach glatt beschnitten (werden) u. s.w." „Die 
andere art vom peltzen oder impffen heifset man in 
den spalt oder auf den kern und ist die beste vor das 
Steinobst u. s. w. a „Die dritte art zu peltzen wird ge- 
nennet in geifsfufs, wann das stämmlein also klein, dafs 
es nicht zwei reiser erleiden kann, da es dann wie eine 
pfeife beschnitten und nur obenher, da man das reifstem 
einsetzen will, ein wenig abgeschnitten und verebnet wer- 
den mufs. a 8. 535. »Die vierte gattuug geschieht ins 
creutz, wenn man nemlich auf dicke Stämme vier reiser 
setzen will.** „Die fünffte art von peltzen wird genannt 
das verhey rathen, wann nein liehen das reifslein am 
bäum gelafsen — auf einen pflanzenstock in den spalt ge- 
peltzet und dann erst abgeschnitten wird, wann das reifs- 
lein eingewachsen und schössen bekommen*, s. 535. „Die 
sechste art nennet man das aüglen — wenn man starker 
neuer schössen aüglein nimmt und solche auf junge pflanz- 
stöcklein setzt", a. a. o. „Die siebende art nennet man das 
röhrlein oder pfeifflein, wie auch das Schleipfen — 
da mufs man zwey schofs, die man hierzu brauchen will, 
von einer gröfse und ähnlichkeit erwählen, die pfeifflein 
von den besten schössen, so desselben jahres gewachsen, 
nehmen und sie auf gleiche neue schoss setzen; zu ablö- 
sung des röhrleins am untersten theil des neuen schöfslings 



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zur deutschen Wortforschung. 



149 



etwann zwei zwerchfinger lang die rinden rund umher auf- 
schneiden, solche allgemach reihen und immerdar auf eine 
stelle umdrehen, anbey aber der äugen fleifsig verschonen ; 
wann die rinde gelafsen das pfeifflein völlig ablösen und 
gegen der spitzen vollend abziehen; hernach das reifslein, 
darauf man es stecken will mit etlichen geraden ritzen 
aufschlitzen, die rinde wie kleine riemlein herabziehen, das 
röhrlein an das ledig abgescheite reifslein so lange, bis es 
wol ausgefällt ist und platt auflieget; also dafs sich etwas 
weifses saftes obenher sehen läfst, daran stofsen; hernacher 
die abgestofsne rinden unten her an dem pfeifflein nicht 
durchaus demselben gleich, sondern etwas höher abschnei- 
den, das obere blofse theil aber hinab bis auf das röhr- 
lein schaben und etwa zwei zoll hoch über demselben ab- 
schneiden, auch an beiden orten, damit kein wasser dar zu 
kommen möge, mit etwas baumwachs säuberlich verstrei- 
chen und endlich wieder die Sonnenhitze (ob des Schat- 
tens) oben an der spitze breite blätter stecken", s. 537. — 
Darauf folgt noch eine art pelzens: das einlegen = äste 
krümmen und wie reben einlegen d. h. gebogen. 8. 538. 

2) Eyspersbeerlin, ribes rubrum. 

Bei Schmid im schwäb. wtb. 162 steht; Eisperbeer, 
Eisperbsbeer für Johannisbeere; Augsburg, Kaufbeuren. 
In meinem Augsb. wtb. 142 b und 152 b habe ich das wort 
ebenfalls aufgeführt. So viel ich bis jetzt gesucht, so konnte 
ich sonst nirgends etwas über dasselbe finden. Aus einer 
gegend, wo rein alemannische spräche ist, zwischen Walds- 
hut und Schaffhausen, theilt mir mein Freund Heckmann, 
badischer Grenz-Obercontrolleur, ein dem ende des 16.jahrh. 
angehöriges handschriftliches kochbuch mit. Ich fand aber 
alsbald, dafs der Schreiber nicht dort, sondern in der 
schwäbisch- alemannischen grenzgegend bei Kempten und 
Kaufbeuren zu hause gewesen sein mufs, ohne Schmids 
bezeichnung des ortes zu kennen. Ich führe wegen der 
bisher geringen anzahl von belegen mehrere stellen aus 
dem genannten kochbuche an: Hüener in weisen Eys- 



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150 Birlinger 

perbeerlin einzuemaehen. nimbt fleisch oder hüener wan. 
selbige sauber bereit siudt, so lassts in einer suppen sie- 
den, bii's das er gleich gar gesoten ist; thuet dan ein theil 
brüe darvon, thuet ein handtvoll weise Ey sperbeerlin 
darein, die stihl sollen sauber darvon sein u. s. w. Bl. 53 a. 
Bl. 111b: Eysperbeerlin safft. zoppft die beerlin ab 
und truckts durch ein leines säcklin wol aus und nimbt 
zu 1 mafs safft ein seidien klerten zuckher und giefsts 
under einander, lafsts sieden , bifs dafs nit mer fast rinnt 
oder fleufst, so thut in herab, hat genug u. s. w. Bl. 17 b: 
ein pasteten von vöglen und höenern: so nimb vögel und 
hüener, die sauber bereit seien, legts in ein pasteten, thiit 
darein schnizlen und lemonie und ein gueten theil weise 
Eyspersbeerlin u. 8. w. Bl. lb: Dortten von weissen 
Eisperfsbörlin. nimb zeittige weisse Eispersbörlin, 
schneid die stile darvon, mach dan ein teiggle mit ayer 
meel und schmalz, auch wasser u. s. w. 



3) Geger = casula. 

Im bergischen hiefs noch vor drei jahrzehnten die vor- 
nehmere frackart mit grofsen glänzenden vergoldeten oder 
eitel goldenen knöpfen und kurzen schöfsen: geger spr. 
jäger. Nun kommen in bergischen, düsseldorfischen kirch- 
lichen schätz Verzeichnissen, inventarien die geger ebenfalls 
schon vor in der bedeutung von casula, mefsgewand, miss- 
achel, mcssachel (missahahul), was also dem fracke 
noch haften gebliebener uralter name ist und zu altem 
gagen, gageren, balancieren, auf beiden Seiten herabhängen 
gehört. Ich theile hier eine reihe stellen mit, die ich 
einem inventar des kirchschmuckes des Düsseldorfer Ma- 
rienstiftes von 1397 im Staats- und provinzialarchiv da- 
selbst entnehme, primo, de ornamentis festivalibus sunt: 
alba, choricappa, eyn witke chorecappe van fluelen*) 
(noch holländisch) mit eynem overgueden kroupe, ind bort 

*) Ein inventar desselben Stifts 1437: f. 139 b ejusd. cod. oraamentum 
missae nigrum de scrico elevato 8. flüeel. — integrum ornamentnm mis- 
•ale de serico nigro elevato dicto Flüeel a. a. o. 



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zur deutschen Wortforschung. 



151 



myt eynem gansen myssgeger de selven kunnes. — item 
eyn ganc royt guldener geger mit twen gülden roden 
cappen — ; item eyn bla gülden geger mit eyner kappen — ; 
item eyn gans geger van rödem kampkot; item eyn 
gans geger van rodem kampkot*) mit den wölken be- 
strouwet — ; item eyn gan6 geger, swart kampkot mit 
gülden lysten ## ) sunder beilde — ; item eyn swart ge- 
ger, gestrouwet myt silver mit der wäpen van der Horst 
inde Wynkelhusen — ; eyn gans swart harr es***) (Arras- 
stoff) geger to der herschap memorie ; item eyn gans 
geger blä mit güldenen sterren besäet (besetzt); — item 
eyn gans roide geger van onsser vrauwen, item eyn gans 
groyn geger zör seilmessen, item eyn gans flueel ge- 
ger gestrewet mit wyssen blomen; item eyn gans swartz****) 
fluelgeger mit lysten — ; item eyn akoleyen geger 
mit roiden wilden dierken — ; item eyn roit kampkot 
geger mit wilden dyren — ; item eyn dunker bla geger 
mit gülden XI geger. 

Aus dieser mittheilung ersehen wir deutlich die hand, 
die des hochdeutschen sich befleifsen will und die noch 
des unverschobenen lautbestandes gesetze wahrt. Aehn- 
liche Vorgänge sind für die geschichte der neuhochdeut- 
schen spräche am Niederrhein sehr beachtenswert!], wo 
bekanntlich erst am Schlüsse des 16. jahrh. nicht ohne er- 
heblichen einflufs des Bonner protestantischen gesangbu- 
ches das hochdeutsche so recht in die höhe kam. Der 
Düsseldorfer rath liefs seine protocolle noch c. 1550 ganz 
platt- und niederrheinisch abfassen. 



*) Inv. 1437 f. 140a: integrum ornamentum missale cum omnibua 
suis attinentiis rubrum kampkot. — rubrum ornamentum de kampkot. 
**) Inv. 1437: in oririis dictis lysten. cum oririis aureis in- 

sertis. 

***) Das Inv. v. 1437 hat: de panno harres. 

*♦**) So hat dieselbe handschrift: mit syden strypen und das neuere 
stryfeo. Bl. 2b. Bl. 3a: eyn wyt ornament gespart mit wifser syden. ? 
neben ei für t nebeneinander; U und eu, ey für iu desgleichen; twen ne- 
ben zwen und dat. — Ganz mundartlich bouk, buch, versenbouk, ver 
sikelbuch der klosterfrauen in den hören, zwey methenbouk u. s. w. 



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152 



Birlinger 



4) Struot. 

Zu zeitschr. XIX, 31 3 ff. 

Gleichzeitig mit XIX h. 4 dieser Zeitschrift erschienen 
auch die deutschen Virgilglossen im 1. hefte des dritten 
bandes neue folge der Haupt'schen Zeitschrift. Einen wei- 
tern beleg bringt der herausgeber Steinmeyer aus Altswert 
s. 226: „wie grulich was die strut und auch des meres 
freie". Hpt. zt. s. 108, zeile 42. 180, nachträge. Nun hat 
mir auf meinen artikel Oberlehrer Waldmann in Heili- 
genstadt, Eichsfeld, die bestätigung meiner Sätze, die För- 
stemann geahnt, Möllenhoff als wahrscheinlich vermuthete, 
geschrieben. Ich entnehme dem sehr dankenswerthen Hei- 
ligenstädter gymnasialprogramme Waldmanns von 1856: 
„Ortsnamen vonHeiligenstadt u folgendes: „Strutborn d.h. 
der brunnen in der Strut. Struot übersetzt Grimm R. A. 
8. 635 mit Silva, Graff 6, 751 läfst es unentschieden, ob 
es wald, gebüscb, kotbiger busch oder flufs bedeute. Das 
sehr häufig bei uns vorkommende wort bezeichnet jetzt von 
dem allen bald dieses bald jenes. Schon im jähre 1162 
war es hier ortsname geworden: Guntherodt cum sylva 
Stroth. Wolf p. G. 1 Urkunde s. 11; so heifst die ge- 
gend noch heute. Strut a. 1273. — Eichstruth sind 
die bekannten dörfer, Strut heifst im thüringer walde ein 
bach und das dorf an demselben (L. Storch, wanderbuch 
1851). So viel ich übersehe werden hier vorzugs- 
weise sumpfige und nasse gegenden so genannt. 
Die Unstrut, alt Onestrude, wird daher die Strut 
sein, aus der die One kommt. One ist ein' bachname, sie 
fliefst bei Kalmerode. Die Unstrut hätte demnach ihren 
namen von der gegen d bekommen, in der sie entspringt, 
während sonst umgekehrt die namen von fliefsenden gewäs- 
sern auf die gegenden übergehen, die sie durchschneiden, 
z. b. Pferdebach, Eichbach.** Dazu schrieb mir W. noch 
namen wie Striet, offenbar dasselbe. 



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zur deutschen Wortforschung. 



153 



5) Jouchen, joucken. 

jöuc&en, jöucften (sp. heute jaicAen, denn das umge- 
lautete öu wird vom Alemannen und Schwaben wie ai ge- 
sprochen, als ob es von ei herkäme) bedeutet jagen, trei- 
ben, hetzen: abejaicha, uffejaicha, 'räjaicha, 
'noufsjaicha, futtjaicha. d'bftra ufs 'm land ufsi 
jaicha, ein allgäuisches bubenspiel, sonst geigerle ge- 
nannt. Im Schwarzwald hört man jaicha ganz wie am 
obern Neckar gerne für vieh vom garten, verbotenem lande 
treiben; hennen wegjagen vom frisch gesäeten banffeld u.s.w. 
Fedor Bech bespricht in Pfeiffers Germ. X, 403 unser 
wort, das weder vom mittelhochd. wörterb. I, 773 b noch 
von Haupt z. Nithart verstanden ward und sagt: „es ge- 
höre, nach den beigebrachten beispielen zu ur- 
theilen, vorzugsweise der alemannischen mund- 
art an**. — Grieshabers altd. predigten I, 125. II, 42. 
1,6 bringen die form j ochen „jochet si u zerjochet von 
den füchsen Simsons; ich stelle statt o ein 6, ou auf, 
was mir die richtigere lesart däucht; oder aber der Um- 
laut des ou ist frühe zu ö geworden, was unbezeichnet 
gelassen ist. Die Mon. Zoll. 15. jahrh. bringen jöchen. 
In Geilers ev. buch 176b: wann zwen gejaucht werden 
von jren freunden. Ein Vocab. Incip. bei Zarncke, Brant 
hat jauchen vulgariter jagen, fugare, insequi, venari. 
322 a a. a. o. sind noch mehrere stellen. Oheim, Reichen- 
auer ehr. jöueken: ward Pirminius von Theobaldo us 
der insul verjöckt 12. einen vertribenen und verjöok- 
ten man. ibid. von der apptye verjöcken 8.43. — Die 
chronik der Edlibacher, antiq. gesellschaft, Zürich IV, 
41, 78 ff.: jouktend der von Zürich hund wider hinder 
sich. Die Aulendorfer handschrift von Thalhofers fecht- 
buch 15. jahrb. hat geychen „so man jn geycht u . Die 
Günzburger Statuten 1 6 . j ahrh . jachen. 

Schmeller führt ein unbestimmter gegend eigenes 
jauken an, verweist auf Stalder II, 71. 72 und bringt 
aus dem vocabul. v. 1429 jächen, fugare. Vergl. augsb. 



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154 



Birlinge/, zur deutschen Wortforschung. 



wb. 251. Frisch I, 483 b. Oberlin 736. Scbmid 2fM, der es 
mit jeit, jaget zusammenhält. — (juk, jiuk, jauk und 
davon jaukjan = springen machen). 

Ueber die Ortsnamen mit jiukan s. J Grimm in Haupts 
zeitschr. VIII, 8 ff. 

6) Aerrachen u. s. w. 

Aerrachen, -er, pl. neutr. ein in dieser Schreibung 
spezifisch bodenseeisch-lindauisches wort: pfalwerke im see, 
eine art pfalhügel, unweit von der Stadt, in der fische- 
rei sehr ergiebig und darum nur statutenmäfsiges erlaub- 
tes fischen möglich ist. Die fiscber legten dort reisigbfi- 
schel ein, hiengen ihre netze aus. In den alten fischer- 
ordnungen unzähligemal erwähnt. „Doch (soll) dabei dm 
Vischern die Gräfsling Erracher haben dieselben zu ge- 
brauchen — erlaubt sein." „Sonder die, so eigene Aera- 
cber haben, mögen solche Körb in dieselbigen legen und 
sonst an keinen andern Ort. 4) sol hinfüro kein burger Vi- 
scher noch anderer keinem anders bei seinem A er räch 
weder dar uff noch darneben mer zockhen a u. s. w. „Der 
Erracher halb den burgern anzumachen und aufzunemen 
— sol frei sein a u. s. w. In einem dortigen aktenstück heifst • 
es aus dem IG. jahrh. „habe ir man, e er gesturb mit in 
überkommen, daz sie jren sun füren und der Gewinn ain 
rittail messen; darum hab er jnen geben ingemain ein eigen 
A er ach und die andern A er ach, die halb hin weren zu 
drittailen gemacht; won sy nu von der sach gangen sigen, 
den knaben in der vasten an das land geleit; och den 
winter, so die Aerach gewinnig sind davon nutz werden 
lafsen; so begert die Frow yr aigen Aerach und die ge- 
meinen halben Aerach mit dem drittail der gewin wider 
volgen zu lafsen und herufszugeben das ärach bim Thor 
si Rudolfs vater gewesen u u. s. w. 

Man unterschied innere und äufsere Aerrachen. Der 
volksmund kannte den plur. neutr. -er nicht. 

Bei Stein am Rhein waren ebenfalls Aerrachen. 
Schmid 170 bat Erich, Erken aus Ulm für flechtwerk 
zum fischfang im wasser ausgespannt und befestigt. 1501 



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Spiegel, die 3. ps. plur. des perf. red. med. im altbak Irischen. 155 



den fischern Erich schlagen verboten, ad 1527 soll der 
abt von Wiblingen seinen Erch in der liier ausziehen 
u. s. w. Schmid bringt noch mehr belege. 

Vergl. D. WB. s. v. arche. Schindler I, 103. 
Bonn. Birlinger. 



Die dritte person plur. des perf. red. med. im 

altbaktrischen. 

In der mir eben zukommenden abhandlung : Ueber die 
entstehung und Verwendung der im sanskrit mit r anlau- 
tenden personalendungen (abbandlungen der Göttinger ge- 
sells. der Wissenschaften XV, 71) sagt Benfey: „ Beiläufig 
bemerke ich, dafs Spiegels altbaktrische grammatik p. 247 
irrig äonhaire mit kurzem a giebt; Yt. X, 45, die einzige 
stelle, die Justi dafür citirt, hat wenigstens bei Wester- 
gaard ohne eine Variante äonhaire mit langem a". Wenn 
ich dieser bemerkung gegenüber erkläre, dafs die form 
äonhaire keineswegs durch einen druckfebler oder sonsti- 
ges versehen in mein paradigma gekommen, sondern vor- 
sätzlich in dieses aufgenommen worden ist, so geschieht 
dies nur, um daran einige weitere bemerkungcn zu knüpfen, 
welche bei einer so selten vorkommenden form nicht ohue 
interesse sein werden. Es ist zwar ganz richtig, dafs die 
stelle Yc. X, 45 die einzige ist, in der eine 3. ps. pl. des 
reduplicirten perfectum im medium vorkommt, auch wüfste 
ich keine Variante zu jener stelle namhaft zu machen, 
welche uns den text zu ändern erlaubte; freilich sind die 
Yashthandschriften meines erachtens nicht von sehr hohem 
werthe für die endgültige feststellung grammatischer for- 
men. Es mufs aber für unsere form noch eine andere 
stelle zugezogen werden,' an welcher dieselbe zwar nicht 
in den texten aber in den Varianten steht, diese stelle ist 
Yc. IX, 74 (IX, 23 W.) und lautet: Haomö taoekit jäo 
kaininö äonhare d. i. Haoma (giebt) denjenigen, welche mäd- 
chen sind (oder: als mädchen dasitzen, nach der tradition) 



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156 



Spiegel 



u. 8. w. Zu äonhare bemerkt Westergaard : Corrected ; 
äonbäiri K. 5, äohhairi K. 4, äonbaire K. 6. Ich bin We- 
stergaard in meiner ausgäbe mit dieser correctur gefolgt, 
für welche die lesart äonhare im bombayer Vendidäd-säde 
eine gewisse stütze bietet, aber als Varianten giebt auch 
ineine ausgäbe äonbäiri in AC und äohhairi in bcd. Schlie- 
fsendes i und e wird in den handschrifben so gewöhnlich 
vertauscht, dafs man ohne bedenken das eine für das an- 
dere corrigiren darf, wenn die grammatik es erfordert. 
Der grund nun, warum ich mit Westergaard äonhare lese, 
liegt in den anfangsworten von §. 73: haomö taekit yöi... 
äonhenti. Hier ist das activ äonhenti ausgezeichnet be- 
zeugt und es ist schwer zu glauben, dafs der Verfasser 
dieses Stückes in dem einen satze eine activform, in dem 
andern eine medialform in ganz gleichem sinne gebraucht 
haben sollte, zumal da das genus des verbum im altbaktri- 
schen nicht in so willkürlicher weise wechselt wie etwa 
im epischen sanskrit, und die Ähnlichkeit der formen äon- 
hare und äonbaire erklärt es, dafs die eine form leicht an 
die stelle der andern treten konnte. Hierdurch verlieren 
jedoch die lesarten zu der stelle nichts an ihrem werthe 
und man wird auch äonhare an unserer stelle nicht auf 
ah, sein, sondern auf äonh, sitzen mit der tradition zu- 
rückführen müssen. Unsere handschriften geben nun die 
medialform statt des activs äonhare und diese medialform 
würde man auch jedenfalls in den text setzen müssen, wenn 
man im §. 73 äonherite statt äonhenti lesen wollte; dies 
thut nun Burnouf und bei ihm finden wir demgemäfs auch 
die lesart äonhairg bereits in den text gesetzt. Seine gründe 
für die wähl dieser lesart hat er (Etudes p. 295) folgender- 
mafsen angegeben: Je Iis äonbaire avec le numero IIIS, 
quoique la lecon la plus ordinaire de nos manuscrits sott 
äonhairi, ou, ce qui revient au meme, äonhäiri, äonhari 
et enfin äonhare (Manuscr. de Londres et Tedition de 
Bombay p. 48). Ce qui me decide en faveur de la pre- 
miere lecon, laquelle se trouve appuyee en partie par Tor- 
thographe äonharae que donne un manuscrit de Londres, 
c'est l'identite visible de cette desinence are ou aire, avec 



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die 3. pa. plur. des perf. red. med. im altbaktrischen. 



157 



la terminaison re des parfaits moyens en sanscrit. II Im- 
porte, en outre, de remarquer que Jes manuscrits coufon- 
dent souvent les deux voyelles 6 et i, de Sorte que la 
lecon äonhairi revient sans peine k Celle de äonhair€. Wir 
glauben, es wird keines beweises bedürfen, dais aonbaire 
und nicht äonhäirS die form ist, welche man nach analo- 
gie des activs äonhare und der entsprechenden sanskrit- 
form erwartet; mittelbar spricht für sie auch noch die 
form äonhairyö. Will man äonhäire lesen, so wird man 
zur erklärung dieser form nur sagen können, äire sei eine 
dehnung für aire, wie dies Schleicher (Comp. §. 282) be- 
reits gethan hat. Mir scheint aber diese dehnung, welche 
das a in manchen handschriften erfährt, nur eine ortho- 
graphische Schwankung, wie deren im altpersischen (raeine 
keilin8chriften p. 141) und im altbaktrischen (m. altbaktr. 
grammatik §. 15) öfter vorkommen. 

Fr. Spiegel. 



Die Oberdeutschen Familiennamen. Von Dr. Ludwig Steub. München 
1870. 8. X und 216 8. 

Ludwig Steub (und ähnlich wie er sein freund 
Adolf Bacmeister) ist auf einem ganz andern wege 
zur namenforschung gerathen als wir übrigen. Die deut- 
schen Alpen mit ihren almen und halden, ihren firnen und 
tobein sind es, woran sein herz hängt und wonach seine 
seele sich sehnt. Sie hat er in frischem frohsinn oft durch- 
wandert und mit offnem auge alles beobachtet, was ihm 
die grofse natur und die von dem heutigen wilden erden- 
leben abgeschlossene menschenweit dort darbot. Daraus 
gingen bücher hervor wie sein bairiscbes hochland (Mün- 
chen 1860), seine Wanderungen im bairischen gebirge (Mün- 
chen 1862) und seine altbairischen culturbilder (Leipzig 
1869). Die beobachtung der orte und der leute aber führte 
ihn ganz von selbst auf das, was deren eigenstes und feste- 
stes besitzthum ist, ihre namen. Und zwar ist Steub 



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15S 



Föratemann 



nicht erst, seit gestern auf dieses fach gerathen ; seine ur- 
bewohner Rbätiens (München 1843) und sein buch zur rhä- 
tischen etbnologie (Stuttgart 1854) gehören recht eigent- 
lich der namenkunde an und bekunden, dafs es ihm mit 
diesen dingen hoher ernst ist. So veröffentlichte er auch 
im September und october 1869 in der Augsburger all- 
gemeinen zeitung eine reihe von aufsätzen über deutsche 
und besonders bairische familiennamen, die dann auch 
sofort in Augsburg in besonderem abdrucke erschienen. 
Diese kleine schrift in vielfacher erweiterung und nament- 
lich in ausdehnung über das ganze südliche Deutschland 
bis nach Frankfurt hin ist zu dem hier anzuzeigenden buche 
geworden. Sich das gebiet noch mehr zu erweitern und 
auch über Niederdeutschland zu erstrecken, vermied er in 
erwägung der bisher dem norden schon in viel höherem 
mafse zu theil gewordenen forschung (s.. 4). Aufserdem 
hätte ihn das auf Studien geführt, die ihm fern liegen, und 
er wollte das buch rasch beenden (s. VII), denn es sollte 
eine populäre schrift bleiben (s. 1) und deshalb beansprucht 
sie auch eine billige kritik (s. VIII). Mit einem worte, 
das buch will nicht dadurch die Wissenschaft fördern, dafs 
es die bisher gewonnene kenntnifs erweitert, sondern da- 
durch, dafs es diese erkenntnifs möglichst vielen mittheilt, 
die ihr bis jetzt noch fern standen. Und das hat seine 
hohe berechtigung und der kritik erwächst die pflicht, da- 
nach ihren Standpunkt zunehmen. Glücklicherweise kann 
sie das aber auch, ohne in schwäche zu verfallen, denn 
hinter diesen fast spielend mitgetheilten Wahrheiten liegt 
doch ein ganz ernstes stück arbeit. WennSteub (s. VII) 
mein altdeutsches namenbuch das füllhorn nennt, das er 
immer in den armen gewiegt und aus dem er ohne unter- 
lafs geschöpft habe, so mufs ich ihm die volle Wahrheit 
dieses ausspruches bezeugen und bedaure nur, dafs dieses 
füllhorn (ich meine den ersten band) seiner zeit nicht besser 
gefüllt werden konnte, da für eines menschen schultern 
beide gebiete, das örtliche und persönliche, zugleich zu 
tragen zu schwer war, zumal da ich noch viel anderes zu 
tragen hatte. Ich erwähne dies auch deshalb, weil in die 



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159 



Untersuchung Über unsere heutigen familiennamen erst dann 
ein rechtes gedeihen kommen kann, wenn erstens der erste 
band meines namenbuches von neuem bearbeitet und zwei- 
tens ein (etwas anders anzulegendes) namenbuch aber die 
Personennamen mindestens des 12. und 13. Jahrhunderts 
wird erschienen sein. Steub fühlt auch selbst, dafs wir in 
vielen dingen hier noch völlig im dunkeln sein müssen und 
spricht sich darüber mehrfach in harmloser ironie aus (z. b. 
seite (18, 87, 116). Aber in dem, was wir schon wissen 
können, steht diese schritt hoch über fast allen neuerdings 
in so grofser zahl erschienenen namenbüchlein und es ist 
z b. nicht mehr davon die rede, dafs Gundo grade von 
Gundobald, Volko grade von Volkmar abgekürzt sein 
müsse (das richtige verhältnifs wird auf seite 34 dargelegt); 
auch geht der Verfasser mit vollem rechte weit mehr als 
selbst Pott und Vilmar von den alten namen aus (seite 
123). Eine grofse vorsieht und ein höchst gesunder sinn 
legen ihm die vielen Schwierigkeiten bei diesen deutungen 
offen dar und er vermeidet es nur um der lesbarkeit des 
buches willen, den lesern alle die zweifei und fragen auf- 
zutischen, die uns hier überall aufstofsen (s. 42). Manche 
einzelne namendeutungen wie die von Schafhäutl (s. 7), 
von Milbiller (s. 141) und andere waren mir neu und ha- 
ben mich erfreut; bei einigen andern möchte ich etwas mit 
dem Verfasser rechten, so zum beispiel bei Tassilo (s. 41), 
Seidel (s. 62, 64); woher weifs er, dafs die Liubisaha (der 
flufs Loisach) von Liebhart (s. 15) oder Berchtesgaden (s. 35) 
von Perahthari kommt? auch Sparagildis (s. 28) ist wol 
falsch gedeutet. Mit den sogenannten koseformen ist in 
neuerer zeit allerlei unfug getrieben worden, und wer die- 
ser wilden lehre ganz anhängt, von dem möchte ich sehn, 
wohin er wol in einem namenbuche solche formen einord- 
net; auch ist hier noch manches schärfer zu bestimmen, 
so z. b. scheinen mir die formen mit doppelconsonanz 
vor dem -o des nominativs grofsentheils durch assimilation 
des suffixanlauts (ich denke an urdeutsch -jan, nom. -ja) 
entsprungen zu sein. Auch Steub ist hier nicht frei von 
zu grofser kühnheit (z. b. seite 53, 65, 66); warum soll 



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1G0 



Förstemann, anzeige. 



denn Poppo grade aus Potpert (s. 99) entsprungen sein? 
Dafs in Adelberga quae cognominabatur Ava letzteres schon 
im frühen mittelalter aus ersterem als koseform entsprun- 
gen sein soll (s. 90), glaube ich durchaus nicht, halte viel- 
mehr sprachlich beide formen für eben so unabhängig wie 
in Ludovicus, qui cognominatur Steub. Auch in der gleich- 
setzung verschiedener vocale ist mir der Verfasser für die 
alte zeit mehrfach zu kühn (s. 14, 60, 115, 124). Doch 
nun genug mit diesen mäkeleien, die für ein solches buch 
eigentlich gar nicht passen und die nur deshalb laut wer- 
den, weil ich es in einer Zeitschrift der strengen schule 
zu besprechen habe. 

Die anordnung der schrift ist so, dafs ihr kern von 
vier verschiedenen capiteln eingenommen wird, welche die 
vier wichtigsten klassen unserer familiennamen behandeln, 
je nachdem diese entweder von den alten eigennamen aus- 
gehn oder die eigenschaften oder den stand oder die her- 
kunft der namenträger anzeigen. Nur die erste klasse, 
weitaus die wichtigste und schwierigste, ist ausführlich be- 
handelt, die andern sind kurz abgethan, doch nicht ohne 
auch hier vielfach zu belehren und anmuthiges darzubieten. 
Eine mit dem gegenstände der schrift nur in loserem zu- 
sammenhange stehende herzensergiefsung gegen den ultra- 
montanismus schliefst sich an die eigentliche abhandlung 
an. Das ganze wird beendet durch ein reichhaltiges re- 
gister, welches aber bei einem solchem buche nicht voll- 
ständig sein kann. 

Wir scheiden von der liebenswürdigen schrift mit herz- 
lichem danke gegen den Verfasser, der den männern des 
faches eine wohlthuende erfrischung, den lernbegierigen 
kräftige anregung damit geboten hat. 

Dresden, d. 14. dec. 1870. 

E. Förstemann. 



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Fick, etymologische beitrüge. 



161 



Etymologische beitrage, 
i. 

Lat. invitus, invitare; skr. köta; preufs. quaita, 

lit. kvesti. 

Keiner der bisherigen versuche, lat. invitus ungern, 
wider willen und das, wie ich gleich hier bemerke, davon 
unzertrennliche invitare einladen zu deuten, kann für völ- 
lig befriedigend gelten. Ich glaube einer kritik dersel- 
ben überhoben zu sein, weil ein glücklicher zufall mir 
die, wie ich meine, einzig richtige deutung in die hand 
gegeben hat. In-vitu-s, in welchem das negativpraefix in- 
nie verkannt worden, braucht durchaus kein partieip zu 
sein; es kann vito- eben so wohl ein Substantiv sein, wie 
artno in in-ermi-s, frßno in in-frenu-s. Dies selbe Substan- 
tiv erkenne ich in in-vltare, einem denominativ desselben 
mit der praeposition in. Gelingt es nun, in einer verwand- 
ten spräche ein nomen aufzufinden, welches den lauten 
nach mit diesem vito ursprünglich eins gewesen sein kann, 
und aus dem zugleich ungezwungen die bedeutungen der 
auf den ersten blick gar nicht sehr nahestehenden in-vitus 
und in-vltare sich herleiten lassen , so scheint mir, schon 
das spiel gewonnen. Bedenken wir jetzt, dafs im latein 
in einer nicht ganz geringen zahl von fällen c und g vor 
v im anlaute abgefallen, wie in vapor für evapor, vlvus 
für gvivus u. a., so wird man die möglichkeit zugeben 
müssen, dafs vito aus evito erwachsen sei. Ferner kann I 
regelrecht die gunasteigerung von i darstellen, wie in vl- 
nu-m = jrotvo, grundform vaino, so dafs wir also eine 
grundform kvaita- erhielten. Mit dieser grundform deckt 
sich nun skr. keta m. ein vedisches wort mit der bedeu- 
tung: verlangen, begehren, absieht; aufforderung, einla- 
dung. Von diesem worte wird gebildet lietaja ketajati 
auffordern, einladen, wovon wieder ketana n. aufforderung, 
einladung. Man sieht jetzt, wie in-vTtus und invitare zu- 
sammenhängen, in-vitu-s heifst: kein verlangen, kein be- 
gehr habend von kaita verlangen, begehr, in-vltare ist de- 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 3. 1 1 



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162 Fick 

nominativ von kaita aufforderung, cinladung und heilst 
demnach wie skr. ketaja einladen. — Es bleibt noch ein 
bedenken. Das v, vor dem wir regelrecht c abfallen He- 
lsen, zeigt sich nicht im sanskritworte; wer giebt uns also 
das recht, eine lat. grundform cvlto, eveito anzusetzen? 
Nun ist freilich bekannt, dafs auch in andern fallen dieser 
art das Sanskrit die beimischung eines solchen v nicht 
zeigt, so liegt ja lat. vivus neben skr. giva, vi-s neben 
skr. gi, allein in eben diesen fallen lälst sich meist in ir- 
gend einer europäischen spräche, zunächst im griechischen 
ein ebenso verstärkter anlaut oder dessen Wirkungen nach- 
weisen. So deutet ßio-g auf p^o, graecoitalisch gvlvo, 
ßia gewalt auf graecoitalisch gvi bewältigen, und im go- 
tbischen entspricht dem lat. vivus ein qiva- wie dem lat. 
ven-io ein qam. Es wäre demnach zur völligen sicherstel- 
lung unserer combination erwünscht, dafs wir einen reflex 
unseres kaita kvaita in irgend einer europäischen spräche 
eben in dieser letzteren form kvaita nachweisen könnten. 
Und da finden wir denn im altpreufsischen katechismus 
ein in vielen formen Überliefertes verb quoit wollen. Es 
genüge hier anzuführen: quoite er will, quoitämai wir 
wollen, quoitä sie wollen, po-qüoititon ast es ist begehrt 
worden; an nominalbildungen : po-quoitl-sna-n acc. ge- 
lüste. Das verb ist ein denominativ von dem ebenfalls 
uns Überlieferten quaita- im nom. quäit-s, acc. quäitan, 
quaitin m. der wille, wovon ni-quait-ing-s unwillig (wie 
in-vitu-s). Hier haben wir kv im anlaute, und entspricht 
prenfs. quaita- m. wille ganz genau einmal dem skr. keta 
m., andererseits dem als grundform für vito- von uns an- 
gesetzten eveito-. Jetzt wäre noch willkommen, fänden 
wir in einer andern spräche unser wort in der bedeutung: 
einladung, aufforderung, wie im skr. keta einladung, ketaja 
einladen und lat. in-vitare. Auch dieser wünsch kann be- 
friedigt werden: lit. kveczü kves-ti heifst einladen, davon 
kves-tys fem. -le' hochzeitbitter, -bitterin u. a. Lit. kveezu 
ist = kvet-ju, 6 ist Steigerung von i, also gleich altem 
ai, das verb, wie sein praesensthema mit -ja zeigt, ein 
denominativ von kvaita- einladung = skr. keta einla- 



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etymologische beitrüge. 



163 



ilung. — Herkunft und fainilie unseres kaita lassen wir 
dahingestellt sein: uns genügt es hier, ein indogermanisches 
urwort „kaita verlangen, hegehren ; auff orderung, einladung" 
erwiesen zu hahen. 

- 

2. 

altn. örr n., skr. arus n. 

Altn. Örr n. narbe, schramme, wovon örr-öttr narbicht, 
schrammicht, steht in den germanischen sprachen ganz 
vereinzelt und ohne erkennbare ableitung da. Hierdurch 
wird schon wahrscheinlich, dafs es eine uralte bildung, ein 
rest einer ältern Sprachperiode sei. Dies bestätigt sich, 
wenn wir die grundform des worts herstellen, ö ist Um- 
laut von a, bewirkt durch folgendes u, rr kann in unserem 
falle nur aus rs erwachsen sein; so ergiebt sich mit noth- ' 
wendigkeit als grundform: arusa n. Hiermit stimmt offen- 
bar skr. arus n. wunde, als adj. wund. Der Übertritt der 
themen auf as, us in die a-declination ist bekanntlich im 
deutschen regel, vgl. goth. riqiza- n. finsternifs = skr. ragas 
n. dass. Abzuleiten ist arus von ar in der bedeutung 
feindlich angehen , schädigen , die sich z. b. im skr. ärta 
(ä + rta) angegriffen, geschädigt, äytjutvog mitgenommen 
und andern zeigt. 

3. 

goth. ragina- n. und skr. rakana n. 

Goth. ragina- n. meinung, rath, rathschlufs, beschlufs, 
wovon ragin-ei-s (d. i. ragin-ja-s) n. rathgeber, vormund, 
ragin-on regieren, Statthalter oder landpfleger sein, hat ein 
besonderes interesse erregt, weil das wort nach ausweis 
der übrigen deutschen dialecte frühzeitig eine religiöse be- 
deutung gewann, indem es vorwiegend für das walten der 
götter und schicksalsmächte verwendet wurde. An. heifsen 
nämlich regin (rögn) g. ragna n. pl. die rathschlagenden 
und beschlufs fassenden göttlichen gewalten, as. findet sich 
das wort im gen. in regio 6 giscapu n. pl. beschlüsse der 
rathenden, göttlichen gewalten, götterschlufs, schicksals- 

11* 



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1G4 



Fick 



schlufs, ahd. ragin-, regin- in einer menge von eigenuamen^ 
endlich hat man unser wort selbst noch im neuhochdeut- 
schen nachgewiesen in Verbindungen wie rein-blind, rein- 
toll, eigentlich durch götterschlufs blind, toll. Mit dem 
deutschen ragina- deckt sich völlig skr. rakana n. und -ä f. 
das ordnen, anordnen, einrichten, betreiben zu rak anord- 
nen. Weiter gehören diesem stamme zu ksl. rokü m. be- 
stimmte zeit, ziel und racQ, raciti wollen; im deutschen 
noch goth. rahnjan rechnen und ga-reh-sni, f. bestimmung. 
Die grundbedeutung scheint sammeln, zusammenthun, we- 
nigstens wüfste ich nicht, wie man lit. rink-ti sammeln, 
lesen, rauka f. = ksl. rqka f. hand (als sammelnde, zu- 
gleich aber auch ordnende, einrichtende) von dieser wurzel 
trennen könnte. 

4. 

xoaöäuu uud an. hrata. 

Kgccdccw und xyaöaivo) schwingen, schwenken, med. 
schwanken, werden gewifs richtig zu skr. kürd kürdati 
(grundform kard) springen gestellt; näher noch steht an. 
hrata schwanken, neigen, sinken, vornüber fallen. Aus 
xyaddu) und diesem hrata läfst sich ein europäisches kra- 
däja oder kardäja schwenken, schwanken reconstruiren, 
denn wenn auch sehr wahrscheinlich, dafs kard für ur- 
sprüngliches skard steht (vgl. mhd. scherz m. sprung, hops; 
äufserung fröhlicher laune, scherz ; scherzen springen, scher- 
zen), so ist doch wiederum kein grund abzusehen, warum 
nicht zur zeit der europäischen, ja selbst schon der indo- 
germanischen Spracheinheit ein kard neben skard soll be- 
standen haben. 

5. 

lat. claudu8, lit. klauda. 

Die beliebte Zusammenstellung von lat. claudus hin- 
kend, lahm mit goth. halt-8, ahd. halz, die ich leider auch 
adoptirt, ist lautlich unmöglich, was bei den jetzigen an- 
forderungen der Wissenschaft keines beweises bedarf, da 



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etymologische beiträgt'. 165 

lat. au eben nicht aus a werden kann, ebenso wenig wie 
goth. a aus au. Viel näher liegt dem lateinischen worte 
lit. klauda f. nach Nesselmann ein körperlicher fehler, ge- 
brechen, klaudq padaryti in der art possen treiben, dafs 
man sich z. b. lahm stellt; dazu klaude f. gleicher bedeu- 
tung, klaud-inga-s mit einem körperlichen fehler behaftet. 
Was die ableitung betrifft, so ist Zusammenhang mit lat. 
claudere schliefsen gar nicht unmöglich. Das europäische 
klu klud heifst eigentlich anhängen, hängen bleiben, wie 
das lit. kliu-ti deutlich zeigt; lit. kludyti heilst hängen 
bleiben; sodann auch im wegc stehen, hindern, klaudyti 
aufhalten, hindern, klau-te f. hindernils. Danach ist clau- 
dus ein gehinderter, im gehen gehemmter, lit. klauda ein 
(körperliches) hindernifs (an der freien bewegung). Diese 
Übertragung scheint nicht sehr kühn; nehmen wir Zusam- 
menhang zwischen dem lat. und lit. worte an, so hätte 
sich diese eigentümliche Verwendung des verbs klud schon 
in der zeit der europäischen spracheinheit ausgebildet. 

6. 

lat. germeu n., preul's. körnicn. 

Der versuch, lat. germeu n. sprosse, keim mit ig. ghar, 
woraus eine menge Wörter in der bedeutung grün , gelb 
sein herfliefsen, specicll mit zend. zaremaja das grün, lit. 
zehnen- m. sprosse, schöfsling zusammenzubringen, ist mit 
recht aufgegeben, da ursprüngliches gh im anlaut nicht 
durch lat. g reflectirt wird. Dagegen scheint es möglich, 
germeu aus *cermen zu deuten. Wie leicht das anlau- 
tende c zu g ward, ist bekannt, speciell für unsem fall 
erinnere ich an die ältere und jedenfalls ursprüngliche na- 
mensform Cermalus für das spätere Germalus. Von ger- 
meu stammt unzweifelhaft germ-änus leiblich von geschwi- 
stern, indem das suftix -änus an den verkürzten stamm 
germ- antrat. Es läfst sich nämlich mit höchster Wahr- 
scheinlichkeit erweisen, dafs schon die indogermanische Ur- 
sprache die Wörter auf man in der Wortbildung wie themen 
auf ma behandelte, wenigstens stimmen mehrere der best 



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IG« 



conservirten sprachen in dieser eigenthümlichkeit überein. 
So bildet das sanskrit z. b. karm-ika von karman, acm-ija 
von acman, arjam-ja von arjaraan (beispiele liefsen sich 
leicht zu hunderten häufen), das griechische bildet %£ifA-ii] 
von £6tytcrv-, ädt)ito-avvf] von ced'ijfiuv- u. s. w. und entwik- 
kelt sogar eine menge nebenthemen auf (xo neben nav. 
Sonach ist germ-änu-s ganz regelrecht von germen gebil- 
det, wie ja auch hüm-änus von homon-, und braucht ein- 
stiges germin-änus gar nicht angenommen zu werden, so 
wenig wie homin-änus, denn die länge in hümänus braucht 
auf solche zusammenziehung nicht zu deuten, so wenig 
wie in hüm-ili-s yon hümus = ig. ghama. Zu der bedeu- 
tung von germänus stimmt nun merkwürdig altpreufs. ker- 
men leib, körper, wovon kermen-iska-s leiblich, welches ich 
mit germen für identisch halte und welches demnach eigent- 
lich „gewachsenes", sodann mit der leichtesten Übertragung 
von der weit „wuchs u = leib des menschen bedeutete. 
(Ueber kennen = kermen s. unter 8.) Sehen wir uns 
nun für das angesetzte *cer-men wuchs nach anlehnung im 
latein um, so ist sogleich deutlich, dafs cer- in cer-men 
die primäre form des weitverzweigten verbs cre- cre-scere, 
cre-vi wachsen ist, wie cer- in cer-no sichte die urform 
zu crö- in dis-crö-tus u. s. w, Mit welcher der „wurzeln" 
kar wir nun am besten cer-, cre- wachsen zusammenstel- 
len, soll hier nicht verfolgt werden, erinnert werde nur an 
skr. kar-lra u. rohrschöfsling , das auf 3 kar des petersb. 
wörterb. prs. kirati weist. — Nimmt man diese Zusammen- 
stellung an, so darf man ein europ. karman ge wachs, wuchs, 
leib ansetzen. 



7. 

an. vökr zu vyyog uvere. 

In vy-yo-g nafs, feucht und lat. uvere nals sein ist mit 
recht eine basis ug erkannt worden, von der skr. uks vaks 
netzen durch 8- abgeleitet ist, welche secundärform in den 
europäischen sprachen nur durch die ableitung uksan ochse 
repräsentirt wird, das wiederum nur bei den Germanen 



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etymologische beitrüge. 



167 



sich erhalten hat. Wie schon das abgeleitete ukä = vaks 
zeigt, ist als grundform zu ug vag anzusetzen, und dieses 
vag ist wieder zu erkennen im an. vök-r grundform vakva- 
feucht, wovon vökva, -aöa nafs sein, vökva f. und vökvi 
m. grundform vakvan- nässe, feuchtigkeit. Die entwick- 
lung von v hinter k = ursprünglichem g im nord. vakva- 
entspricht genau dem lat. üvo- für ugvo- in üvere, und 
haben wir hier wieder ein beispiel dafür, dafs lat. gv aus 
ursprünglichem g sich auch in andern europäischen spra- 
chen reflectirt findet, so dafs man berechtigt scheint an- 
zunehmen, dafs schon in der europäischen einheitsperiode 
wenigstens die neigung sich bildete, ein v hinter den gut- 
turalen zu entwickeln. Uebrigens sei noch bemerkt, dafs 
vag ug nafs, feucht sein eigentlich mit vag ug stark sein 
(augere, wachsen) ganz dasselbe ist; grundbedeutung bei- 
der verba ist: frisch, saftig sein, woraus sich der begriff 
des gedeihens, der stärke ebenso leicht entwickelt, wie der 
des netzens, sprengens, anfeuchtens. 

8. 

creda f. vices, preufs. kerda zeit, ahd, herta f. Wechsel. 

Im preufsischen katecbismus kommt ein wort kerda-n 
acc. in folgenden Verbindungen vor: en kerdan zur zeit, 
en stan kerdan zu der zeit und prei svvaian kerdan zu 
seiner zeit. Es dient also zur wiedergäbe des deutschen 
„zeit", und danach hat Nesselmann dem worte die bedeu- 
tung „zeit" beigelegt. Man sieht jedoch, dafs es nicht 
gerade „tempus" bedeutet zu haben braucht; man käme 
in den angeführten Verbindungen auch z. b. mit der Über- 
setzung durch lat. vice aus. Was zunächst die form des 
worts betrifft, so beruht das e auf einer neigung des preu- 
fsischen, den vocal vor doppelconsonanten zu dehnen; so 
lesen wir auch er-derkts vergiftet, po-dlngan gefallen, 
dinkaut danken, drüktai fest (= lat. forc-tu-s, skr. drdha 
für drh-ta), gäntsan ganz, klrkis kirche, kermen leib, län- 
kinan feiertag, mergan magd (lit. merga) und anderes; 
jedenfalls bat die dehnung keinen etymologischen wertb, 



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168 



Fick 



und ist als wahre form kerda anzusetzen. Mit diesem 
kerda, dem wir oben die muthmafsliche bedeutung vices 
gaben, stimmt nun ganz genau ahd. herta f. Wechsel, dat. 
plur. hertön und bi hgrtön adv. wechselweise, alternatim, 
vicissim. Lautlich deckt sich dieses hßrta mit ahd. herta 
= goth. hairda f. heerde und auch preufs. kerda vices 
deckt sich mit lit. *kerda heerde, das wir mit Sicherheit 
aus lit. kerd£u-s (= kerd-ju-s) hirt erschliefsen können. 
Aber wie vermitteln sich die bedeutungen? Hier führt uns 
das slavische einen schritt weiter, indem ksl. creda beide 
begriffe ausdrückt. Man vergleiche nur Miklosich unter 
creda: vices diariae, vices und grex, paseuum, nsl. öreda 
grex; series, ordo, po credi, russisch cereda vices; grex, 
kurz das slavische wort vereinigt beide bedeutungen in 
sich, und da wir nun gezeigt haben, wie die reflexe des- 
selben worts auch im preufsischen und deutschen aufser 
„heerde" auch „vices, Wechsel" bedeuten, so müssen wir 
annehmen, dafs das wort kardbä schon iu der zeit der 
slavodeutschen einheit sowohl „heerde" als „Wechsel" be- 
deutet habe. Auf arischem gebiete entsprechen skr. car- 
dhas, cardha n. stärke, macht; schaar, heerde, zend. ca- 
redha, altpers. tharda m. art, gattung. 

9. 

avyi), tüt-avyijg zu skr. ögas, lat. augus-tu-s, 

ksl. ugü. 

Die indischen grammatiker geben dem skr. worte ögas 
n. die bedeutungen: kraft, glänz und danach nahm man 
früher keinen anstand, auch ctvyrj f. glänz, strahl und 
avysg- in hQi-avyi]$ mit diesem worte zu identificiren. Nun 
haben jedoch Böhtlingk und Roth im petersb. lexicon ge- 
zeigt, dafs in allen vedenstellen man mit der bedeutung: 
körperkraft, tüchtigkeit, lebeusfrischc auskommt, und da- 
durch ist die hierhergehörigkeit von avyr t etwas bedenk- 
lich geworden. Dagegen ist jedoch zu sagen, dafs kraft, 
frische und glänz sich eng berührende begriffe sind, vergl. 
z. b. skr. tegas und varkas kraft und glänz, dafs ferner ein 



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etymologische beiträgt. 



169 



retlex von skr. ögas selbst, nämlich lat. augus- in augus-tu-s 
erhaben, majestätisch doch auch sehr nahe an den begriff 
„glänz* heranstreift, endlich dafs die Inder selbst in spä- 
terer zeit diesem worte den sinn „glänz" beigelegt haben, 
wie z. b. aus der, wenn auch späten bildung äugasa n. 
gold, von ögas glänz durch secundäres a erhellt. Deshalb 
dürfen wir an der gleichsetzung von avyeg mit skr. ögas, 
lat. aogus-tu-s festhalten. Nebenbei bemerkt, läfst sich für 
die gemeinsam arische periode die ältere form augas (mit 
g statt g) nachweisen im zend. aoganh hülfe. Hiervon 
stammt zend. aogaz-däo hülfreich (superl. aogazdac-tema 
hülfreichst), welches genau dem ved. ögödä = ögas-f-dä 
kraft verleihend, stärkend entspricht. Im sanskrit findet 
sich ebenfalls eine spur der älteren form mit g im com- 
parativ ögljäs, womit sich wieder zend. aogjäo kräftiger, 
sehr kräftig deckt, wie dem skr. ögistha stärkst ein zend. 
aogista stärkst, dem skr. ögasvant kraftvoll ein gleichbe- 
deutendes zend. aogönhvant zur seite steht. — Das grie- 
chische avy-q glänz, strahl erkenne ich wieder im ksl. ugu 
m. Süden, als region des glanzes, ohne diese gleichsetzung 
beweisen zu können; es spricht dafür die form, denn ksl. 
ugü kann nur auf eine grundform auga- zurückgeführt 
werden, und die leichtigkeit der Übertragung. Doch wäre 
es auch möglich, an aug im sinne des sicherhebens zu 
denken , vgl. lett. a«g-ja- hoch , lit. auk-sz-ta-s hoch , und 
ugü als „Sonnenhöhe" = mittag = Süden zu deuten. 

10. 

pv'kri f« milsgeburt zu a^tßXiaxco. 

Mvkrj mifsgeburt, ein wort, das der natur seiner be- 
deutung nach nur bei den ärzten, Hippocrates und späte- 
ren vorkommt, und als mola, mola uterina auch ins latein 
überging, findet sich in uusern Wörterbüchern unter fivXrj 
inühle, mühlstein untergesteckt, als wäre es dasselbe wort, 
nur in einer besonderu weise verwendet. Nun liegt aber 
auf der hand, dafs zwischen „mühle, mühlstein" und „mifs- 
geburt" nur mit hülfe der ausgelassensten phantasie eine 



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170 



Kick 



vermittelung herzustellen ist, so dafs jeder ausweg will- 
kommen heifsen mufs, welcher das wort auf natürlichere 
weise deutet, um so mehr, da gerade im griechischen die 
bedeutungsübergänge immer von mafshaltender phantasie 
zeugen und nie ins abeuthenerliche verfallen. — Das gleichlau- 
tende fivXtj mühle geht zurück auf einen stamm der wie 
das lat. mol-ere, rnol-a zeigt, noch auf gräcoitalischer stufe 
mol lautete und erst auf griechischem boden sich zu uvX 
trübte, wie z. b. auch nvX~r) thor neben noX-ig, welche bei- 
den Wörter durch das skr. pur, pura, puri wehr, feste, bürg 
(vgl. skr. gö-pura stadtthor), grundform par para pari, re- 
flectirt werden. Nehmen wir demnach fivfoj mifsgeburt 
ebenfalls für «oA-/;, so gewinnen wir die ansprechendste, 
natürlichste ableitung des worts. äußX-toxu) fut. apßXw-ata 
heifst abortiren, eine fehlgeburt thun. Wie die erweite- 
rung äußXoo- zeigt, mufs in dem stamme ursprünglich ein 
o gesteckt haben, da der erweiternde vocal im griechischen 
sich stets nach dem inlautenden richtet: vgl. dpa aus dap, 
»7j/« aus dav, ßXa>-cxw aus jUoA, ßgm- in ßi-figto-axu) aus 
ßog, xXio-&(a aus xoX lat. col-us, und so fort. Sonach 
gilt es die lautgruppe außX- durch o zu spalten und zu- 
gleich einen einsilbigen verbalstamm zu erhalten ; dies geht 
aber nicht anders, als indem wir nach vielfältiger analogie 
et als Vorschlag vor /* erkennen, und ß als einschub zwi- 
schen [a und X. Sonach erhalten wir (a)-fi-(ß)~X und mit 
einbringung des o: (cc)u(ß)o~l oder poX und für äfißXat-(<fü)) 
die regelrechte erweiterung dieses poX zu pXw. In juoA, 
fioXüv, ßX(b-<fxo), pi-f.ißXo)-xcc haben wir fast denselben pro- 
cefs, der in unserm falle nur durch das vorgeschlagene et 
neben der ausdrängung des wurzelvocals im praesens noch 
etwas complicirter wird. Von diesem so gewonnenen uoX 
abortiren ist nun, behaupten wir, pvltj f. abortus, mifsge- 
burt eine regelrechte bildung, wie pvltj mühle von poX 
molere, was weiter keines beweises bedarf. — Das so er- 
schlossene poX fehlgebären, stellt sich zu lit. mela-s lüge, 
mili-ti sich verfehlen, sich irren, weiterhin zu mar in 
utoo-0Q) ct-fiaQT-dvto u. s. w. 



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etymologische beiträgc. 171 
11- 

lioQtpr} und forma; pigoip. 

Die viel versuchten Wörter fwgtftj und forma scheinen 
mir durchaus nicht zusammenzuhängen; ich halte sie für 
junge bildungen, die innerhalb der einzelsprachen, denen 
sie angehören, vollzogen und demgemäfs aus diesen her- 
aus zu deuten sind. 

Curtius hat die identität von pagn- fassen und ßgax- 
fassen erkannt. Es gehen von diesen beiden stammen aus: 
ßgd^af övtäaßuv bei Hesych. = ^tciqyjai^ ßgax-eiv' avvti- 
vcu begreifen, öuty-ßgcex-ctvov övGxaravoiixov schwer be- 
greiflich, ebenfalls bei Hesych.; von pagn- pagn-Tiu fasse, 
ergreife, aor. g-ftanov, fte-pan-ov mit ausdrängung des p, 
und fidgn-vi-g räuber. Wenn wir nun die gemeinsame 
grundform dieses ßgotx- und yiagn- aufsuchen, so werden 
wir, wie mir scheint, mit nothwendigkeit auf pagx- ge- 
führt. Aus ftagx wird durch Umstellung pgax und daraus 
nach griechischen Iautgesetzen ßgax, ebenso leicht wird 
aus {.tagx durch assimilation des auslauts an den labialan- 
laut (jiaon wie z. b. ^fon aus fox, grundform vak. Zur 
annähme einer grundform fccgx, welche Curtius aufstellt 
und zur anlebnung an eine wurzel skr. vrk, die unbelegt 
ist und falls sie berechtigt wäre, nichts sein könnte als 
eine gestalt der bekannten wurzel vrack zerreifsen, stören 
(vgl. vrka (zerreilser =) wolf, a-vrka harmlos ; sicher) ver- 
mag ich keinen grund abzusehen, wie ich überhaupt kein 
beispiel kenne, dafs ursprüngliches und skr. v durch fx re- 
präsentirt würde (aufser vielleicht in einigen dialectischen 
Wörtern). Für die grundgestalt ftctgx- finden wir nun den 
schönsten reflex im skr. marc mrcati berühren, streichen; 
fassen, packen; auch mit dem geistigen organe fassen, be- 
trachten, prüfen, untersuchen, marcana n. das berühren, 
anfassen; das prüfen, untersuchen. Also hat das skr. marc 
wie das griech. ftagn- und ßgax- die bedeutung „fassen" 
auch wie lat. capere und unser „fassen" auf das ergreifen 
mit dem geiste übertragen und decken sich beide worte 
in ihrem sinne demnach vollständig; ja es liefse sich z. b. 



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172 



Fick 



ein skr. dur-marcana bilden, welches mit 8vti-ß()ctxctvov in 
form und inhalt völlig fibereinstimmte. * Das lat. mulc-ere, 
welches, wie Roth in diesen blättern bemerkt, ebenfalls 
hierher gehört, spiegelt mehr die bedeutung „streichen" ab, 
welche das skr. marc ebenfalls hat. Von ftayn- stammen 
nun mehrere bilduugen. Zuuächst iiioon- homerisches bei- 
wort des menschen und zwar um seine geistige begabung 
hervorzuheben verwendet. Die form anlangend steht ueqott 
zu uann, wie areoon blitzend (atsoont] blitz) zu cnqctn-tio, 
c<-GTQct7i-TU), grundform (fragn blitzen, ist also untadelhaft 
gebildet, die bedeutung ergiebt sich leicht aus den oben 
angeführten ßyaxeiv begreifen, ÖvG-ßgdxavov schwer be- 
greiflich, fjiiooip ist demnach der „begreifende, geistig auf- 
nehmende tf mensch, eine jedenfalls höchst passende be- 
zeichnung. Berücksichtigen wir, dafs nach den oben ange- 
führten Wörtern uctqn auch das sinnliche ergreifen und packen 
bezeichnet, so kann es uns nicht wuudern, auch ftsgnn- 
in der bedeutung „ergreifer, packer u zu finden. Diesen 
sinn möchte ich in usqoti- erblicken, wenn es zur Bezeich- 
nung eines vogels, des immenwolfs, verwendet wird. — 
Ferner erkenne ich unsere wurzel in puQqf] gestalt. Das 
o in dem worte ist durchaus regelrecht; es ist ja bekannt, 
dafs in den Wörtern mit dem suffix (ursprünglich) a der 
wurzelvocal, wo er auf einstigem a beruht, durchweg in o 
umschlägt, wie in Tgon-og von r^c^w, Tgoy-ij von tgicfw 
u. s. w. Was ferner (p statt n betrifft, so läfst sich fast 
die behauptung aufstellen, dafs wurzelauslautende tenuis 
im griechischen ebenso oft zur aspirate gewandelt als bei- 
behalten wird. Oft wechseln tenuis und aspirate selbst 
bei demselben stamme, wie in xzgn ergötzen ursprünglich 
gleich mit rgetp sättigen, öex empfangen neben 06%, ray in 
Ta%~v^ laufend schnell neben Tax zerlaufen, zerfliefsen. So- 
nach bietet das (p nicht die geringste Schwierigkeit. Die 
bedeutung anlangend haben wir, von uagn fassen ausge- 
hend, dem worte nog<pr) den ursprünglichen sinn „fassung" 
beizulegen, was mir eine äufserst nahe liegende und pas- 
sende bezeichnung der gestalt zu sein scheint. Dafür be- 
rufe ich mich auf das deutsche wort „fassung" selbst, wel- 



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etymologische bciträge. 



173 



ches ja durchaus beiderlei sinn in sich vereinigt, ferner 
auf das ksl. tvorü gestalt, welches ebenfalls eigentlich „fas- 
sung" bedeutet vermöge seiner herkunft von einem verb 
tvar = lit. tver-ti fassen = ags. ge-thveran compingere. — 
Wo freilich eine so starke Wandlung der ursprünglichen 
verbalbedeutung in einem derivat stattgefunden, läfst sich 
der stricte beweis für die herkunft dieses derivats nicht 
mehr führen; man mufs sich mit der darlegung der mög- 
lichkeit begnügen, was, wie ich glaube, hiermit gesche- 
hen ist. 

Lat. forma ist, wie mir scheint, ebenfalls aus dem la- 
tein selbst zu deuten, es bedeutet „schlag, ximog* und 
stammt von fer in fer-Ire schlagen, welches in seinen deut- 
schen reflexen an. berja, ags. berian, ahd. perjan, mhd. bern 
nach Schade aufser schlagen auch kneten, formen bedeutet 
(beispiele hierfür kann ich für jetzt nicht beibringen). Für 
die Übertragung der bedeutung habe ich mich schon an- 
deutungsweise auf das deutsche „ schlag" = art, weise 
und Tvnog eigentl. schlag, gepräge, sodann characteristi- 
sche gestalt und sodann gestalt überhaupt berufen. Be- 
weis fiir diese ableitung ist wieder nicht zu führen, aber 
die möglicbkeit ist nachgewiesen, aus den mittein des la- 
tein selbst forma zu erklären. 

12. 

axog n. heilung. 

axog n. heilung erscheint im griechischen als ein Stamm- 
wort, das keine ableitung in dieser spräche hat. Es stammt 
daher cty.io-f.im (für axsa-jouai) axia-tfaGittti heilen, flicken, 
von -dessen stamme axeG- dann erst wieder äxe-ct-g (für 
ax&G-ai-g) f. heilung, axe(t-ua n. dass., ccxEG-ti'j-g und ctxea- 
-r/Jp, äxsö-TWQ m. heiler, axka-xQa f. nadel (äxiopai flicke) 
abgeleitet sind, neben denen ein einmal vorkommendes ho- 
merisches äxtj-fta n. heilmittel auf ein *«x£ö>, ijao) und da- 
mit vielleicht auf einstiges *axr] neben axog n. weist. Neh- 
men wir axog für jaxog y was wenigstens möglich ist, da 
bekanntlich anlautendes ; im griechischen spurlos ausfallen 



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174 



Fick 



kann, so finden wir einen reflex des griechischen worts 
in den celtischen sprachen. Nach Ebel Grammatica Cel- 
tica 8. 49 ist nämlich irisch fc, icc f. gen. icce heil, hei- 
lung, davon icc-the salvatus, sanatns, aus jacca entstanden, 
wie aus cambr. jach sanus, jech-yt sanitas, areinor. jachet 
sanatus erhelle. An der Zusammengehörigkeit von axog 
mit diesen Wörtern wird wohl nicht zu zweifeln sein, und 
darf man demnach, falls man die Celten den Graecoita- 
likern zugesellt, ein südeuropäisches jakas, jakä heilung, 
heil ansetzen, dessen Zusammenhang freilich mit andern bil- 
du ngen sich nicht nachweisen läfst. 

13. 

a als Vertreter von ursprünglichem v. 

Die Zurückweisung unberechtigter lautübergänge ist 
fast ebenso wichtig, wie die aufstellung und begründnng 
der wirklichen lautvertretungen, denn jede falsche annähme 
dieser art zieht einen schwärm von irrthfimern nach sich, 
denen selbst der besonnene forscher verfällt. — Indem ich 
im folgenden die möglichkeit der Vertretung eines ursprüng- 
lichen v durch griechisches ,a betrachte, lege ich die aus- 
gezeichnete darstellung dieses Übergangs von Curtius grund- 
züge 8 539 ff. zu gründe, indem ich nur darin von ihm ab- 
weiche, dafs ich den beregten Übergang, der von ihm mit 
grofser umsieht schon auf sehr enge grenzen beschränkt 
ist, für das gemeingriechische vollständig glaube läugnen 
zu dürfen, und nur für diabetische und „hesychische" Wör- 
ter die in rede stehende Vertretung statuire. Es ist also 
meine aufgäbe, die wenigen gemeingriechischen Wörter, wo 
Curtius pi für j: annimmt, aufs neue zu untersuchen... 

Was zunächst die analogien aus andern sprachen für 
unsern lautwecbsel anlangt, so kann ich lit. vidü-s das in- 
nere nicht zu ig. madhja medius stellen, da das dem litaui- 
schen so nahe stehende slavische in seinem mezda = medja 
mitte das alte indogermanische wort ganz unverändert be- 
sitzt; lit. vidüs wird ganz angemessen zu skr. vidh vjadh 
durchdringen, durchbohren zu stellen sein; ebenso wenig 



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etymologische' bcitrttgc*. 



175 



darf man mit Schleicher ksl. priivfi der erste = lit. pir- 
ma-s setzen, da prüvü auf das schönste dem arischen parva? 
parvja der vordere, erste entspricht (.skr. pürva der vor- 
dere; vorherige, alte, pürvja der vordere, erste, zend. 
paourva, altpers. paruva der vordere, frühere, zend. paour- 
vja* der erste). Ebenso wenig liegt irgend ein zwang 
vor, ksl. crüvi m. wurm mit skr. krmi, lit. kirmi-8 wurm 
zu identificiren. Da im lit. kreiva-s = ks). krivü krumm 
(grundform kraiva) ein reflex des lat. curvu-s krumm vor- 
liegt, aus dessen grundform karva- zunächst kriva, dann 
mit vocalsteigerung kraiva entstand (vergl. acpQiyaw aus 
dnctQyaw), so dürfen wir dasHhema karva krumm der sla- 
volitauischen Spracheinheit unbedenklich beilegen; aus die- 
sem karva ist aber ksl. crüvi = karv-ja-s regelrecht her- 
vorgebildet, und mit crfm der wurm als der sich krüm- 
mende sehr angemessen bezeichnet. — Wenden wir uns 
nun zu den fallen der Vertretung von v durch n im grie- 
chischen, so kann äfivo-g lamm eben so wohl mit lat. ag-nu-s 
lamm, ksl. agn-ici lamm, und weiter skr. agina = ksl. 
jazino n. vliefs, feil wie mit lit. avina s = ksl. ovinü m. 
widder zusammengestellt werden, da ß für y im griechi- 
schen wirklich vorkommt, aus ursprünglichem äyvo also 
wohl äßvo werden konnte. Aber nimmt man auch für 
äuvo entstehung aus äjr-vo an, so beweist das, wie Cur- 
tiu8 sehr richtig hervorhebt, für den Übergang von j in u 
ear nichts, da wir zunächst Vertretung von c durch ß. 

O 7 CD * < 7 

(wie ßoX = jPol u. s. w.) also aß-vo anzunehmen haben, 
woraus dann regelrecht, wie asu-vo aus Geßvo, äuvo wurde. 
Sonach wäre auvö, nehmen wir es = lit. avina, beispiel 
von Vertretung des f durch ß, nicht aber des j: durch c<. 
Dialektische Wörter ausschliefsend, gelangen wir s. 541 zu 
[ictXXoq zotte, wollflocke. Curtius läfst es für „höchst 
wahrscheinlich" gelten, dafs uaXXo-q für jaXXo-g steht, und 
allerdings liegt lat. villu-8 zotte, indogerm. varnä, europ. 
valnä wolle nahe genug. Und doch ist auch hier keinerlei 
nöthigung vorhanden, uctXXo als jaXXo zu fassen. Lit. 
mila-s heifst Wollstoff, lett. mila f. grobes (wollenes) bauer- 
gewand, altpreufs. (vocabular) mila-n acc. 8g. gewand, zeug. 



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176 



Fick 



Lit. mila steht für mala, uaM6-g vermuthlich fittr pak-jo-g, 
beide Wörter stimmen vortrefflich nach form und sinn und 
lassen sich auch sehr gut ableiten von europ. mal reiben, 
woher viele Wörter in der bedeutung „ weich" herstammen, 
wie cc-jbtako-g, lat. mollis, altlat. mal-to- und viele andere. 
Unbefangene prüfung wird die gröfsere Wahrscheinlichkeit 
auf der seite fiakXo = lit. mila-s, als in der Zusammen- 
stellung von fitxMo mit lat. villu-s erblicken. — fingn-Tw 
in seiner Zugehörigkeit zu skr. marc ist unter 11 behan- 
delt worden, wohin ich verweise; die „Zwischenstufe ßgax* 
(nämlich zwischen ^agx und uccon)^ welche nach Curtius 
Zusammenhang mit (vrk) vark deutlich machen soll, er- 
klärt sich bei unserer annähme einer grundform pag* 
durchaus der analogie gemäls aus uoax. — Weiterhin weist 
Curtius s. 542 die Zusammenstellung von pito-g faden mit 
vi viere durchaus mit recht zurück. Anderer möglichkei- 
ten zu geschweigen, würde ich das wort auf indogermani- 
sches mat (skr. math) torquere beziehen. Das / in utro-g 
steht, wie [xoro-g wollfaden, charpiefaden zeigt, für ur- 
sprüngliches a, wie 7i iT" fallen = tiet aus pat, nit-vko^ 
das fliegen zu uzt — pat fliegen, und vor allem wie mitto, 
stamm mit, werfen zu litauisch und slavisch mat, met wer- 
fen (skr. math torquerc). Lit. mes-ti heifst nun speciell 
das garn, den faden „werfen", ap-meta-i m. pl. die auf- 
zugsfäden, das aufzugsgarn; mit diesem -meta-s scheint es 
unbedenklich [dxo-g und (.loxo-g gleich zu setzen. — Mit 
recht wird weiterhin die identität von 6o-yog, auch a)G%og ' 
y.XaÖog ccfinelov '/.ctTctxaonog mit iwG%og sprofs, zweig, ru- 
the in abrede gestellt. Balten wir den von Curtius ange- 
deuteten Zusammenhang mit o£og für dödog = goth. ast-s 
ast fest, so kann auch das etymon dieses worts näh^pr be- 
stimmt werden. Sanskritisch as werfen schliefsen mit sei- 
ner jüngern nebenform iä gleicher bedeutung läfst sich 
auch, wenigstens in ableitungen, auf graecoitalischem bo- 
den nachweisen. Lat. ensi-s ist längst als reflex von skr. 
asi erkannt worden, wie lo-g pfeil zu skr. iSn pfeil gestellt 
worden ist. diGto-g pfeil scheint für oCioro zu stehn, und 
sich mit lat. arista (für asista) halm = schufs zu decken. 



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etymologische beitrüge. 177 

Desselben Stammes ist 6a-öo- = goth. as-ta- ast, ebenfalls 
eigentlich „schufs, schöfsling". DaTs auch im sanskrit as 
und is 6chiefsen von dem „aufschiefsen" der pflanzen ge- 
sagt wurde, läfst sich aus i&lkä, isikä, isikä f. röhr, binse 
schliefsen, ja dieses isikä, Isikä gleicht auf seine grund- 
form (asikä, äsikä, masc. asaka, äsaka) zurückgeführt dem 
griech. öcr^o, ua-yo auf ein haar, ^öa^o-g liefse sich zu 
lat. mu8Cu-s, deutsch raoos stellen, wenn in diesen Wörtern 
u aus ursprünglichem a hervorging, was noch zweifelhaft, 
oder zu lit. mazga-s keim, auge, sprofs. Die Zusammen- 
stellung des gleichlautenden noa%og mit vacca ist durch- 
aus mit Curtius abzuweisen, um so mehr, da lat. vacca 
(für väca) sein deutliches Spiegelbild im skr. vacä f. kuh 
findet. Die länge in väca erklärt sich aus der abstam- 
inung von skr. väc brüllen, welches durch jrtft in rjx^ ty/w, 
durch lat. väg in väg-lre, väg-or reflectirt wird. Endlich 
die vergleichung von u6g%oq mit skr. ukäan deutsch ochse 
weist Curtius mit genügenden gründen zurück. 

Der völlig überzeugenden kritik, mit welcher Curtius 
die übrigen falle, worin Übergang von j: in fi statuirt wor- 
den, als nichtig aufweist, wüfste ich nichts von belang hin- 
zuzufügen. 

Sonach kämen wir denn zum resultate unserer nach- 
Untersuchung, welches wir dahin zusammenfassen: Wäh- 
rend Curtius zu dem ergebnisse gelangt, „dafs der Über- 
gang von jr in im griechischen nur für eine ganz kleine 
zahl von Wörtern Wahrscheinlichkeit hat", möchte ich dies 
urtheil dahin verschärfen : der Übergang von f zu fi ist in 
keinem gemeingriechischen, ja nicht einmal bei schriftstel- 
lerisch bezeugten dialectischen Wörtern nachzuweisen, son- 
dern^nur bei einigen wenigen von den alten lexicograpben 
Überlieferten Wörtern möglicherweise zu statuiren, Wörtern, 
von denen niemand sagen kann, wann, wo und ob über- 
haupt sie je lebendig gewesen sind (wie [iccUvqov Cur- 
tius 541, peldouevog ebenda, poXnig' iXnig s. 542, (iovdv- 
kevco 8. 543 u. a.). Natürlich gelten solche urtheile immer 
nur vorläufig, für den augenblicklichen stand der forschung; 
wird mit schlagenden gründen das gegentheil naebgewie- 
Zeitschr. f. vergl. «prachf. XX. 3. 12 



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178 



Fick 



sen — desto besser. — Ein kleines bedenken gegen obiges 
resnltat könnte erregen, dafs der vogel ite.Qoty nach guten 
Zeugnissen von andern Griechen (den Böotern) cteyoyj (das 
kann doch nur afeooift, fenoift sein) genannt wurde. 

14. 

lit. brau na f. und an. brün f. 

An. brün g. brünar pl. bryn f. heifst, wie skr. bhrü, 
6(fnvg und ahd. präwa zunächst äugen braue, sodann aber, 
wie auch 6(fQvg den rand, besonders den bergrand bezeich- 
net, rand, kante; das abgeleitete bryna (= brun-ja) heifst 
(kantig machen) schleifen, wetzen, davon bryni n. Wetzstein, 
bryning f. (wetzung) adhortatio. Mit dieser bedeutung 
stimmt auffallend lit. braunä f. der rücken des messers, 
der sense, der pflugschaar; der rand eines kessels, topfes; 
der kiel eines schiffes. Es scheint danach, als dürften wir 
für beide Wörter eine slavodeutsche grundform ansetzen, 
die entweder bhrünä oder bhraunä lauten müfste, je nach- 
dem man die nordische oder die lit. form als die primäre 
ansieht; besser scheint der ansatz bhrüna, weil die vocal- 
steigerungen im litauischen oft secundär erfolgt sind, deut- 
sches u aber der regel nach nicht auf au basirt, sondern 
verbliebenes altes ü ist (wie in müs maus). Wegen des 
pl. bryn braucht man sicher keinen ursprünglichen i-stamm 
anzunehmen, da im nordischen der allen deutschen spra- 
chen so geläufige übertritt alter a- stamme in die i-decli- 
nation (vgl. nhd. ströme, alt: thema strauma, darme, alt: 
thema tharma u. s. w.) schon ziemlich häufig auftritt, auch 
spricht für alten a- stamm mhd. brüne st. f. cunnus, wel- 
ches dasselbe wort in eigenthümlicher Verwendung ist und 
eigentlich rand, leiste bedeutet. Ob auch die neuhoch- 
deutsche nicht schriftgemäfse, aber oft gesprochene neben- 
form „die augen-braunen** statt „brauen** auf alter bildung 
beruhe, ist nicht zu ermitteln; die altern quellen unserer 
spräche bieten diese form nicht. 



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etymologische beitrage. 



17 l J 



15. 

xTceottcet und xri£o). 

In des verf. wörterbuche sind leider s. 53. 54 einige 
Wörter unter dem verzwickten anlaute ks stehen geblieben, 
welche ich mir im folgenden zu berichtigen erlaube. 

Der sanskritische anlaut ks reflectirt sich im altper- 
sischen als khs, im zend als khs; es ist daher evident, da/s 
er schon in der gemeinsam arischen periode bestand; die 
sichern reflexe der auf arisches ks anlautenden Wörter zei- 
gen dagegen in den europäischen sprachen sk oder Ver- 
treter dieses anlauts, die im griechischen, welches leider 
oft ganz allein die betreffenden bildungen bewahrt, sehr 
mannigfach sind, besonders häufig sind xr, f und <f&. So 
entspricht dem skr. kgan part. k§a-ta griech. xreivu) 'i-xra, 
deutsch schaden, dem skr. ksura m. scheermesser griecb. 
£vq6v, dem skr. ksi schwinden griech. ydi-. 

Fassen wir skr. ksa-tra n. herrschaft und ksa f. wohn- 
statt, sitz iu ihrem verhältnifs zu ksi kseti, ksijati weilen, 
wohnen, ä-köi in besitz kommen, sein und ksi ksajati be- 
sitzen, verfügen ins auge, so wird deutlich, dafs die grund- 
form dieses verbs ksi wohnen, besitzen käa, käu gelautet 
hat. Dies wird durch das griechische bestätigt, wo wir 
xTce-ouat, xe-xrij-ftat erwerben, pf. besitzen finden, welches 
selbstverständlich kein denominativ ist, so wenig wie ndu- 
«ofi, ni-Tcä-fictt, und ganz deutlich auf eine grundform xr«- 
weist, von der auch xrrj-fia besitz, xrij-vog n. besitz, vieh, 
xrij-Gi-g f. besitz regelrecht gebildet sind. Aus der ver- 
gleichung von skr. ksajati mit xraouai ergiebt sich für 
dies alte verb das präsensthema ska-jati und so haben wir 
ska, skä skajati als indogermanisches verb mit der bedeu- 
tung: in besitz bekommen, in besitz haben (vgl. skr. ä-ksa- 
jati kommt in, ist in besitz) anzusetzen. Zu diesem verb 
ska gehört nun offenbar ksl. sko-tu m. pecus, pecunia (vgl. 
xrrj-vog besitz, vieh), woraus goth. skatts (schätz) geld 
verrauthlich entlehnt ist. Da nun aber auch das jün- 
gere thema sanskr. ksi dem griech. *r/-£w, xr/-/ufVo-g, 
ctj*(pi-XTi'OV-eg entspricht, so ergiebt sich als ebenfalls in- 

12* 



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180 



Fick 



dogermanisch ein verb ski (skijati = xti£ei für xrijet?). 
Beachten wir, dafs skr. ksi besonders bedeutet: ruhig, 
friedlich, ungestört weilen, so werden wir Pott recht ge- 
ben, wenn er xxi-Xog zahm zu diesem verb stellt. Auch 
skr. Rhe-ka zahm gehört hierher und ist insofern von In- 
teresse, als es in khi = ski den alten anlaut zeigt. Sehen 
wir weiter, wie in ableitungen wie skr. kse-ma wohnlich, 
behaglich, ruhe und Sicherheit gewährend, m. ruhe, Sicher- 
heit, frieden die bedentung des behagens und ruhens ganz 
vorwiegt, so werden wir im zend. skjä, sä erfreuen eine 
Weiterbildung von ski durch ä leicht erkennen. Von die- 
sem skjä stammt altpers. sijäti behagen, annehmlicbkeit = 
zend. säiti f. freude und mit diesem skjäti ist lat. quieti- 
f. ruhe ganz dasselbe, also auch lat. quie- ruhen =s zend. 
skjä, ää erfreuen, quietu-s ruhig, behaglich = zend. skjäta, 
Säta erfreut. Was die scheinbare bedeutungsverschieden- 
heit anlangt, so erinnern wir an kgema behaglich, ruhig, 
an skr. rata erfreut, liebend und ruhig; die weitere be- 
gründung dieser ableitung würde hier zu weit führen, es 
sei nur noch bemerkt, dafs auch ksl. po-cija. po-citi sammt 
po-koj m. ruhe, frieden nicht zu skr. ci liegen, sondern zu 
ski = skr. ksl ruhig weilen, wohnen gehört, sowie dafs 
das thema lat. -qullo- in tran-quillu-s sich im goth. hveila 
f. weile wiederfindet. Nahe zu dem hier behandelten ska, 
ski gehört auch skr. ksam ruhig ertragen, es verhält sich 
zu der urform ska, wie dam bändigen zu da binden, wie 
gam gehen zu ga, oder wie nam beugen zu na im part. 
na-ta. 

Zu skap nacht, dunkel (so ist statt ksap zu lesen) 
verweise ich ftir die griechischen reflexe auf Curtius grund- 
züge s. 487, das wort findet sich auch im slavischen, näm- 
lich im ksl. stTpi m. Verfinsterung, eklipse. stipi steht re- 
gelrecht für skjapi. 

Für ksura £vqov ist skura, für ksvaks sechs svaks zu 
lesen, vielleicht kommt man auch mit saks aus. 

Am Schlüsse mich zum anfange zurückwendend, mufs 
ich nach reiflicher Überlegung meine schweren bedenken 
gegen die unter 1 mit so grofser gewifsheit gegebene deu- 



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etymologische beitrüge. 



181 



tung von inTitus aussprechen. Wenn bei der herleitung 
aus einer grundform eveito- auch, so weit ich sehe, gegen 
keine anerkannte lautregel verstoßen ist, so scheint doch 
der allgemeinen analogie nach invitus ein partieip zu sein. 
Ist es dies aber, so bleibt es bei der von Benfey gegebe- 
nen deutung, welcher -vltu-s mit dem skr. vlta, part. von 
vi lieben gleichsetzt, wobei man dann freilich -Vitus acti- 
visch als liebend, gern habend zu verstehen hätte. — Kun- 
digere mögen entscheiden. 

Göttingeu, 15. april 1871. Fick. 



Erörterungen aus dem gebiete der italischen 

sprachen. 

1. Ueber das paelignische 8 est. 

In der paelignischen inschrift, welche Mommsen im 
Corp. Inscr. Lat. Vol. 1 p. 555 mitgetheilt hat: „St. Pon- 
ties N. Ponties V. Alpis. Tr. Apidis. Ioviois pu- 
clois sest. a. plens", verbindet er das a mit dem fol- 
genden plens zu aplens, welches er wahrscheinlich fth* 
lateinischem impleverunt entsprechend hält, während 
umgekehrt Bergk im halliscb. lectionscatalog für den Som- 
mer 1864 p. III das a mit dem vorhergehenden sest, 
wie Mommsen aus sust richtig hergestellt hat, zu sesta 
verbindet, welches er mit dem folgenden plens durch 
„istam (nämlich „mensani sacram, in qua pocula, quae 
dedieaverunt quatuorviri illi, collocata erant") replent a 
übersetzt. Allerdings würde eine pronominalform sesta 
ihrer bildung nach, wie Bergk will, mit dem von Ennius 
(Ann. 372) und Pacuv. (324) bei Fest. p. 325 M. für ipsa 
gebrauchten sapsa zu vergleichen sein, insofern, wie der 
erste bestandtheil jenes pronomen der pronominalstamm i, 
so der erste bestandtheil dieses pronomen der pronominal- 
stamm so, sa ist; keineswegs aber würde jene form, wie 
Bergk meint, auch mit suapte zusammenzustellen sein, 
da dieses nirgends, wie Bergk behauptet, für sapsa oder 



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182 



Zeyfs 



ipsa steht, sondern an allen stellen pronom. possesiv. mit 
der bedeutung sein eigen ist. Irrig ist es auch, wenu 
er dieses sesta von einem dem so, sa gleichen pronomi- 
nalstamm si ableitet, da die conjunction si und das si in 
sirempse s. siremps, welche er dafür anführt, vielmehr 
der casus localis des oben angeführten pronominalstammes 
so sind, und ebenso unrichtig ist es, wenn er, sesta mit 
dem umbr. esto und lat. isto zusammenstellend, der an- 
sieht ist, dafs diese den anlaut 8 verloren hätten, da sie 
vielmehr von dem pronominalstamm i ausgehen, in sesta 
demnach nicht nur dieser, sondern auch ein mit 8 anlau- 
tender pronominalstamra enthalten wäre, eine häufung, zu 
der kein grund vorhanden sein würde. Wenn er endlich 
die pronominalform sesta durch die vermuthung zu stützen 
sucht, dafs ihr im lateinischen sista bei Cato de K.K. 
c. 160 entspreche, so hat er übersehen, dafs die worte 
der dort angeführten formel ista pista sista längst Gro- 
tefend Kudim. ling. Umbr. Partie. IV. 12 sehr ansprechend 
durch istam pestem sistam erklärt hat. Ist nun aber 
die existenz eines pronomen sesto, die sich durch keine 
stelle erweisen läfst, nach dem vorhergehenden höchst un- 
wahrscheinlich, so werden wir es auch in der obigen pae- 
lignischen inschrift nicht zu suchen haben. Auch an das 
verbum sisto ist bei sest. nicht zu denken, da dieses 
weder wegen des verb. finitura des satzes plens und des 
dazu gehörigen abl.pl. puclois das verbum finitum, noch 
ein zu diesem ablat. gehöriges partic. pf. pass. sein kann, 
indem ein solches theils keine reduplikation hat, theils we- 
gen plens hier ganz Überflüssig wäre. Da hinter a. nun 
ebenso, wie hinter sest. ein punkt steht, so ist der ver- 
such, dasselbe mit sest. oder mit plens zu einem worte 
zu verbinden, gleich gewaltsam und daher zu verwerfen. 
Noch gewaltsamer und daher noch weniger zu billigen ist 
das verfahren Corssens, der aus den drei Wörtern sest. 
a. plens über ausspr., vokalism. und beton. 2. ausg. bd. II 
p. 250*) das eine wort sestattens (statuerunt. vgl. Cors- 

*) Leider habe ich Annal. d. Inst. arch. Rom. 1866 p. IIS ff., worauf 
sich Corssen an der oben angeführten stelle bezieht, nicht nachsehen können. 



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erörlerungen aus dem gebiete dir italischen sprachen. IS3 

seil de Volscor. ling. p. 5 — 6) bildet, welches freilich an 
und fiir sich, wenn unter Ioviois puclois, wie er eben- 
das. bd. I p. 489, bd. II p. 79 will, sonst nicht bekannte 
sabellische „Poculi (dii), trankschafl'eude (gottheiten)" zu 
verstehen wären, ganz passend sein würde. Natürlich hält 
Corssen das überlieferte sest. a. plens für irrthümlich, 
da er wohlbeglaubigte formen, die seiner ansieht widerstrei- 
ten, wie tribricu über ausspr., vokal, und beton, bd. II 
p. 16, Petruniapert a.a.O. bd. II p. 377, frateer a.a.O. 
bd. II p. 504 und mehrere wortformen der späteren lati- 
nität a. a. o. bd. II p. 1010, für Schreibfehler erklärt. Dafs 
diese art der beweisführung die leichteste und bequemste 
ist, wird niemand bestreiten; schade nur, dafs ihr die be- 
weisende kraft fehlt, die sie auch durch den wegwerfenden 
ton, den sich Corssen erlaubt, gewifs nicht gewinnt. Ge- 
rathener ist es vielmehr, wie an andern stellen, so auch 
hier, eine hinlänglich verbürgte lesart, wenn sie anders 
einen passenden sinn gibt, unverändert beizubehalten. Wir 
werden daher plens, welches mit volsk. sistiatiens 
(statuerunt), osk. profattens ( probaverunt ), teremnat- 
tens (terminaverunt), uupsens (operati sunt) und sabell. 
amatens zu vergleichen ist, für die aus ple-ens entstan- 
dene dritte pers. pl. pf. des einfachen verb. pleo zu halten 
haben, dessen sich nach Fest. p. 230 M. in früherer zeit 
auch die Körner bedienten. Befremden kann dieser aus- 
druck hier nicht, da es vier männer sind, welche trink- 
gefalse darbrachten, und vielleicht keiner von ihnen seine 
gäbe auf ein exemplar beschränkte. Das zu plens gehö- 
rige objekt ist das durch die abbreviatur a. ausgedrückte 
asum (tab. Rapin. 8), i. e. aram. Dafs aber die vier im 
anfaug der inschrift genannten mänuer pocula geweiht 
haben, ist durchaus nicht auffallend, da dieses wiederholt 
geschah. Oft wurden solche trinkgefafse auch mit dem 
namen der gottheit, der sie geweiht waren, versehen. Siehe 
übrigens Über diese und ihren gebrauch Bergk a. a. o. 
p. VI— VII. Die an unserer stelle genannten pocula wer- 
den nun näher bezeichnet durch das ebenfalls abbreviirt 
geschriebene adiect. ses-t., welches sestentasiois, i. e. 



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184 



sextantariis, zu bedeuten scheint; denn, dafs dieses ein zu 
puclois passendes epitheton ist, lehren hinlänglich stel- 
len, wie Martial. V, 64 „Sextantes, Calliste, duos infunde 
Falerni.« und Sueton Aug. 77 „Quoties largissime se invi- 
taret, senos sextantes non excessit, aut, si excessisset, re- 
iiciebat". Ueber die form sestentasiois aber vgl. tab. 
Iguvin. III. 2 — 3 „sestentasiam urnasiam". So bleibt 
noch Ioviois übrig, welches sowohl Bergk als Corssen 
mit dem darauf folgenden puclois verbunden hat, indem 
jener es als ablat., dieser über ausspr., vokalism. und be- 
tonung 2. ausg. bd. I p. 489 als dativ faßt. Allerdings 
könnten die trinkgefäfse, wenn sie nach Bergks erklärung 
dem Jupiter geweiht würden, deshalb Iovia genannt wer- 
den; allein an unserer stelle würde diese bezeichnung aus 
dem gründe nicht passend sein, weil man hier statt der- 
selben vielmehr den dativ des namens der gottheit selbst 
erwartet, der sie dargebracht wurden. Dazu kommt noch 
ein äufserer, doch keineswegs unwesentlicher umstand. 
Wie nämlich jeder der vier dedicanten seinem praenomen 
und nomen nach in einer besonderen zeile genannt ist, 
ebenso steht Ioviois in der fünften zeile allein, getrennt 
von dem in der sechsten zeile folgenden puclois sest. a. 
plens. Es scheint demnach Ioviois nicht mit dem abl. 
puclois zu verbinden, vielmehr als der dativ der gott- 
heiten, denen die pocula dedicirt wurden, zu fassen zu 
sein. Demnach werden, wie tab. Rapin. 7 die dem Jupi- 
ter verwandte göttinn einfach blofs Iovia genannt wird, 
so hier mehrere jenem verwandte götter durch Ioviois 
allein bezeichnet, wobei, was keiner erklärung bedarf, deis 
zu ergänzen ist. Freilich ist nicht darzuthun, welchen 
göttern die Paeligner diesen namen gaben; jedenfalls aber 
sind darunter hohe, dem Jupiter nahestehende götter, zu- 
mal da der name eigentlich coelestes bedeutet, zu verste- 
hen. Dieser erklärung zufolge würde die ganze inschrift 
zu übersetzen sein : Statius Pontius, Numerius Pon- 
tius, Vibius Alpius, Trebius Apidius Joviis (deis) 
poculis sextantariis aram pleverunt. 



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crörterungcn aue dem gebiete der italischen sprachen. 185 

2. Ueber die umbrisebe partikel hunt s. bont, das um- 
brische adverbium huntak s. huntia und das umbrisebe 

pronomen seso. 

Dem umbriseben eigentümlich ist die enklitische par- 
tikel, welche vollständig in den umbrisch geschriebenen 
tafeln hunt, in denen mit lateinischer schrift hont, nach 
einem konsonanten dagegen mit einbufse des h dort unt, 
hier ont geschrieben ist und auch apokopirt in der form 
hu und o erscheint. Sie schliefst sich an die casusformen 
der demonstrativen pronominalstämme j (if-ont = ibidem; 
nom. sing. masc. er -ont = idem, eur-ont = iidem), ero 
(nom. sing. masc. eri-hont *) = idem, eru-hu = eodem, 



*) Aufrecht und Kirchhoff schwanken in ihrer ansieht über erihont; 
denn, während sie es urabr. sprachd. bd. I p. 136. bd. II p. 217 und 245 
auf den pronominalstamm ero zurückzuführen geneigt sind, ziehen sie es 
bd. II p. 404, wenn auch nicht mit entschiedenheit, zum pronominalstamm 
i s. e. Eine von diesem stamme nun gebildete partikel kann erihont of- 
fenbar nicht sein, da eine solche vielmehr ihont oder ehont lauten müfste. 
Der annähme aber, dafs eri eine vom stamme ero ebenso, wie este (ita) 
von esto und ise (in isec mit der bedeutung item) vom stamme iso, ge- 
bildete partikel sei, steht entgegen, dafs, da die vom pronominalstamme eso 
8. iso mit dem suffix hunt gebildete partikel nicht isehunt, sondern 
isunt (ibidem) lautet, der analogie geraäfs eine vom pronominalstamm ero 
mit demselben suffix gebildete partikel erunt lauten mUfste. Ist demnach 
erihont keine pronominale partikel, so kann es nur casus eines pronomen 
sein, und zwar, wie der Zusammenhang von VI. b, 50 es erfordert, nom. sing. 
Ziehen wir es nun zum stamme i, so würde erihont in er-i-hont zu zer- 
legen sein. Freilich konnte dieses nicht, wie Aufrecht und Kirchhoff umbr. 
sprachd. bd. II p. 245 mit recht bemerken, als aus er (is) und dem vermit- 
telst des bindevokals i antretenden hont entstanden erklärt werden, da das 
suffix hont an consonantisch auslautende pronominalforraen nicht vermittelst 
eines bindevokals, sondern unmittelbar antritt, indem es nur das anlautende 
.h aufgibt, dergestalt, dafs aus er und hont eront (idem) VI. b, 24 wird; 
wohl aber könnte man meinen, dafs eri in erihont aus er und demselben 
i, mittelst dessen der nom. des pronom. relat. poi gebildet ist, bestehe. 
Auch könnte man dem einwand, dafs dann für den nom. sing. masc. zwei 
formen von demselben pronominalstamm, eront und erihont, neben ein- 
ander bestanden, durch die bemerkung begegnen, dafs der mittelst des i ge- 
bildete sich von dem andern durch Verstärkung der hinzeigenden kraft un- 
terscheide. Gleichwohl würden wir zu dieser annähme nur dann unsere Zu- 
flucht nehmen müssen, wenn kein andrer ausweg offen stände. Wenden wir 
uns also zum pronominalstamm ero. Allerdings kommt der nom. sing. masc. 
von diesem stamme ohne suffix nicht vor; die erklärung aber, wie aus ero 
und dem suffix hont der nom. sing. masc. erihont gebildet sei, kommt 
mir nicht so schwierig vor, wie sie Aufrecht und Kirchboff umbr. sprachd. 
bd. II p. 245 erscheint. Zuvörderst ist erihont mit demselben suffix i vom 
stamme ero gebildet, wie der nom. sing. masc. des prqn. relat. poi (poei, 



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186 



abl. masc. erir-oni = iisdem; femin. crar-unt = eius- 
dem, era-hunt = eadem, eraf-ont*) = easdem, abl. 
fem. erer-unt = iisdem), eso (is-unt =s itidem) und an 
die conjunction *sur (sur-ont)**) 8. surur (surur-ont 



poe) vom stamme po. Dann entbehrt eri-hont auf gleiche weise wie 
poi des nominativzeichens. Dieser analogie zufolge haben wir also als ur- 
sprunglichen nom. sing. masc. vom stamme ero ero-i auszunehmen, in Ver- 
bindung mit hont demnach ero-i-hont. Aus dieser form aber ging zur 
Vermeidung ihrer Schwerfälligkeit durch Verschmelzung des o mit dem i 
eri-hont hervor. Ganz ebenso entstanden im lateinischen aus quo-i und 
aus ho-i-c die nom. sing, qui und hi-c. Was Corssen über ausspr., vo- 
kalism. und beton. 2. ausg. bd. I p. 785 Uber die pronominalstämme lat. ho 
und quo und den diesem entsprechenden umbr. p o richtig bemerkt, dafs das 
i frühzeitig mit ihnen so verwachsen sei, dafs es mit demselben zusammen 
im sprachbewufstsein als ein neuer wortstamm betrachtet wäre, an den 
nun auch casussuffixe träten, gilt auch vom umbrischen pronominalstamm 
ero. So vereinigt sich mit dem in eri-hont enthaltenen nom. sing, eri 
der altlateinische acc. sing, er im in der schon von Grotefend Rudiment, 
ling. Umbr. Partie. IV, 8 mit dem stamme ero zusammengestellten glosse 
des Fest. p. 162 und 163 M. „nec erim = nec eum a . Schliefslich würde, 
wenn, wie Aufrecht und KirchhofT umbr. sprachd. bd. I p. 137 wollen, poi 
eine Verstümmelung von pos-i wäre, wohl anzunehmen sein, dafs auf gleiche 
weise ero-i-hont aus eros-i-hont hervorgegangen wäre, nicht aber, dafs, 
wie dieselben bd. I p. 79 vermuthen, „in erihont der endconsonant de» 
ersten pronomen gewichen sei"; denn hätte hinter eri ursprünglich ein con- 
sonant gestanden, so würde nicht dieser, sondern das h von hont ver- 
schwunden sein. 

*) In den sich entsprechenden stellen I. b, 23 und VI. b, 65. VII. a, 1 
findet eine verschiedene ausdrucksweise statt, wie Aufrecht und Kirchhofl' 
umbr. sprachd. bd. II p. 217 und 273 richtig gesehn haben, dort crahunt 
vea = eadem viä, hier erafont via = easdem vias. Es ist daher weder 
die vermuthnng anzunehmen, die sie bd. I p. 79 und bd. II p. 273 aus- 
sprechen, dafs in erahunt der accusativeharakter von eraf abgefallen und 
dann zur Vermeidung des hiatue das ursprüngliche anlautende h des suffixe» 
hunt, das nach consonanten abfallen mufstc, wieder eingetreten sei, noch 
die vermuthung, die sie bd. II p. 274 äufsern, dafs erafont für erahont 
verschrieben sei. Wenn sio hier zur Unterstützung der letztern vermuthung 
anführen, dafs die pronominalstämme i und ero sich gegenseitig in der art 
zu ergänzen schienen, dafs von einem jeden nur gewisse casus im gebrauch 
wären, die dem andern abgingen, und deren mangel bei dem einen durch 
formen des anderen ersetzt würde, da die bedeutung beider nicht wesentlich 
verschieden gewesen zu sein schiene, so spricht gegen diese ansieht, welche 
Buggc in d. zeitschr. bd. V p. 2 und bd. VIII p. 32 theilt, nicht nur, dafs 
erafont auch VII. a, 1 steht, wo die worte von VI. b, 65 wortlich wie- 
derholt werden, sondern auch der zum stamme ero gehörige nom. sing, 
erihont. 

**) Da dem surur s. suror surur-ont zur seite steht, so läfst sich 
aus dem Vorhandensein der form sur-ont annehmen, dafs, wenigstens ur- 
sprünglich, auch einfaches sur vorhanden gewesen sei. Daraus, dafs dieses 
in den uns zu geböte stehenden denkmälern nicht nachweisbar ist, folgt 
weder, dafs dasselbe nie existirt habe, noch dafs suront, wie Aufrecht 



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erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 187 



und surur-o) und hat die bedeutung des enklitischen la- 
teinischen -dem = oskischen dum. Richtig haben nun 
Aufrecht und Kirchhof? umbr. sprachd. bd. I p. 136 gese- 
hen, dafs wohl zwischen dieser umbrischen partikel hunt 
8. hont und dem lateinischen demonstrativstamm HO ein 
Zusammenhang stattfinde, dafs sie aber nicht mit dem go- 
thischen hun, welches gleich dem skr. Kana aus den pro- 
nominibus, denen es angehängt wird, indefinita schafft, zu- 
sammenzustellen sei. Verbietet . dieses die ganz verschie- 
dene bedeutung dieser suffixe, so liegt es dagegen nahe, 
das umbrische hunt s. hont mit dem celtischen pronom. 
demon8tr. hun, hon, hyn (is, ea, id) und dem celtischen 
adverb. hwnt (illic) und hont in hen-hont (ille), houn- 
-hont (illa), worüber s. Zeuss Grammatic. celtic. Vol. I 
p. 398— 401, zu vergleichen. Nehmen wir nun hinzu, dafs 
in engem zusammenhange mit hunt 8. hont die zwei ad- 
verbialformen huntak und huntia stehen, so wird es 
wahrscheinlich, was Bugge in d. zeitschr. bd. III p. 36 — 37 
erklärte, dafs ein demonstrativstamm huno s. hono mit 
dem demonstrativstamm to, den wir im umbr. es-tu, lat. 
is-te, griech. «£-ro£, lit. szi-ttas finden, zum pronomi- 
nalstamm hunto s honto zusammengesetzt sei. Gerade 
durch diese Zusammensetzung zweier demonstrativstämme 
wird die demonstrative bedeutung stark hervorgehoben und 
so konnte jene füglich zur bezeicbnung, dafs von einer 
schon erwähnten person oder 6ache etwas neues ausge- 
sagt werde, gebraucht werden. Dieser, dieser wurde 
gesagt, um derselbe auszudrücken. Vergl. das altlatein. 
emcm = eundem bei Paul. Diac. Excerpt. p. 76 M. und 
das daselbst von Müller angeführte ctvvavrov im sicilisch- 
griechischen. Von diesem pronominalstamm hunto s. 
honto kommt nun sowohl die durch apokope entstandene 
partikel hunt s. hont her, ursprünglich neutr. sing., als 
die adverbialform huntak und huntia, ursprünglich abl. 



und Kirchhoflf umbr. sprachd. bd. II p. 113 und 419 wollen, Air sururont 
verschrieben sei. Dieses ist nicht möglich, da suront eilfmal auf der sechs- 
ten und siebenten tafcl 'sich findet. Aufrecht und Kircbhoff hätten daher 
dieses nicht im texte überall in sururont verändern sollen. 



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ISS 



sing. fem. Beide sind nicht, wie es Aufrecht und Kirch- 
hoff umbr. sprachd. bd. I p. 136 und Bugge a. a. o. zu 
fassen scheinen, verschiedene adverbien, sondern nur zwei 
formen eines und desselben adverbium, indem jene nur 
durch das demonstrative k vermehrt, in dieser ebenso, wie 
im volskischen sistiatiens (statuerunt) und osk. eitiu- 
vam und tiurri (turrim), worüber 8. Corssen de Volscor. 
ling. p. 5 — 6, hinter t ein i eingeschaltet ist. So schwin- 
det die Schwierigkeit, welche Bugge a. a. o. in dem i des 
huntia fand. 

Wie dem lateinischen mihi und tibi im umbrischen 
mehe und tefe entsprechen, ebenso mufs man vermuthen, 
dafs für sibi die Umbrer sefe gesagt haben, zumal da 
derselben analogie gemäfs dieser dativ im oskischen sifei 
und im paelignischen seffi lautet. Dagegen finden wir 
tab. Iguv. VI. b, 51, wo der sinn der stelle durchaus den 
dativ des reflexivpronomen der dritten person erfordert, 
seso. Aufrecht und Kirchhoff übersetzen daher umbr. 
sprachd. bd. I p. 133. bd. II p. 248 und 418 dieses durch 
sibi, obgleich ihnen die form desselben dunkel erscheint, 
so dafs sie es für möglich halten, dafs es verschrieben sei. 
Dieser vermutbung haben indessen Bugge in d. zeitschr. 
bd. III p. 34 und 36, Huschke iguv. tafeln p. 229. 230. 
566. 706 und Newman in seiner ausgäbe der iguv. tafeln 
p. 43 mit recht nicht räum gegebeu und ebenso richtig 
haben Bugge und Newman seso vielmehr durch sibimet 
. übersetzt. Bugge zerlegt nun seso in ses-o und sieht in 
o eine Verstümmelung des suffixes hont, welches hier den 
sinn des lat. -met habe. Dafür läfst sich allerdings an- 
führen, dafs für erubunt auch eruhu und fiör sururont 
auch sururo sich findet und dafs das celtische hun und 
hunan (unan) 8. honon, worüber s. Zeuss grammatic. 
celtic. Vol. I p. 409 und 410, ipse bedeutet; allein, wenn 
Bugge mit ses das goth. sis vergleicht und meint, dafs 
sich das 8 hier, wie in pisi, aveis u. a., behaupte, so 
steht jener vergleichung entgegen, dafs die form des go- 
thischen dat. sis der umbrischen spräche völlig fremd, und 
dieser ansieht über das s, dafs gerade vor dem sufifix u n t 



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erörterungen aus dem gebiete der italischen sprachen. 189 

8. ont das den casus eines pronomen schließendes regel- 
mäßig in r übergegangen ist, wie eur-ont (iidem), erir- 
-ont (iisdem) beweisen. Wenn dagegen Huscbke in be- 
treff des schliefsenden o Bugge beipflichtet, ses aber, wie 
den lat. acc. und abl. sese, für eine Verdoppelung des dat. 
se hält, so dafs seso aus se-s(e)ont entstanden wäre, 
und wenn Newman seso mit sueso (VII. b, 1), welches 
er durch suaemet übersetzt, zusammenstellt und von der 
zweiten silbe so meint, dafs sie ein umbrisches isso (ipso), 
welches nicht vorhanden ist, s. es so, wie er VI. a, 2 das 
urkundliche eso ändert, verberge und daher lateinischem 
pte (in suäpte culpa) oder pse (in reapse) gleich sei, so 
ist es überflüssig, solche ansichten zu widerlegen. Ich 
sehe vielmehr in dem se von seso das verstümmelte sefe 
und in dessen zweiter silbe so dasselbe pronomen so, das 
sich im umbrischen eso, e-su-k, e-su-f findet und von 
dem sich im lateinischen bei Ennius die accusativformen 
sum, sam, sos, sas erhalten haben, das der letzte be- 
standtheil von i-p-sus und i-p-se ist und doppelt er- 
scheint in sa-p-sa. Siehe darüber Corssen über ausspr., 
vokalism. und beton. 2. ausg. bd. II p. 847. Wie in dem 
lateinischen eum-p-se, eam-p-se und ähnlichen formen 
die casusform dieses pronomen abgestumpft ist, ebenso ist 
dieses mit dem so in se-so der fall. Se-so bedeutet 
also sibi ipsi 8. sibimet. 

3. Ueber tarnen. 

Das lat. tarnen hat man auf die verschiedenste weise 
zu erklären versucht. Bopp leitete es früher vgl. gramm. 
1. ausg. §. 343 von dem skr. local. ta-smin her, indem 
dessen s, wie im litauischen tarne, unterdrückt sei; spä- 
ter dagegen, in der 2. ausg. der vergl. gramm. II, 132, er- 
klärte er es für eine Zusammensetzung des acc. plur. neutr. 
des demonstrativen pronominalstamm ta mit einem der 
griech. partikel fiiv entsprechenden lat. -men, dergestalt, 
dafs ta-men dieselben pronominalstämme, wie in umge- 
kehrter reihenfolge fLiiv-rot, enthielte. Dagegen meinte 



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190 Zeyls 

Max. Schmidt commentat. de pronom. gr. et lat. p. 91, dafs 
tara-cn, aus tarn und der präp. in zusammengesetzt, für 
tarn- in stände, aus tam-en aber durch abwerfung des n 
die alte form tarne für tarn hervorgegangen wäre. Pott 
wiederum stellt etymol. forschungen th. II p. 136 ff. zwei 
vermuthungen auf. Einmal nämlich erklärt er das en in 
tam-en für ein umgelautetes an, griech. av, durch wel- 
ches der gegensatz bestimmter hervorgehoben werde, wo- 
nach die eigentliche bedeutung von tam-en sei: „so sehr 
(tarn) andrerseits (an) a . Dann meint er, die mögliche kür- 
zung von en zugegeben, sei das en in tam-en das hin- 
weisende en, so dafs tam-en eigentlich „sieh nur, in eben 
dem grade u bedeute. O. Ribbeck findet sogar beiträge 
p. 27 ff. in dem en von tarnen die interjektion e. End- 
lich hat, während Ritsehl Plaut. Prol. Trin. p. 14 und 
Rhein, mus. XIV p. 399, Aufrecht in d. zeitschr. bd. 1 
p. 85, Schweizer- Sidler in d. zeitschr. bd. IV p. 304 und 
bd. VIII p. 234, Curtius in d. zeitschr. bd. VI p. 84 und 
93, Lottner in d. zeitschr. bd. VII p. 163 und Schuchardt 
vokalismus des Vulgärlateins 1, 1 17 behaupten, dafs tarnen 
zuerst zu tarne und dann zu tarn abgestumpft sei, Cors- 
sen krit. beitr. p. 279 und über ausspr., vokal, und beton. 
2. ausg. bd. II p. 223 und 604 tarn für eine feminine ac- 
cu8ativform des pronominalstammes ta erklärt, zu der in 
tam-e e als form des localis des pronominalstammes i 
getreten sei, so dafs tam-c „so da a bedeute (krit. beitr. 
p. 275 und 279, über ausspr., vokal, und beton. 1. ausg. 
bd. II p. 266; 2. ausg. bd. II p. 842 und 1027), tam-en 
aber (krit. beitr. p. 278 — 279, über ausspr., vokal, und be- 
ton. 2. ausg. bd. II p. 642) in Übereinstimmung mit Pott 
für eine enklitische ton Verbindung des pronominalaccusa- 
tivs tarn mit dem hinweisenden localen adverbium e-n 
(„daselbst, siehe da"), einer form des localis vom prono- 
minalstamme i, durch welche die hinweisende kraft des 
demonstrativpronomens verstärkt werde, so dafs tam-en 
eigentlich „so da, so eben", also eben dasselbe wie 
tam-e bedeute. Aehnlich äufsert sich Ebel in d. zeitschr. 
bd. XIV p. 400, indem er tarn als acc. fem. sing, auffafst 



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erörtorungeu aus dem gebiete der italischen sprachen. 



191 



und in tarne den antritt eines verstärkenden e (ursprüng- 
lich e oder ei), wie in umbr. pisi und poci, in lat. qul 
und in gotb. saei, annimmt. Alle diese erklärungen sind 
so unwahrscheinlich, dafs ich einer Widerlegung derselben 
mich glaube enthalten zu können, und um so auffallender, 
als Wüllner Über Ursprung und Urbedeutung der sprachli- 
chen formen. Munster 1831 p. 208 — 211 bereits der, wie 
es mir wenigstens scheint, richtigen erklärung sehr nahe 
gekommen war, indem er ta-me-n aus ta-ma-na ent- 
stehen liefs, d. h. aus dem demonstrativen pronomen ta, 
einem ursprünglichen ma, wofür die alte form ta-me, die 
für späteres aus ihr verstümmeltes tarn stände, spräche, 
und aus demselben na, welches im skr. vi-nä (sine), im 
griech. i'-va, im ahd. ä-na (ohne), vo-na (von), hi-na 
(hin), da-na (dann), hua-na (wann), und zu ne abge- 
schwächt im lat. si-ne sich zeigte. 

Offenbar ist, wie in quam der relative pronominal- 
stamm quo, so in dem entsprechenden tarn der demon- 
strative pronominalstamm to enthalten. Von jenem stamme 
wurde nun vermittelst derselben lokalendung me, der wir 
im umbrischen bei subst. und adject., wie toteme Iovine 
(VI. a, 26) und toteme Iovinera (VI. a, 46) und auch im 
litauischen bei adject. und pronominibus begegnen, cume 
gebildet, aus dem durch abwerfung des e cum hervor- 
ging. Terent. Scaur. p. 2261 P. Antiqui pro hoc adverbio 
(nämlich quom) cume dicebant, ut Numa in Saliari car- 
mine: Cume tonas Leucesie". Ebenso ging mittelst der- 
selben endung me von dem feminin, jenes demonstrativ- 
8 tarn m es tarne, woraus durch abwerfung des e tarn ent- 
stand, mit Übergang der localen in die modale bedeutung 
(während die temporale sich in tan-dem erhielt) hervor. 
Fest. p. 360 M. „ Tarne in carmine (nämlich Saliari) po- 
situm est pro tarn". Durch hinzuftigung des Suffixes ne 
aber, über welches sowie über die mit ihm gebildeten ita- 
lischen partikeln ich in d. zeitschr. bd. XIX p. 163 — 175 
gehandelt habe, an tarne entstand tame-ne, welches 
durch abwerfung des e, wie do-ne-que zu do-nec, zu 
tarnen ward. Ohne abwerfung des e hätte, nach dem 



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192 Gradl 

gesetz der lateinischen spräche, dafs jedes kurze schlufs-c 
in der composition mit einem consonantisch anlautenden 
worte in i umlautet, wie aus do-ne-que do-ni-que, so 
aus tame-ne tami-ne entstehen müssen, eine form, die 
sich allerdings bei Plaut., und zwar sowohl in der bedeu- 
tung so (Mil. 628), als in der bedeutung dennoch (Most. 
1168) findet; allein in dieser ist das schliefsende ne inter- 
rogativ. S. über diese form H. A. Koch im rhein. mus. 
1870 p. 618. Es geht aber aus ihr hervor, dafs tarne 
sowohl die bedeutung so hat, als auch, wie das aus ihr 
entstandene tarn, als partikel des gegensatzes im sinne 
von tarnen gebraucht wurde. Für tarn beweisen dieses 
sowohl stellen im Plaut., wie Stich. 44, wo, wie Schweizer- 
Sidler in d. zeitschr. bd. XIII p. 311 bemerkt, der Ambr. 
tarn pol im sinne von tarnen hat, und 472: „Locatast 
opera nunc quidem: tarn gratiast", als auch die gleiche 
bedeutung von tametsi und tamenetsi und die glosse 
bei Fest. p. 360 M. mit den von ihm aus älteren dichtem 
dafür angeführten beispielen. 

Zey fs. 



Zur kuude deutscher mundarten. 

Beiträge zum pronomen. 
1. 

Der dual, der in den älteren perioden der germani- 
schen sprachen ftir das pronomen der ersten und zweiten 
person vollständig entwickelt war, erscheint im gegenwär- 
tigen stände der mundarten nur noch in lückenhafter ge- 
stalt. Es zeigen ihn schwedische mundarten, das norwe- 
gische und färöische, das nordfriesische, einzelne westphä- 
lische und niederrheinische mundarten, das bajoarische und 
ostfränkische; eingedrungen ist der dual in folge äufserer 
Ursachen (angränzung, politische Vereinigung) in striche 



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zur künde deutscher mundarten. 



193 



des westfränkiachen und in den schlesischen dialekt des 
17. jahrhunderts. 

Diese erhaltenen dualformen, die meist plurale bedeu- 
tung haben ( — von den südgermanischen mundarten weist 
blos das nordfriesische die formelle bedeutung auf — ), 
lauten * ) : 

schwedisch: I, 1: vit (wir beide; Westbothn.); 2. okar 
(Upland, Westmannld). Vergl. Grimm gramm. I*, 
814, 35. Ihre scbwed. wb. unter vit und okar. 
norwegisch: 1, 2: aakons (kons), 3. 4. aakon; 

II, 2: dekan oder dokkers, 3. 4. dekan. Vgl. Hallager 
einl. z. norweg. wb. XII. 
föröisch: I, 1: vit (Grimm a.a.O.: vit), 2. okkara, 3. ok- 
kum (Grimm: okkun), 4. okkur (Grimm okur); 
II, 1: tit (Grimm: tit), 2. tikkara, 3. tikkum (tikkun), 

4. tikkur (tikur). 
Vgl. Rask veiledn. p. 277. Heyne gramm. I, 322. 
Die altnorweg.-isl. formen sind: I. vit, okkar, okkr, 
okkr; II. it (daneben thit), ykkar, ykkr, ykkr. (Rask: 
vidh, thidh). 

nordfriesisch: I, 1: wet, wat; 2. unker, onker; 3. 4. 
unk, onk. 

II, 1: at, jat, jet; 2. junker ( — o — ), 3. 4. junk jonk. 
Vgl. Grimm gescb. d. d. spr. II, 976. Johansen nord- 

fries. spr. 60. 61. Firmenich Germ, völkerst. 
Altfriesisch ist der dual unbelegbar. 
westfälisch (westlich vom Hellweg; als fundorte kenne 
ich: Recklinghausen, Wattenscheid, Essen, Hattingen, 
Schwelm, Hagen, Bochum. 

H, 1: it, jit, git; 2. inke, enke, (önke); 3. 4. ink, enk, 

(önk). 
Vgl. Firmen. 

niederrheinisch (niederbergisch, in Neviges, Barmen, El- 
berfeld, Lüttringhausen) : 

*) Dem herrn verf. sind die Zusammenstellungen Bugges über die skan- 
dinavischen dualformen (d. zeitschr. IV, 247. 254 f.) sowie die Aasens Uber 
die norwegischen im besondern (Norsk Gramm. 179 f.) unbekannt geblieben, 
aufweiche wir deshalb zur Vervollständigung des hier vorgetragenen verweisen. 
Anm. der redaction. 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 3. 13 



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194 



Gradl 



11,1: jetjöttgöttgätt; 2. enke, (öuke) ; 3. 4. enk,(önk). 
Vgl. Firm. 

Die 2. per8. im altsächs.: git, iucer (incero), inc, inc. 
bajoarisch: II, 1: es (allg.; auch ös geschrieben, sowie 
die nachstehenden formen önker, önk und theilweise 
önger, öng), des (kämt., vgl. Lexer in Fromm. II, 244), 
is (gründneri8ch, Firm. III, 630 aus Schmöllnitz); 
2. enkcr (allg.), enger und (südböhin.) ainke' ; 3.4. 
enk, eng, (südböhm., vgl. Fromm. V, 410, 10) aink. 
Weinh. bair. gramm. §. 358; Schmeller gramm. §. 718. 

721. 910 anm., wb. I, 118fg. 134; Bavaria 1,208. 

Schöpf 109. Thaler in Fromm. III, 452. Lexer 87 

und a. a. o. Höfer I, 187. 188. Tschischka 267. 

Noe in Fromm. V, 315. Fromm. II, 244. IV, 501, 1. 

VI, 252, III. 

ostfränkisch (die Übergangsmundart an der Pegnitz (nürnb.) 
ausgenommen) : 

I, 2: unka (Egerland, westl. Mitteleger; Kohl in 
Fromm. VI, 171 und Födisch aus dem nordwestl. 
Böhmen 8. 7); (die formen unsä', unnä' sind jedoch 
die bei weitem häufiger gebrauchten) 

II, 1: hz (Regen), es (Eger, Stadt, aus dem bajoari- 
schen eingeschleppt?), fäz (westl. Mitteleger, Fö- 
disch a. a. o.), dez (Regen), diz (Oberostnab), diäz 
(Obereger, Mitteleger, Mies-Radbusa, Rösla), enk 
(Unternab; Nenhaus bei Pegnitz 8. Bav. III, 228), 
enks (Oberwestnab); 2. enkä'; 3. 4. enk (allg., 
auch Obereger, wo daneben noch) enks (Ober- 
westnab). 

westfränkisch (nur in einzelnen Östlichen strichen aus 
dem ostfr. oder baj. eingedrungen): 
II, 1: es, ös (Baireuth, Bavaria III, 192,3), enk (Ans- 
bach, ebend. III, 228); 2. enka ; 3. 4. enk. 
schlesisch (17. jahrh.) z. b. es (bei Scherffer s. 611). 
(Nach Weinh. a. a. o. in folge politischer Zugehörig- 
keit aus dem österreichischen eingedrungen). 
Mhd. formen: ez (esz, es, ees, ös), *encher (gen. un- 
belegbar), ench (enk, enck, enkch), ench (enk). 



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zur künde deutscher mundarten. 



195 



Wackern. wb. 62 a. Im althochdeutschen findet sich 
auch noch ein rest des duals I. pers. im gen. unker 
(Otfried III, 22, 64: unker zweio). 
Anmerkungen. 1) Ueber die bildung der germa- 
nischen dualen pronominalformen vergleiche man Scherer 
zur geschiente d. d. spräche 253. 

2) Ein eigentümliches s erscheint in der form enks, 
die wohl ursprünglich nur Einern obliquen kasus (dativ?) 
angehörte, nun aber in einzelnen ostfränkischen gegen den 
auch als nomin. fungiert nach bekannter assimilation der 
kasus, wie sie in zahlreichen fallen beim pronomen vor- 
kommt. Vergleichen liefse sich zunächst das s der got. 
formen unsis, igqis oder mit besserem gründe das t der 
angelsächsischen accusative uncit, incit (wonach enks ab- 
schwächung aus enkfs wäre). Am wahrscheinlichsten kommt 
mir jedoch die annähme vor, es sei diese s- bildung eben 
eine unorganische neubildung jüngeren Ursprunges. Es 
drang wohl die form enk zufolge der kasusangleichung in 
den nom. und nahm später, als neuer stamm auftretend, 
in folge einer reaction, den nom. von den obliquen kasus 
zu scheiden, das 8 der form es an sich, worauf eine dritte 
motion diese seltsame form neuerdings in die obliquen ka- 
sus brachte. Belege für diesen scheinbar complicierten 
Vorgang finden sich beim pronomen häufig (vergl. der-en, 
dess-en, den-cn, wo die formen der, des, den als stämme 
fungieren und eine neue schwache biegung mit -en anneh- 
men). Die einfachere form enk ist oben als nom. belegt. 

3) Häufig ist auch der Vorschlag einer dentalmuta. 
Die obigen dialekte geben: d-ekan, d-okkers (norw.), t-it 
(färöisch; norw. d und färöisch t nach den Verhältnissen 
beider mundarten = altnord. th), d-es (kärntisch), d-ez, 
d-iz, d-iäz (ostfränk.). Die erscheinung ist alt; schon im 
altnord. steht neben dualem it ein thit, wie neben plur. er 
ein ther (färöisch t-ser). Im plurale zeigen diesen Vor- 
schlag noch weitere mundarten, z. b. dje (mundart von S. 
Truijen in Limburg , Firm. III, 642 f. gegenüber gewöhn- 
lichem gij, gi, ge, gä niederländischer dialekte); nordthü- 
ringisch: di, *di, de (Nordhausen, Hohenstein, Heiligen- 

13 # 

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196 



Gradl 



Stadt, Mühlhausen), deu (Erfurt), derr (Mannsfeld), vergl. 
Firm. II, 191—208. 179- 187. III, 280 — 300; pfälzisch 
dir, der (Trier, Birkenfeld) vergl. Firm. III, 549, 18. 30; 
luxemburgisch dir, vgl. Firm. I, 537 fg.; bajoar. (nur in suf- 
figierten formen?) der, vergl. Weinhold bair. gramm. 358; 
schwäbisch dier der (neben ier er) und schweizerisch dir, 
der, vgl. Weinhold alemann, gramm. 413, Rapp in Fromm. 
III, 79, Schmidt idiot. Bernense in Fromm. II, 488 u. a. 
Ja, dieser dentale Vorschlag dringt sogar in die obliquen 
kasus' ein, wie oben das norwegische und färöische zeigen. 
[Aehnlich ist, wie ich nebenbei bemerke, wenn das g des 
niederdeutschen pron. 2. pers. (gi, ge, ihr) am nordwest- 
lichen Harz gleichfalls auf weitere formen sich ausbreitet, 
vgl. gich (euch, Firm. III, 139, 11 u. ö.), gue (euer, ebend. 
III, 139, 12 u. ö.)]. Ueber die entstehung des vorschlage 
vergl. man Scherer a. a. o. 250. d. zeitschr. XVIII, 351. 

2. 

In den östlichen ober- und mitteldeutschen dialekten 
(dem bajoarischen, ost- und theilweise westfränkischen, im 
obersächsischen und schlesischen) begegnen bei partikeln 
und pronominalformen zu anfang des nebensatzes seltsame 
anhänge. Es gilt dies für: als, bald, bis, dafs, der das 
(relat.), ehe, ob, wann, wenn, wer was, wie, wo. Im ost- 
fränkischen, das sich überhaupt durch konsequente durch- 
führung grammatischer regeln auszeichnet, finden sich diese 
suffixe am zahlreichsten, weshalb ich zunächst aus dieser 
mundart belege gebe. 

Ostfrk.: ob*« gaist (ob du gehst), wennsf roust (wenn 
du ruhst), deans* siahst (den du siehst), aisf fraügst 
(ehe du fragst); alte satts (als ihr seid), dato kummts 
(dafs ihr kommt), wots touts (was ihr thut), wäafc 
mäints (wen ihr meint); wöins glä b m (wie sie glau- 
ben), da««*) mächfn (dafs sie inachen), biw* genga 
(bis sie gehen), u. s. w. 



*) Daneben die volleren formen: daa-n-s, bis-n-s. 



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zur künde deutscher mundarten. 197 

Bajoar.: wänn*f wenn** wunn** geäst (wenn du gehst)*), 
bald*f kht obst weilst as tuast (sobald als ob weil du 
es thust) ; weil* weilte wenn* wenn** wellts ( weil 
wenn ihr wollt) (im Lesachthaie: weilrf worf wenncf 
er seif Lexer kärnt. wb. 59) u. s. w. 

Westfrk.: wenn*fa (wennst) will**; da-«-sa tu« (dafs sie 
thun) u. s. f. 

Schles. wenn*Je dän*fe ebste will** (wenn den ob du 
willst); wen« er seid, wo* er höf (wenn ihr seid, wo 
ihr habt) u. 8. w. 
Eine genügende erklärung dieser formen scheint mir 
noch nicht gegeben. Weinhold (dial. s. 77. 81 und bair. 
gramm. §. 358 fg.) kennt nur die fälle der 2. ps. sing, und 
plur. und erklärt die 8 dort, wie die t hier für euphoni- 
sche laute (ob-s-d', wo-t-'s, wo-t-er), die vor dem prono- 
men (d' du, er ihr, 's ihr) eingeschoben wurden. Dieser 
annähme, der auch Frommann (deutsche mundarten I, 
290, 6. III, 240, 11 und öfter) folgt, steht meines erach- 
tens gegenüber, dafs ein mangel an euphonie in den mei- 
sten formen (wenn nicht allen) auch ohne den einschub 
nicht stattfinden würde (*ob-d', ob-'s, wie letzteres ja auch 
vorkommt), im gegentheile manchmal gerade in folge der 
„ einschiebung a konsonantenhäufungen und Störungen des 
Wohlklanges eintreten (vgl. bäldst, bits, wenots, obts) und 
dafs ausserdem bei herbeiziehung der formen von der 3.ps. 
plur. (analog müssen die fälle doch wohl behandelt wer- 
den) für diese ein neuer euphonischer laut anzunehmen 
wäre, d. h. für drei falle — drei verschiedene wohlklangs- 
bildner. Der umstand, dafs diese laute nicht nur hinter 
vokalisch auslautenden partikeln und pronominalformen, 
sondern regelmässig bei allen erscheinen, weist, wie ich 
glaube, die deutung ab, als sei das ganze ein mechanischer 
Vorgang wie die Herstellung der euphonie. 

Näher kommt Schöpf (in Fromm. III, 107), wenn er 
vom -st (in obst u. 8. w.) sagt, es sei „gleichsam eine vor- 
ausnähme der flexion s in der 2. pers. sing. u Sehmeller 



♦) Tirolisch sogar wenn*cA< s. Schöpf in Fromm. IN. 



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198 



Gracll 



§. 722 setzt die st, ts und ns geradezu als formen des 
suffigierten personalpronomens an. Noe (Fromm. V, 315) 
erklärt st und ts als flexionsendungen der 2. pers. sing, 
und plur., die als ersatz fttr das ausgelassene personalpro- 
nomen, ja für dieses selbst genommen werden; er führt 
sie im Schema auch kurzweg als suffigierte formen des 
pron. an. Das ns finde ich aufser bei Schmeller nur noch 
in Fromm. IV, 259, 31 besprochen, wo der herausgeber 
meint, dieses n stehe aber „nur vor pluralem sä (sie), nicht 
auch vor weiblichem der einzahl, vielleicht also zur Un- 
terscheidung der beiden Verbindungen". 

Ich denke mir, alle diese formen müssen gleicherweise 
erklärt werden. Da ostfränkisch die reichsten bietet, gehe 
ich von diesem aus. Zunächst ersieht man bei vergleich 
der formen: du tousf, es toufc, si touw oder tousf du 
(tou*fu), toufs [es], tou» s\ dafs es die personalendungen 
des verbums sind, die aus irgend einem gründe, der vor- 
läufig noch unerörtert bleibt, doppelt (nämlich an dein verb 
und an der partikel) gesetzt 8ind. Das angehängte ns aber 
zerlegt sich in die personalendung n und das inclinierte 
s(i). Es entsteht nun die frage, ob nicht auch in den 
zwei andern formen das pronomen stecke? Gewils, nur ist 
dasselbe unhörbar (st-d', ts-'s); theoretisch wäre daher die 
Schreibung st d', ts 's richtig; in anbetracht aber, dafs 
auch schon in der älteren spräche in ähnlichen fallen das 
d sch windet (aus wilt du, mäht du wird wiltu, mahtu) 
, und jene Schreibung unförmlich ist, wird man wohl bei 
der oben gebrauchten bleiben können, um so mehr als die 
inclinierung des pronomens so stark ist, dafs es mit der 
partikel als ein einziges wort gehört wird. 

Eine weitere nachforschung zeigt aber auch, dafs die- 
ses Verhältnis der suffigierung der personalendung auch in 
der 1. pers. plur. stattfindet; nur unterliegt das n dersel- 
ben fast stets der assimilation und verschwindet dem nicht 
aufmerksamen ohre im m des inclinierten pronomens mir 
(= wir). Die härte der konsonanz (— es lautet immer ein 
mm, z. b. weimmä', waumma, kein wei-mä 1 , wau-mä' — ) 
verräth jedoch deutlich, dafs hier gemination in folge von 



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zur künde deutscher mundarten. 



199 



a8similatioD statthabe. Als beispiele führe ich zu den obi- 
gen fallen nachträglich an: 

Ostfränk. waumma , dammä', bimmä' .... sann (= wo, 
dafs, bis wir sind); für die andern mundarten bringe ich 
das häutige wemmer (wenn wir), das indefs wohl nur bei 
jenen, die auch bei der 3. pers. plur. an die partikel ein 
n suffigieren, mit Sicherheit in wenn-n-mer zerlegt wer- 
den darf. 

Die festen, allgemeinen (d. h. för alle modi geltenden) 
personalendungen des ostfränkischen verbs sind bekannt- 
lich: Sing. 1. — ; 2. — st; 3. — ; plur. 1. — n, 2. — ts, 
3. — n. (Die 1. ps. sg. endet nach abwurf des tonlosen e 
stets auf den stammauslaut, d. i. verschieden konsonantisch 
und die 3. sing, variiert zwischen -t des indic. und abwurf 
der endung im conjunctiv-conditional). Für das ostfrän- 
kiscbe lftl'st sich daher als konsequent durchgeführte regel 
aufstellen : 

In nebensätzen, die von pronominalformen und den 
erwähnten partikeln eingeleitet werden, wird an diese die 
personalendung des verbs suffigiert und an diese Verbin- 
dung incliniert noch das etwa vorhandene Personalprono- 
men (subjekt). 

Anm. Ich ergänze die erwähnten falle mit der notiz, 
dafs die suffigierung der personalendung (im ostfränkischen 
wenigstens) auch dann stattfindet, wenn ein nomen subjekt 
des betreffenden nebensatzes ist z. b. binn äla laüt kumma 
(= bis*n ä. 1. k., bis alle leute kommen), o b m 's d' mäi d lä 
toun (ob es die mädchen thun), dann (dasn) d' säctfn dau 
sann (dafs die gegenstände hier sind) u. s. f. 

Rein durchgeführt ist die regel, wie schon erwähnt, 
nur im ostfränkischen; die andern mundarten (bajoarisch, 
schlesisch) kennen nur die fälle der 2. pers. sing, und plur. 
Dagegen geben manche westfränkische mundarten (west- 
liches Fichtelgebirge, Koburg u. 8. w.) auch die 3. plur. 
(Fromm. IV, 259, 31) und, wie ich erschliefse, die 1. plur. 

In vielen bajo arischen dialekten (z. b. bairisch, öster- 
reichisch, tirolisch) suffigiert man in der 2. pers. plur. nur 
ein -s statt des zu erwartenden -ts, wie die personalen- 



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200 



Gradl 



dung lautet (obs, wenns, bälds wellts = ob wenn sobald 
ihr wollt). Diese scheinbar der gegebenen erklärung wi- 
dersprechende form erkläre ich mir als des Wohllauts hal- 
ber aus -ts entstanden. Die konsonantenhäufung wird um 
so auffälliger, wenn man bedenkt, dafs auf diese formen 
folgende: ihm, ihn, es u. s. w. auch noch um den vokal 
gekürzt werden, somit an die vielen schon vorhandenen 
konsonanten in den meisten fällen noch ein weiterer ange- 
schliffen werden müfste; dies zu vermeiden, fallt das t in 
einigen mundarten weg, während das ostfränkiscbe sich in 
diesem falle damit behilft, dafs es den verkürzten formen 
von ihm, ihn, es ausnahmsweise ein tonloses ä vorsetzt, 
während sonst die kürzung einfach *n, *s lautet. (Vergl. 
wennts äs touts, wenn ihr es thut, dagegen : wenn i 's tou 
= wenn ich es thue). 

Die anhänge enthalten, wie bemerkt, zugleich die pro- 
nomina; doch können diese, falls sie nachdrücklich *her- 
vorgehoben werden sollen, noch einmal in voller form ge- 
setzt werden: z. b. obts = ob ihr, dagegen obts-e*s = 
ob ihr. 

Die lautliche kontraktion so vieler demente möge fol- 
gende tabelle zeigen: 

obst = ob-8t' = ob-st-d' = ob-st-du = hd. ob du; 
dast = da-8t' = da-st-d' = das-st-du = „ dafs du ; 
o h mmä = o b -mmä = ob-n-mä = ob-n-mä = „ ob wir; 
damma= da-mraa = da-n-mä = das-n-ma = „ dafswir; 
obts = ob-ts' = ob-ts- 7 8 = ob-ts-es = „ ob ihr; 
dats = da-ts' = da-ts-'s = das-ts-es = „ dafs ihr; 
o'ms = o b -ms = ob-n-s' = ob-n-si = „ ob sie; 
dans = da-ns = da-n-s' = das-n-si = „ dafs sie. 

Was die suffigierung selbst anlangt, so ist sie ganz 
analog einem slawischen gebrauche und sicher auch aus 
dem slawischen eingedrungen. Aehnlich wie in den er- 
wähnten mundarten setzt z. b. das tschechische in mit Par- 
tikeln beginnenden nebensätzen einen theil des (im kon- 
junktiv stehenden) verbs an die ersteren an; dort wie hier 
ist dieser theil die personalendung oder ein hilfsverb mit 



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zur künde deutscher mundarten. 



'201 



derselben. Ostfränkischem: wennst, dammä, weins u. s.w. 
entspricht ganz genau tschechisches: kdybys, zebychom, 
jakoby u. s. f. Die analogie geht so weit, dafs beiderseits 
die partikeln um unschrniegsame kousonanten gekürzt wer- 
den (kdy für kdyz = ostfr. bi- für bis). Zugleich erhellf, 
warum die suffigierung in der dritten pers. sing, unter- 
bleibt (oder besser gesagt, wegen mangels eines konsonan- 
ten unhörbar wird); die deutschen mundarten scheinen 
hiebei den im tschechischen stets (auch formell) stehenden 
konjunktiv der sache nach zu berücksichtigen, obgleich sie 
die form desselben oft vermeiden. Schlielslieh wäre zu 
bemerken, dafs die Verbreitung dieser erscheinung that- 
sächlich in jenen dialekten am bedeutendsten ist, die der 
slawischen Sprachgrenze nahe liegen (ostfränkisch, west- 
fränkisch u. s. f., ebenso im iglauischen, vgl. Noe a. a. o., 
wo in der 2. plur. -ts steht, ftir welches die meisten an- 
dern bajoarischen mundarten blo/ses -s aufweisen). Im 
schlesischen und obersächsischen dialekte sollten die be- 
züglichen fälle noch besser beobachtet werden; ich zweifle 
nicht, dafs vollständigere belege sich würden geben lassen. 

Eger, im april 1871. Heinrich Gradl 



m 

Zur Prometheus- sage 

(mit bezug auf Kuhn's buch „von der herabholung 

des feuers" u. 8. w.). 

Kuhn führt in seinem buche „über die herabkunft des 
feuers" u. s. w. den namen Prometheus auf eine sanskrit- 
wurzel manth (schütteln, erschüttern, reiben) zurück und 
entwickelt an der analogen butter- und feuerbereitung bei 
den Indern, für die in gleicher weise der ausdruck ge- 
braucht wird, die speciellere bedeutung desselben, indem 
er sagt: „Aus diesen beiden berichten (über die butter- 
und feuerbereitung) geht also mit evidenz hervor, dafs bei- 
den handlungen die quirlende drehung eines holzstückes 
gemeinsam ist, und diese art der bewegung bezeichnet of- 



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202 



Schwartz 



fen bar die wurzel mantb, nicht die parallele reibuog zweier 
holzstücke, wie man bisher wohl anzunehmen geneigt war. 
Die gleiche Vorstellung liegt offenbar auch dem mit mantb, 
manthana, manthara sich auf's engste berührenden man- 
flala, dessen grundbegriff „kreis" ist (auch politisch „der 
kreis, die provinz", daher Coromandel), zu gründe". Nach- 
her erwähnt er noch das holz pramantha bei der feuerbe- 
rcitung durch drehung als das reibholz sowie das appellativum 
manthara, der butterquirl. Dann entwickelt er als eine 
zweite auch in den veden schon hervortretende bedeutung 
der wurzel mauth die des abreifsens, ansichreifsens und 
raubens und fahrt dann fort: „Betrachten wir nun den 
namen des Prometheus in diesem Zusammenhang, so wird 
wohl die annähme, dafs sich aus dem feuerentzündenden 
räuber der vorbedächtige Titane erst auf griechischem bo- 
den entwickelt habe, hinlänglich gerechtfertigt erscheinen 
und zugleich klar werden, dafs diese abstraction erst aus 
der sinulichen Vorstellung des feuerreibers hervorgegan- 
gen sein könne". „Was die etymologie des worts betrifft, 
fährt Kuhn fort, so hat auch Pott dasselbe auf (Aavddvüi 
in der bedeutuLg von mens provida, Providentia zurück- 
geführt, in welcher auffassung er im ganzen mit Welcker 
übereinstimmt, aber er hatte, sobald er das tha^das sans- 
kritverbum nicht unberücksichtigt lassen soll«r\ da die 
annähme solcher aus reiner abstraction hervorgegangenen 
persönlichkeiten für die älteste mythenbildung mehr als 
bedenklich ist. Ich halte daher an der schon früher aus- 
gesprochenen erklärung fest, nach welcher llyon>]&BV£ aus 
dem begriff von pramätha, raub, hervorgegangen ist, so 
dafs es einem vorauszusetzenden skr. pramäthjus, der räu- 
berische, raubliebende, entspricht". 

Mit der hervorhebung der sinnlichen Vorstellung hat 
Kuhn unbedingt recht; ich glaube aber, dafs noch ein na- 
türliches element im hintergrunde steht, welches die 
verschiedenen Vorstellungen gleichfalls an sich knüpft und 
in dem überhaupt der Ursprung des ganzen mythos zu su- 
chen ist. Eine stelle eines neueren dichters, welche ich 
kürzlich fand, und die zu meiner vermuthung stimmend 



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zur Prometheus-sage. 



203 



die betreffende naturanschauung und so gleichsam den kern 
des mythos reproducirt, veranlafst mich diese ansieht aus- 
zusprechen. An den wirbel- oder kaselwind, der über- 
haupt, wie ich im „Ursprung der mytbologie" vielfach ge- 
legenheit gehabt habe auszuführen, in der mythologie eine 
nicht unbedeutende rolle spielt, knüpfen sich nämlich beide 
Vorstellungen, sowohl die „des drehens" als die „des räu- 
berischen u . In ersterer hinsieht brauche ich nur an die 
sich drehende, tanzende Windsbraut, welche dem stürme 
voraneilt, in letzterer an die ctQ7ia£ovffa tiveVut des Ho- 
mer zu erinnern. Nun findet sich bei Körner in seinem 
gedieht Amphiaraos folgende stelle: 

Wild schnauben die hengste, laut rasselt der wagen, 
Das stampfen der hufe zermalmet die bahn. 
Und schneller und schneller noch ras't es heran, 
Als galt' es, die flüchtige zeit zu erjagen. 
Wie wenn er die leuchte des himmels geraubt, 
Kommt er in wirbeln der Windsbraut geflogen. 
Dem dichter hat offenbar das bild vorgeschwebt, auf wel- 
ches ich hinziele, „der Wirbelwind als raub er der himm- 
lischen leuchte des sonnenfeuers und seine Verfolgung bei 
sich entwickelndem gewitter*. An diese Vorstellung eines 
raubes, einer entführung des himmlischen lichtes in der 
dem gewitter vorangehenden dunkelheit knüpfen sich dann 
bei verschiedenen Völkern mannigfache bilder über die Wie- 
dergewinnung desselben. Ausführlicher habe ich im Ur- 
sprung u. s. w. p. 235 die finnische sage in der gewitter- 
scenerie durchgeführt, wie Pohjola's wirthin d. h. die her- 
rin des himmlischen finstern nordens sonne und mond 
und damit das himmelsfeuer entführt, wie es nacht auch 
im himmel oben wird, bis der gewittergott feuer an- 
schlägt. 

Feuer schlug nun an der alte, 
Liefs die flammen munter sprühen 
Aus des sch wertes feuerschneide, 
Aus der flammenreichen klinge; 
Schlug das feuer in die nägel, 
Liefs es in die glieder rauschen 



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204 



Schwärt* 



In des himmels oberm räume, 

Auf der sternenhürde ebne. 
Der windgott Wäinäinöinen ist dann hier neben dem himm- 
lischen schmid Ilmarinen der den entfallenen blitz- feuer- 
funken suchende. Ein hecbt verschluckt denselben, und 
i Ii in gilt der fang; „das ist der im wolkenmeer wie ein fisch 
dahin schiefsende blitz". Aus ihm entwickelt sich ein blauer 
und rother knäul — andere anscbauungen des fallenden 
blitzes — der blitzfunke versengt schliefslich das all, bis 
die beiden götter endlich sich seiner bemächtigen, himmel 
und erde wieder der wohlthat des feuers in ihren stuben 
herr werden. 

In einem andern bilde führt der neuseeländische mythos 
die scenerie vom holen des feuers im gewitter aus. Entweder 
ist es, nach Schirren, ein ringen um den feuerstein, als alles 
feuer erloschen, oder es ist damit ein neckisches spiel 
des windgottes Maui verbunden. So heifst es, Maui 
hätte beschlossen, alles feuer seiner ahnfrau Mahu-ika zu 
vertilgen und sich deshalb folgende list ersonnen. Er löscht 
in der nacht alle heerdfeuer; am morgen ist nirgends im 
dorfe feuer. Seine mutter gebietet den sclaven, feuer von 
Mahu-ika zu holen ; diese weigern sich aus furcht. Da geht 
Maui selbst hin. Mahu-ika frägt ihn: woher? aus diesem 
lande hier? aus nordosten? Südwesten? Süden? westen? Er 
erwiedert immer nein. Kommst du, frägt sie weiter, woher 
der wind mich anweht? Ja. Daraus erkennt sie ihren enkel, 
reifst sich einen fingernagel aus, so dafs die flammen aus- 
schlagen und giebt ihm von diesem feuer. Er geht, löscht 
unterwegs die flamme, kehrt um und bittet abermals um 
feuer, welches die alte stets auf dieselbe weise entzündet. 
Das wiederholt er so oft, dafs sie sich alle nägel an fin- 
gern und zehen ausreifst bis auf den nagel einer grofsen 
zehe. Dann merkt sie seine bosheit, wirft den letzten na- 
gel zur erde: überall schlagen flammen empor. Maui 
flieht, das feuer hinterdrein; er verwandelt sich in 
einen adler, stürzt sich in seen; das wasser siedet, die 
wälder brennen, die erde, das meer brennt. Da fleht Maui 
zu seinen ahnen Tawhirimatea und Whatitiri-matakataka 



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zur Prometheus-sage. 



205 



um regen; jener sendet dessen eine solche fluth, dafs 
Mahu-ika fast umkommt. Laut schreit sie auf und rettet 
zur noth einige funken in das holz des kaikomako-baumes. 
Maui erklärt den eitern, er werde stets solche streiche 
spielen u. 8. w. 

Nach der Tongaischen sage wird der kleine Maui 
vom vater zum ahn geschickt, um feuer zu holen. Er 
findet den alten Maui, den grofsvater, auf einer matte am 
feuer sitzen, das um einen grofsen eisenholzbaum brennt. 
Der kleine erhält vom feuer in einer cocusscbale, geht da- 
mit weg, bläst es aus, kehrt wieder, wiederholt denselben 
streich; beim dritten male sagt der alte: Nimm alles. 
Maui Kijikiji (eben der enkel) nimmt den ganzen bäum. 
Da erkennt der alte, er sei mehr als sterblich und ruft 
ihm eine herausforderung zum ringkampf zu. Kijikiji wird 
niedergeworfen, springt auf, stürzt den grofsvater im 
schwunge nieder, dafs diesem die knochen brechen und er 
seitdem lahm und schläfrig — gott des erdbebens (?) — 
unter der erde liegt. Der vater, als er den alten sieht, 
ahnt, was geschehen ist; verfolgt den söhn, um ihn zu 
strafen; vergebens. Da beide am abend zur erde heim- 
kehren, verbietet der vater dem kleinen feuer mitzuneh- 
men. Dieser wickelt sich etwas in die schleppe sei- 
nes mantels und zieht es hinter sich nach. Der vater 
merkt feuer und Kijikiji streut alles aus. Sogleich fas- 
sen die bäume feuer: doch wird die gefahr glücklich ab- 
gewendet; es bleibt nur die gute folge, dafs den men- 
schen das mittel gegeben ist, sich die speise zu 
kochen. 

Die scenerie ist in allen diesen sagen vom himmel 
und seinen erscheinungen entlehnt, indem diese nach irdi- 
schen Verhältnissen aufgefafst werden, anschliefst sich das ge- 
wissermafsen religiöse moment, dafs bei dieser gelegenheit 
den menschen das feuer vom himmel gebracht sei. Wenn in 
mythen anderer Völker vielfach vögel, ja käfer, wie Kuhn und 
ich nachgewiesen, als im blitz herabschiefsende feuerbringer 
erscheinen, so gelten vom entwickelteren mythol. Standpunkt 
dann vielfach götter als solche, wie neben dem neuseeländi- 



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206 



Schwartz 



sehen Maui der amerikanische gewittergott Huitzlipochtli. 
Gemäls ihrem character und der Wichtigkeit des elementes 
wurden sie dann zu wohltbätern des menschengeschlechts. 
Wenn hierin schon eine gewisse abstractere auffassung sich 
geltend macht, so ist im übrigen den an die naturan- 
schauung unmittelbarer sich anschliefsenden mythischen bil- 
deru meist characteristisch ein mit list oder raub aus- 
geführtes aneignen des himmelsfeuers , womit sich dann 
auch oft, wie schon angeführt, eine daran sich knüpfende 
Verfolgung des räubers verbindet. Wie dies im Maui- 
inythos schon hervortritt, erscheint es besonders entwickelt 
im griechischen mythos vom Prometheus als feuerräuber, 
der an der sonne eine ferulastaude anzündet, den menschen 
so das feuer bringt und zu ihrem wohlthäter wird, welche 
rolle des mittlers gleichsam dann Aischylos tiefsinnig aus- 
geführt hat. Anderseits fehlt aber in der Verfolgung, die 
Prometheus deshalb erleidet, der hinblick wiederum auf 
die gewitterscenerie nicht, im gegentheil weisen auch hier 
die einzelnen mythischen elemente, welche sich daran rei- 
hen, auf ihn als den im unwetter schliefslich gefesselten 
Sturmesriesen hin ( naturanschauungen u. s. w. 1. p. 16 f.), 
gerade wie in den andern erwähnten mythen der wind das 
im unwetter scheinbar verloren gegangene himmelsfeuer 
holt oder sucht. 

Wenn diese mythenreiben die von Körner reproducirte 
anschauung des sonnen- und feuerraubs am bimmel als mit 
dem winde in beziehung stehend ausfuhren, anderseits 
aber gerade der Wirbelwind in der naturerscheinung 
selbst speciell als der räuberische und im unwetter vom 
nachfolgenden stürm verfolgte erscheint, wie viele mythen 
auch ganz anderer art darlegen, so weisen auch, wie Kuhn 
ausgeführt, die heiligen gebrauche bei den Indern in be- 
treff der erzeugung des feuers durch drehung eines Sta- 
bes in einer nabe dem das feuer hervorrufenden reibbolz 
pramantha anderseits die bedeutung des drehens, wirbelns 
wieder zu. Auf das merkwürdigste berühren sich nun 
die von Kuhn aus dem indischen dabei entwickelten Vor- 
stellungen mit anschauungen, welche wir beim Nonnus 



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zur Prometheus-sage. 



207 



finden. Doch mufs ich, um dies darzulegen, etwas näher 
auf die feuerbereitung eingehen, die uns dort in anderer 
für die alte weit höchst eigentümlicher weise entge- 
gentritt. 

Was die art der entzündung des feuers überhaupt an- 
betrifft, so hat darüber am ausführlichsten Tyler in seinen 
forschungen über die Urgeschichte der menschheit (deutsch 
von H. Möller, Leipzig) gehandelt. Die sitte des feuer- 
bohrens, wie Kuhn sie bei den Indogermanen nachgewie- 
sen, findet sich nach Tyler in analoger weise schon u. a. 
im alten Mexico vor und speciell das drehen des bohrers 
mit einem strick, wie sie noch im modernen Indien auch 
beim buttern angewandt wird, ist bei den Eskimos uralt 
(p. 309). Daneben erscheint aber auch bei den Eskimos*) 
wie anderseits dann im Süden Amerika's bei den Feuer- 
ländern die gewohnheit, feuer durch schlagen eines kieseis 
gegen ein stück Schwefelkies zu erzeugen. Nachdem dies 
Tyler durch alte Zeugnisse belegt hat, fahrt er fort: „Zwei 
berichte über ein verfahren beim feuermachen in und um 
Nordwestamerika sind leider unbestimmt. Capitain Cook 
bemerkte, dafs in Unalaschka die eingeborenen feuer mach- 
ten, indem 6ie zwei steine aneinanderschlugen, deren einer 
stark mit Schwefel eingerieben war. Ihre nachbarn, die 
aleutischen insulaner, machen, wie Kotzebue sagt, feuer, 
indem sie zwei mit Schwefel eingeriebene steine über 
trockenem moos, das ebenfalls mit Schwefel bestreut ist, 
zusammenschlagen. Dieselbe art der feuererzeugung kommt 
nun aber auch beim Nonnus als ländlicher gebrauch vor. 
Als nämlich Opheltes bestattet werden sollte (XXXVII. 
v. 56 sqq.), heifst es : 

'ivftct nvoog XQ* 0 ** $6**' (fiko<fxonO*oio dk KiQXtjg 
0avvog kgtmovouoQ) TvQOrjvtöog äorog ciQotfQtjg 9 

*) Kane, der nordpolf ahrer. Leipzig 1861 p. 201: „Als wir die hütte 
erreichten, schlug unser fremder Eskimo mit zwei steinen feuer an. Der 
eine war ein kantiges stück milchiger quarz, der andere anscheinend ein 
eisenerz. Er schlug einige funken heraus, ganz in der weise, wie in der 
ganzen weit stahl und stein gehandhabt wird und als zunder diente ihm 
wolle und Weidenkätzchen, welche er hernach an ein bündel trocknen mooses 
hielt. 



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208 



Schwartz 



tag nd'ig dygoxigrjg dadatjfjtivog egya t sxovö tjg^ 
nvqöoxoxovg Xdiyyag % ogeiddog ogyava xi%vr\g, 
rjyayev kx axuneXoto, xai y onno&i a^axa vixrjg 
rjego&ev ninxovxBg initSxta(Savxo xegavvoi, 
leiyjccvcc &e(meoiov nvgog rjyayev, tag xev dvdifjr] 
nvgxairjv cp&tfAtvoio' dtoßXijxq) &esi(p 
du(forego)v Z^gios Xifttov xeveuvag * 
nvgaotöxtav* xai Xenxov 'Egv&gaioio xogvpßov 
xdgcpog dno^vaag didvfxdovi (niyvvs nexgcp' 
tgißtav d 1 Üv&cc xai kv&cc xai ägaevi &ijXvv 

d QaCCaiv 

üyxgvcpop avxoX6%tvxov dveigvs Xaivsov nvg, 
nvgxctiij ö' imtötixep, öntj neXtv dygidg vXq. 

Ist es schon vom culturhistorischen Standpunkt aus höchst 
interessant, die oben aus der neuen weit geschilderte art 
der feuerbereitung hier plötzlich ganz adäquat in der alten 
auftreten zu sehen, so sind auch für die mythologie die 
daran sich knüpfenden anschauungen bedeutsam. Kuhn 
hat des ausfuhrlichen dargelegt, wie die bereitung des hei- 
ligen feuers mit dem drehstab bei den Indern als ein zeu- 
gungsact angesehen wurde und spuren dieser auffassung 
für dieselbe art der bereitung auch bei den Griechen nach- 
gewiesen. Dasselbe tritt nun hier beim Nonnus für die 
andere art der feuerbereitung aus steinen in einer der ver- 
schiedenen art der feuerbereitung entsprechenden weise 
hervor, wie die worte dgaevi ftfjXvv dgdoötav avxoX6%ev- 
xov dvtigve Xaivsov nvg zeigen. Dafs dies aber eine ste- 
reotype anschauung ist, zeigt noch eine andere stelle, 
welche noch neue mythologische perspectiven hinzubringt 
(II. v. 475 sqq.): 

£vvrj d* dfX(potigoi6iv iaoqgonog qsv hvvta 
xai du xai Tv(ptavi' noXv(pXoi<fß(p ßeXiuvq) 
ai&kgog ogxTjoxijgeg &ßax%svovxo xegavvoi* 
uctgvaro dt Kgovidrjg xexogv&nfaog* xvSoifiQ) 
ßqovrriv {ikv adxog u%s, vicpog ök oi HnXsxo &tagrfa 
xai GTsqom)v öogv ndXXe, öunBxkg de xegavvoi 
rjego&sv nifinovxo nvgiyXtax lv6 $ oicxoi' 



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zur Prometheus-sage. 



tjdyj ydg negtffotrog and %&oviov xeveeHpog 
^tjQog äeg&noTrjTog äveÖQauev dxpidg dgovgrjg^ 
xai vsyeXyg 'ivToöd-ev UXukvog aiftoni xoXn(p 
nvtyeto ftegficcivoiv veyog iyxvov dficfi dk xanv<p 
TQtßopevcov xctva%r)(fa nvQiTüSCfewv verfeXawv 
d-hßoukvt] 7ie(poQTjTO SvgixßctTog kvdouv%og <pX6£ 
dtL,ouivrj ftsaop oluov, inü akXag vipofti ßaivuv 
ov frepig' d<frego7it)v ydg dva&gwöxovöav hgvxti 
öfjtßmjQt} gaddutyyi XeXovuivog tx/ntog 
nvxvwGag vecpog vygov intgregov d£aXeov dk 
vho&bv oiyofiivoio dtedgapsv dXX6{itvov nvg. 
a>g Xifhog ccfxcpl XiS-cp (pXoysgrjv (hÖlva Ao^avwi' 
Xd'Cov t}x6vti£e noXv&Xißhg avroyovov nvg. 
nvgdoyevrjg ort frijXvg agd^derai doötvi nirgy 
ovt(ü ftXißofievyGiv dvdmstai ovqaviy (pX6£ 
Xiyvvi xai ve<piXgaiv and %&ovioio xanvov 
XtnraXkov ysyaurog ifiatcj&^oav dijrai. 

In beiden stellen kehrt zunächst die Vorstellung eines er- 
zeugens und sofortigen geborenwerdens des feuers wieder. 
$efin im indischen die analoge parallele in voller roher 
natürlichkeit ausgemalt wird, indem dasjenige der beiden 
hölzer, welches das drehholz ist, als der zeuger (penis) 
gefafst wird, so ist auch in den angezogenen stellen des 
Noddus die sache, wenn auch allgemeiner, so doch ebenso 
natürlich mit dem Öre &TjXvg dqdaa^Tai agotvi ntTgcp ge- 
dacht. Und wenn im indischen die scenerie auf den him- 
mel übertragen wird, indem es u. a. heifst: „Golden waren 
die arani — das sind die beiden hölzer, aus deren reibung 
das heilige feuer entzündet wird — mit denen die gött- 
lichen Acvinen (den funken) hervorquirlten" (Kuhn p. 74), 
so findet Nonnus ebenso denselben Vorgang, den er bei 
der erzeugung des feuers aus dem weiblichen und männ- 
lichen stein wahrnimmt, am himmel wieder, wenn rgißo- 
fievwv (oder &Xtßouevujv) vecpeXdwv der himmlische funke 
erzeugt wird und aus der schwangeren wölke (vitpog tyxvov) 
den ausgang sucht. Ja noch specieller berühren sich beide 
Vorstellungen durch den ausdruck kvdopvxog (pX6£, Kuhn 

ZeiUchr. f. vgl. sprachf. XX. 3. 14 



210 



Schwartz 



sagt nämlich p. 15: „Wenn nun diese nachweise es un- 
zweifelhaft lassen, dafs auch schon in alter zeit die berei- 
tung des reinen fcuers durch bohrende drehung eines 
Stabes bewerkstelligt wurde, das diese handlung bezeich- 
nende verbuni aber auch verwendet wird, um die entzün- 
dung des feuers im himmel zu bezeichnen, so ist wohl 
klar, dafs man den Ursprung des blitzes aus der wölke 
einem gleichen Vorgang zugeschrieben habe. Dafür spricht 
aufserdem noch: einmal der von Agni bei dieser erzäh- 
lung mehrfach gebrauchte ausdruck : guhä sat oder bita 
„der in der höhle seiende, da hineingesetzte a , der sich 
jedoch auch allgemeiner auf die wölke beziehen läfst und 

schlechthin „der verborgene" bedeuten kann u Ich denke, 

das aus Nonnus herbeigezogene bild legt die anschauung 
vollständig klar und der Agni guhä sat oder hita und die 
in der wolkenhöhle befindliche ivd6(AV%oq (f lu!; decken sich 
vollständig. Dazu stellt sich nun anderseits, wenn Agni 
auch Mätaricvan, d. h. nach Roth „der in der mutter (in 
dem v£<fog eyxvov) schwellende, aus ihr hervorgehende" 
beifst. Scheinbar widersprechend ist, wenn Mätaricvan^ia 
selbständiger persönlichkeit gefafst, dann nach andere* 
versiou den Agni, „da er von der erde verschwunden war 
und sich in einer höhle verborgen hatte, holt oder, wie es 
auch heifst, ihn aus der höhle von den Bhrigu her ent- 
zündet". Der naturkreis aber, in dem wir uns bewe- 
gen, löst diesen scheinbaren Widerspruch. Zunächst sagt 
Kuhn p. 6: „Wenn übrigens die alten erklärer den Mä- 
taricvan als Väju, den wind auffassen, und Roth sagt, 
diese deutung lasse sich aus den texten nicht rechtferti- 
gen, so stehen dem doch einige stellen entgegen, wo dem 
Väju oder Väta, dem winde, ausdrücklich das beiwort Mä- 
taricvan gegeben wird, was, wie ich glaube, sich auch 
hinlänglich rechtfertigen läfst, da das gewitter in seinem 
schoofse nicht nur blitz und regen, sondern auch den das- 
selbe heranführenden Sturm birgt, der wind oder stürm 
also eben so gut der in der mutter schwellende heifsen 
kann. Ob aber diese aufTassung von alter zeit her schon 
vorhanden gewesen, mufs ich vor der hand dahin gestellt 



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zur Prometheus-sage. 



211 



sein lassen, zumal dieser punkt bei der folgenden Unter- 
suchung von geringerer bedeutung ist; die von Weber ind. 
Studien I, 416 beigebrachten umstände sprechen einiger- 
mafsen für eine solche annähme". Aber auch davon abgese- 
hen schon scheint mir die dem indischen analoge anschauung 
bei Nonnus, verbunden mit dem übrigen von Kuhn bei- 
gebrachten sehr dafür zu sprechen und die Sache weiter 
auszuführen. So sagt auch Plutarch u. a. mot ßqovTtoi; 
7tQr]GTijo(üV xtL v !Ava^lfiav8oog ix tov nvzvfictToq xtevu 
Tidvva övfxßaiveiv orav yag neyiXijy&lv vhcpti na/ei, 
ßiaadfisvov txneGT], rrj ImToptotict xai ry xov(pur^Tt, 
röte t) fiiv yrj&s tov yjocpov, ?} 8i diaGTolrj tzccqcc tt)V ue- 
Xaviav tov vitf-ovg tov diavyaofidv anoTeXet. Dem ent- 
sprechend heifst es bei Plin. hist. nat. II C. 48: Nunc de 
repentibus flatibus, qui exhalante terra (ut dictum 
est) coorti rursusque dejecti, interim obducta nubium 
cute, multiformes existunt. Nachdem er dann den Ty- 
phon erklärt, fahrt er fort: quodsi majore depressae nubis 
eruperit jgpecu, sed minus lato quam procella nec sine 
fragore, turbinem vocant proxima quaeque prosternentem. 
Idem ardentior, accensusque dum fuerit, p rester voca- 
tur cet. Ebenso sagt Lucrez de rerum natura VI v. 
174 sqq.: 

Ventus ubi invasit nubem et versatus ibidem 
Fecit ut ante cavam docui spissescere nubem, 
Mobiii täte sua ferviscit; ut omnia motu 
Percalefacta vides ardescere, plumbea vero 
Glans etiam longo cursu volvenda liquescit. 
Ergo fervidus hic nubem quum perscidit atram, 
Dissupat ardoris quasi per vim expressa repente 
Semina, quae faciunt nictantia fulgura flammae. 

und in v. 294 sqq. dann wiederum: 

Est etiam, quum vis extrinsecus incita venti 
Incidit in validam maturo fulmine nubem; 
Quam quum perscidit, extemplo cadit igneus ille 
Vortex, quod patrio vocitamus nomine fulmen. 

Nach den beigebrachten stellen kann es nicht auffallen, 

14* 



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212 



Delbrück 



wenn der arfiog ayovyrjgy der, wie Plinius sagt, exhalante 
terra coortus ventus — vecfkhjg dvTooOev iekfASvog und in 
ihr als vortex sich drehend — bald mit der ivÖ6}Avxog 
(f '/.o£ identisch erscheint, die einen ausgang sucht — di±u- 
uiv>i fiiaov oifjiov — , bald selbstständig gefafst als derjenige 
gilt, der diese hervorruft, oder — mythisch geredet — 
Mätaricvan bald selbst als Agni, bald denselben aus der 
wolkenhöhle hervorholend oder entzündend gedacht wird, 
woran weiter sich anschliefsen dürfte, dafs dies wirbeln in 
der wölke, welches jenem feuerfunken vorangeht, das himm- 
lische manthanam sei, in dem der pramantha auch seine 
rolle spielt. 

Alle spuren, denen wir in betreff der an den Prome- 
theus und pramantha sich schliefsenden sagen und ge- 
brauche nachgingen, führen also auf den wind und ins- 
besondere den Wirbelwind zurück und wie die wurzel 
manth ursprünglich wirbeln, kreiseln, plattd. küseln bedeu- 
tet, verhielte sich pramantha zu Prometheus wie die aus- 
drücke kreiselbohrer zu kreiselwind oder schlechtweg küsel. 

Neu-Ruppin, in den osterferien 1871. 

W. Schwartz. 



Der Infinitiv im Veda mit einer Systematik des litauischen und slavischen 
Verbs. Dargestellt von Alfred Ludwig, Professor der classischen 
und vergleichenden Philologie an der Prager Universität. Prag 1871. 

Die vorliegende schrift hat eine weit allgemeinere ab- 
sieht, als der titel andeutet. Wie die Sammlungen aus den 
vedischen Schriften, welche den gebrauch des infinitivs dar- 
legen sollen, nicht die hauptmasse ausmachen, so stehen 
sie auch zu dem hauptziel der schrift nur in einem dienen- 
den verhältnifs. Dieses ziel ist die Vernichtung der soge- 
nannten agglutinationstheorie und ihre ersetzung durch die 
Stammtheorie, wie man die von Ludwig schon in seiner 
schrift über die entstehung der a - deklination (sitzungsber* 
d. kais. akad. d. wissensch. LV. band heft I. Wien 1867), 



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213 



in einem aufsatz in dieser Zeitschrift XV, 443 und am aus- 
führlichsten in der jetzt zu besprechenden arbeit entwickelte 
ansieht wohl am einfachsten nennen kann. 

Da der herr Verfasser seine anschauungen nirgend im 
zusammenhange darlegt, sondern es dem leser überläfst, 
die zerstreuten sätze zu einem bilde des ganzen zu sammeln, 
und da seine ausdrucksweise leider oft sehr dunkel ist, so 
kann ich Dicht dafür stehen, ob es mir gelungen ist, mir sein 
System vollständig deutlich zu machen, doch hoffe ich, dal's 
im folgenden die wesentlichen züge richtig wiedergegeben 
sind. 

Ludwig geht, wie wir alle, von der Voraussetzung aus, 
dafs einmal das gesammte formenmaterial nicht da war. 
Trotzdem sprach man und wurde verstanden. „Die gramma- 
tischen begriffe, an was mufsten sie geknüpft werden? na- 
türlich an das, was wir jetzt Stämme nennen. Die Stämme, 
die den späteren grammatischen formen zu gründe liegen, 
sind keine abstractionen, sie kamen im syntaktischen ge- 
brauche vor" (8. 4). Nach diesen sätzen könnte man glau- 
ben, dafs der Verfasser ein anhänger von Curtius sei, aber 
diese annähme wäre irrthümlich. Ludwig versteht nämlich 
unter Stämmen etwas ganz anderes als Curtius und wir 
anderen. Während wir die stammbildenden suffixe von den 
der flexion dienenden unterscheiden, kennt Ludwig am 
nomen wie am verbum nur stammbildende suffixe. Z. b. 
das i des localis ist kein flexi onselement, sondern der ur- 
sprüngliche auslaut des Stammes. Ebenso ist es mit allen 
an deren casus. Es giebt also, wenn ich richtig verstehe, 
nicht einen stamm deva, sondern einen stamm devam, einen 
anderen devena u. s. w. Die annähme, als ob es suffixe gäbe, 
welche das verhältnifs eines nomens zu anderen gliedern 
des satzes auszudiücken von anfang an bestimmt wären, 
ist gänzlich zu verwerfen. Von einer bestimmten grund- 
bedeutung eines casus kann keine rede sein (s. 20). Nun 
ist aber nicht zu läugnen — und auch Ludwig läugnet 
das natürlich nicht — dafs in den uns vorliegenden litrra- 
turdenkmälern gewisse formen eine gewisse bedeutung fac- 
tisch haben — z. b. der ablativ die der trennung von et- 



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214 



Delbrück 



was — and es mufs also die frage aufgeworfen werden, 
wie denn diese bedeutung in diese formen hineingekommen 
ist. Darauf giebt Ludwig folgende antwort: „der procefs 
der Wortbildung kam allmählich in ein gewisses stocken, 
und es kam neben demselben eine andere ricbtung auf die 
entwertheten wortbildungsformen anzuwenden. Unterliefs 
man anfangs die specielle bezeichung von agens actio ac- 
tum, und begnügte sich mit damals offenbar in grofsem 
mafse angewandter demonstration, so schritt die spräche 
allmählich, sobald sie disponibles lautmaterial Hatte, dazu, 
diese die Verständlichkeit der rede in au fserord entlichem 
mafse fördernde Unterscheidung anzubahnen, wobei sie je- 
doch nichts weniger als consequent zu werke ging. Als 
es mit dieser differenzierung bis zu einem gewissen grade 
gekommen war, lag es gewifs wieder nahe, numerus und 
casusbeziebung anzudeuten, aber auch dazu ward nur vor- 
handenes benutzt, an ein schaffen einer grammatik ist nicht 
zu denken* (s. 15). Damit der leser sich diese roannich- 
faltigen differenzierungsvorgängc besser vorstellig machon 
könne, sei noch bemerkt, dafs der herr Verfasser in bezitg 
auf die gestalt der Suffixe einer eigenthümlichen ver- 
stümmelungstheorie huldigt, so ist z. b. -as aus -asi, tar aus 
•tarvi entstanden u. a. m. 

Diese anschauungen über casussuffixe hängen, was frei- 
lich der. herr Verfasser nicht bemerkt zu haben scheint, 
durch einige, wenn auch äufserst dünne fädcn mit den 
ansichten seiner mitforscher zusammen. Dagegen dürfte 
er, was seine meinung über das verbum betrifft, auf völlige 
Originalität ansprnch machen können. Während wir übrigen 
der ansieht sind, dafs die suffixe des verbum finitum (z. b. 
ini 8i ti) personalsuffixe seien, so stellt Ludwig das ent- 
schieden in abrede. Zwar hat ja z. b. die form asti in 
der vorliegenden spräche entschieden eine beziehung auf 
die dritte persbn, und nicht auf die erste oder zweite, aber 
„die specielle pronominale natur der sogenannten finiten 
verbalformen ist erst späteres entstehens" (s 4ö). „Die ant- 
wort aber auf die frage, was sind verbalformen, denen be- 
stimmte beziehungen auf grammatische pereonen und grani- 



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215 



matischen numerus fehlen, wird — nothwendig dahin lau- 
ten, dafs es infinitive sind, deren anwendung von der 
allgemeinen zu einer speciellen noch nicht beschränkt wor- 
den tt (s. 79). Alle verbalformen also sind aus infinitiven 
differenziert, und somit ist die Vermittlung zwischen verbal- 
und nominalformen gewonnen. „Der verbalorganismus steht 
nicht nur nicht unabhängig vom nomen da, sondern er ver- 
läuft nach verschiedenen Seiten in demselben. Oder während 
mittels des particips der verbale begriff sich ins nomen 
verliert, verliert sich mittels der infinitivischen oder absolut 
verbalen auftassung das nomen in das verb" (s. 46). Man 
wird aus diesen anfübrungen begreiflich finden, wenn Lud- 
wig 8. 45 behauptet: „alle verbalen formen sind zunächst 
nominaler natur". 

Somit wären alle casus und alle formen des verbutn 
finitum auf „nominale stamme" zurückgeführt. Ob nun 
diese nominalen Stämme nach des Verfassers meinung von 
urbeginn an da gewesen, oder wenn nicht, woraus sie ih- 
rerseits entstanden sind, diese frage soll uns hier nicht be- 
schäftigen. Es genügt uns, bis zur schient der nominalen 
stamme hindurchgedrungen zu sein. 

Wenn ich nun behaupte, dafs die eben dargestellten 
ansichten auf den ersten blick keineswegs einleuchtend sind, 
vielmehr höchst auffällig und erstaunlich, so habe ich die 
genugthuung, mit dieser behauptuug sowohl die meinung 
der meisten leser der schrift über den infinitiv auszudrücken, 
als auch herrn prof. Ludwig etwas schmeichelhaftes zu sa- 
gen. Denn er wünscht gar nicht, dafs seine meinungen so- 
fort plausibel erscheinen möchten. „Man sieht, heifst es 
8. 87, dafs der werth einer erklärung heutzutage auf un- 
mittelbare plausibilität derselben gelegt wird. Für uns dage- 
gen wird immer der nachweisbare, innere, von selbst sich er- 
gebende Zusammenhang einzig und allein einen wissenschaft- 
lichen werth haben". In diesem stolzen satze liegt der haupt- 
accent auf dem worte nachweisbar. Prof. Ludwig meint 
nämlich die deutlichen spuren des sprachzustandes, wie ich 
ihn nach seinen andeutungen zu schildern versucht habe, noch 
wirklich und wahrhaftig als vorbanden zu erkennen, und zwar 



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216 



Delbrück 



in den hymnen der vedas. Er glaubt aus den vedischen 
gesängen noch nachweisen zu können, dafs für keinen casus 
eine bestimmte grundanscbauung anzunehmen sei, dafs das 
sogenannte verb. fin. aus dem infinitiv entstanden sei u. s. w. 
Angenommen, dieser nachweis sei ihm gelungen, so würde 
zwar daraus noch nicht folgen, dafs alle schlösse, die er 
aus diesen thatsachen gezogen hat, von der Wissenschaft 
angenommen werden müfsten — denn er könnte ja in der 
auffassung des einzelnen und den logischen Operationen 
geirrt haben — aber es würde doch ein problem damit 
aufgestellt sein von bisher nicht geahnter bedeutung. Ge- 
setzt aber, er hätte mit seiner betrachtung des veda un- 
recht, so würde daraus folgen, dafs sein System, das, wie 
wir gesehen, eine innere plausibilität nicht hat, noch bean- 
sprucht, den boden verlöre. Es verwandelt sich also die all- 
gemein sprachwissenschaftliche frage in eine frage der vedi- 
schen philologie. Der gröfste theil des buches besteht in bei- 
tragen zur interpretation des Rigveda; und auf dieses gebiet 
vor allem haben wir den herrn Verfasser zu begleiten. 

Dafs derselbe eine umfassende kenntnifs des veda be- 
sitze, wird ihm gewifs niemand absprechen wollen. Er hat 
die daten, welche speciell in frage kommen, mit einer ausser- 
ordentlichen Vollständigkeit gesammelt, und läfst auch bei 
zufällig sich darbietenden nebenaufgaben wohl ausgestat- 
tete Sammlungen ahnen. Freilich sind seine citate sehr 
schwer zu benutzen. Er hat sich nämlich stets mit der 
einfachen anführung begnügt, und sich die Übersetzung 
der fraglichen stelle erspart. Nur selten findet man theil- 
weise Übersetzungen oder sonstige hülfen für das verständ- 
nifs. Ich kann nicht umhin diese methode auch im inte- 
resse des herrn Verfassers zu beklagen. Ich bin überzeugt, 
dafs, wenn er sich den zwang einer Übersetzung auferlegt 
hätte, er manchmal doch die Wahrscheinlichkeit einer an- 
deren auffassung lebhafter empfunden haben würde, und 
aufserdem würde seine schrift weit mehr wirken, als jetzt 
möglich ist Selbst für das aufmerksamste Studium ist es 
nicht immer mit Sicherheit erkennbar, welche ansieht sich 
hinter dem schweigen des Verfassers verbirgt, und so bitte 



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anzeige. 217 

auch ich, wenn ich manche andeutung der 6chrift nicht 
richtig verstanden haben sollte, nicht mir allein die schuld 
zuzuschreiben. 

Auch hinsichtlich der textkritischen fragen beflei- 
fsigt sich L. eines gänzlichen Stillschweigens, obgleich der 
zustand der vedischen Oberlieferung gerade in neuester zeit 
eindringend erörtert worden ist, besonders von Bollensen 
in Benfeys Orient und occident 2, 457 flgd. und Z. D. M. 
G. 22, 569 flgd., und von Max Müller in der vorrede zu 
seiner Übersetzung des Rigveda. Wie wichtig ein kennt- 
nifsnebmen von diesen arbeiten gerade für das vorliegende 
thema gewesen wäre, erlaube ich mir, ehe ich herrn L. in 
die einzelheiten folge, für diejenigen, welche der vedischen 
Philologie ferner stehen, noch mit einigen worten darzu- 
legen. 

Die Überlieferung des Rigveda — um den es sich hier 
fast ausschliesslich handelt — ist bekanntlich in ihrer art 
einzig, sowohl was die güte, als was das alter betrifft. 
Die manuscripte stimmen — abgesehen natürlich von un- 
vermeidlichen Schreibfehlern — so vollständig mit einander 
Überein, dafs von Verschiedenheit der lesart überhaupt 
gar nicht die rede sein kann, und die continuität der 
Überlieferung ist eine so erstaunliche, dafs wir überzeugt 
sein dürfen, genau den text vor uns zu haben, wie er von 
denjenigen festgestellt wurde, welche — wir wissen nicht 
wie viel jahrhunderte vor Christus — die uns vorliegenden 
hymnen in ein corpus vereinigten. Das ist ein zustand des 
textes, wie ihn die klassischen philologen auf ihrem gebiet 
nicht kennen. What would a Greek scholar give — ruft 
Max Müller a. a. o. Seite XXXII aus — if he could say 
of Homer that his text was in every word, in every syl- 
lable, in every vowel, in every accent the same as the text 
uscd by Peisistratos in the sixtb Century B. C! Gewifs 
ist es natürlich und begreiflich, wenn der moderne einem 
fremden volke angehörige gelehrte eine scheu empfindet, 
an diesem altehrwürdigen texte zu rütteln, und doch hat 
diese scheu der Überzeugung weichen müssen, dafs auch 
in diesem punkte die letzte autorität nur der eigene ver- 



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218 



Delbrück 



stand des forschers sein darf. Es ist schon jetzt, wo wir 
erst am anfang der vediscben kritik und exegese stehen, 
über allen zweifei erhoben worden, dafs an manchen stellen 
uns jene alten redactoren einen falschen text überliefert haben, 
der in dem fehler einen unverkennbaren hinweis auf das 
wahre enthält. So ist es — um nur eins anzuführen — 
sicher, dafs I, 70, 4 statt Ka ratham (und den wagen) 
zu lesen sei karatham (das bewegliche). Und der fer- 
nere schlufs ist unausweichlich, dafs, wer sich einmal irrte, 
auch tausendmal irren konnte. Es ist defshalb auch von 
unseren namhaftesten vedenkennern das mittel der conjec- 
tur häufig angewendet worden, so von Roth im Wörterbuch, 
von Max Müller in dem bisher erschienenen bände seiner 
Übersetzung, vor allen von Bollensen. Natürlich giebt es in 
der neigung, dieses mittel anzuwenden, verschiedene grade, 
aber in der ansiebt von der zulässigkeit der methode stimmen 
alle überein. Die Sammlungen von Ludwig nun enthalten 
eine menge gerade der schwierigsten stellen, und man darf 
sich daher um so mehr wundern, dafs die möglichkeit einer 
corruption von ihm, so viel ich sehe, nie angenommen 
wird. Selbst wenn er, was ich nicht glaube, die berech- 
tigung der conjecturalkritik ganz bestreitet, hätte er sich 
mit seinen gegnern doch auseinandersetzen müssen. Es ist 
durchaus unzulässig, so bedeutende leistungen wie z. b. die 
von Bollensen einfach zu ignorieren. 

Nach diesen allgemeinen bemerkungen gebe ich nun 
zu den einzelheiten über, wobei ich mich der von L. ge- 
wählten Ordnung, obwohl viel an ihr auszusetzen ist, der 
bequemlichkeit wegen anschliefse. Es kommt demgemäfs 
zuerst zur erörterung 

das nomen, 

und zwar 1) der genitiv pluralis. Es soll im §. 6 nachge- 
wiesen werden, dafs im veda noch deutliche spuren der 
epoche zu finden sind, „in der das später unentbehrliche 
suffix -äm fehlen konnte und man trotzdem die vom spä- 
teren Standpunkte aus unvollständige form doch unzweifel- 
haft als gen. plur, auffafste« (s. 8). Es soll z. b. devan als 



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211) 



gen. plur. gelten. Für mich zerfallen die von L. angeführ- 
ten stellen in a) solche, in denen die betreffende form in 
der tbat als gen. plur. anzusehen ist, b) in denen sie viel- 
mehr acc. plur. ist, c) solche, welche ich nicht verstehe. 

a) Ein gen. plur. ist anzunehmen I, 71, 3. IV, 2, 3. 
VI, 11, 3. X, 64, 14, wo der Padapätha devän ganraa liest 
und man übersetzen mufs „das geschlecht der 
götter". Aber das räthsel ist von Bollensen Z. D. M. G. 
22, 600 unzweifelhaft richtig gelöst. Der padatext ist zu 
corrigieren, es ist deväm zu lesen, was als alter gen. plur. 
aufzufassen ist, genau zu agricolum, &eujv u. 8. w. stimmend 
(vgl. Bollensen Orient u. occident 2, 463). Ebenso dürfte 
auch IV, 2, 11 märtän aufzufassen sein, und vielleicht 
I, 141,6. 

b) Hier bin ich nicht selten im zweifei, ob ich L.'s 
schweigen oder seine andeutungen richtig verstehe. So bei 

I, 65, 8, wo es von Agni heifst: ibhjän na ragä vänänj atti 
was Roth P. W. 1, 813 übersetzt: „wie ein fürst seine 
hörigen (bewältigt), so (bewältigt und) verzehrt Agni die 
bäume". Im wesentlichen ebenso Benfey orient und occi- 
dent, 594. Bollensen Z.D.M.G. 22, 578. L. fafst ibhj&n als 
gen. plur. und scheint Übersetzen zu wollen „wie ein fürst 
der elephanten frifst er die wälder", hätte aber erst nach- 
weisen müssen, dafs ibhja in der bedeutung „elephant" ein 
vedisches wort ist. Aufserdem wäre es wohl passend ge- 
wesen, die in jeder bezichung befriedigende Übersetzung von 
Roth erst zu widerlegen. VII, 13,2 scheint L. an dem 
sinne anstofs genommen zu haben, tva devan abhicaster 
amuiiMa: kann nichts anderes beilsen als „du befreitest die 
götter vom unglück". Dafs an dieser anschauung kein an- 
stofs zu nehmen ist, zeigt der Zusammenhang bei Muir Or. 
S. T V, 215. III, 14, 4 jäk khökisä sahasas putra tiStha 
abhi ksitf: prathajant srirjö nrn soll nr n gen. plur. sein. 
Ich übersetze nach Roth: „wenn du o söhn der kraft mit 
deinem lichte aufsteigst Über die länder, bescheinend als 
sonne die menschen". Ebenso wenig sehe ich ein, warum 

II, 8, 1 „vägajann iva nd rathän jögän agner üpa stuhi" 
rathän als gen. zu fassen sein soll. Ich übersetze: „als 



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220 



Delbrück 



ob du wagen anschirrtest, bringe durch lob herbei das ge- 
spann des Agni". VI, 37, 4 ist sün'n accusativ der rich- 
tung, gewifs wäre der dativ besser, aber der accusativ mag 
durch den zwang des metrums veranlafst sein. Eine an- 
zahl von stellen gehören insofern unter eine kategorie, als 
L. abhängigkeit annehmen möchte, während vielmehr ne- 
benordnung anzunehmen ist. Ein besonders eclatanter 
fall ist I, 50, 5 pratjän devänä vica: pratjänn üd eSi ma- 
nusan. Benfey übersetzt: „der götter Schaar entgegen 
gehst, entgegen du den menschen auf", ebenso Sonne d. 
zeitschr. XII, 267. Nach L. soll mänusän gen. plur. sein, 
offenbar damit ein eleganter parallelismus mit devänäm 
herauskomme. Das scheint mir eine mafsregelung des veda 
durch eine vorgefafste ansieht. 

Ebendahin gehören: IV, 2, 3. VI, 49, 15. I, 63, 2 und 
X, 1,2: sä gätd garbhö asi rödasjör agne Kärur vibhrta 
Ösadhläu, kiträ: cicu: pari tamäsj aktdn pra mätrbbjö adhi 
kanikradat gä: du bist der erzeugte spröfsling des himmels 
und der erde, Agni der geliebte, verbreitet in den pflan- 
zen, ein glänzender sprofs schrittest du vorwärts aus dei- 
nen erzeugerinnen gegen nacht und dunkel (vgl. pari bei 
BR. 2 a/?), wo nach L. aktdn gen. plur. sein soll. Cha- 
rakteristisch für die nichtbenutzung des von anderen 
geleisteten ist auch die art, wie L. mit A. V. I, 24, 1: 
täd äsurf judha gitä rüpän Kakre vänaspatln umgebt. Er 
übersetzt: sie machte es (das im vorhergehenden verse er- 
wähnte pittam die galle) zur färbe der bäume. „Denn 
die andere bedeutung von rüpäm kartum ist hier ganz 
unzulässig" (s. 7). Und doch übersetzt Weber indische 
stud. IV, 417 sehr einleuchtend: „die Asurl im kämpf be- 
siegt machte die bäume zu ihrer form", macht übrigens 
die bemerkung „v. 1 ist sehr dunkel", tad bedeutet bei 
dieser auffassung natürlich „dann". 

Unter c) bringe ich diejenigen von L. angefahrten 
stellen, die ich aus irgend einem gründe nicht mit Sicher- 
heit zu übersetzen wage. Dabin gehören mehrere stellen 
desRigveda, welche sämmtlich darin übereinstimmen, dafs 
in ihnen die form nrn vorkommt. Ich vermeide es um so 



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221 



mehr, in eine diskussion über diese schwierigen stellen ein- 
zugehen, als Ludwig es nicht för nöthig gefunden hat, seine 
auffafsung der form nrn irgendwie exegetisch zu rechtferti- 
gen. An letzter stelle erwähne ich X, 112, 10, wo ich glaube, 
dafs statt abhikhja abhi khjas gelesen werden mufs. 

Damit haben alle von L. erwähnten stellen eine be- 
sprechung gefunden. Einige sind unklar geblieben, müssen 
also aufser rechnung gesetzt werden, bis L. etwa den ver- 
such macht, seine auffafsung als richtig zu erweisen. An 
allen anderen stellen ist L.'s deutung, wie ich hoffe Über- 
zeugend zurückgewiesen. Somit bleibt es bei der alten 
annähme, dafs -äm auch im veda die nothwendige endung 
des gen. plur. ist. 

Diese Überzeugung wird auch durch L. §. 7 nicht er- 
schüttert, übrigens auch kaum ernstlich bekämpft. Er ent- 
hält formen auf -ä, in denen L. gen. plur. zu erkennen 
glaubt, aber selbst für wahrscheinlich hält, dafs sie ein 
schlufs -m verloren hätten. Wenn er dabei von einer zusam- 
menziehung von -änäm zu -äm redet, so halten wir das natür- 
lich für irrthümlich. Uebrigens sei bemerkt, dafs auch 
die andern in diesem paragraphen enthaltenen behauptungen 
durchaus nicht alle gebilligt werden können. Es hätte z. b. 
erwähnt werden müssen , dafs Bollensen in I, 27, 2 sünü: 
cävasä das ä als eine alte Schreibung für späteres ö ansiebt, 
wofTör er eine nicht geringe anzahl von belegen beizubringen 
weifs (Z. D. M. G. XXII, 574). Indessen ich übergehe den 
übrigen inhalt dieses paragraphen und die paragraphen bis 
12 und wende mich sofort zu paragraph 13, welcher die 
aufgäbe hat nachzuweisen, dafs man die Unterscheidung 
von local und dativ nicht ernsthaft nehmen dürfe. 

Ueber das verbältnifs des dativs zum local äufsert 
sich L. 3. 11 so: „Bedenkt man nun den nahen formellen 
und syntaktischen Zusammenhang von local und dativ, wel- 
cher letztere vielfach nur eine Wiederholung des ersteren 
ist, so erkennt man, dafs der dativ virtuell ebenso we- 
nig dem jetzt allgemein giltigen begriff einer flectierten 
form entspricht, wie der local" (von dem s. 9 mit entschie- 
denheit gesagt wurde, er sei eine unflectierte form). In 



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222 



Delbrück 



diesem satze ist mir mebreres gänzlich unverständlich ge- 
blieben, so besonders die bedeutung der beiden adverbien 
„vielfach" und „virtuell". Aus der angeführten stelle und 
dem weiteren verlauf des paragraphen glaube ich wenig- 
stens so viel entnehmen zu dürfen, dafs L. auch den dativ 
für eine Stammform hält. Die Stammform dativ und die 
Stammform local also sollen im wesentlichen gleichbedeu- 
tend sein. Es soll nicht nur „local statt des dativs, son- 
dern sogar die beiden casus auf einander bezogen vor- 
kommen". Ich theile die stellen in a) solche, welche L. 
ungenau interpretirt, b) solche, in denen er die formen 
falsch analysiert hat. 

a) devasja vajä' savitü: sävlmani cresthe sjäma vasunac 
ka dävane VI, 71, 2. Hier soll dävane localisch zu ver- 
stehen sein, was unstreitig eleganter wäre. Aber das 
richtige wird sein, dafs man eine härte der construction 
annimmt, die dem veda bekanntlich durchaus nicht fremd 
ist. Wer II, 11, 1 sjäma te dävanß vasünäm vergleicht, 
kann nicht in zweifei sein, dafs zu Übersetzen ist: „Möchten 
wir sein in des gottes Savitar bestem schütz und (bestimmt) 
zum empfange von gut". Dafür entscheidet sich auch 
M. Müller Rigv. transl. I, 33, nachdem er, wogegen formell 
nichts zu erinnern sein würde, dävane als local zu dävana 
zu nehmen für möglich erklärt hatte. VIII, 90, 5 pra mi- 
träja prärjamne sakathjäm rtavasö varütbja varune khän- 
djä vakä: stöträ' rägasu gäjata. Vermuthlich nimmt L. an 
dem Wechsel der casus anstofs. Ich finde ihn schön. Es heilst 
erst »singt dem Mitra", und sodann „singt vor Varuna" 
(eig. bei). Manchmal begreife ich nicht, was die citate 
sollen z. b. I, 64, 4 (wo es doch heifst: sie salben sich mit 
bunten färben, so dafs es ein wunder ist) u. a. m. 

Bei einigen stellen hätte L. sich erinnern sollen, dafs 
der local auch bezeichnet „was anbetrifft, in Sachen" z. b. 
I, 10, 6 tarn it sakhitva Imahe tä' räjt ta suvfrje heifst: 
ihn gehen wir an in Sachen seiner freundschaft (d. h. we- 
gen seiner f.) zum zwecke des reichthums, wegen der hel- 
denkrafb. Ebenso ist II, 2, 11 aufzufassen (vgl. auch BR. 
6. v. gesa). Ich habe mich überzeugt, dafs mit ausnähme von 



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223 



VI, 66, 5 und V, 33, 1, die mir Dicht ganz klar sind, sich 
hei genauer interpretation die bedenken L.'s sämmtlich er- 
ledigen. Ich halte also an der ansieht fest, die ich in mei- 
ner schrift abl. loc. instr. und in d. zeitschr. XVIII, 82 
ausgesprochen habe, die übrigens natürlich nicht mir ge- 
hört, sondern die allgemeine ist, dafs die grundbedeutung 
des loc. das sichbefinden an einem ort, des dativs die neigung 
nach etwas hin ist. Bekannt ist, dafs der loc. bei verben der 
bewegung von dem dativ syntaktisch nicht zu unterscheiden 
ist, aber diese bedeutung kommt in den loc. als reflex des 
gesammtsinnes der betreffenden stelle, und ebenso bekannt 
ist, dafs oft einer Situation beide casus gleich angemessen 
sein können. So steht X, 126, 3 najistbä nSsani „die besten 
im führen*. Hier könnte statt des loc. auch der dat. ste- 
hen. Denn die „besten zum führen* kommt ungefähr auf 
dasselbe hinaus, aber darum wird eine genaue interpreta- 
tion sich wohl hüten, die beiden verschiedenen casus durch- 
einander zu werfen. 

b) Zu den formen, welche L mifsverstanden hat, rechne 
ich vor allem mähe", worin er nur den dativ des adjectivs 
mah sieht. Es soll I, 116, 13 mit dem loc. jäman ver- 
bunden sein, aber die stelle heifst „euch rief zur freude 
beim opfer der weise" und mahe ist als inf. des verbums 
mah aufzufassen V, 59, 2 findet L. es auffallend, dafs 
der dativ mahe mit dem locat. vidathe verbunden sei. 
Das auffallende verschwindet, wenn man bedenkt, dafs 
mahe nicht dat. von mab, sondern local von maha ist, 
ebenso X, 96, 1. Man könnte zur entschuldigung für L. 
anführen wollen, dafs ihm vielleicht das heft des P. W., 
aus dem ich meine Weisheit geschöpft habe (madjapa bis 
mahäbhärata) noch nicht vorgelegen habe. Aber dieses 
heft ist 1866 erschienen, Ludwigs schrift trägt diejahres- 
zahl 1871. Hätte er etwa, durch besondere umstände ver- 
anlafst, die literatur seit 1866 nicht benutzen können, so 
hätte er sich darüber aussprechen müssen. Was an bädhe* 
VI, 50, 4 auszusetzen sei, ist mir unerfindlich. Es ist der 
regelrechte local von bädha. 

Es folgt §. 14, worin der beweis geführt werden soll ? 



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224 Delbrück 

dafs dem dativ öfter das fehle, was man flexionselement 
nennt. In diesem paragraphen ist mir bei zwei stellen 
X, 20, 7 und VI, 21, 4 nicht klar geworden, wozu sie an- 
geführt sind. Die übrigen erledigen sich sämmtlich auf ein- 
fache weise. Die hauptrolle spielen hier die formen mahäs und 
mahi, welche auch anderen forschem bekanntlich Schwierig- 
keiten gemacht haben. Mir scheinen die Schwierigkeiten durch 
Roth auf das glücklichste beseitigt vermittelst einer richtigen 
vertheilung der formen unter die stamme mah, mahä, mähi 
und die ansetzung des adverbiums mahas mit der bedeutung 
„gern, freudig, lustig, munter, rasch". — Unter diesem ad- 
verbium führt Roth die meisten der stellen an, an denen L. 
mahäs als dativ ohne flexion fassen will, und es sind Roth's 
citaten noch hinzuzufügen VIII, 46, 17. X, 61, 22. X, 76,2. 
VIII, 59, 8. (Bei Ludwig ist statt VIII, 15, 5 zu schreiben 
V, 15, 5). Dagegen ist es I, 146, 5 uom. sing, von maha 
und VII, 37, 3 gen. sg. von mah. Damit ist der sog. dativ 
mahas beseitigt. Was nun mahi betrifft, so ist es nach 
Roth adv. in der bedeutung sehr viel VI, 4, 7. VII, 97, 3 
und ebendahin ist zu setzen: a nö d€va cävasä jähi cuämin 
bhavä vrdha indra räjö asja mahe nrmnäjo urpate suvagra 
mahi ksatraja paü sjäja cöra „komm heran zu uns o mäch- 
tiger gott mit kraft, sei o Indra ein mehrer unseres reich- 
thums, zu grofser heldenthat, herrscher der männer, keil- 
träger, um mächtig zu herrschen, zu mannesthat" VII, 
30, 1. Man bedenke, dafs dative von Substantiven aller 
art infinitivisch construiert werden können. 

Nun bleiben noch zwei stellen übrig: gäman madäja 
prathamä vajac ka VII, 97, 1 , wo wieder ganz unnöthig 
ein parallelismus gefordert wird und väjas dativ sein soll. 
Es heifst einfach: „er komme zum zweck des rausches 
uud her zum ersten mahle". Endlich X, 59, 5 rärandhi 
na: sdrjasja sädrci, was zu übersetzen ist „lafs uns freude 
finden am anblick der sonne", denn rärandhi ist mit Roth 
zu ran zu setzen, was ja ganz gewöhnlich den loc. bei 
sich hat. 

Im §.15 soll bewiesen werden, dafs im localis des 
plurals die endung -su oft fehle, wo die congruenz der 



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225 



formen sie verlange. Ich hebe aus den angeführten stel- 
len wieder zuerst diejenigen hervor, welche L. mifsver- 
standen zu haben scheint. Dahin gehört Valakh. 11, 1, 
wo inane* wieder als inßnitiv („zum ergötzen") zu fassen 
ist. Ferner VIII, 6, 22, wo L. präcastir als loc. plur. 
nimmt (so dafs also nur u weggefallen wäre), und die an- 
geführten parallelstellen beweisen allerdings, dafs eine 
solche auffassung dem sinne nach gut pafst, man kommt 
aber auch aus mit der Übersetzung: „Unter deiner führung 
ist rühm". Vielleicht ist die stelle verdorben. Das ist 
höchst wahrscheinlich der fall I, 67, 5, was von Bollensen 
zeitschr. d. d. morgenl. ges. XXII, 586 glaubhaft verbessert 
wird. L. hat von dieser Verbesserung, durch welche jeder 
anstofs verschwindet, keine notiz genommen. 

An zwei stellen, nämlich I, 122, 7 und III, 37,7, wird 
wieder ganz unnöthig ein parallelismus gefordert, der eben 
im veda nicht vorhanden ist. Ziehe ich aufserdem die 
stellen ab, die mir entweder nicht klar sind, oder bei de- 
nen ich nicht einsehe, zu welchem zwecke sie von L. an- 
geführt werden (III, 31, 10. AV. VI, 69, 1 und XII, 1, 4), 
so bleiben eine anzahl Übrig, bei denen in der that inso- 
fern eine incorrectheit stattfindet, als ein loc. sing, mit 
einem loc. plur. in congruenz steht. Es sind die folgen- 
den: I, 105, 5 und VIII, 58, 3 trisv i rökane 1 diva: „in 
den drei lichtreicben des himmels". Man mufs anerken- 
nen, dafs die Zusammenstellung incorrect ist, aber sie ist 
nicht unbegreiflich. Die Vorstellung von drei lichthim- 
meln ist keine bildung der plastischen phantasie, so wenig 
wie z. b. die Vorstellung von den drei erden, sondern die 
drei versieht nur etwa den dienst des steigerungssuflßxes, 
so dafs man allenfalls „höchster himmel a dafür sagen 
könnte. Die drei himrnel bilden, so zu sagen, eine drei- 
einigkeit und stehen darum im singular. Eine incorrect- 
heit liegt auch vor I, 102, 10: tva gigetha na dhanä ru- 
rödhitharbheöv ägä maghavan mahatsu ka „du siegst, du 
kargst nicht mit der beute, in grofsen schlachten wie in 
kleinen". Man mufs solche stellen nach der aualogie der- 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 3. 15 



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jenigen erklären, welche eine andere Wortstellung zeigen, 
wie I, 81, 1: tarn in mahätsv ägisüte'm arbhe havämahe 
„ihn rufen wir in grofsen schlachten an, ihn in kleiner", 
wo L. natürlich wieder an arbhe anstofs nimmt, weil er 
überall den glattesten parallelismus verlangt. Incorrect ist 
endlich noch : asm in prtsv a hasi „in dieser schlachten und 
noth a , wo das asmin an ä'hasi eine entschuldigung findet. 

Es ergiebt sich also für uns aus diesem paragraphen, 
dafs im veda gelegentlich grammatische incorrectheiten 
unterlaufen, was bei einer poesie, die so viel volksmäfsiges 
hat, nicht eben zu verwundern ist, und ähnlich auch im 
epos vorkommt, wo nicht ganz selten participia im sing, 
auf ein pluralisches nomen bezogen werden, z. b.: 

te nödjamänä vidhivad bähukena hajöttamä: 

samutpetur athäkäcä rathinam möhajann iva 
Nal. XIX, 24 und ßopp z. d. st. 

Die §§. 16 — 19 enthalten meist infinitivformen, welche 
localendung haben. Wozu sie angeführt werden, habe ich 
nicht ermitteln können. 

Dagegen beschäftigt sich § 20 wieder unmittelbar mit 
unserem thema. „Wir können — heifst es daselbst — 
noch an reichlichen fallen nachweisen, dafs der instru- 
mental ohne eigenes suffix durch den blofsen stamm wie 
im hebräischen ausgedrückt ward." L. fährt dann fort: 
„Schon der gebrauch des griechischen dativs als instru- 
mental gehört hierher. Denn wäre es nicht sprachlich be- 
gründet, so hätte das griechische seines Instrumentals sich 
nicht entledigt". Diese letztere bemerkung ist mir voll- 
ständig räthselhaft, ich weifs weder was sie überhaupt be- 
sagen will (soll sie vielleicht nur besagen, dafs auch in 
der spräche das gesetz der causalität herrsche?) noch was 
sie an dieser stelle bedeuten soll. Es folgen sodann eine 
reihe von citaten, welche die un Vollkommenheit des flexions- 
ausdrucks beim instrumentalis beweisen sollen. Ich schliefse 
mich genau der von L. beliebten reibenfolge an: 

11,34,12: niahö gj6tisa. Wiederum das verhängnifs- 
volle mahas! Es ist an dieser stelle adverb (s. BR.). 

II, 23, 2: usra iva sdrjö gjötisa mahö vievösam ig 



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&anita brahmanäm aei ist von Aufrecht schon in d. zeitscbr. 
IV, 258 übersetzt worden: „wie die mächtige sonne mit 
ihrem lichte die tage, so erzeugest du alle gebete", und 
ich wüfste nicht, was an dieser Übersetzung (die L. na- 
türlich nicht erwähnt) auszusetzen wäre, mabäs ist also 
nom. sing, von mahä. Ebenso wohl auch I, 121, 11 („ein 
gewaltiger mit dem donnerkeil" ). 

X, 35, 6: gjötisa brhat ist brhät adverbium, wie es 
z. b. nothwendig ist VIII, 20, 6. 

I, 22, 11: mahas ist adverbium, ebenso I, 153, 1. 
VIII, 46, 14 macht L. selbst ein fragezeichen. 

VI, 49, 3: arusasja dubitärä virüpg strbhir anja pipic^ 
sorö anja. Da bei L. strbhir und sorö gesperrt gedruckt 
sind , so vermuthe ich , dafs er dem sänger die wendung 
in den mund legt: der tag ist geschmückt (pipicö) mit der 
sonne (sdrjena). Ich will nicht untersuchen, ob dieser ge- 
brauch von pic möglich sei, sondern beschränke mich dar- 
auf, die meiner meinung nach ganz befriedigende Müller- 
sche Übersetzung unserer stelle anzuführen, aus der her- 
vorgeht, dafs sflras gen. sing, ist: There are two diflerent 
daughters of Arusha; the one is clad in stars, the other 
belongs to the sun, or is the wife of Svar (M. M. Rigv. 
transl. I, 13). 

Die beiden folgenden stellen übergehe ich, da sie mir 
nicht ganz klar sind. 

II, 31, 5: navjasä vakas ebenso VI, 48, 11 und divit- 
matä vakas, unzweifelhaft zu übersetzen „mit neuem, mit 
glänzendem gebet". Es müfste natürlich nach der gram- 
matischen regel vakasä heifsen. Diesen anstofs sucht Bol- 
lensen O. und O. II, 482 zu beseitigen, indem er an- 
nimmt es sei väkä zu lesen, instr. von vakas entstanden 
aas vakasä. Vielleicht aber kann man ohne änderung aus- 
kommen. Man bedenke, dafs vakas an allen drei stellen 
am versende steht und der sinn durch das voraufgehende 
adjectivum deutlich war. Das sind umstände, die eine der- 
artige nachlässigkeit entschuldbar erscheinen lassen. 

III, 58, 2: rte'na ist nach BR. adverb. 

VIII, 86, 4 soll glrbhis mit djugat verbunden werden. 

15* 



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Um zu zeigen, mit wie bröckligem material L. bisweilen 
arbeitet, setze ich her, was BR. über djugät sagen : „djugät 
adv. nach Naigh. II, 15 rasch; vielleicht dju-hgat (von 
gam) durch den himmel hin, — her. Auch djumat würde 
passen". Darauf folgt unsere stelle als die einzige, an der 
das wort vorkommt. 

1 , 62 , 11: sanäjüvö nämasä nävjö arkair vasüjävö 
matajö dasma dadru:, wo L. nävjö als instr. plur. betrach- 
tet. Hier liegt wieder ein fall vor, in dem es sich schwer 
bestraft, dafs L. von dem, was anderer leute meinung ist, 
gar keine notiz nimmt. Benfey übersetzt „in neuesten 
Hedem " und verweist auf I, 61, 13: asj^d u prä brühi 
pürvjani turäsja kärmäni nävja ukthäi:, was er ebenfalls 
wiedergiebt „ in neuesten gesängen und wozu er in der 
anmerkung sagt: „das zu ukthäis gehörige adjectiv er- 
scheint ohne flexiouszeichen in thematischer form, ganz 
ebenso 6?, 11. Es liegt hier der Ursprung der kann ad bä- 
raja- Zusammensetzung vor". Benfey fafst also die stelle 
ähnlich wie Ludwig (der aber I, 61, 13 erst §. 30 erwähnt). 
Roth s. v. navljäs fafst navjas I, 61, 13 sehr ansprechend 
als adv. „aufs neue a , wofür er untadelhafte parallelstellen 
beibringt. Man muis also nach ihm übersetzen „preise 
des mächtigen alte heldentbaten aufs neue mit Hedem". 
In der zweiten stelle fafst er dagegen (s. v. navja) navjas als 
nom. plur. fem. Da Bollensen O. und O. II, 482 an die- 
ser auffassung Roths anstofs nimmt, so bemerke ich, dafs 
Roth offenbar nävi als fem. von nävja aufstellt, was an 
däivi zu däivja (s. BR. s. v.) doch wohl eine zuverlässige 
stütze empfangt. Man mufs dann übersetzen: „alterbegeh- 
rende, an andacht (immer) neue, durch lieder gute gäbe 
heischende gebete kommen heran". Da mir auf diese weise 
die beiden stellen ohne alle gewaltsamkeit befriedigend er- 
klärt scheinen, so stimme ich weder Benfey und Ludwig, 
noch Bollensen bei, der a. a. o. den text — wie gelind 
auch immer — ändern will, indem er aus den beiden Wör- 
tern ein compositum macht. 

I, 56, 3: sä turvänir mahän arenü päü sj€ gireV bhr- 
dtir nä bhragatö tugä cäva: „er ist stürmend und grofs, 



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229 



8taublos im männerkampf wie eines berges spitze erstrahlt 
seine kraft durch den angriff" d. h. der angriff ist es, 
durch den die ganze fülle seiner kraft offenbar wird, sie 
strahlt hervor Über den staub des kampfes wie die leuch- 
tende spitze eines berges. 

X, 144, 5 stehen väjas und ajus parallel, ebenso 6. 

VI, 3, 1 : ja' tvam mitrena varuna: sagöää de'va pasi 
tjägasä inartam ä'ha:. Wie L. die stelle versteht, weifsieb 
nicht. Auch mir ist dieselbe nicht deutlich. 

I, 190, 2: angas ist adverb. 

I, 92,9: pratlkf käksur urvija vi bhäti scheint mir 
gegen Benfeys auffassung („das auge hierher gerichtet, 
erstrahlt sie weit") nichts einzuwenden. 

II, 4, 5: rä'su ist nach BR. adverb. 

VIII, 78, 7 sehe ich nicht ein, warum säman nicht 
loc. sein soll. 

Es folgen drei stellen, an denen in suvrkti ein anstofs 
gefunden ist. Aber suvrkti ist fem. und neutr., was L. 
u. a. von Benfey (S. V. gl.) und Grafs mann in d. zeitschr. 
XVI, 174 hätte erfahren können. 

Endlich, nach so viel negation, kann ich einigen be- 
hauptungen von L. beistimmen. Auch mir scheinen pra- 
jukti m'tikti sucasti svasti instrumentale. Aber freilich 
dürften sie ganz anders zu fassen sein, als L. will. Es 
sind nicht uralte formen, sondern Verkürzungen. Das kurze 
i ist aus langem I entstanden ( wie älcittl und präbhütl 
IV, 54, 2 zeigen) und I ist aus i-f-ä, der einfach ange- 
tretenen instrumentalendung hervorgegangen. Ebenso bei 
u-8täromen (Bollensen zeitschr. d.d.morgenl.ges. XXII, 606). 
Für Ludwigs ansichten beweisen also diese instrumentale 
nichts. Uebrigens kann ich durchaus nicht alle formen auf 
i, die L. als instrumentale ansieht, als solche anerkennen, 
nicht aprati und nicht arigi, was IV, 58, 9 als sogenannter 
accusativ des inneren objects zu fassen ist. 

Am ende des paragraphen führt L. noch die bekann- 
ten formein wie nftamäbhir Ütf („mit kräftigsten hülfen") 
an. Ich glaube, dafs Bollensen O. und O. II, 466 darüber 



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Delbrück 



das richtige gelehrt hat. ütl ist falsche Schreibung dar 
ütls and dies aus *utibhis *utihis entstanden. 

Somit bat auch dieser paragraph die wünsche L.'s in 
keiner weise befriedigt. An ihn schliefst sich §.21, der 
nachweisen soll, dafs instrum. und local formell nicht ge- 
nau zu scheiden sind. Es wird ausgegangen von der form 
pragas I, 67, 5, welche loc. sein soll. Es ist oben gezeigt 
worden, dafs mit Bollensen daför pragasu zu lesen sei. 
Sie kommt also in wegfall. Diesem loc. sollen nun instru- 
mentale auf 18 entsprechen. Ich brauche nicht alle von 
L. angeführten stellen durchzugehen, weil, auch wenn er 
recht hätte, formen auf is als instrumentale plur. anzuse- 
hen, sie nichts fiör seine zwecke beweisen würden. Denn 
dieses Is würde, wie oben gezeigt, aus *ibbis *ihis zu deu- 
ten sein. Weit entfernt also etwas alterthümliches vor 
uns zu haben, hätten wir vielmehr von einer Verstümme- 
lung zu berichten. Uebrigens sind natürlich auch in diesem 
Paragraphen manche seiner behauptungen luftig genug. Es 
soll z. b. AV. XII, 3, 32 täsmin deva: saha devfr vicantu die 
form devfs als instr« aufzufassen sein. Es ist aber saha ein- 
fach als adverb zu nehmen und zu Übersetzen: „es sollen 
kommen die götter und dabei die göttinnen". 

§. 22 wird die lehre vorgetragen, dafs der instrumen- 
talis ein ziemlich neutraler casus sei, „indem er nicht nur 
Verbindung, sondern auch trennung anzeigt" z. b. bei vi-ju, 
und diese thatsache wird später benutzt zu dem Schlüsse, 
dafs man von der grundbedeutung eines casus nicht reden 
dürfe; Hätte L. in diesem falle verwandte sprachen her- 
beigezogen, so würde er nicht so oberflächlich geurtheilt 
haben. Oder sind etwa das lat. cum und das engl, with 
ziemlich neutrale praepositionen , weil man sagt dissentire 
cum aliquo und to part with ? Die Schwierigkeit löst sich, 
wenn man bedenkt, dafs die trennung ein gemeinsames 
geschäft der sich trennenden ist (vergl. auch „mit jemand 
auseinander kommen"). 

In §. 23 wird der Instrumentalis der ausdehnung oder 
der bewegung herangezogen, um die Verwandtschaft des 
instr. mit dem loc. (und also seine ursprüngliche ungeschie- 



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denheit von ihm) zu zeigen. Ich glaube in meiner schritt; 
über abl. loc. instr. 53 dargethan zu haben, wie dieser ge- 
brauch des instr. mit der ihm innewohnenden grundbedeu- 
tung des Zusammenseins zu vermitteln ist 

Um zusammenhängend fiberblicken zu können, was 
L. über die entstehung und bedeutung der casus lehrt, 
gehe ich sofort zu §. 27 über, da 24 und 25 nur allge- 
meines enthalten, und 26 mit 30 zu verbinden ist. Der 
Verfasser hat — wie hier nebenbei bemerkt sein mag — 
auf die disposition des ganzen erstaunlich wenig mühe ge- 
wendet, ein umstand, der in hohem grade die benutzung 
des buches erschwert. In §. 27 nun soll gezeigt werden, 
dafs die grenze zwischen ablativ und genitiv einerseits und 
nominativ andrerseits keine feste ist. Natürlich sind die 
belege für uns wieder nicht beweisend. 

IV, 22,4: ganiman ist loc. und nicht abl. („bebte 
vor dem mächtigen bei der geburt"). 

I, 174, 5 soll suras der form nach nom. sein, obwohl 
es dem sinne nach nur genitiv sein kann. Aber suras ist 
gen. sing, von svar. L. hätte sich darüber belehren kön- 
nen bei Bollensen O. und O. II, 478. 

IX, 32, 3: ad f hasö jathä ganä' vicvasjävlvacan ma- 
tim. Bei dieser stelle deutet L. die möglicbkeit an, dafs 
häsäs = X'I V °S 6ei i l&fct 8 * e aber, wie es scheint, wieder 
fallen, betrachtet häsas als genitiv, der der form nach 
vom nom. nicht unterschieden sei, und übersetzt „wie eine 
gänse Schaar hat er eines jeden lied ertönen gemacht a , 
indem er hinzufügt „wenigstens giebt der nom. sing, kei- 
nen guten sinn". Ich denke doch, man übersetzt einfach: 
„wie ein gänserich seine scbaar, führt er alle lieder an". 

I, 7 1 , 8. Was der abl. djäüs zu besagen haben soll, 
sehe ich* nicht ein, und ebenso wenig, wozu der nom. sg. 
v^s der vogel (zu vi) citirt wird, an dessen existenz ge~ 
wifs niemand zweifeln wird, ve's ist allerdings eine inter- 
essante form, insofern der nom. Steigerung des wurzelvo- 
cals zeigt (wie djäüs, Zevg). Aber darum fallt er doch 
nicht seiner bildung nach mit dem genitiv zusammen. 

Hiermit ist der abschnitt über die casus beendigt und 



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Delbrück 



uns gelegenheit gegeben, einen augenblick auf das erreichte 
zurückzuscbauen. Ich glaube gezeigt zu haben, dafs L. 
mit unrecht gen. plur. ohne -äm annimmt, dafs er mit un- 
recht den loc. und dat. in einander verfliefsen läfst, dafs 
dem dativ nicht, wie L. behauptet, das flexionszeichen zu- 
weilen fehlen kann, dafs -su die nothwendige endung des 
loc. plur. ist, dafs der instrumentalis sein noth wendiges 
suffix hat, wie jeder andere casus, dafs instr. und loc. we- 
der der form noch der bedeutung nach zusammenfallen, 
dafs der gebrauch des instrum. von einer grundbedeutung 
ausgeht, dafs endlich der gen. und nom. nie zusammen- 
fallen, kurz, ich glaube die angriffe Ludwigs gegen die 
bisher von der Wissenschaft gehegten grammatischen an- 
schauungen überall zurückgewiesen zu haben. In den mei- 
sten fallen schien mir eine genauere interpretation des Sin- 
nes oder analyse der grammatischen form zu genügen, um 
L. zurückzuweisen; an wenigen stellen schien der ausweg 
der conjectur geboten; an andern schien es wichtig, ab- 
weichende formen der vedasprache, die schon Ludwigs 
Vorgängern nicht eutgangen, aber ihm, wie es schien, nicht 
bekannt geworden waren, zur geltung zu bringen, so die 
gen. plur. auf -äm, die instr. sing, auf -I und i. 

Nur in einem punkte glaubte ich mit L. Übereinstim- 
men zu können, allerdings nur hinsichtlich des faktischen. 
Es schien mir nicht zu läugnen , dafs in trisu ä rökane 
diva: und divitmatä und navjasä vakas incorrecte Wendun- 
gen vorlägen, aber freilich die folgerungen, die er aus die- 
sen fdrmeln zog, konnte ich nicht unterschreiben. Zu 
demselben resultat führt die prüfung dessen, was L. §.26 
und 30 über den numerus beibringt. Ich darf mich des 
durchgehens aller seiner belege enthalten, da es hier nicht 
darauf ankommt, ob ein ohnehin feststehender salz durch 
einige belege mehr oder weniger gestützt werden kann. 
Dieser satz ist, um es zu wiederholen, der: im veda wird 
bisweilen das casus- oder numeruszeichen nicht am sub- 
stantivum und dem dazugehörigen adjectivum, sondern nur 
an einem der beiden Wörter ausgedrückt, z. b. trisu ro- 
kane, divitmatä vakas, üdhar divjäni, vratä dlrghacrut. 



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Wenn nur die letztere erscheinung vorkäme, und wenn sie 
etwa massenweise aufträte, so könnte man daran denken, 
dafs man reste aus einer zeit vor sieb hätte, wo das ad- 
jectivum sich noch nicht in genus, numerus und casus 
nach seinem suhstantivum richtete, aber da beide ersebei- 
nungen vorkommen und zwar nur sehr vereinzelt, so ist 
an eine so frühe periode nicht zu denken, sondern wir ha- 
ben ungenauigkeiten des ausdrucke anzuerkennen, die bei 
alter, volksmäfsiger poesie wahrlich nichts erstaunliches 
haben. 

Wir kommen zu dem zweiten haupttheil, dem 

verbum. 

Die Seiten 30— 65 enthalten reichhaltige treffliche 
Sammlungen für den gebrauch des infinitivs. Ich darf, 
da ich diesem gebiet der grammatik einige aufmerksam- 
keit zugewendet habe, versichern, dafs sie vollständiger 
sind als alle früheren denselben stoff betreffenden. Frei- 
lieh sind auch auf diesen Seiten manche grammatische an- 
sichten entwickelt, die schwerlich beifall finden werden, 
und an manchen einzelaufstellungen wird man gegründeten 
anstofs nehmen (z. b. bei dan), aber im ganzen genommen 
hat der verf. sich durch diesen abschnitt seines buches 
den aufrichtigen dank seiner fachgenossen verdient. 

Nach diesem erfreulichen Zwischenspiel gehen wir wie- 
der an die arbeit des bezweifelns und widerlegens. L. 
sucht, um seine im eingang dieser anzeige geschilderte 
theorie zu erhärten, zwei sätze zu erweisen: 

1) der infinitiv wird wie das verbum finitum con- 
struirt, 

2) das verb. fin. zeigt noch deutliche spuren der ent- 
6tehung aus dem infinitiv. 

Der beweis für den ersten satz findet sich §. 49, wozu 
man die bemerkung aus §. 50 nehme, dafs die anwendung 
des infinitivs, von der hier die rede ist, eine conjunetivisch- 
imperativische sei. Es handelt sich nämlich um einen 
ähnlichen gebrauch wie den des inf. pro imp. im griechi- 
schen, nur dafs die aufforderung sich nicht blofs an eine 



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Delbrück 



zweite person richtet. Wir können im deutschen solche 
con8tructionen ganz wohl nachbilden, durch infinitive selbst, 
oder durch Substantive. Unserem gefÜhl am nächsten liegt 
es, wenn die aufforderung an eine zweite person gerichtet 
ist (vgl. d. zeitschr. XVIII, 103), aber auch die wendung an 
eine dritte person können wir infinitivisch nachbilden. Ein 
vedisehes beispiel bietet ein inf. auf -sani : Igänam id djäür 
gürtävasur Igänam bhrimir abhi prabhüSani „dem opferer 
mögen der gutspendende bimmel und die erde beistehen " 
(vgl. BR. V, 327). Man vergleiche damit Wendungen wie 
„drei mann vortreten", die nur in einer anderen tonart ge- 
sprochen ist. Bei Selbstaufforderungen (vergl. d. zeitschr. 
a. a. o.) dagegen dürften wir besser substantiva verwenden. 
Statt „wir wollen Indra preisen" können wir nicht wohl 
sagen „Indra preisen", aber „preis dem Indra". Dieser 
gebrauch erklärt sich aus der grundbedeutung des infini- 
tivs, welcher, mag er nun dativ oder localis sein (vgl. den 
loc. des zieles, abl. loc. instr. s. 45), die richtung einer 
handlung nach einem punkte hin bezeichnet. Diese natur 
macht den inf. vor allem geeignet, als ergänzung des ver- 
bums zu dienen; es ist aber nicht unnatürlich, dafs auch 
bisweilen die einfache angäbe der richtung als forderung 
dient, was auch wir kennen in ausdrücken wie: nach 
hause, zum essen etc. An wen die aufforderung gerichtet 
sei, ergiebt sich natürlich aus dem zusammenhange. 

Durch diese erklärung aus der natur des inf. heraus 
dürfte wohl alles auffallende der erscheinung beseitigt sein. 
Ich kann aber diesen paragrapben nicht verlassen, ohne 
darauf aufmerksam zu machen, dafs manche der von L. 
hierher gestellten belege vielleicht eine ganz andere stelle 
verdienen. In versen nämlich wie I, 129, 8: svaja' sa 
risajadhjäi jä na upeäe* aträi: ist eine form des verb. subst. 
etwa sjät als verb. fin. zu ergänzen und an dies der inf. 
anzulehnen. Es- ist zu übersetzen: „das Unglück selbst sei 
bestimmt zum untergange, das auf uns loskommt mit zau- 
bergewalten ". Für diese auffassun«. 1 , scheinen mir stellen 
wie VII, 34, 24 zu sprechen (vgl. d. zeitschr. XVIII, 91). 

Endlich ist noch einem mifsverständnifs, welches sich 



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aus L.'s darstellung leicht ergeben konnte, vorzubeugen, 
dem mifsverständnifs, als ob alle arten von Infinitiven Im- 
perativisch gebraucht werden könnten. Es sin«! vielmehr 
nur die infinitive auf -adhjäi und -sani. L. führt freilich 
8. 67 noch einige andere an, aber mit unrecht, nämlich den 
vermeintlichen inf. dan, der von Roth s. v., wie mir scheint 
Oberzeugend, auf ganz andere weise gedeutet ist, und avi- 
tave in VII, 33, 1 : nä me dürad ävitavg väsistbä: . Die- 
sen vers hatte Roth zur lit. und gesch. des Veda s. 88 
Übersetzt: „mögen sie nicht von meiner thüre weichen tt 
(wo er — ich weifs nicht worauf gestützt — dvärät statt 
dürät las); er hat aber diese Übersetzung längst corrigirt 
(P. W. 1,465) in: „mögen die Vasistha nie fern von mir 
sein, um mir gütlich zu thun a . Ich fahre diesen sachver 
halt an um zu zeigen, dafs auch andere auf L.'s auffas- 
sungen gekommen sind, aber sie bei näherer Überlegung 
wieder aufgegeben haben. 

Es bleibt also als resultat nur dies, dafs infinitive 
auf -adhjäi und -sani imperativiach gebraucht werden kön- 
nen, und zwar in etwas umfassenderer anwendung, als im 
griechischen. 

2) Nach Ludwig haben, wie oben gesagt ist, die en- 
dungen mi si ti ihre beziehung zu einer bestimmten person 
nicht von anfang an, sondern erst im lauf der zeit bekom- 
men. Als feld der beweisführung dienen hauptsächlich die 
medialsuffixe , von denen ein rückschlufs auf die activsuf- 
fixe gemacht wird. 

Es kommt zuerst zur behandlung das suffix -se, hin- 
sichtlich dessen behauptet wird, dafs es zwar schon im 
veda die feste beziehung zur zweiten person habe, aber 
;mch noch die erste und dritte person bezeichne. Für die 
erste person ist der beweis versucht im §. 54. Der inhalt 
dieses paragraphen scheint mir sich dahin resumiren zu 
lassen, dafs (was übrigens auch von andern gelegentlich 
anerkannt worden ist) im veda die formen stuäö grnlSe" 
punlse arkase rrigase" im sinne der ersten person vorkom- 
men (für einige formen, die L. noch hinzufügt, scheint mir 
der beweis nicht erbracht), Ob nun aber Ludwig recht 



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Delbrück 



hat, das s dieser formen zun) suffix zu ziehen, ist eine 
andere frage. BR. betrachten rngase als conj. aor., thei- 
Jen also rrigas-6, Scherer (Z. G. D. S. 349) wirft die frage 
auf, ob in grnlsö und puulse nicht das s der wurzel as 
angehöre Ich weifs mit den fraglichen formen nichts an- 
zufangen, finde aber nöthig zu betonen, dafs man nicht 
sicher zu sagen weifs, ob das 8 in ihnen zum suffix ge- 
höre oder nicht. Folglich dürfen sie nicht in der weise 
benutzt werden, wie L. es thut. 

Das suffix -se soll ferner im sinne der dritten person 
stehen, was §. 55 erweisen soll. Ich gehe zuerst die stellen 
durch, die L. nicht richtig aufgefafst hat: 

I, 128, Ü: vicvasmä id isudhjate 7 devaträ havjam 6hise 
heifst: „für jeden bittenden bringst du das opfer zu den 
göttern". Diese worte bilden die einzige anrede an Agni, 
in einem hymnus von acht versen, in dem sonst nur etwas 
von Agni ausgesagt wird. L. stellt flugs seinen schon von 
den casus her bekannten parallelismus her, demzufolge 
ühiäö 3. sing, sein soll, und doch ist im veda der Wechsel 
zwischen anrede und aussage sehr häufig. 

V, 35, 4 : vrsa hj äsi rädhase gagnise 1 vrsni te cava: 
wttfste ich nicht anders zu Obersetzen als: „ein Spender 
bist du, zum reichthuin bist du geboren, spendend ist deine 
kraft«. 

Sonst wird noch tatniäe, stu$6, kräö, gäjise als dritte 
person gefafst, doch nur zweifelnd, und mit hindeutung 
auf die richtige auffassung, so dafs ich nicht nöthig habe, 
diese noch besonders zur geltung zu bringen. Dafs dhiäe 
nicht gleich dhire ist, folgt aus der richtigen Übersetzung 
bei Bollensen zeitschr. d. d. morgenl. ges. XXII, 596. Ganz 
wunderlich ist die behauptung V. S. XII, 49 sei ükiäe = 
üKire. Das behauptet allerdings der commentar, aber L. 
hätte sich lieber nach dem comm. zu Rv. III, 22, 3 rich- 
ten sollen, wo die stelle ebenfalls steht, und erklärt wird: 
samavetän karö&i. Der neue satz beginnt mit dhiänjä. 

Nunmehr bleiben aufser IV, 43, 7, das mir nicht klar 
ist, nur noch einige stellen übrig, in denen Karkräe vor- 
kommt. Dafe diese form 3. sing, ist, kann nicht bezwei- 



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feit werden. BR. unter 2 kar meinen, Karkrgß scheine als 
3. sing. med. zum intensiven stamm von kar gezogen wer- 
den zu müssen. Die möglichkeit, dafs das s stammhaft 
sei, ist durchaus nicht ausgeschlossen, es gilt also von 
Karkrse dasselbe, wie von punlse etc. Somit bleibt es, 
was -se betrifft, beim alten. 

Nach der endung -se" kommt die endung -ö zur ver- 
urtheilung. Von ihr ist bekannt, dafs sie im veda auch 
für die 3. sing, praes. (nicht blofs perf.) vorkommt, wofür 
§. 56 beispiele giebt. L. hält es ferner für wahrschein- 
lich (§. 57), dafs -6 für die zweite pers. sing, stehe, führt 
aber die beispiele dafür doch nicht mit „ absoluter gewifs- 
heit" an, so dafs auch wir nicht nöthig haben, uns auf 
eine Widerlegung seiner annähme einzulassen. In §. 58 
wird weiter die frage erörtert, ob -e" nicht bisweilen die 
zweite oder dritte dualis bezeichnet. Es handelt sich um 
einige schwierige und dunkle stellen, die ich wenigstens 
nicht sicher verstehe. Wenn L. sie versteht, so würde 
er sich durch ihre Übersetzung und interpretation dank 
erwerben. Was turigate für den gebrauch des Suffixes -e 
beweisen soll, ist mir dunkel geblieben. Irgend eiue fol- 
gerung für den gebrauch des Suffixes -e" vermag ich aus 
dem von L. beigebrachten material nicht zu ziehen. End- 
lich soll -e auch noch im sinne der 3. plur. stehen (der 
abschnitt, der hierüber handelt, ist vermuthlich durch ein 
versehen beim druck auf Seite 81 statt 78 gerathen). 

V, 39, 3: mahisthä vö maghönä ragänä karsanlnam 
indram üpa pracastaje pürvfohir guguse gira: Hier soll 
£uguse 3. plur. sein. Wie L. gira: auffafst, weifs ich nicht. 
Mir scheint die folgende auffassung die nothwendige: üpa 
gehört nicht zu guguse, sondern es ist ein verbum zu er- 
gänzen, welcher art lehren stellen wie I, 74, 6: ä ka va- 
häsi tan iha devan üpa pracastaje. Es ist also auch hier 
vah oder hvä oder ähnliches zu suppliren, und zu über- 
setzen: „ruft den freigebigsten herren, den könig der men- 
schen heran zum preise". In dem folgenden satz ist gu- 
gu£ö 3. sing. perf. „er findet freude". Der gegenständ, 
woran er freude findet, steht im acc. wie so oft: gira: „an 



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Delbrück 



euren Hedem"; bleibt noch pürvibhi: „um der vielen wil- 
len u nämlich lieder, die ihr schon gesungen habt (viel- 
leicht wird aber pOrvibhi: besser zu pürvja gezogen, was 
hier gleichgiltig ist). Ein sänger richtet au seine genos- 
sen die auffbrdcrung: „ruft den Indra heran 44 , und macht 
ihnen muth durch die Versicherung „glaubt mir, er findet 
freude an euren Hedem um der vielen willen, die ihr schon 
gesungen habt K . 

I, 142, 5 sehe ich keinen grund, warum vrrige nicht 
1. pers. sing, sein soll. Das voraufgehende part. fungirt 
als verb. fin. 

Val. IX, 3 giebt allerdings keinen sinn. Vielleicht 
ist dadhire statt dadrcö zu lesen. 

VIII, f>5, 1 halte ich huve* für 1. sing, gajantas ist 
apposition zu dem zu ergänzenden „rufet". 

VIII, 12, 24 ist auch L. nicht ganz sicher. 

Es ergiebt sich also auch für dafs dieses suftix, 
wie längst bekannt, für erste und dritte person gebraucht 
wird, und ich sehe trotz des spottes, den L. Ober diese 
ansieht ausgiefsen möchte, noch immer die auskunft als 
die natürliche an, dafs -e als Vertreter der ersten person 
vor sich ein m, als Vertreter der dritten vor sich ein t 
eingebüfst hat. 

Für -tö weifs L. selbst nur die beziehung auf die 
dritte person zu belegen. 

Die bescheidenen versuche (§. 62) auch für das acti- 
vum eine ähnliche „enallage" nachzuweisen, bedürfen kei- 
ner ausführlichen besprechung. Es wird sich, soweit ich 
die vedischen verbalformen übersehe, nur ergeben, dafs 
bisweilen aus dem t in den historischen temporibus ein 8 
geworden ist. 

Der folgende theil des buches ist ftir uns von gerin- 
gerem interesse. Er beschäftigt sich mit allerhand fragen 
der formeulehre, namentlich dem unterschied der a- und 
nicht- a-conjugation, welche fast sämmtlich durch die Zu- 
rückweisung der bisher besprochenen ansichten erledigt 
werden. Auch Über bildung und bedeutung der modi wer- 
den allerhand ansichten geäufsert, auf die ich um so we- 



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niger eingehen mag, als ich mich in meiner schritt Über 
den gebrauch des conj. und opt. so eben ausführlich dar- 
fiher ausgesprochen habe. 

Ich könnte somit, nachdem, wie ich hoffe, die aufstel- 
lungen des herrn verf. sowohl auf nominalem wie 
auf verbalem gebiete als unbegründet erwiesen 
worden sind, diese anzeige beschiiefsen, wenn mir nicht 
noch die pflicht obläge, gegen den ton seiner polemik ent- 
schiedene Verwahrung einzulegen. Diese polemik richtet sich 
sowohl gegen die anhänger der sogenannten agglutinations- 
theorie überhaupt, als besonders gegen Schleicher. Das 
tadelnswerthe an ihr ist nicht nur der ton, sondern vor allen 
dingen der umstand, dafs L. seine g^gner nur sehr mangel- 
haft kennt. Man urtheile, ob folgende vorwürfe gegen die 
moderne Sprachwissenschaft irgendwie berechtigt sind: 

S. 16 ... „dafs sie im wesentlichen nicht dem begriffe 
entsprechen, den man uns an die flexi on zu knüpfen 
gelehrt hat, dem einer willkürlichen absicht- 
lichen bildung". Als ob es nicht gerade ein haupt- 
verdienst der modernen Sprachforschung wäre, den ge- 
danken einer willkürlichen Schöpfung der spräche überall 
bekämpft zu haben! 

Mehrfach wird der neueren methode abgesprochen, 
dafs sie eine historische sei, so: „Zu einer wirklichen ent- 
wicklungsgeschichte unseres Sprachstammes kann es na- 
türlich auf diese weise nicht kommen, denn alles bat ein 
ende, auch die nach gegenwärtiger Vorstellung frei meteor- 
steinartig vagierenden suflixe« etc. (84). „Und so ist das 
verhältnifs von infinitiv zu particip aufzufassen, worüber, 
so viel wir wissen, nicht unrichtige, sondern gar keine 
Vorstellungen bestehen" (46). 

Die Boppsche ansieht über das suffix -tar begeistert 
L. zu folgendem ausruf: „wir verpflichten uns, wenn es 
darauf ankommt, alles in dieser weise zu erklären, tief- 
sinnig philosophisch, oder naturalistisch -materialistisch, ja 
auch witzig und zwar in kürzester frist". Mir scheinen 
derartige witze unwürdig. 

Aehnliche belege, aus denen die unbekanntschaft L.'s 



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Delbrück, anzeige. 



mit den arbeiten anderer Sprachforscher hervorgeht, He- 
fsen sich häufen. Es ist evident, dafs er weder Curtius' 
Chronologie noch irgend etwas von Steinthal aufmerksam 
gelesen bat, wenn ihm diese bücher Überhaupt vor au^en 
gekommen sind. 

Am gröbsten ist seine spräche Schleicher gegenüber. 
„ Schleicher scheint leider nicht geahnt zu haben, dafs 
man philosophie und philosophisches gerede von herzen 
hassen und doch selbst auf dem gebiete der Sprachfor- 
schung grofsen unsinn reden kann ja selbst philosophischen 
unsinn!" „Seine tendenziösen bestrebungen haben die 
falsche richtung der Wissenschaft in ein extrem getrieben, 
das mit der nicht zu verkennenden resultatlosigkeit in 
einem contrast steht, der denn doch nicht zu leugnen ist.** 
Selbst au Schleichers naturwissenschaftlichen kenntnissen, 
die nach dem urtheil competenter naturforscher sehr bedeu- 
tend waren, wird gezweifelt. Mir scheinen so hochfah- 
rende äufserungen gegen einen grofsen todten nicht nur 
sehr unziemlich, sondern auch für herrn prof. Ludwig sehr 
gefahrlich , denn sie fordern eine vergleichung seiner Ver- 
dienste mit denen Schleichers heraus, und man kann sich 
doch nicht verhehlen, dafs Ludwig bei dieser gelegenheit 
eine nicht eben gloriose rolle spielen mufs. 

Jena, januar 1871. B. Delbrück. 



Suum cuique. 

Zur geschichte der Sprachforschung. 

Bugge bemerkt in seinem aufsatz Über den Ursprung 
der lat. sufßxe clo, culo, cro u. s. w. (XX, 135); Ebel 
war meines wissens der erste, welcher (in d. zeitschr. XIII, 
296, erschienen 18()4) die vermuthung äufserte: „Vielleicht 
sind lat. -crum und -clum nichts als euphonische Verwand- 
lungen aus -trum und -tlum". Er bemerkt alsdann: 
„Dieselbe meinung wurde von Leo Meyer (vergl. gramm. 
II, 356 ff.) bestimmter ausgesprochen u . Dieser führt aber, 
wenn auch nicht ganz doch ziemlich deutlich, diese Zusam- 
menstellung auf Benfey zurück und in der that hat dieser 
sie mit voller bestiromtheit schon sechs jähre vor Ebel in 
den Göttinger gelehrten anzeigen 1858 s. 1629 gegeben. 
Wenn sie also nicht vor dieser zeit von einem andern ver- 
öffentlicht, so wird sie wohl Benfey zuzusprechen sein. 



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Scbuchardt, albanisches und romanisches. 241 



Albanisches und romanisches. 

Zu Miklosich's albanischen forschungen *). 

Schon seit geraumer zeit widmet der meister der sla- 
wischen Sprachwissenschaft auch den nicht-slawischen spra- 
chen der Balkanhalbinsel eine besondere theilnahme, zu- 
nächst allerdings, um aus ihnen die slawischen bestand- 
theile auszuscheiden. Diese aufgäbe ist zuerst för das ru- 
mänische (1861), dann für das neugriechische (1870)* und 
zuletzt für das albanische in dem ersten hefte der alban. 
forschungen gelöst worden. Es enthält dieses heft vier 
einleitende capitel, Übersichten über die Wohnsitze des al- 
banischen volkes, die quellen unserer kenntnifs der alban. 
spräche, die laute der alban. spräche und die verschiede- 
nen bezeichnungsweisen dieser laute. Unter den letzteren 
vermissen wir die Camarda's, welcher doch, hauptsächlich 
durch einführung der griechischen zeichen 77, g und (), das 
Hahn'sche aiphabet nicht unwesentlich abgeändert hat. 
Gegen das Umschreibungssystem des Verfassers haben wir 
nichts einzuwenden; P, k', wie aus typographischen grün- 
den für T, k (analog g, ri) geschrieben wird, sind freilich 
etwas zweideutige zeichen. In bezug auf die empfanglich- 
keit dem slawischen gegenüber hält sich das albanische in 
der mitte zwischen dem fast widerstandslosen rumänisch 
und dem spröden griechisch. Die Sammlung M.'s umfafst 
etwas über 300 nummern; doch ist in vielen fällen die 
Verwandtschaft des alban. mit dem slaw. worte entweder 
überhaupt zweifelhaft oder als derartige, wie sie hier al- 
lein in betracht kommt, und sind solche gleichungen, wie 
geg. mömme, mutter**) = serb. bulg. moma, mädchen, 



*) I. Die slavischen demente im albanischen. Wien 1870. 38 s. 
II. Die romanischen elemente im albanischen. Wien 1871. 48 s. 
ITT. Die form entlehnter verba im albanischen und einigen anderen 
sprachen. Wien 1871. 9 s. (Separatabdrucke aus dem XIX. und XX. bd. der 
denkschr. der ph.-hist. kl. d. wien. ak.). 

*♦) Wenigstens hätte M. , indem er Camarda citirt, auch die andere 
von diesem angegebene bedeutung „sorella maggiore" beisetzen sollen. — 
Da ich im folgenden mich hauptsächlich auf Hahn stutze und daher die 

Zeitschr. f. vgl. sprach f. XX. 4. \Q 



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242 



Schuchardt 



wohl zu streichen. Geg. plötske, Steinplatte, runde höl- 
zerne flasche, stellt M. zu serb. ploca, platte; aber in 
der zweiten bedcutung, Reiche speziell beratinisch (also 
nicht gegisch, sondern toskisch) ist, gehört jenes wort zu 
serb. ploska u. s. w., flasche, auf welches M. die sl. el. 
im rurn. s. 36 und die freindw. in den sl. spr. s. 118b*), 
indem er p locke und ploske schreibt, in der that be- 
zieht. Fast noch besser als mit serb. lokma, lokva, 
frustum carnis stimmt geg. lökme, tosk. lomkö, stück, 

Scheibe, wurfstein mit arab. buccea, bolus, buccella. 
Da die feststellung der slaw. demente im albanischen mit 
derjenigen der romanischen (unter denen wir mit M. die 
lateinischen und italienischen verstehen) auf's innigste zusam- 
menhängt, so hat sich M. auch dieser arheit in dankens- 
wertester weise unterzogen. Mit grofsem Scharfsinn und 
fleifs weist er über 900 romanische entlehuungen nach. 
In das albanische aber sind romanische Wörter nicht allein 
zu sehr verschiedener zeit, sondern auch auf sehr verschie- 
denartigem wege eingedrungen, besonders auf dem zwei- 



toekische als die hauptmundart betrachte, so erspare ich mir es, überall 
„H." und „tosk." beizufügen. Rossi, dem das pegische zur gruudlagc 
dient, citire ich mit „K. u , Camarda mit „Cam." u. 8. w. 

*) Einige bemerkungen, die sich mir beim durchblättern dieses mit be- 
wundernswcrther gelehrsamkeit ausgearbeiteten Verzeichnisses aufdrängten, 
mögen hier ihren platz rinden. S. 79a wird zu serb. brace, weintreber 
mhd. bratsche, grüne schale der nüsse und hülsenfrüchte, verglichen; 
besser wohl wäre dcutschtirol. braschlet, brnschk'lt, in ülterer spräche 
prastlat, wälschtirol. brasca, die in den kufen gemosteten trauben (Schnel- 
ier die rom. volkaround. in Südtirol I, 122) genannt worden, das mit jenem 
auch in Tirol bekannten bratsche (zu Meran pratsche, die oberste grüne 
schale der nüsse, obw.-churw. paratscha, dass. ; vgl. obw.-churw. palc- 
tscha, engad. pletscha, häutchen, fruchtschale von pial, pell = pcl- 
lis, und deutschtir. blas che, hülsenfrucht, domleschg. bleuscha, hülse 
der erbsen u. s. w.) unverwandt zu sein scheint. Ich erwähne noch geg. 
börsf, weiu- und öltrester. — S. 79b wird poln. bryndza u. s. w., brin- 
ßenkäse, das ich aus Rom als sbrinzo kenne, als ein dunkles wort be- 
zeichnet; bedeutet es denn nicht Brienzer käse? — S. 103b wäre zu serb. 
kuljen, bauch, kulenica, wurst = culeus, xohn\- alb. kole, wurst, 
zu vergleichen gewesen, mag man dieses von xnltvq oder mit Camarda 
II, 207, der es durch „salainc", „prosciutto* wiedergibt, von xwAr} ablei- 
ten. — S. 120 b dürfte kroat. prud, vortheil (davon kroat. serb. neuslov. 
pruditi, nutzen) eher auf das gleichbedeutende it. prode (s. Diez et. wb. 
I 3 , 882 fg.), als auf ahd. fruoti, klugheit zurückgehen. 



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albanisches und romanisches. 



243 



fachen umwege durch das slawische und durch das neu- 
griechische. Es läfst sich dies meistens durch die art der 

lautbehandlung bestimmen; indessen können wir i = e, 
welches ja euch vulgärlateinisch war, in kandil = can- 
dela (vergl. span. candil) u. a. nicht für einen gültigen 
zeugen griechischer Vermittlung halten. Nicht selten übri- 
gens findet sich im albanischen dasselbe romanische wort 
in reinerer und daneben in slawisirter oder gräcisirter form. 
So förderlich die anordnung der romanischen elemente 
nach verschiedenen kategorien für die knlturgeschichte des 
albanischen volkes, deren quellen ja so dürftig fliefsen, sein 
würde, so verzichten wir doch hier darauf, um den rein 
linguistischen Standpunkt nicht zu verlassen. Das slawi- 
sche verzeichnifs, welches die roman.- slawischen elemente 
mit dem romanischen verzeichnifs gemein hat, scheint uns 
einigermafsen vor diesem bevorzugt zu sein. Zunächst 
könnten einige doppelt angeführte Wörter, wie büal (bu- 
balus; bulg. bivol)*), geg. rrfke" (radice; serbisch 
rdakva), an jener stelle fehlen. Andere sind aus dem 
ersten verzeichnifs geradezu in das zweite zu versetzen; 
so klotskß**), gluckhenne, welches wie das gleichbedeu- 
tende geg. skjökö zu it. chioccia, nun. cloce, nicht zu 
serb. kvocka gehört, und kukuvats R., wozu noch ku- 
kumatse, kukumjätäc, kukumjatske H. und kuku- 
väj R. kukuvaike H. (wegen -ke und -ke s. die vor- 
hergeh, anm.) zu fügen sind, welches das it. coecoveg- 
gia (neap. coecovaja), eule, nicht das serb. kukavica, 
kukuk, ist. Diesem letzten entspricht allerdings kuka- 
vitse R., da Rossi euceuveggia merkwürdigerweise im 
sinne von cueulo nimmt. Noch andere Wörter hätten we- 
nigstens auch im zweiten verzeichnifs platz finden sollen, 



*) Da bubalus seine bedeutung „büffel" wohl in folge des anklang? 
an bos, bovis erhalten hat, so ist die entlchnung dieses wortes durch die 
Slawen, in betreff deren M. zweifei ttnfscrte, zum mindesten sehr wahrschein- 
lich; s. Hehn, culturpflanzen nnd hausthiere, s. 450 fg. 

♦♦) Die endung -ke" ist albanisch und weit häufiger, als die von Ca- 
marda I, 164 angeführten beispiele vermuthen lassen; vgl. z. b. geg. tsäfkä, 
move, tsefke*, deckblätter des maiskolbens (wohl von geg. tüsef, ich ver- 
stecke). Ueber -ak, -ok als endung männlicher thiere ».unten s. 244. 

16* 



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244 



Schuchardt 



so plüske = serb. pljuske pl. blatter, wegen pustula 
(vgl. rum. puschö •= mlat. pustella) ; ist das slawische 
wort wirklich ein echtslawisches? Für ein solches halte 
ich serb. bulg. sito, sieb, da es allgemein slawisch ist 
und sich dazu auch magyar. szita, lit. setas, lett. sits 
stellen (s. Diefenbach goth. wb. II, 205), und glaube daher, 
dafs site, geg. setß, draht- und haarsieb, mit recht da- 
von hergeleitet wird, da griech. ötj&eiv, sieben, ferner 
liegt. De Cihac bezieht zwar trotz dieser slawischen for- 
men rum. site mit Diez et. wb. I 3 , 396 auf lat. seta, aber 
gemein romanisch hat nur die ableitung setaceum (mlat.) 
die bedeutung „sieb a , und auch die gleichuug norm. (Guer- 
nesey) set, (Bayeux) 8 et, sieb = seta erregt mir deshalb 
bedenken; wie steht es hier mit der lautbarkeit des t? 
kann man, wenn auch nicht an fr. sas, etwa an ein ger- 
manisches wort (sieb — seihen — sichten) denken? 
Sit 08, geg. ses, ich siebe, läfst sich übrigens aus dem 
hauptwort site, sete nicht ohne Schwierigkeit erklären. 
Purteke, gerte, führe ich unbedenklich auf lat. pertica 
zurück, da, wovon wir noch reden werden, u nach la- 
bialen begünstigt wird und die ableitungssilbe -ic- den 
accent auf sich zu ziehen pflegt; in den nebenformen pru- 
t£ke* Bogdan und prutk R. sehe ich nur anlehnung an 
serb. prut, dass., ebenso wie in ätre'ze R., dachtraufe = 
stiricidium an serb. streha, dachvorsprung (s. lit. cen- 
tralbl. 1870 s. 1336). Zu babe Reinh., tante = serb. 
baba, alte vgl. friaul. babe, rum. babe, hebeamme, alte; 
zu dzabe Leake, Kaball. = serb. zaba, neugriech.£ dunct: 
friaul. save, span. sapo, welche alle kröte oder frosch 
bedeuten (vgl. altgr. ai'jyj, alb. sapi, geg. zapf, eidechse); 
zu pä'te, geg. päte, gans, patok*), gänserich = serb. 
patka, ente, patak, enterich : sp. pata, gans; zu rosse, 
ente (rossäk*), enterich) = serb. raca, magyar. rece, 

*) Ist die endung -äk, -<5k in rossäk, patdk slawisch? Sie scheint 
es in zwei anderen bezeichnnngen männlicher tbiere: matsdk = serb. 
macak, kater (vgl. rum. mütök, aber makedorum. matSoku), pörtSuk, 
bock (M. vergleicht serb. prcevina, bocksgestank). Doch sonst wird sie 
sehr häufig in einheimischen ableitungen verwandt, z. b. berat, malljök, 
bergbewohner (spitzname der Gegen, von mallj, berg), vjejärdk, die- 
bisch (von vjäd», ich stehle). 



S' 




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albanisches und romanisches. 



245 



ruca': ruin. race, friaul. ratze dass. Hierbei ist zu be- 
denken, dafs manches wort, welches das albanische mit 
den nordöstlichsten romanischen und den südslawischen 
mundarten theilt, dem altalbanischen selbst oder irgend 
einer ausgestorbenen spräche seiner nachbarschaft ange- 
hört haben mag. Kommt ngriech. flalri], rum. balte 
vom alb. balt, schlämm (Mi kl. wien. sitzungsber. LXIII, 
539), warum nicht auch das gleichbedeutende lomb. palta, 
dessen ableitung pantano sich freilich weit verbreitet? 
Vom serb. greben leitet M. (a. a. o. 8. 543) ngr. '/Qifi- 
navog her, wozu, wenn nicht alb. gremine, gremi, so 
doch friaul. venez. grebano gehört (fels, abhang); Diez 
etym. wb. II 3 , 37 bringt freilich letzteres mit it. greppo 
(auch im churw., und in franz. und deutschen alpenmund- 
arten) in Zusammenhang und dieses wiederum mit dem 
crap in mittelrom. und oberit. diall. *), dessen friaul. form 
clapp ihm als gute stütze für seine ableitung von ahd. 
klep hätte dienen können^und welches dem alb. krep R. 
(s. 57), abhang (vgl. skrep R. s. 297, dass.) entspricht. 
Das friaul. criure, kälte, steht dem alb. ngrij, geg. 
ngrlH., nkrij R., ich friere, näher als dem agriech. 
xqvoq**). Aus den verschiedenen quellen sind die oft 
sehr stark von einander abweichenden formen sorgfaltig 
zusammengestellt; doch vermisse ich nicht selten den be- 
leg gerade aus der nächstliegenden quelle (so wird z. b. 
unter cicada keine form aus Hahn und Rossi und unter 
gl an 8 aus Blanchus und Rossi lend§, aber nicht aus 
Hahn ljende angeführt). Sogar einiges wesentliche bleibt 
nachzutragen; zu cera : tsir R. , kerze; zu cerrus : 
tsarr R., buche; zu graffio, grampa, grappa: grep 
H., haken, griff R. = it. io graffio; zu rotolo : ru- 
kulöj H., ich rolle, it.-alb. rröljete Cam., Wurfscheiben 



*) Dafs im obw.-churw. crap und grjpp (freilich oberengad. crip- 
pel), stein und fels (adj. carpus und grippus) nebeneinander stehen, ist 
etwas auffallig. 

**) Möchte doch Miklosich auch den slawischen beisatz des friaulischen 
und den romanischen des slowenischen und serbischen in Kärnthen und 
Istrien abschätzen. 



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246 



Schuchanlt 



(vgl. churw. ruclar, it. rollare); zu stringere : stränge 
H., rum. strungö, pferch (slov. 8erb. struga, magyar. 
esztrenga, dass., aber von M., soviel ich sehe, weder 
unter den rum., noch unter den alb. fremdwörtern genannt, 
während er das mittelgr. öifjuvycti oder GTQovyai, fos- 
sae, stagna, vivaria — rum. strungö bedeutet auch „tisch- 
wehr u — auf alts). struga, nslov. struga, alveus aquae 
u. 8. w. bezieht); zu vampa (altit. vapa, rum. vepaie) : 
v&pe" H., hitze, von welchem unter der darauf folgenden 
nummer, vapor, gesagt wird, dals es mit diesem worte 
nicht zusammenzuhängen scheine; zu visitare vielleicht: 
vestöj (auch veätroj), ich betrachte. Die ital. bedeutung 
von per = pro ist im albanischen die vorherrschende; 
warum wird also dafür nur per denare = pro pecunia 
aus Hlanchus citirt? Ueberdies fällt per auch in seinem 
sonstigen gebrauche mit lat. und it. per vielfach zusam- 
men, z. b. per perendine! bei gott! per ketü pünö, 
wegen dieser sache. Noch inandie romanische beztige zur 
erläuterung von form und bedeutung waren wünschens- 
wert!), z. b. zu alsive = lixivia : engad. alschiva; zu 
it.-alb. dzipün Kada = giuppone : kalabr. jippune; zu 
geg. graste, unreife traube, von agrestis : friaul. greste, 
dass.; zu kaAendüer R., januar, von calendac : rum. ce- 
rindar, dass.; zu kövö, 6chöpfgefafs, von cavus : friaul. 
phavor, milchgeschirr oder grödn. coana, schöpfgelte. 
Zu dreikj = draco in der bedeutung „teufel", obwohl 
dieselbe christlich ist, mag doch neuprov. drac, teufel, 
koboid, dämon angeführt werden; denn hier gibt es nicht 
nur böse, sondern auch gute dracs und sind dies offen- 
bar heidnische remiuiscenzeu. Allerdings zeigt die form 
kolumbri It., turteltaube, dals geg. kumri (nicht kurmi, 
wie M. hat) H., lachtaube von lat. columba herkommt; 

o 

immerhin war türk. qumry, turteltaube, das also 

entlehnt sein mufs, zu vergleichen. Einige etymologien 
möchten wir, ohne aus dem romanischen herauszutreten, 
dnrch andere ersetzen; so it.-alb. äkul Kada, pfeil = ia- 
culum (anl. i ist auch in ieiunium abgefallen), nicht = 
aeüleus, wenn wir es nicht von einer einheimischen wur- 



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albanisches uud romanisches. 247 

zel ak ableiten wollen, wodurch sich auch äkul, eis (und 
kalt) als das stechende erklären würde; kü<)&re, ambofs 
= it. incüdine, nicht vom vb. cudore (dazu noch geg. 
ku«7 II. kuA R. aaincude); kuljete, beutel, hodensack 
von culeus = coleus, nicht it. collctta; pörtoj, geg. 
(nicht tosk., wie M. hat) purtöj, ich faulenze (wozu noch 
pritoj K.) ~ pigritor, nicht = pertaedet *); rrip 

(wozu noch geg. rrüp H.) eher = rupes (im sinn von 
it. dirupo), als = ripa; tüvle, thönerne wasserröhre 
stimmt zwar lautlich vollkommen mit geg. tülö, makedo- 
rum. bulg. tuvle, neugriech. Tovßlov, backstein = te- 
gula, ist aber des sinnes halber besser zu tubulus zu 
ziehen; uröj, ich wünsche glück, wie nun. ur (inf. urä; 
vgl. it. uria Vorbedeutung Diez etym. wb. P, 39) = au- 
guro, nicht = oro; vorfen R., waise = orphanus, 
nicht von verp = orbus (»gegen die Zusammenstellung 
von vorfen mit 6{)(fav6^ scheint der accent zu sprechen" 
M. — ?). Von it. sprone mag wohl spron R., sporn 
herrühren; aber die gewöhnlichere form spör Blancb., 
spor R. steht dem ahd. nom. sporo näher, der sich zwar 
im span. und portug. findet, aus ital. m und arten aber mir 
nicht erinnerlich ist. Fand diese form etwa von norden 
her eingang, wie stäp = serb. bulg. stap = ahd. stab? 
Ein it. wort chesa ist mir unbekannt; vielmehr ist das 
darauf bezogene it.-alb. kßze" Rada, weibliche kopftracht, 
als unübersetzbar iu ital. Übertragungen stehen geblieben 
(keza z. b. Camarda II, 1 16'. 1/9). Dieses keze" schliefst 
sich vielleicht an kösülje, haube, au, welches man auch 
im sizil. Wörterbuch als oajula, kopfschmuck der alban. 
frauen, wiederfindet und welches M. mit span. casulla 
und rum. ceciule verbiudet; zum rum. w. gehört noch 
geg. katsulj, federkrone der vögel, auch vergleiche man 
noch berat, katsilje, tragkörbchen, wegen der bedentung 

*) Merkwürdigerweise hat zu dieser etymolugic der so griccheulreund- 
lichc Camarda Veranlassung gegeben; or erkennt die Verwandtschaft von 
pe'rtc'stf', laulheit, mit pertaesus an (II, 145). Rf. stellt auch dieses 
substantiv voran, obwohl es von pCrtdj vermittelst der sehr gewöhnlichen 
endung est« (vgl. Camarda I, 163) abgeleitet ist. 



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248 Scbnchwdt 

mit Dßlov. koäulja, geflochtener bebälter für haselnüsse. 
Magjü'p R., Zigeuner ist nicht kurzweg = man cipium, 

sondern = mancipium setzen; es hat sich geg. jefk, 
Aegyptius ' & & j ' 

berat, jevjit = neugr. yvcp&og, alrgr. alyvnxioq einge- 
mischt. So heifst serb. madjupak und jedjupak Zigeu- 
ner. Eine reihe von romanischen ableitungen dürften ganz 
zu beseitigen sein. Bei den meisten derselben äufsert zwar 
M. selbst zweifei, aber doch z. b. nicht bei koftö, ge- 
schroteter weizen = coctum (statt = agr. xonTov), geg. 
pelame = palma (statt = agr. nce?.dfitj)^ Ii vor (so 
6mal; livorö lmal) R., schote, hülse, schale, baumrinde 
= liber (vgl. Ijivötsge, (levesge), vljesgB, geg. vel- 
jotske, schale von eiern, früchten, baumrinde), vatre, 
feuerheerd, auch im rumänischen und slawischen, = a tri um 

u. s. w. ; d§'nter, bräutigam = gen er, dem M. ein „zwei- 
felhaft" beisetzt, kommt unzweifelhaft nicht von gen er 
her. Die so entstandene lücke ist aber unschwer auszu- 
füllen. Von weiteren alban. worten, die mit mehr oder 
weniger Wahrscheinlichkeit auf lat. stamme zurückgehen, 
sind uns gegenwärtig: 

bult£i, backentasche = it. bolgia (von bulga, das 

allerdings als gallischen Ursprungs bezeichnet wird). 
^g r ^5 geg. eger, wild, roh, rauh = agrestis (und 
acer?); die ableitungen gehen vom stamme egrßs- 
aus z. b. egresoj, ich mache wild. 
#ekere H., i'/öken R., roggen = secale; vergl. it. 

segale und rum. secarg. 
fer geg. (ferr R.), bölle = infernum (von M. II, 78. 

86 beiläufig erwähnt), 
gjelj, tosk. truthahn, geg. bahn (vergl. auch geg. gul, 

hahn) = gallus (von M. II, 86 beiläufig erwähnt), 
gjer 8iz.-alb. Cam., suppe = iure, 
jennär, januar (Hahn gr. 8. 111) = ianuarius. 
jete, leben, jahrhundert, weit (bei R. = eta) = aetas. 
kerrüs, kurrüs, ich beuge, kerrüsem, zu Kavaja 
(geg.) kSrbüjem, ich 'beuge mich = curvo. 

kjünkj, kü'ngje, thönerne wasserröhre stimmt zwar 



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albanisches und romanisches. 



trefflich zu cuniculus, doch stammt es zunächst 
von dem gleichbedeutenden türk. küng. 
koke, köpf, hinterschädel = it. coccia, köpf, sard. 
conca, hirnschale, köpf (span. cogote, prov. co- 
got, hinterkopf), welche Diez etym. wb. I 3 , 130 von 
concha ableitet; doch hat sich gewifs auch coc- 
cum dabei betheiligt, kafkg, hirnschädel, gehäuse 
der Schnecken, muschelthierc und Schildkröten, wel- 
ches für *cauca steht, wie kafse für causa, wird 
von Camarda I, 54 zu agr. xavy.äXiov = ßavxa- 
liov gezogen; ich möchte es als eine nebenform 
von koke betrachten, wäre nur au = o sonst er- 
weislich. 

kukj, roth = *cocceus (vgl. kymr. coch u. s.w., dass.; 
churw. cotschen u. s. w., dass. = coccinus). 

kulumbri geg., schlehenbaum, schlehe, kümbule H., 
kninmul oder kummuA R., Pflaumenbaum, pflaume 
von columba, wie rum. porumb, porumbel, po- 
rumbrel, schlehenbusch, porumbe, porumbre, 
schiebe = palumbes, *palumbellus, *palum- 
bella*). 



*) Nach der färbe der tauben (rum. porumbiu, taubenfarbig) werden 
benannt: rum. porumb, maia (von dem es eine bläulieb -rötbliche abart 
gibt), it. palombina, art Weintraube, palumbina, Weichselkirsche, span. 
palomina, schwarzblaue weintraubenart (De Cihac Dict. d'e'tym. daco- 
rom. S. 213). Bei den alten wurden als taubenfarbig, columbinus, bezeichnet 
cicer, saxum, terra, und, was man zum vorhergehenden halte, vitis. Von 
der pflaume scheinen die Enneberger und Grödner den ausdruck für die 
blaue färbe entlehnt zu haben: bröin (fem. borna), brum, was weder zu 
braun, noch zu blau pafst (Schneller, die rom. volksmund. in Südtirol 
I, 225). Im kornischen Vokabular bei Zeuss Gr. Celt. 2 S. 1077 finden wir: 
plumbus, plumbren. Sollte etwa palumbes an der fortbildung von 
prunuszuprimm, prUmbla im churw. des Oberlandes und des Unter- 
engadins und zu prume, plume, pflaume u. s. w. in den germanischen 
mundarten bethoiligt sein? Der ausfall des tonlosen a zwischen p und 1 
(vgl. auch püum, plnm neben pSlümb R. und die mittelalterliche Schrei- 
bung plumbus, -es) hat zahlreiche analogien und findet sich gerade noch 
in einem anderen pflaumennamen, nämlich churw. ploga (unterengad. pa- 
luoga), kleine runde pflaume, von Carisch sogar deutsch mit paloge 
Ubersetzt. Ist dies dasselbe, wie alt- und mundartlich franz. bloce, blo- 
che neben beloce, belosse u. s. w., kleine wilde pflaumenart? Oder ist 
wiederum dies das engl, bullace, alt bulloes, schiebe? Pictet les Aryas 
I, 243 anm. 2 sagt: „ Notre mot belosse est d'originc celtique; cymr. 
bwlas, armor. bolos, irland. bulos, ers. buileas, qui signifient petite 



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250 Schuckardt 

kupetöj, ich verstehe, begreife, entdecke = comp uto; 

rum. cumpet, ich betrachte, erwäge, ermesse: 
kür (bei R. kurr), wann?, wann s=s qua hora (churw. 
cur u. 8. w.). 

ljüaj, geg. Iji'ij, ich spiele = ludo für Mjeduaj (die 
bedeutuug „ich tanze", wie beim rum. joc = iocor); 
der stamm scheint mir erhalten zu sein in Jjös H, 
it.-alb. Ijöze, loze Cam. (R. hat auch den inf. me 
lot), ich spiele. Am reinsten zeigt den stamm das 
hauptwort ljodre, spiel, das ich zwar nicht mit 
Camarda I, 162 als *loz-tra, aber auch nicht als 
inf. ludere zu erklären wage. Rossi gibt für „spiel 44 
noch loj und für „spielen" das von lödre abgelei- 
tete lodroj. 

mbolje geg., hoden = it. bolgia; vgl. oben bultsi. 
inöleze, der innere fleischige theil der fingerspitzen au- 

fser der des daumens, von mollis; vgl. fr. mollet, 

wade. 

muris (pl. muriza), schwarzdorn von marra; vgl. it. 
marruca, dornstrauch, zizyphus paliurus, rum. me- 
reciune, dornstrauch, weifsdorn (vielleicht auch lat. 
marrubium, andorn). 

murk, mürge geg., bodensatz des Öls (auch adj. : dun- 
kel, schwarz, grau) = amurca, it. morchia (aber 
z. b. mail. morca). Es wundert mich, das wort 
unter den alban. fremdwörtern (sowohl aus dem rom. 
als aus dem slaw.) fehlen zu sehen, da es M. unter 
den slaw. fremdwörtern mit kroat. murka, neugr. 
fiovQya zusammenstellt. Wegen der Übertragung 
auf die färbe vergleiche man die dort angeführten 
Wörter: serb. m urgast, coloris amurcarii, klcinruss. 
murga, coloris subnigri homo. 

palantze, wage = it. bilancia (aber z. b. mail. ba- 
lanza). 

boule*. In der that bedeuten alle diese keltischen ausdrücke „ schiebe " 
und was die Urbedeutung „kleine kugcl" anlangt, so kann man dazu ver- 
gleichen dos zu Arezzo gebräuchliche balocio, mit der schale gesottene 
castanie (baloci auch teatikeln), wofür in andern gegenden Toskana» bal- 
lotta, ballotto gesagt wird. 



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1 



albauiuchcs und romanisches. 



2'oi 



pljühur, geg. pljuhun, staub = pulvere. 

pulkjer, der innere weiche ballen des obern daumen- 
gliedes (vgl. oben moleze), nach Cam. auch daumen, 
= pollicaris; vgl. prov. polgar u. s. w., daumen. 

remoj, rutnöj, ich wühle = rimor, rum. rfm. 

rjep, ich ziehe aus, beraube = rapio, rum. r 6p esc. 

rrüaj, ich rasire = rado, rum. rad, für *rredüaj; 
resit R., ich radire, zeigt durch seiue endung sla- 
wische Vermittlung an. 

rud R., runzel, ist vielleicht = ruga; es hat wohl we- 
der mit agr. (wrig, noch mit fr. ride zu thun. 

samar, geg. so mar, tragsattel der saumthiere = sa- 
gmarius, altsl. bulg. serb. kroat. samar, Öech. sou- 
mar, rum. samar, makedorum. sumaru für sagma, 
während sagmarius sonst lastthier heilst: rum. 
segmariu, it. somaro, fr. so minier, magyar. sza- 
mar, kleinruss. somar. Unter den slaw. Fremdwör- 
tern und anderseits unter den slaw. dementen des 
rum. verzeichnet M. dieses wort, aber nicht unter 
den alban. fremdwörtern. 

sundurma geg., Schutzdach = subgrundium oder 
subgrunda (fr. severonde, altfr. souronde)? 
Das albanische ist der stärksten Versetzungen fähig:. 

sarke, eine art wollenrock = serica, mlat. sarica, 
sarca, sarga, rum. saricö, span. sarco, altsl. 
sraka, nslov. srajca aus sracica, kleinruss. so- 
rocka; in den romanischen sprachen wird meistens 
ein stoff, sarsche damit bezeichnet, so it. sergia, 
fr. serge (aber sarrau, sarcot, kittel = mlat. sa- 
ricotium). Der artikel bei Diez etym. wb. I 3 , 365 
ist zu vervollständigen. 

seä, geebneter ort, platz (seSöj, ich ebene) = sessus, 
rum. ses, eben, ebene. 

äötüne, geg. stüne H. (R. auch stund, stundje)*), 
Sonnabend = (dies) Saturui. 



*) Ueber nd = nn, n s. U. II, 82. Das jotirte d ist auffällig; doch 
darf nicht etwa an ein nachgesetztes dies gedacht werden. 



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252 



Schudiardt 



strdmS, ströme, bett, lager = strauieu, it. strame, 
fr. etrein (alt estrain). 

sulje, geg. Sulja, sonnenlage = solare oder Sola- 
rium. 

urrej = horreo, rum. uresc. 

vä, furt = vadum. 

vßljej, vljej Cain. = valeo. 

ve*rri, winterweide = *hi berninum. 

violi ä it. violino. 

vittöre, glück = victoria? 

(vje) H., tanne = abiete; vergl. churw. viez «= it. 
ab ezzo. 

Von fabula leitet Ascoli Stud. crit. II, 36 fjälje, 
wort, rede, ab; aber das j nach dem f läfst sich schlech- 
terdings nicht erklären. — Sollte nicht auch für jäve, 
woche, ein lat. Ursprung zu vermitteln sein? Mit aevum, 
ebenso wie mit goth. aivs, kann es nur urverwandt sein; 
an engad. evna, eivua (obwald. jamma, enina) klingt 
es nur an, dies ist aus hebdomas zusammengezogen. Da 
gj auch sonst zu j vereinfacht wird, dürften wir vielleicht 
an griech. (Saßßara pl., woche, denken, wenn für so späte 
zeiten die gleichung gj = s gälte, die z. b. in gjärpör, 
schlänge, gj ä s t e , sechs, gj i für * g j i n , busen (das nichts 
mit fr. giron, noch lat. gyrus gemein hat) gilt"). — 
Wenn ich einst an die identität von äupljäke, ohrfeige 
mit altfr. soufflace = soufflet (vergl. span. soplar) 
dachte (vok. d. vulgärl. 111,48), so scheint mir jetzt die 
form, splak R. die ursprünglichere und Verwandtschaft 
mit plaga annehmbar. — Ein anderer irrthum sei bei 
dieser gelegenheit berichtigt, nämlich der, dafs sich geg. 
skjetule, schulterblattknochen der schafe und ziegen, 
dann achsel, achselgrube, durch Vermischung aus scapula 
und spathula gebildet habe. Ebenso wenig aber befrie- 
digt mich M.'s vermuthung, dafs äke-, skje- aus spa- 
auf rein lautlichem wege hervorgegangen sei (II, 62. 83. 86). 

*) Ist auch gju'rmö, geg. gjurme , fufsspur = altgr. nQftr,, so kann 
wohl die ableitung des gleichbedeutenden it. orina, rum. ulmß (davon vb. 
urraii, ulmä) von oa/t*f aufgegeben werden. 



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albanisches und romanisches. 



253 



Ich erblicke vielmehr jetzt in sketule das scutula (pl.) 
des Celsus im sinne von Schulterblatt. Ausdrücke für 
„Schulter" und „schild" hangen auch in anderen sprachen 
zusammen, so in den germanischen und im kymrischen; 
hier ysgwydd, Schulter, ysgwyd, ysgwydd, schild, 
während bret. skoaz (körn, scodh, alt scuid) weiter 
von skoed abliegt. E = u darf nicht als hindernifs angese- 
hen werden; vgl. z.b. it.-alb. kreskem Rada, von crusca. 
Aus •sketule' (daneben sketule) wurde skjetulg, dar- 
aus sgjetule 1 Kaball., daraus sjetule, daraus setulS. 
Fast ganz ebenso haben wir für Scabies: skebe Ai£. re- 
TQotyX; skjebe, sgjebe, zjebe, dzjebe. Den entgegenge- 
setzten Vorgang könnte man vielleicht in skjüfur, skjiifur 
= sulp hur erblicken; aber in einem vermittelnden *sju- 
fur bleibt das eindringen des j vor u unbegreiflich. Die 
makedorum. form skllifure" zeigt uns, dafs 1 versetzt und 
dann die Verbindung sl durch ein dazwischen gesetztes k 
auf romanische, ursprünglich deutsche weise (Diez gramm. 
I 3 , 315) erweitert wurde; ganz ebenso it. schiavo (geg. 
skja, Bulgare) = deutsch, skia ve, mlat. sclavus (alb. 
skläf) = Slavus. 

Ferner begegnen wir im albanischen aulser den von 
M. beigebrachten noch einer menge von Wörtern, welche 
mit romanischen unlateinischer herkunft verwandt sind, 
obwohl die art der Verwandtschaft bei vielen durchaus 
dunkel ist. Es läfst sich indogermanische gemeinschaft, 
entlehnung des albanischen aus dem romanischen, entleh- 
nung des romanischen aus dem altalbanischen, entlehnung 
des albanischen und des romanischen aus einer dritten 
spräche annehmen. Wir verzeichnen folgende parallelen, 
berr, schaf — engad. veltlin. bar, comask. bara, ba- 

rinn, romagn. berr, piem. b6ro, lothr. ber, beura 

u. s. w.; vgl. Diez etym. wb. I 8 , 56. 
brazim Ijapp., reif — friaul. brose, venez. brosa, 

eimbr. brosama, reif (pruina). 
breskS, Schildkröte (davon geg. breäkezö, blattlaus, 

eigentlich kleine Schildkröte) — rum. broasce, fro6ch, 

kröte, Schildkröte, mlat. bruscus, frosch (Papias); 



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254 Schuchardt 

• 

es könnte sich dies zu trient. rosch, churw. rusc, 
ruosc, kröte, verhalten, wie it. brusco u. s. w. zu 
lat. ruscum, brtisch, oder prov. brusc zu rusca, 
rinde, ja mit letzterem worte identisch sein, da die 
kröte auch sonst als „rinde" bezeichnet wird (Diez 
et. wb. I 3 , 91. II, 59. 129). Doch ist auch das deut- 
sche frosch u. s. w. zu erwägen. 

bukljeze geg. H., dem. von bükule R., wiesei — 
norm, bacoulette, wiesei. Im albanischen wort 
aber liegt vielleicht bükure, schön, zu gründe, da 
dieses thier in vielen sprachen „schönthier" heifst. 

burre, mann, ehemann — mlat. baro, it. barone u.s.w., 
mann, ehemann; s. Diez etym. wb. 3 1,55. 

büsk Cam., blsk H., belaubter zweig, bieske R., ge- 
hölz — it. bosco u. s. w. 

duäk, reisig, belaubtes gezweig — dasa u. s. w. in 
oberit. mittelrom. süddeutschen mundarten, zweige von 
nadelholz (auch die nadeln oder die zapfen oder gar 
die bäume selbst); s. Schneller die rom. volksmund. 
in Südtir. I, 137. Man füge aus dem patois des 
schweizer Jura hinzu: de, dez, menues branches de 
sapin avec leurs feuilles und das ebenfalls der franz. 
Schweiz angehörige daille, pinus picea und pinus 
silvestris (Bridel). # ) 

gargara geg., das gurgeln — span. gargara, dass. 
(Diez etym. wb. 3 I, 201). 

g rindern, ich streite mich — friaul. grintä, sich er- 
zürnen von grinte zorn (grinta in derselben oder 
ähnlicher bedeutung auch mundartl.-ital.). 

läp geg., ich lecke wasser, fresse (wie hund und katze), 
Ijepij, geg. Ijöpl' ich lecke — friaul. lapa lecken, 
slapä, lecken, fressen, grödn. slappe, schlürfen, fr. 
laper; vgl. ky. Ucibio, bret. lapa, sklapa, engl, 
lap, lecken, deutsch schlappen, läppen u.s.w. 
Diefenbach goth. wb. II, 268 fg.). 

ljöpö, kuh, findet sich in roman. und deutsch, alpen- 

• — — ■ 

*) Letzteres gehört doch wohl zu nhd. dahle, dähle (pinas silvestris), 
über welches man Grafsiuann deutsche päanzenn. s. 212 vergleiche. Anm. d. red. 



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albanische» und romanisches. 



255 



mundarten wieder; s. Hehn kulturpflanzen und haus- 
siere s. 398. 

pitserö geg., klein — engad. pitschen, it. piccino 
u. s. w. dass. ; s. vok. d. vulgärl. II, 203. 

pljüar, pflugschar — mlat. plovum, plodium, oberit. 
mundarten piö u. 8. w., pflüg, pflugschar, im gerin. 
und slaw. heimisch; „der Zweifel, ob das wort sla- 
viseh, ist nicht beseitigt" M. Die fremdwörter in 
den slav. sprachen s. 118b. 

sklepur Cam., skiepun R., hinkend — mlat. clop- 
pus, altfr. clop, dass.; 8. Diez etym. wb. 3 II, 259fg. 

stenk, stenggre, schielend — it. stanco, link (von 
M. II, 38 beiläufig erwähnt). 

trevö, weg. Wenn die bedentung dieses Wortes, die 
Camardall, 107, besonders mit hinblick auf agr. tqI- 
ßog, nur konjizirt, sicher steht, so dürfen verglichen 
werden: altfr. triege, prov. trieu, obw.-churw. 
truig, truich, oberhalbst, trotg, engad. truoz, 
wälschtirol. troz, bormies, troci, poschiav. troeugg, 
bresc. tros plur. , vicent. trodi, trozzi plur., 
grödn. ampezz. troi, badiot. tru, friaulisch troj, 
deutschtir. troi, troje, truje, gotscheeisch troje, 
kärnthn. truje, auch fleims. troi, buchenst, teriol, 
weg, steg (Schneller die rom. volksmund. in Südtirol 
I, 208. 257). Diez etym. wb.* II, 445 leitet die bei- 
den erstgenannten Wörter aus tri vi um her, ich 
mochte sie von den zahlreichen alpinen formen nicht 
trennen; denn auch diese, wie Schneller thut, auf 
das lat. wort beziehen, geht nicht an. Vielleicht ist 
uns hier ein uraltes alpenwort erhalten. 

tsitse, weibliche brüst — it. zizza u. s. w., dass.; die 
form sise ist von M. I, 33 unter serb. sisa gestellt, 
Eine mittlere form ist Ueber das weitverbrei- 

tete wort s. Diefenbach goth. wb. II, 608 fg. 

vaj, klage, wehe — rum. vai, it. guai u. 8. w.; auch 
.gerrn., slaw., türk. u. s. w. 

zur geg., würfe), jagdhund, glück beim spiel — it. zara 
Würfelspiel, pasch. 



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256 



Schticharrtt 



Das verhältnifs des albanischen zum rumänischen be- 
darf noch einer besonderen gründlichen Untersuchung. Wir 
dürfen uns einer solchen von de Cihac versehen, der in 
seinem rum. etym. wb. (lat. elemente) fleifs und fähigkeit 
in bedeutendem mafse dargelegt und übrigens auch schon 
für eines der hefte von Böhmer' s „romanischen Studien u 
vergleichende Studien Über dakoromanisch und albanisch 
angekündigt bat. Ein und das andere albanische wort mag 
sich übrigens doch schon unter die lateinischen elemente 
seines Wörterbuchs eingestohlen haben. So kann ich mich 
nicht überzeugen, dafs purure = perpetuale ist; ich 
vermuthe vielmehr Zusammenhang mit geg. por, tosk. po, 
bestandig adv. , auch „gewifs" und „aber" wie unser „ im- 
merhin" rom. „tnttavia". 

Abgesehen von den aufgezeichneten Wörtern beider 
kategorien gibt Rossi noch viele andere aus dem italieni- 
schen entlehnte, die M. nicht aufgenommen hat, wie cotte 
= cotta, grinze = grinza, me toküe = toccare, 
tünik = tunica u. s. w. Betrachtet M. diese Wörter als 
nicht förmlich eingebürgert, manche darunter vielleicht vom 
padre auf eigene faust in's albanische hineingetragen? Ks 
mag sein. Freilich entnimmt er ihm andere, die auch aus 
den übrigen quellen nicht belegt werden, wie krem = 
crema, skoj = scoglio. Wir haben von einer weite- 
ren auslese romanischer elemente aus Rossi abstand ge- 
nommen. 

Das rom. verzeichnifs M.'s enthält viele Wörter, welche 
nur dem italo-albanischen angehören und welche zum theil 
schon in ihrer form den süditalienischen Ursprung verra- 
then (wie vokolö, kjantöj, kjatse = südit. voccola, 
chianto, chiazza = it. boccola, pianto, piazza). 
Dieselben hätten aus Camarda beträchtlich vermehrt wer- 
den können, z. b. bon n Ssinömen = kalabr. abonisina, 
in der that, furnonje = süd- und mittelit. fornisco 
für finisco, hjäur= sizil. ciäurn (zu Girgenti jhäuru), 
geruch. Dafs süsö, erheben (Camarda II, 192), falls es 
nicht in Albanien selbst vorkommt, mit neap. sosere, sich 
erheben, identisch ist (die formen alb. süsu, neap. suse, 



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albanisches und romanisches. 



257 



lat. s us um stimmen zwar nicht in den endungen, aber 
im stamm und in der bedeutong vollkommen überein), 
scheint mir sicher. 

Am schlufs hat M. die verschiedenen laut Veränderun- 
gen, welche zwischen den romanischen und den albani- 
schen wortformen liegen, übersichtlich geordnet. Im ein- 
zelnen ist wenig zu bemerken. S. 75 wird kjutete aus 
civitate vermittelst *kevetete, *k§vtete abgeleitet; 
aber wenn j nicht verdichtetes i ist, bleibt es schwer zu 
erklären ; lautet es doch in einem ganz ähnlichen falle nicht 
*kjüaj, sondern kuaj = c ab all i (zwischenform *kevaj). 
— Die bemerkungen über den Vorschlag von §n und 8 m 
s. 76 wären mit denen gleichen inhalts s. 82 zu verbinden 
gewesen; in neapol. a Nnapole findet keineswegs ein na- 
saler Vorschlag statt, wie in nee, mbe, sondern die durch 
Verdoppelung des Zeichens ausgedrückte dehnung des n 
wird durch das vorausgehende a veranlafst, während es 
z. b. heifst de Napole, da Napole. — S. 79 wird für 
rumän. sengtos, alb. äSntöSe* ein lat. # sanitatosus an- 
gesetzt; besser nimmt man *sanitosus an, das sich zu 
sanitas ähnlich verhält wie voluntarius zu voluntas. 
Man vergleiche obwald.-churw. bialtezia = * bei Ii ti tia 
und die Superlative neap. belledissemo (wofür jedoch 
Diez etym. wb. II 8 , 220 eine andere Verwendung hat), pa- 
duan. (wenigstens in lustspielen des 16. jahrh.) belendis- 
simo, bonetissimo, cattivitissirao, malettissimo. 
Engad. bandus = *bonitosus vermuthete ich lautwan- 
del im churw. 8. 29; ebendaselbst führte ich den römischen 
eigennamen Carito sa an, der, besonders bei Christen ge- 
bräuchlich, eher mit der Caritas, als mit der x<xQ*S zu 
thun haben mag. — In wiefern formen wie endotöj mscr.*) 
f. not6j = nato (schwimme), pende = penna, remb 
R. f. rremR. = remus aus einer Vorliebe für resonanten 
zu erklären sind (s. 82), vermag ich nicht abzusehen, da 



*) So sind die von Miklosich selbst einem Gegen abgefragten worter 
bezeichnet. 

Zeitachr. f. vergl. sprachf. XX. 4. — 17 



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258 Schuchardt 

in ihnen doch nicht der resonant, sondern die media der 
eindringling ist. 

An der spitze dieses abschnitt es aber hätten wir gern 
einige einleitende bemcrkungen gesehen. Wenn nämlich 
M. als den inhalt desselben die lautlehre der romanischen 
elemente bezeichnet, so drängt sich uns die frage auf, in 
welcher weise eine solche aus der allgemeinen albanischen 
lautlehre sich als ein besonderes abhebt. Allerdings pfle- 
gen einerseits fremdwörter überhaupt wegen ihrer einiger- 
mafsen rechtlosen Stellung willkürlicher behandelt zu wer- 
den und erfordern anderseits wegen der fremden laute und 
lautverbindungen eiue Vermehrung der für die einheimischen 
Wörter geltenden gesetze. Doch einen wirklich eigentüm- 
lichen charakter empfangt die Untersuchung der einer spräche 
von aufsen zugeführten bestandtheile erst dadurch, dafs 
bei ihr mit der eigentlichen aufgäbe, die sich innerhalb 
der grenzen der betreffenden spräche hält, eine andere un- 
zertrennlich verknüpft ist, welche jenseits dieser grenzen 
liegt. Denn vor allem kommt es ja darauf an, der gestalt 
(ebenso wie der bedeutung) nachzuforschen, nicht welche 
ein fremdes wort irgendwann und irgendwo, sondern welche 
es gerade bei seinem eintritt in den neuen kreis besessen 
hat. Die Schwierigkeiten, mit welchen eine solche wähl 
nicht nur zwischen älteren und jüngeren, sondern auch 
zwischen gleichzeitigen, mundartlich verschiedenen, nicht 
nur zwischen wirklich nachweisbaren, sondern auch zwi- 
schen hypothetischen wortformen zu kämpfen hat, sind 
weit bedeutender noch für die ältere masse der albani- 
schen entlehnungen aus dem romanischen, als für die jün- 
gere, da die entwicklung des lateins während des ersten 
Jahrtausends unserer Zeitrechnung uns nur in verhältnifs- 
mäfsig rohen umrissen vorliegt. Hat daher ein wort (die 
lateinische Schriftsprache als ausgangspunkt genommen) bis 
zu seiner heutigen albanischen form einen längeren weg 
durchlaufen, so werden wir meistens nur annähernd be- 
rechnen können, wie viel dieses weges auf romanisches, wie 
viel auf albanisches gebiet fallt. Denn indem wir es un- 
ternehmen, die m einzelnen Veränderungen theils auf romani- 



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albanisches und romanisches. 259 

sehe, theils auf albanische lautgesetze zurückzuführen, sto- 
fsen wir auf eiue ganze reihe zweifelhafter falle. Manche 
Wandlungen sind im albanischen ebenso ursprünglich wie 
im romanischen und doch können wir, wo ein wort roma- 
nischen Ursprungs eine solche Wandlung durchgemacht bat, 
uns nicht immer für die albanische provenienz entscheiden. 
In pljep = pöpulus ist 1 versetzt worden; die meta- 
thesis des 1 begünstigen sowohl die romanischen sprachen 
(Diez gramm. I 3 , 205), als das albanische (Hahn gramen, 
s. 14). Obwohl wir also diesen Vorgang aus dem albani- 
schen zu erklären vermögen, müssen wir ihn doch vor 
der aufnähme des worts in das albanische ansetzen, da die 
Übereinstimmung der am weitesten von einander entfernten 
romanischen mundarten (das rumänische inbegriffen) ergibt, 
dafs in der lateinischen Volkssprache schon sehr früh ein 
*plopus oder *ploppus existirt hat — Mit recht macht 
M. 8. 83 auf das öftere zusammentreffen des albanischen 
mit den süditalienischen dialekten aufmerksam; ein solches 
zeigt sich besonders in den angleichungen mm = mb, 
nn = nd und in dem Vorschlag von Sn und em. Aber 
nur bei letzterem, an welchem sich indessen ebensowohl 
altalbanische, als romanische Wörter betheiligen, ist ein 
äufserer Zusammenhang denkbar, besonders da diesen Vor- 
schlag auch das rumäuische im vollsten mafse zur anwen- 
dung bringt (dem rum. insorä entspricht merkwürdig 
neap. 'nzorä = mlat. uxorare). Während jedoch in an- 
deren punkten das rumänische, aber nicht das albanische, 
mit dem süditalienischen übereinstimmt (vergl. chi = pi 
vor vokal im makedor.), so wiederum in anderen punkten 
das albanische, aber nicht das rumänische, mit einem theil 
der oberitalienischen und mittelromanischen mundarten und 
dem westromanischen. Z. b. in der behandlung des c (und g) 
vor konsonanten, besonders vor t; frujt Blanch., früit 
Guagl. = fruetus scheint von fr. fruit, drejtß, dr^itö 
von fr. droit, geg. Seit, tosk. seint = sanetus von 
oberengad. sench kaum zu trennen. Die beiden beispiele, 
die M. s. 86 aus dem bereiche des echtalbanischen für j t = 
et anfuhrt, sind tete, *otetg durch *ojtete aus # oktetg 

17* 



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■J60 



Schuchanlt 



und <5ejte — *<?ekte (<Jet und öeit hat Rossi, Hahn 
nur Jjetc; -te in allen diesen formen bei M. ist in -te 
zu verbessern). Wo dieser Umschlag des c und g zu j 
in der flexion eintritt (bei Bogdan), wie in lijne acc. 8g. 
von Hgje (ljigje H.) = lege, oder pajse gen. sg. von 
pakje = pace, verliert er trotz fr. loi und paix schon 
mehr von seinem romanischen anschein, noch dazu da ihm 
ja ebensowohl albanische worter unterliegen. — Romanisch 
ist lb, rb = lv, rv, welches wie im rumänischen, so auch 
im italienischen, besonders in älterem und mundartlichem 
beliebt ist; romanisch die behandlung der ableitungssilbe 
-Je-, die gewöhnlich zu -Sc-, -c- wird; wo aber der ur- 
sprüngliche vokal bleibt, den ton erhält (wie in panikR., 
rum. p&rinc = panicum). 

Ich schliefse noch einige parallelen an, die M. über- 
sehen hat, indem ich bei dieser gelegenheit auch einiges 
zur romanischen lautlehre nachtrage. — Die Versetzung 
des r ist als solche eine erscheinung, auf die kein zu gro- 
fses gewicht zu legen ist. Allein in manchen romanischen 
mund arten finden wir sie an eine ganz bestimmte formel 
gebunden : Kons. + r + vok. -f- kons, in betonter silbe 
wird kons. -4- vok. -h r -H kons, in unbetonter. So im ob- 
waldischen Graubündtens ; z. b.: 
crer = credere; pz. cartieu. 

crescher = crescere; pz. carschieu (engad. cre- 
schü, -ieu). 

prau = pratum; par der (engad. prader) = *pra- 
tarius. 

prender = prehendere; parnein = prehen- 
dimus. 

trer =s trahere; davon targliün (engad. tragliun), 

schleifschlitten. 
trüsche 2.8g. imper. von turschär (engad. truschar, 

-er), rühren. 
So in der mundart von Parma, z. b.: 
crepa 3. 6g. praes. von cherpar (it. crepare). 
fredd; davon ferdör (vgl. it. freddura). 
trema 3. sg. praes. von termar (it. tremare). 



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albanisches und romanisches. 



2G1 



Und ebenso in anderen mundarten dieses nordapenni- 
nischen Striches, wie denen von Pavia, Piacenza, Reggio, 
Bologna *). Wir erinnern hierbei an den Zeitgenossen des 
Cicero, den T. Tinea aus Piacenza, welcher precula für 
pergula sprach, also doch in einem gewissen einklang mit 
dem heutigen Sprachgebrauch (vok. d. vulgl. I, 90). Im 
albanischen, und besonders im gegischen, glaube ich spu- 
ren dieses gesetzes zu entdecken, so: 

dertöj, besorgen, von d reite = directus. 

geg. förgöj = frigo. 

ferk6j = frico. 

GSrgür neben Gregür R. = Gregorius. 

sizil.-alb. kurtsete Cam. = it. crocetta. 

geg. sterngöj = tosk. ätrengoj (doch hat R. auch 
das letztere) = stringo. 

kalabr.-alb. termölje Cam. = it. tramoggia. 

terfürk R. = trifurcus. 

turjele neben trujele* = it. trivello, -a. 

Vgl. geg. trume = tosk. türme = turma (in der 
weise des eben angeführten precula). 

Den assimilirenden einflufs labialer konsonanten auf 
folgende vokale habe ich in meiner abhandlung „Über einige 
falle bedingten lautwandels im churwälschen 1870" s.27 — 30 
im mittelromanischen und einigen oberital. mundarten 
nachzuweisen versucht. Aus dem gebiete des churwälschen 
würde noch nachzutragen sein: obwald. mo neben ma 
(magis), mustriar, mustergiar neben meistergiar 
(meistern); obereng. amüsted, müsted, untereng. mü- 
stad, liebschaft, Verlobung (*amicitate, it. amistä?). 
Altdoml. müglier steht sicher, da die quelle, aus der es 
entnommen, auch mügliurar bietet. Im folgenden bringe 
ich für die genannte erscheinung aus dem romanischen 



*) Im buchensteinischen (Tirol) lautet von perie (precari), sferie 
(exfricare) das praea. mi pre'je, mi sfrdje, das imperf. mi perjave, 
mi sferjave. Mussafia, welcher in einer anzeige von Schneller'» buch 
(zeitachr. f. d. österr. gymn. 1870. IV. heft s. 292) die beiden letzten for- 
men durch *p 6 rjave *af*rjave, *priave *sfriave, *prijave *sfri- 
jave mit precabar, exfricabam vermittelt, wird wohl jetzt auf diese 
erkl&rung verzichtet haben. 



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262 



Sehucbardt 



und angrenzenden spracbkreisen weitere belege bei. Zuvor 
will ich jedoch auf eine andere, meines wissens noch nicht 
erkannte aufmerksam machen, welche jene in ein helleres 
licht setzt. Der Wahlverwandtschaft eines konsonanten zu 
einem vokale, oder, in's praktische tibersetzt, der neigung 
eines konsonanten, einen bestimmten vokal unmittelbar neben 
sich (vor oder nach sich) zu haben, kann auf doppelte weise 
genfige gethan werden; entweder ersetzt der dem konsonanten 
kongeniale vokal den ursprünglichen oder er schiebt ihn nur 
bei seite, drängt sich zwischen ihn und den konsonanten. 
Diese parasitie können wir als Vorstufe zur assimilation 
betrachten. Rückwärts wirkt die Wahlverwandtschaft des 
1 zu u, o 1) in obwald.-churw. cauld, 2) in comask. cold 
= caldu8 oder, da hier o aus au zusammengezogen sein 
könnte, in it. cembolo =±= cembalo (cyrabalum); vor- 
wärts wirkt die Wahlverwandtschaft des fr. ch zu i 1) in 
altfr. chier, 2) in wallon. chir = neufr. eher. Ganz 
dasselbe gilt für den durch einen vokal ausgeübten einflufs, 
z. b. für den regressiven 1) in fr. cuisine = eucina, 
2) in it. filiggi ne = fuliggine (fnligine); den progres- 
siven 1) in altfr. aidier, 2) in wallon. a i d i = neufr. aider. 
Ganz entsprechender mafsen lieben nun eine reihe von ro- 
manischen mundarten den Übergang von einem labialen zu 
einem ihm heterogenen (betonten oder unbetonten) vokale, 
besonders zu ä oder e, durch u oder o zu vermitteln*). 
So heifst es im genuesischen boaeo (it. baglio, sebiffsquer- 
balken), foae (fata, fee), moa? (matre), poae (patre), 
poaero (pareo; aber pa = paret), auch poiscio (pi- 
sum; demin. poiscetti, nudelgraupen). Im Süden Frank- 
reichs scheinen sich nur ganz vereinzelte spuren dieser er- 
scheinung, wie altprov. muentre neben mentre, nach- 
weisen zu lassen. Das auvergnatische aber, speciell das 
niederauvergnatische, bildet auch in dieser hinsieht schon 
eine halb nordfranzösische mundart: fouere, jamoue, 
moeizounette, mouenajj, mouere, mouaitre, pou- 



*) Weit seltener vermittelt u oder o den Ubergang zu einem labialen, 
z. b. neapol. posteoma = it. postema (zweite stufe; fr. apostume). 



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albanisches uud romanisches. 



ere für franz. faire, jainais, maisonette, inenage, 
mere, inaitre, pere. Die fonnel: Lab. -f- ou -+- e = 
lab. -f- e herrscht nämlich in ganz Nordfrankreich allge- 
mein; wenn die belege derselben trotz ihrer menge mifs- 
verstanden worden sind, so rührt dies zum theii daher, 
dafs bei weitem in den meisten fallen der parasitische vokal 
vor dem e eintritt, welches seinem Ursprung gemäfs ai ge- 
schrieben wird, und dafs anderseits in den mundarten oue 
gewöhnlich durch oi ausgedrückt wird, welches diese geltung 
in der Schriftsprache, aufser in der Verbindung oin, schon 
seit geraumer zeit verloren hat. Der lautprozefs, der in 
moueson = meson völlig klar am tage liegt, wird durch die 
Schreibung moison = raaison bis zur Unkenntlichkeit 
verdunkelt (vgl. z. b. Diez gram m. I 3 , 128). Weitere bei- 
spiele von oi = ai aus dem burgundischen, pikardischen 
u. 8. w. sind: boissai, foit, jamois, nioigre, mointe, 
mois, moitre, poiu, poix, poyis, levoin, mauvois 
= fr. baisser u. s. w. (statt oi schreibt man auch oue, 
oue, oe, oe, wodurch allerdings die ausspräche des c 
näher bestimmt wird); oi =s &, ei, i z. b. in: moime, 
foindre, foin*). In wesentlich derselben weise bringt 
diesen zug das lothringische in den mundarten von Metz 
(fouaye, mouetange = franz. fee, meteil) und von 
Nancy (aimouer, foueive = franz. aiiner, feve) zur 
anwendung, hat ihn aber in der von Steinthal (Ban de la 
Roche) beträchtlich modifizirt. Hier ist oua = a die 
hauptformel; so bouaie, debouätche, fouädchi, foäre, 
mouadi, moua'bon, mouäraine, mouardchande, 
Mouarguite, mouaronde, mouatee, Mouati-n, 
pouacbi, pouachii, pouaebonne, pouale, poua- 
rain, pouarme, pouarotaidge, pouat, vouache, 
vouaü, marvouaie = fr. bäiller, debauche, fache, 
ferrer (zu Luneville farre), mardi, maison (Lun. 
ma'hon), marraine, marchander, Marguerite, ma- 



*) Aehnlich in englischen mundarten, z. b. der von Banffshire (in Mit- 
telschottland), die an das galische grenzt, z. b. foine = fine, moind = 
mind. Ebendaselbst sind beispiele der vollen assimilation fupp = whip, 
f«8sel = whißtle. 



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264 Schucharcit 



rande (lothr., = it. merenda), marteau, Martin, par 
ici, percer, personne (Lun. padhonne), parier, 
parrain, parmi, parentage, part, verd (Lun. va- 
che), veiller (Lun. vali), merveille (Lun. marväle). 
Für ou finde ich u in muarque = fr. marquer (ebenso 
in einigen unten anzuführenden formen no = ouo). Ver- 
gebens aber suchen wir nach oue = e, wenn wir einige 
deutsche Wörter, wie voue-ndel (wanze), vouermeute 
(wermuth), vouere = fr. guere, r'voli-n = fr. re- 
gain (vgl. norm, vouin, altfr. vuin Diez et. wb. I 3 , 227) 
ausnehmen, bei denen die Verschiedenheit des deutschen 
w vom romanischen v in betracht zu ziehen ist. Dafür 
entspricht französischem e und ei der diphthong ouo in: 
mouonner (Lun. mouene, moigne, altburg. moiner) 
= fr. mener, pouonne (Lun. und altfr. poine) = 
fr. peine, vouone = fr. veine, vouore (altfr. voirre, 
speciell im alten metzisch: woire; aber Lun. väre) = 
fr. verre. Wir dürfen diese formen nur in Zusammenhang 
mit folgenden anderen, in welchen ouo das fr. oi, alt ei 
ausdrückt, untersuchen: avouonne, bouöre, fouon, 
mouons, mouos, pouö = fr. avoine, boire (Lun. 
boere), foin (so auch Lun.), moins (so auch Lun.), mois 
(Lun. m oue), poil. Es handelt sich nun darum, wo wir 
dieses ouo in die fr. oi-reihe (oua, oue, 6i, ei = lat. 
6, i) einfügen. Ouo klingt so stark an oua an, dafs 
man auf den ersten blick sich versucht fühlen könnte, es 
aus diesem herzuleiten. Dagegen ist einzuwenden, dafs a im 
steinthalischen zwar in ae, aber nicht in o überzugeben 
pflegt (auch eine assimilirende wirkung des ou auf das a 
läfst sich nicht annehmen, da sich neben oua = a kein 
ouo vorfindet), und vor allem, dafs die nordfranzösischen 
mundarten auf der zweitjüngsten stufe oue oder oue ste- 
hen geblieben sind. Daher müssen wir das steinthal. mouos 
zunächst auf das lunevill. moue beziehen; hier allerdings 
hat ou sich das folgende e angeglichen. Wollten wir aber 
nun dieses oue als identisch mit dem oue = oi der äl- 
teren Schriftsprache auffassen, so hätten wir es nach al- 
len konsonanten nachzuweisen; doch diesem ouo, oue 



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albanisches und romanisches. 265 

nach labialen steht steinthal. ae (ay oder ai vor vokalen; 
auch a, besonders ioi auslaut) = ei, lunevill. o (oy vor 
vokalen) = 6i nach nichtlabialen gegenüber, z. b. naere, 
nöre = fr. uoir, taöt, tot = fr. toit, traedhe, trö = 
fr. trois, däie, doye = fr. doigt, rä, roye = fr. roi, 
sä, sör aas fr. soir*). Auch ist es nicht denkbar, dafs 
oue anfänglich allgemein gegolten habe, später auf die 
Verbindung mit einem labialen beschränkt worden sei. 
Wahrscheinlicher als die Vereinfachung von oue zu e un- 
ter negativem einflufs ist zwar der Vorschlag von ou vor 
e = ei unter positivem einflufs; mouos = moue = me 
= ineis würde einerseits mit pouone = pouene s= 
pene = peine, anderseits mit solchen formen, wie sain- 
tong. moue für me, fr. moi neben t6, fr. toi, überein- 
stimmen. Allein warum sollte ou dem aus ei entstande- 
nen e vorgetreten sein, da es vor keinem anderen e er- 
scheint, weder vor e, noch vor e, noch vor ai, noch vor 
ae**), selbst nicht wo a zu gründe liegt (z. b. steinthal. 

*) Ausnahmen würden sein steinthal. va;re = fr. voir, wenn nicht 
das stammhafte e (altfr. veeir) die einwirkung des labialen hinderte (aber 
luneV. voe"r, nicht vor), und lune'v. e"toele (steinthal. cht tele) = fr. 
dtoile, weuu dies eine volksthttmliche form ist. Die Verdichtung des oi 
zu 6 (Diez gr. I 3 , 128. 482) ist sonst im Rouchi beliebt, z. b. fö = fr. 
fois, fr6 = fr. froid; ebenso im burgundischen. Zwischen luneV. c han- 
döle, steinthal. dchundöle und fr. chandelle vermittelt chandoille; 
ebenso erklären wir lune'v. noge (steinth. nadge), steinth. soze, troze 
s fr. neige, seize, treize durch Weiterentwicklung von e*i zu <5i. Doch 
darf nicht Ubersehen werden, dafs sehr häufig o unmittelbar aus e neben 
labialen oder 1 entspringen konnte, z. b. steinthal. couairome = lune'v. 
cair<5mo, fr. carcme. 

**) Ebensowenig vor e-n (d. i. e, während en = a). Nur eine aus- 
nähme ist mir vorgekommen, nämlich de'mouondch e = *de'moue-ndche 
(z. b. Rouchi diminche) = dominica (als personenname Mouodcho 
= fr. Dimanche). Ouo kann, wio wir oben zeigten, nicht aus oua enU 
standen sein; und auch in ouon = oue-n hat nicht etwa assimilation des 
e an das ou stattgefunden. Vielmehr ist 5 für 8 die regelmäfsige form, 
mag es aus lat. en oder in entstanden und im franz. an oder en geschrieben 
sein (m = n), z. b. condre, dons, dont, longue, possd (für pönal) = 
fr. cendre, dans, dent, langue, p enser=: cinere, deintus, dente, 
lingua, pensare. So auch in anderen mundarten, z. b. oberels. vontre 
(steinth. vonte) = ventre, poitev. tomps (steinth. ebenso) = tempus. 
In den meisten aber (und auch im steinthalischen in einer reihe von fäl- 
len) wird e gewahrt, zuweilen sogar I (z. b. steinth. si-ngle = fr. sangle 
= cingulum); seltner tritt in Übereinstimmung mit der fr. Schriftsprache 
ä ein. Lat. an geht im steinthalischen nicht in 6 Uber (aber z. b. poitev. 
grond, song), sondern bleibt oder verwandelt sich (wie auch im bürg. u. 



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2G6 



Schuchnrdt 



medchant, pedu, pere — betiä, maite, paiche — 
maele, maerdcha, pae), und da gerade vor ai in den 
übrigen mundarten der Vorschlag von ou angewandt wird? 
Ueberdics läfst sieh lunev. moue zwar mit steinth. trasche 
unmittelbar, aber mit trö derselben mundart nur verein- 
baren, wenn wir zwei stufen weiter zurückgehen: meis, 
moueis, moue — treis, tröis, trö. Entspringt aber 
nun einmal moue nicht aus m£, ist es dann nicht einfa- 
cher die allgemeine entwicklung meis, mois, mou£ auch 
hier festzuhalten? Es bleibt zu begründen, warum im Iü- 
ne villeschen mois zu moue, tröis zu trö wurde. Der 
aufwärts gebrochene diphthong fand im allgemeinen keinen 
eingang, sondern nur nach labialen, weil an einen solchen 
das tonlose ou sich eng anschliefst und eine brücke zwi- 
schen ihm und dem e bildet; man bedenke, dafs demjeni- 
gen, der die ausspräche des fr. oi erlernt, moi weit leich- 
ter zu sprechen wird als toi, und man erinnere sich man- 
cher romanischen accentversetzung, wie sp. diös für dios. 
Im steinthalischen dagegen bethätigte sich die Verschie- 
denheit der konsonantischen bedingung auf eine andere 
weise und auf einer anderen stufe, nämlich auf der stufe 
ci. Nur nach labialen schritt ei zu öi vor (ist etwa auch 
das oi der herrschenden mundart ursprünglich ein beding- 
tes gewesen, und sein gebrauch erst allmählich ein allge- 
meiner geworden?), sonst nicht; treis bleibt (später ver- 
dichtet sich ei zu 33), meis wird mois, dann moue, 
mouos. Dort also wird nur das tonverhältnifs , hier die 
qualität selbst des vokals abgeändert. Aber bemerkens- 
werth ist es, dafs hier in dem einen fall, dem labialen, 
um es kurz auszudrucken, jede der beiden formen zur an- 
wendung kommen kann, durch welche sich dort die bei- 
den falle unterscheiden. Dem lunev. oue — ö = oi ent- 
spricht steinthal. ouo — ou = oi; dem lunev. ö nach 
nichtlabialen also ein steinthal. ou nach labialen. Diesen 



a. diall.) in ain, z. b. dchamp=campus, aindge = angclus. Die- 
sen unterschied zwischen lat. en, in und an habe ich vok. d. vulgl. 11,244 
anm., von Obcrlin verfuhrt, aufser acht gelassen. 



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albanisches und romanisches. 267 

zusammengezogenen laut finden wir in: avou oder aou, 
doou, fou, foure, mouteie, poudhon, pourre = fr. 
avoir, devoir, fois, foire, moitie, poisson, poire 
(lunev. avoi, foue, fouere, poere)*). — Wir werden 



*) Man könnte, auf diese auch im steinthalischen vorkommende Ver- 
dichtung von di gestutzt, vermuthen, roouos sei aus ♦mos = mois ent- 
standen. Aber die einschaltung eines hillfsvokals ou zwischen einen labia- 
len und o, welches selbst oft das gleiche amt versieht, ist nicht annehm- 
bar. Die steinth. formen mouoni-n, s'mouonnou = fr. monin, se- 
in on neu r, die auf einer solchen zu beruhen scheinen, sind anders zu er- 
klären. Abgesehen von den besprochenen fallen nämlich begegnen wir in 
dieser mundart dem diphthongen ouo noch sehr häufig, immer aber als' 
Stellvertreter von älterem oue. Zunächst in einer grofsen anzabl von Wör- 
tern, in denen oue aus einem ursprünglichen und aus einem parasitischen 
vokal besteht; nur ist dieser nicht, wie in oi = ai , oua = a, der er- 
stere von beiden, sondern der letztere. Vor r bildet sich nach o oder ou 
ein e oder a (wie im hebräischen vor gutturalen ein patach furtivum), wel- 
ches dann den ton auf sich zieht. Daher wallon. o i für o vor zusammen- 
gesetztem r (Diez gramro. I 3 , 197) und ähnlich in anderen mundarten (im 
steinthalischen selbst hoernat = hornifs). So entspricht nun steinth. 
fouö dem wallon. pikard. foirt = fr. fo rt, couöne dem wallon. coinn = 
fr. coroe, woraus wir ersehen, dafs die existenz des parasitischen vokals 
in diesem falle ebensowenig wie in anderen (vgl. it. piano = *pliano 
= piano) an das fortbestehen des stutzenden consonanten gebunden ist. 
Ja, im steinthalischen ist r öfter geschwunden und abgeändert, als gewahrt. 
Dieses ouo kommt nun selbstverständlicher weise nicht nur nach labialen, 
wie in: bouöne, fouoc'h, fouoche, fouauche, mouoc'hde, raou- 
ode, pouo == fr. borgne, four, force, fourche, morceau, mor- 
dre, porc, sondern auch nach anderen consonanten, besonders nach c, vor, 
wie in: couoc'he, couöde, couonai'e, couoraidge, couorbde, cou- 
orbele, couorre, ec'hcuoche, reeuode, gouodge, tuonc (wegen 
u = ou s. oben) = fr. court (adj.), corde, Corneille, courage, 
corbeau, corbeille, courir, dcorce, aecorder, gorge, tourner 
[in couaidchi, couairome = fr. cacher, careme ist cou = lat. qu; 
ec'hcueume ist wohl in ec'hqueume zu verbessern, wie es pikard. 
dqueumc = fr. deurae heifst]. Für ouo steht oua in pouarperelle 
neben pourperelle (wie oua fUr ouo = oud = di in moua, welches 
dem fr. amas nur in der bedeutung, lautlich aber dem altfr. pikard. moie, 
auf Guernesey moude = meta entspricht); doch kann, wegen der form 
parperelle neben porperelle ( deutsch -elsäfs. paipeln), auch ou als 
der eingedrungene vokal angesehen werden. Nothwendig ist übrigens diese 
diphthongirung vor r nicht (z. b. empoutc = fr. empörter). Dafs 
ouo sowohl für lat. o als u eintritt, kann nicht befremden; aus de, od 
wurde oud, wie beim fr. oi. Aber dieses ouo, oud, oua bleibt nicht 
überall auf die Stellung vor r beschränkt; so heifst es im normanni- 
schen von Guernesey nicht nur bouaine, fouar, fouarmion =s fr. 
borgne, four, fourmi und fouaret, souaris = fr. foret, souris 
(also vor einfachem r, wie steinth. couoraidge = fr. courage), sondern 
auch ch sieht gern oua vorsieh, z. b. couachier, douach'ment, mou- 
achd = fr. coucher, doucement, monceau, ebenso mouillirtes 1, z. b. 
bouaillie, fou&ille (farrenkraut), mouailler = fr. bouillie, fcuille, 
mou iiier (doch ist hier vielleicht i doppelt vor und nach dem 11 vertre- 



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268 



Schuchanll 



diese erklär ungs weise auch auf die zuerst angeführten wort- 
formen, in welchen ouo für fr. ei, e sich findet, ausdeh- 
nen, um so mehr, da in ihnen oi aus früher zeit belegt 
ist. Mundartl.-altfr. poine, voine für peine, veine 
möchten wir von neufr. avoine, foin für aveine, fein 
nicht trennen, bei denen doch sicher der labial die ab- 
weichung von der regel, dafs vor n ei bleibt, veranlafst 
hat. Ebenso sind wohl moine = minor, drohe, voirre 
= vitrum mit boire, foi, moins, poil, poire, poi- 
vre, voie, vois == bibere, fides, minus, pilus, 
pirus, piper, via, Video zusammenzustellen: in diesen ist 
nämlich das vorausgehen des labials keineswegs bedeutungs- 
los und man hat unrecht gethan, damit formen wie doigt, 
froie (alt), Loire, noir, deploie, roide = digitus, 
frico, Ligere, nigro, plico, rigidus, in denen oi = 
Tc oder ig ist, zusammenzuwerfen (soif, alt soi = sitis 
und quoi = quid gehören zu jenen erweiterten einsilb- 
lern, von denen Diez gramm. I 8 , 200 spricht). Fois = 
vice, poix = pice (doch vgl. empoisser, empeser) 
lassen beide deutungen zu. Man vergleiche noch armoise 
= artemisia, und cervoise = cervisia, wenn, wie 
8p. pr. cerveza es vermuthen läfst, i kurz ist; geht aber 
in diesem worte oi auf I zurück, 60 haben wir dafür in 
loir = gllre, pois = plsum analogien. Auch dafs c 
(und e = i) mit attrahirtem i in eglise = ecclesia, 
prison = prehensione zu i, aber in moison =» 
mensione, moisson = messione, poisson = *P>- 
scione (fragm. v. Val. pescion) zu oi wird, verdient 



ten), seltener unter anderen bedingungen, wie rou&nalr = altfr. runer, 
raunen u. s. w. Vielleicht bat ouo, uo eine solche weitere bedeutung, die 
an die des churw. uo = o und u erinnert und in der es fast als eine Ver- 
jüngung des altromanischen uo erscheint, in den steinthal. formen buotehe, 
mouoc'he = fr. bouche, mouche, ferner buöbe, bouocha = bube, 
buche, endlich den oben genannten mouoni n, s'mouonnou. Für 
oue = uo steht steinthalisch ouo in bouon = pikard. boen, guernes. 
bouan, altfr. boin, boen = altfr. buon, für oue = o, u -f- i in buös, 
poub, pouon, pouote = fr. bois, point, poing, pointe, doch 
boc'htyi = fr. boiteux; daneben enochi, neuc'he, ou'heu, raiseu 
a= fr. connoitre, noix, oiseau, rasoir, doch coigna = fr. coin, 
so dafs, wenn auch der lippenlaut nicht die bedingung des diphthongen ist, 
er ihn doch offenbar begünstigt (vgl. oben lunev. moud neben trö). 



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albanisches und romanisches. 



erwägung. Alle die zuletzt erläuterten mannigfachen for- 
men im lothringischen und französischen belegen also nicht 
diejenige erscheinung, die wir zunächst in ihnen suchten, 
nicht die einschaltung eines hölfsvokals, sondern die assi- 
milation. Aber beide Vorgänge zeigen sich Überall so eng 
miteinander verknüpft, dafs es uns zuweilen schwer wird 
sie zu trennen, dafs wir z. b. zweifelhaft sein können, ob 
wir für pouene, das wir im lothringischen aus poine = 
peine herleiten, überhaupt einen anderen Ursprung anneh- 
men dürfen (vergl. breton. poan, poen). Nur steht f&r 
mich die reihe oue = e = ai sicher, da ai schon in sehr 
früher zeit seine diphthongische ausspräche verloren hat; 
moison = maison läuft mit pöine = peine nicht pa- 
rallel. Den parasitischen vokal vor ai zeigt sogar die fr. 
Schriftsprache in Amboise für Ambaise = Ambacia, 
armoire für armaire = armarium*). — Uebrigens 
fliefst alles, was hier über oue, oua, ouo gesagt ist, aus 
ersten eingebungen; ein sehr wesentliches, die altfranzösi- " 
sehen iuundarten, habe ich dabei kaum berücksichtigt. 
Ich behalte mir vor, bei gelegenerer zeit und mit reiche- 
rem material diesen spuren nachzugehen. — In denjenigen 
romanischen mundarten, welche die einschaltung von u und 
o kennen, zeigt sich auch die assimilation zu u, o, ü, ö 
am deutlichsten. Kauin an einigen Wörtern läfst sich diese 



*) Aach im kreolischen von Trinidad haben wir das parasitische ou; 
aber nur in ganz vereinzelten fällen stimmt es mit dem der französischen 
mundarten Uberein, z. b. assobouer = fr. absorber. Gewöhnlich nimmt 
es die stell eines ausgefallenen r ein. In der Stellung kons, -f- r -f- vok. 
schwindet r, wenn der konsonant ein labial oder der vokal o (oi), ou ist; im 
ersteren fall wird r bei folgendem a, e, i regelmässig durch o u ersetzt, z. b. 
bouave, boueche, pouix = fr. brave, breche, prix, im letzteren 
kann der ersatz eintreten oder nicht, z. b. couochi und cochi, fouoter 
und foter, touop, tois s= fr. crochu, frotter, trop, trois (vor ou 
tritt er nicht ein, z. b. tou, touver = fr. trou, trouver). In der Stel- 
lung vok. -f-r-f- vok. liebt r (oder rr) es auszufallen, wenn einer der be- 
nachbarten vokale o oder ou ist, und wird dann durch ou vertreten, z. b. 
cououf, paouöle, tauoueau = fr. courir, parole, taureau; selte- 
ner zwischen anderen vokalen, wo es unersetzt bleibt, z. b. deiere, m&Yer 
s derriere, maricr. Sogar anlautendes r wird vor o und ou durch 
ou abgelöst, z. b. ouoche, louoi (ouoi), ououge = fr. röche, le 
roi, rouge. In der Stellung vok. r cons. und vok. -+- auslaut. r 
schwindet r regelmäßig, doch ohne ersatz. 



r 

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270 Schuchardt 

• 

erweisen für die sprachen der iberischen halbinsel, wie 
etwa an pg. funcho = feniculum oder altsp. fuisca, 
das ich lieber für das entlehnte pg. faisca halte, als es 
mit Diez (etym. wb. I 3 , 169) = 'faisca, *fovisca, *fol- 
visca (it. falavesca von favilla) zu nehmen. Im ru- 
mänischen darf an eine einwirkung von labialen auf den 
folgenden vokal gedacht werden bei bolbore, Stotterer 
(von b albus; de Cihac hat dieses wort nicht, wohl aber 
bobletic = *balbaticus), bosturä = *vastulare 
(b = v wie in betrin, besieg, holte = veteranus, 
vesica, it. volta), bulendre, hure, lumpen = bala- 
tro*), buric = umbilicu8 (vgl. prov. emborilh u.s.w.), 
busioc = basilicum (vgl. serb. bosiljak, bosiok, alb. 
bozeljok), mocioace neben meciuee* (fr. massue; 6. 
Diez etym. wb. F, 269), moime, mojome neben mei- 
niuce äffe (türk. maimün, magyar. m a j o m ), moine, 
brachfeld von Maius**) (vergl. it. maggese, maggia- 
tico, mail. maggengh, dass.), polate = palatium 
(vgl. altsl. polata), porumb = palumbes, vorbe = 
verbum, um von anderen wie motoc, kater neben fr. 



*) Daher zunächst romagn. halatron, tagedieb, dann wälschtirol. 
balandra, unstäte, ausschweifende person beiderlei geschlechts, comask. 
balandra, balandron, luderliche, wortbrüchige, arbeitsscheue person, 
mail. balandra, wortbrüchige, unbesonnene, unwissende person, bresc. 
baiander, balandrü, spitzbube, balandra, hure, allgemein- ämilian. 
balandran, dummkopf; davon wieder das kleiduogsstück neap. balan- 
trano, it. palandrano u. 8. w. Es scheint mir, dafs it. landra, metze 
u.s.w. sich eingemischt habe; und in it. malandrino, landstreicher, bö- 
sewicht, comask. ma landra, hure, sp. molondro, mttssiggänger kann 
ich ebenso wie in prov. vilandrier, pSaster tretend, nur abänderungen aus 
balatro erblicken, auf welche freilich male und vi Ha nicht ohne einflufs 
gewesen sind (vgl. Diez etym. wb. I 3 , 242 fg.). Sicherlich ist auch hieher- 
zuziehen serb. f landra, kleinr. flondra, vulgivaga, welches Miklosich die 
freradwörter in den slawischen sprachen s. 88 zu rum. flendurC, lacinia 
stellt. Mit einer ganz neuen endung ist it. baldracca, hure, versehen. 
Mit recht trennt wohl Diez von balatro das fr. be'litre (etym. wörterb. 
II 3 , 219 fg.), obwohl solche schmähenden und verächtlichen bezeichnungen 
oft merkwürdige lautwandlungen erfahren haben ; ist übrigens nicht entweder 
zu bllitre'oder zu balatro fr. pleutre (champ. plautre) zu ziehen? 

**) Kymr. mai bedeutet „mai" und n feld M ; als letzteres ist es zu ir. 
mag zu stellen. Aehnlich hätte sich nach Zeuss Gr. celt. * s. 4. 102 brit- 
tann. mais, maes, raes, meas aus *mages entwickelt, das von mag 
durch die endung -es abgeleitet wäre; aber -es bildet feminina, keine maa- 
culina. 



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albanisches und romanisches. 



271 



matou, motoleu, mutalcu neben nietcleu, dummkopf, 
postae neben pestae, schoten der Hülsenfrüchte, ganz 
abzusehen. Doch auch auf jene formen lege ich kein gro- 
fses gewicht; denn wie der Übergang des a in o (um die- 
sen handelt es sich ja meistens) ohne bestimmte konso- 
nantische bedingungen in vielen fallen nachweisbar aus 
dem slawischen oder auch magyarischen herrührt (und 
zwar in drei unter den oben angeführten), so kann dem 
rumänischen überhaupt die neigung zu einem solchen Über- 
gang von den genannten sprachen mitgetheilt worden sein. 
Aus der it. Schriftsprache lassen sich nur ganz vereinzelte 
belege der vokalassimilation durch labiale beibringen, wie 
monco, einhändig = man co, mangelhaft, link, ganz wie 
breton. monk (mon, moun) neben mank in der bedeu- 
tung des ersteren it. Wortes. Vielleicht auch hatte der la- 
bial in it. borsa, fr. boite, sp. murta u. s. w. (ebenso 
wie in it. tomba, tuffo u. s. w.) antheil an der darstel- 
lung des y durch o und u (s. Diez gramm. I 3 , 168 fg.)> 
obwohl dieselbe nicht auf diese kombination beschränkt 
ist. Ein ziemlich reiches contingent an hierher gehörigen 
formen stellen aber die mundarten Italiens. So finden wir 
im sog. lombardo-sizil. (besser wäre wohl pedemontano- 
sizil.) von S. Fratello: mossa (missa subst.), pogn (pi- 
nus), ponna (penna), posc (piscis), punzed (peni- 
cillum), vocch (video), vudos (vidissem); vergl. 
cuos (eccu' ipse), cuost (eccu 1 iste), cuoi (eccu' 
Uli); im neap.: focetola (ficetula), foscella (f is- 
cella)*); im römischen: foderetta (it. fed.), fuscella 
oder fro8cella (fiscella), morlotto (it. merlotto), 
vormijjoni, pockeu (von it. vermiglio, hier folgtauch 
ein labial); sizil. vussica, logudor. buscica, aret. bu- 
sica (vesica); pistoj. aret. buzzeffe (it. bizzeffe), 
bologn. burleing (it. be rlingozzo), piacent. büsogn 
(it. bisogno) u. s.w. Besonders genues. boei (batillus), 
bulican, instrument zum zahnausziehen (pelecanus), 

*) In der umgegend Neapels hörte ich auch buglietto, funoc- 
chiclli, moazzino, puvaroni, weifs aber nicht, ob diese formen in all- 
gemeinerem gebrauche sind. 



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272 



Schuchardt 



foina (it. faina; so auch lomb. piem. foin, venez. foina, 
fuina, sp. fuina, pg. fuinha, fr. fouine*)), moi'egna 
(it. matrigna), moifia (mlat. matrina), poela (pa- 
tella), poiegno (it. patrigno), porsemmo (petrose- 
linum), pügnatta (it. pignatta), vuiüe (it. vajuoli). 
Den mundarten Südfrankreichs ist die betreffende erschei- 
nung nicht völlig fremd; vgl. neuprov. fugi neben fege 
(mlat. ficatum, auch grödn. fujä), furun neben ferun 
(ferinus), fustoun neben festoun (franz. feston), 
puoulh**) neben peoulh ( pediculus; vgl. mlat.pudu- 
clare), vudeou neben vedel (vitellus), gask. furla 
(ferula). Recht eigentlich aber ist Nordfrankreich ihr 
boden. Auch sind hier mehr beispiele in der Schriftsprache 
nachzuweisen, wie bouracan neben baracan, barchent, 
fougere für älteres feugere (*filicaria), fouine, 
poele (fem.; zu diesen beiden formen vergl. die genues.; 
merkwürdig bleibt noel = natalis); vgl. altfr. bouro- 
aite (nfr. birouette), musel (misellus; vulgl. myser) 
u. 8. w. Im wallonischen heifst es mo'h, mo'hon, pöd, 
pormönn, vönn = fr. meche, maison, peindre, 
promene, veine (wobei man an die oben erwiesenen for- 
mein 6 = 6i und 6i = ei erinnert wird), in dem über- 
gangsdialekt des depart. der Ardennen baugi, maujon^ 
vaurlet = fr. baise, maison, valet, im metzischen 
bocon, boton, foche, foune, Modelicbe, mojon, 
mosse, motte, potant, vaugand = fr. bacon (alt), 
bäton, fache, fane, Madelaine, maison, messe, 
mettre, partant, vagabond, altmetz. pauxour = fr. 
pecheur. Solche formen, in denen auf den veränderten 
vokal ein 1 folgt, wie follu, molaye, moledeye, mo- 
leur, voleur = fr. fallu, melange, maladie, mal- 



*) Ich kann Diez (etym. wb. I 8 , 169) nicht beipflichten, wenn er in 
fr. fouine eine ableitung von der altfr. form fo, feu = fagus, der al- 
lerdings auch lomb. genues. f 6 entspricht, zn sehen glaubt. Das wort lautet 
im altfr. fayne; höchstens könnte fo = fagus auf den umlaut des ersten 
vokals eingewirkt haben, aber war man sich damals noch des Zusammen- 
hanges zwischen dem thiere und dem bäume bewufst? Auch im neuprov. 
finden wir faina, feina, foina, fouina nebeneinander. 
**) Pueou scheint auf einschaltung des u zu beruhen. 



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albanisches and romanisches. 273 

heur, valeur habe ich absichtlich ausgeschieden, weil 
hier das o ebensowohl auf rechnung des 1 kommt; vergl. 
jol6, ollö, ollemand = fr. geU, alle, allemand. 
Im stemthalschen motan, mouyeu, pornez, pouchi 
(vgl. pouchon), pourmis = fr. rnitan (alt), meilleur, 
prenez, pecher, permis und wohl auch feü, feuch- 
teie, peuce = fr. fils, festoyer, piece (wie eu = .e 
vor labialen erscheint in dcheuve, lieuve = fr. che- 
vre, lievre; aber dieser wandel des e ist auch vor r be- 
liebt, z. b. dcheü, dchieuch, dchieudge, lieuche 
= fr. char, eher, Charge, la herse), päpure = fr. 
paupiere*), und ähnlich in anderen mundarten. — Auf 
deutschem Sprachgebiet entdecken wir leicht analogien. 
So zeigt sich hier in manchen dialekten Ü für i nach la- 
bialen. Z. b. im meklenburgischen und schon in der äl- 
teren spräche (nur erscheint dann in der schritt u): in 
tuschen (zwischen) und bun (bin) sehen wir einen vor- 
ausgehenden, wie in sulver (silber) und nummer (nim- 
mer) einen folgenden labial thätig (K. Nerger gramm. d. 
meklenb. dial. 8. 16). — Dieser labialismus ist auch dem 
brittannischen nicht fremd (auf den nach weis desselben im 
irischen verzichte ich wegen der grösseren Schwierigkeit). 
Den regressiven finde ich z. b. in kymr. nwf, heilig (alt 
nom, tempel; altir. nemed, heiligthum), pump, fünf (alt 
pimp) Kymr. sofl, korn. breton. soul (stipula) und 
kymr. swrawl, swmbwl, alt sumpl (Stimulus) können 
nicht als belege dafür angefahrt werden, da in diesen Wör- 
tern u (o) = i auf dem boden der lateinischen Volkssprache 
erwachsen ist: stupula, stupla (insebr.), it. stoppia, 
pr. estobia, afr. estouble, deutsch Stoppel und bologn. 
stombel, piacent. stombal, mailänd. stombol, veron. 
stombio, wälschtiroL stombi, friaul. stombli. Die pro- 
gressive Wirkung von labialen erhellt mit gröfserer oder 



*) Oder ist hier ur = ir, wie in dec'hüri, desuri = fr. de'chi 

rer, de'sirer? Ur = ir ist parallel der oben belegten gleichuug eu 
= er. 

Zaitaohr. f. vgl. «prachf. XX. 4. 18 



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274 Schuchardt 



geringerer Wahrscheinlichkeit aus kymr. bogail, nabel 
(korn. breton. begel; läfst sich an umbilicus, Voc. S. 
Gall. umpiculo denken? vgl. manx imleig), korn. bo- 
ghan, klein ( kyrar. by chan , breton. bih an), kymr.dy- 
muno (demandare), korn. molenec, distelfink oder 
hänfling (kymr. melynog, breton. melenec von korn. 
kymr. m e 1 y n , breton. m e 1 e n , gelb), molhuidan, Schnecke 
(kymr. mal woden, breton. melchoueden), kymr. morc 
(engl, mark, münze), morthwyl (martellus), mwn 
(engl, mine, mine), korn. moleythy, mollethia u. s. w. 
(*maledictare), poruit (pariete). Hingegen werden 
altkymr. montol, wage (heute mantawl), m orthol, 
so auch korn., bret. morzol (martulus), altkymr. mu- 
nutolau (m inutalia), breton. munud (minutus; vgl. 
korn. muny 8 neben menys, minys, klein; kymr. mwnws, 
kleine theile, schlacken), kymr. mwdwl, heuschober (ine- 
tula, fr. meule; daseinfache meta in gleicher bedeutung 
haben die romauischen sprachen ebenfalls erhalten s. Diez 
etym. wb. I 8 , 275), korn. morogeth, reiten (kymr. mar- 
chogaeth), breton. muzul, muzur (mensura), davon 
das vb. korn. musure, wohl besser unter den gesichts- 
punkt der assimilation von vokalen durch vokale gestellt. 
Mit romanischem uni = venire, gudignar = gua- 
dagnare u. s. w. (s. lautwandel im churw. s. 27 fg.) und 
deutschem suster = Schwester, tuschen = zwi- 
schen halte man zusammen kymr. gogr = g wagr, sieb, 
golwg, blick (von gweled, sehen), gosper (vesper), 
gwr, mann (für gwer = altir. fer), gwrth, gegen (für 
g werth = altir. ferth). — Aufser auf den beiden ange- 
gebenen wegen, der vokaleinscbaltung und der vokalabän- 
derung, thun die labiale ihre Vorliebe für u und o in ganz 
vereinzelten fallen noch anders kund. Wie ein vokal ein- 
geschaltet wird, so wird umgekehrt ein vokal ausgeworfen, 
um den verwandten vokal an den labial heranzurücken, 
z. b. altsp fucia neben fiucia (fiducia). Wie ein vo- 
kal abgeändert wird, so unterbleibt umgekehrt die durch 
ein allgemeines gesetz bestimmte abänderung zu gunsten 
des dem labial verwandten vokais, z. b. fr. amour, la- 



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albanisches und romanisches. 



bour, während das alte -our = lat. -öre sonst regel- 
mäfsig zu -eur wird (vgl. was ich über den negativen ein- 
flufs jotazistischer konsonanten gesagt habe, lautwandel im 
churw. s. 31 fg.). Ein letztes mittel ist die vokalumstel- 
lung, z. b. fr. moelle für meolle (medulla), wohl auch 
röm boecco, buecco, muecco för *beocco = it. ba- 
jocco (irgendwo habe ich auch baecco geschrieben ge- 
funden; aber entweder widerspricht dies dem volkstüm- 
lichen gebrauch oder baecco ist selbst erst aus boecco 
durch Wiederannäherung an bajocco entstanden). In al- 
len diesen beispielen wirkt der labial vorwärts*). — Aus 
dem gesagten wird hervorgehen, dafs der einflufs labialer 
konsonanten auf die vokale ihrer Umgebung weit stärker 
und allgemeiner ist, als man anzunehmen pflegt. Wir keh- 
ren nun auf den albanischen boden zurück. Hier verwan- 
deln sich a, e, i neben labialen vielfach in o, u, ü, eben- 
sowohl in einheimischen als in romanischen Wörtern, wo- 
durch jedoch die möglichkeit nicht ausgeschlossen wird, 
dafs in einigen fällen der labiale vokal aus dem romaoi- 



*) Es sei hier darauf aufmerksam gemacht, dafs konsonanten nicht nur 
gem&fs der artikulationsstelle , sondern auch gemäfs des artikulationsmodus 
vokale beeinflussen. M wirkt (und sogar in derselben mundart) in seiner 
eigenschaft als nasal wie als labial auf den benachbarten vokal ein. Nach 
m und n nämlich wird der vokal oft nasal. So metzisch im auslaut 
conv'nin, dreumin, Imin, munin, preumin, mins = fr. conve- 
nir, dormir, ami, meunier, premier, mis, im inlaut cheminze, 
demoinzelle, mointie' a fr. chemise, demoiselle, moiti^, stein- 
thal. man nie s fr. m$me, bürg, aimin, genon, venun = fr. ami, 
g enou, venu, norm. v. Guernesey c'm\nse(in halbnasales i), malnme, 
tnalnti a fr. chemise, meme, moiti<*. (G. Motivier bemerkt in dem 
vorwort zu seinem Wörterbuch, dafs m und n zwischen zwei vokalen oft den 
ersteren derselben nasal machen, führt aber als beispiel nur das doppel- 
deutige mainme an). Regelmäfsig ist diese erscheinung bei auslautendem 
e im kreolischen (auch nach fi), z. b. fimen, jamain, menen, moon, 
nen, pafifen, simen, toünfen, zariüfen = fr. fume'e, jamais, me- 
ner, moi, nez, panier, semer, tourner, araignle. Auf Trinidad 
wenigstens heifst es auch mindi = fr. midi, finonler neben finoler, 
verzieren, von fr. fin. Ebendaselbst bewirkt ein nasaler vokal zuweilen den 
Umschlag einer vorausgehenden media in den nasal derselben reihe, so n an s , 
nonc = fr. dans, donc; pennant, common neben combe* = fr. 
pendant, combien, wo nn = nd, mm = mb nicht etwa wie im sud- 
italieniscben zu erklären sind. Ton der vokalnasalirung nach nasalen finden 
aich auch aufserhalb des franzosischen spuren; so ist in sizil. mentiri, 
kalabr. mfntere und sizil. menzu, kalabr. mienzu ein nasales e zu 
e-f-n verstärkt worden. Vgl. mail. nün = nos neben vü = vos. 

18* 



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276 



Solmrhardt 



sehen stammt. Regressive assimilation nehmen wir wahr 
in gjumes = gjimese Cam., halb, geg. 1 j u p i j = tosk. 
Ijipej, ich fordere, geg. ljupsem = tosk. lj l'psem , ich 
bin abwesend, s tu pej = sti pej , ich zerreibe, wohl auch 
geg. sopäte (R. supät) = tosk. sepatg, heil, geg. Sum- 
t6j = tosk. semtöj, ich entstelle; ferner in den romani- 
schen Wörtern dulfin neben delfi'n R. (Jelfin bei H., 
das wegen des S griechischen Ursprungs sein mufs; vergl. 
veron. friaul. dolfin, Span, golfin — engl, dolphin — 
altsl. dolgfi ne, serb. duplin), geg. kuböj neben keböj 
(wenn dieses etwa mit gaboj R. = it gabbo nicht blols in 
der bedeutung übereinstimmt), geg. kumböng = tosk. 
kambäne, glocke (vergl. rum. cumpene, magyar. kom- 
pona, wage), lüm neben lime R. (lima), supje (vergl. 
neugr. Govnict, nenprov. supia = agr. ötjnia oder lat. 
sepia), geg. surbelje H. neben serbelle" R. (salvia), 
tomüa, deichsei, in der Musakjä für teraon H., timön 
R. (geg. düme, Steuerruder, aber wird durch törk. serb. 
dumen mit it. timone vermittelt), geg. upeäk H., Üp6- 
skev, üpeskuv, upeskv neben ipeskuv R. (vergl. sp. 
obispo, churw. uveschg u. 8. w.). Progressive assimila- 
tion in: mbül neben mbll, ich verschliefse, tosk. mbul- 
jöj, geg. muljöj neben geg. meljöj, ich bedecke (beide 
verba sind offenbar verwandt; in den verschiedenen mund- 
arten heifst der„deckel": mbuljese, muljäse, mbuUs, 
mbiles), tosk. mburrüs neben barrös, ich beauftrage, 

mböt neben mbit, ich ersticke, geg. muljköj neben 
meljköj, ich reiche aus, tosk. pokttia = geg. paktüa, 

hufeisen, pül H. R. neben pil Pouq., it.-alb. piU, piele 
Cam., wald (falls es doch nicht aus palude entstanden 
ist), puströj neben peätroj, ich hülle ein (Camarda 
I, 44), geg. Vöde = tosk. va^eze, mispel, geg. vökete 
= tosk. väkete, lau, geg. vonöj neben venöj = tosk. 
menöj, ich halte auf, geg. vorr = tosk. varr, grab, geg. 
vötere ~ tosk. vatre, heerd, vuljoj neben välj6j, 
v e" 1 j 6j , ich siede (vgl. v & 1 j e , welches wallen subst. und welle 
bedeutet; an lat. bullire ist wegen der form mit a nicht 



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albanisches und romanisches. 



277 



zu denken, v = b würde keine zu grofse Schwierigkeit 
sein, vergl. neap. vollere); in den griechischen Wörtern 
tosk. fuel, rohr des destillirhelms (agr. (ftdA)j, */ie/. 
geg. muläge, tosk. me läge (agr. (ia?*a%i] und schon uuk6yi h 
wie neugr. uoXo%a)^ geg. mulel = tosk. melenje, schwarz- 
amsel (agr. utlcuva); im slawischen musk R., maulesel 
(serb. maska); in den romauischen buril R. (it barile), 
tosk. fuer = geg. flr (die abkunft von filix ist sehr frag- 
lich; beide formen setzen ein älteres *fjer, *fer voraus, 
womit man das deutsche farren vergleiche), fugür neben 
figür R. (fig ura), furtere Blancb., für terj e R. = fer- 
tere H. (*frictorium), geg. füske, tosk. fütske neben 
fiske (vesica; vergl. oben 8.271 rom. bu-, vu«), mo- 
kere (machina, müblstein), mole (mälum), geg. mukat 
neben mfckät (peccatum), geg. muljtäi (denn muljtsi 
H. ist wohl druckfehler) neben meljtsi, leber *) (it. 
milza), mundas R., siz.-alb. mundafs Cam. neben 
mendaS R., mendäfs H. (mataxa), berat, raun- 
goj=to8k. mengoj (*manieo, ich stehe früh auf), geg. 
mungöj H.R. neben mengoj H., mangöj R. (it. manco), 
rauris (8. oben s. 250), pogöj neben pagoj (it. pago), 
potent R. (it. patena; nicht bei Mikl.), puligri' Blancb. 
(it. pellegrino), geg. pulüme = tosk. pelüm (pa- 
lumbes; vgl. rum. porumb), p.urteke (s. oben 8. 244), 

geg. purtoj = tosk. pertöj, ich bin faul (s. oben 8.247), 

\j 

tosk. Spürt neben spirt, geg. äplrt (spiritus), geg. 

\j 

vüfik = tosk. vesk, ich welke (von vescus); in ande- 
ren aus dem romanischen entlehnten Wörtern stammt der 
labiale vokal aus einer vermittelnden spräche, wie in geg. 
moraje (morats) H. neben meräj ßlanch , fenchel = 
marathum (serb. morac), musmüle H., nusmüle R. 
= mespilum (türk. musmule, neugr. huvG{aovXov, 
serb. mu&mula), geg. pugai (Mikl. puga = novjatv 
H.) = tosk. pegej, ich verunreinige, von paganus (serb. 

*) Genauer helfet leber: meljtsi e zdzö, die schwarze 1., gegenüber 
mäljtsi e kü'kje, rotbe 1., d. i. lunge. Ganz ebenso nennen die Grödner 
die leber fujk fosch, die lange fuja, blanch; die Buchensteiner jene 
figa nCigher, diese figa blanch. 



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278 



Schuchardt 



bulg. pogan, unrein = altsl. pogane, heidnisch). Alb. 
runi. büze, lippe, ist mit ebenso wenig Sicherheit als das 
gleichbedeutende span. buz (auch bandkufs) auf basiuin 
zu beziehen. Uebrigens theilt 1 mit den labialen die Vor- 
liebe für vorausgehendes o, u und Ü (unter den angeführ- 
ten beispielen sind 11, in denen 1 dem abgeänderten vokal 
folgt), äs. b. geg. gjülpäne = tosk. gjSlpere, nadel, 
kulüf neben kelef, scheide (vgl. kälüp, form, bes. giefs- 
form; vgl. agr. xa?.vnrsiv); so in den romanischen Wör- 
tern geg. 4ngjul neben engjgl (angelus; vergl. it. an- 
giolo), solate neben salate (it. (in)salata), skjületz 
R. (it. stiletto)*). In kuküte" (cicuta; vgl. rum. cu- 
cute, serb. kukuta), sugüru, sugür R. = siguro H. 
(it. sicuro adv.) (vergl. oben fugür) hat sich der vokal 
dem darauf folgenden betonten vokal assimilirt. Unsicher 
ist die erklärung des vokals in kjortöj R. neben kjertöj 
(certo), geg. kjüräi R. neben kjörsi (mlat. cerasea) 
und wenigen anderen. Aus allen diesen beispielen ersieht 
man, dafs vorzugsweise das gegische labiale vokale an 
stelle anderer setzt. 

S. 80 erklärt M. den Obergang von -on zu -üe, -üa 
im auslaut von Substantiven für eine rätbselhafte Verwand- 
lung. Aber der abfall des n kann nicht befremden, da 
derselbe auch bei vorausgehendem i eintritt (z. b. kuäeri 
= consobrinus), und noch weniger die diphthongirung 
von o zu üa, da dieselbe eine ziemlich verbreitete ist. 
Tosk. üa, welchem geg. üe, üo und häufiger noch ü ent- 
spricht, findet sich vor 1, r, j und im auslaut, unmittelba- 
rem wie mittelbarem (vor flexionsendungen ). Das wesen 
dieses diphthongen, welches Hahn und Camarda nicht rich- 



*) So auch io pe'tule, Steinscheibe des wurfspiels, kleiner runder 
Schmalzgebackener kuchen = agr. nivakav, platte; vergl. ahd. pedala, 
altruss. petala, bulg. petalo. Ist fr. poele, thronhimmel, für *pe*ole, 
wie moelle für rae'olle oder ist es eine mundartliche form für *pele 
mit eingeschobenem o (s. oben s. 262 fg.)? Im letzteren falle würde sich auch 
polle in der bedeutung „leichentuch, trauungsschleier" aus *pele, *paile 
= pallium erklären lassen, eine ableitung, welche Diez (etym. wb. II 402) 
für unannehmbar hält, während sie Scheler (Dict. d'e'tym. fr. s. 263 b) auch 
auf poele in der ersteren bedeutung ausdehnen möchte. Letzterer führt aus 
Palsgrave palle, thronhimmel, poille, leichentuch, an. 



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albanisches und romanisches. 



279 



tig erfafst haben, ergiebt sich aus wortableitung und flexion. 
Man vergleiche djafüar, gewinn, mit agr. öiayogct^ 
zügüa, joch, mit agr. l, vyöv; für müaj, monat, lesen wir 
bei Rossi neben müoj, muj auch moj. Aber anschau- 
licher wird das ua = o der drei genannten hauptwörter 
in der deklination. Jjafüar lautet im bestimmten nomi- 
nativ djaföri; zügüa : zügöi; müaj : moi. Und mit 
diesen stimmen eine reihe von anderen hauptwörtern über- 
ein, weniger mit dem ersten (vgl. kraherüari, -öri II , 
geg. krahanüeri R., -üri H. , die brüst, pljüari H., 
geg. plüeri, plöri R., pflüg), als mit den beiden letzten. 
Die auf -üa kehren überhaupt bei antritt einer endung zu 
o zurück, mit ausnähme der des acc. sg., z. b. krüa, quelle 
(geg. krüe*), skodr. krön R. Cam., vgl. agr. xyovvog), 
kroi, die quelle, gen. kroit, acc. krüanc, nom. pl. kröite 
oder krönjete, gen. kroivet oder krön jevet **). Aber 
bei den Wörtern auf - ü aj steht ü a auch noch im plural, so 
düaj, garbe, doi, die garbe, gen. döit, acc. düajne, nom. 
pl. duajte (R. düite), gen. düaj v et. O also bleibt hier 
vor i und vor stammbaftem n: krönj-ete* (aber krüa-nä). 
Der ersten deklination gehört an ddre, band, drfra, die 
hand, pl düarte, geg. dürgte (so Hahn, aber Garn, und 
Rossi düerte). Die substantiva auf -tüar (geg. -tür; 
mundartlich auch ursprüngliches -tor, z. b. tyrann. pun§- 
tör, tosk. pungtüar, geg. punetür, arbeiter) lauten im 
plur. -tüar oder -tore" und im fem. -tore (oder -tüare), 
z. b. vrektöri (oder vrektüari), der mörder, vrektüa- 
rte oder vrektörgtfc, die mörder, vrektöreja (oder 
vrektüareja), die mörderin. O also bleibt hier, wenn 



*) Bei Rossi nach der I. dekl., wÄhrend er doch: cotogna, ftoi, o 
ftue — ferro, pateüe, oi, it — levriere, langüe, i, it, gibt. Es diene 
dies zugleich als beispiel der Inkonsequenz und unzuverlässigkeit, welche, 
zusammen mit der ganz verfehlten anläge, der brauchbarkeit dieses reich- 
haltigen Wörterbuchs besonders für phonologische Untersuchungen ungemeinen 
eintrag thun. Auch ist Rossi's italienisch mehr für den Romanisten inter- 
essant, als für den Albanisten bequem. 

**) Wir führen hier die kasus nur in der bestimmten form an, wie dies 
in den grammatiken sitte ist, weil diejenigen der unbestimmten form kein 
neues moment darbieten, z. b. krüa, fbntero, krdnje, fontes, duarvö, 
manuum, manibua. 



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280 



Schuchardt 



dem r ein vokal folgt, wird zu üa, wenn r auslautet oder 
vor einem konsonanten steht (obwohl der gebrauch der 
endung -tüar schwankt). Oder allgemein für beide ka- 
tegorien: o bei vokalisch, üa bei konsonantisch anlauten- 
der oder bei mangelnder flexionsendung. — In der konjuga- 
tion begegnen wir üa neben o zunächst im inlaut des 
Stammes; das e, je, ie konsonantisch auslautender Stämme 
verwandelt der aorist in o. So von Stiel oder Stiele, 
ich löse (nach Hahn und Camarda): 

aor. ind. sing. & toi a — stole — StöMi und Atriale 

plur. stolm (-mö) und stüalm ( -m6) — 
stolgte, gtölte" und stüaltg — stolen, 
stolg, Stölne* und ätüale, ätualne, 
ätüaln. 

konj. stjöltäa und stoltsa u. s. w. 
Der aorist kdra, pl. küarm aber gehört zu korr oder 
küar, ich ernte, wovon das pz. (pass.) korre oder 
kuarture lautet (so auch kölle, husten, eig. pz. von küa- 
lem, geg. külem, ich huste). Ebenso bildet marr, ich 
nehme, im Bing, mit der nebenforni müar, geg. mur, den 
aorist mära, pl. müarm, konj. märtäa und das pz. marre 
und mörrg (über a = üa s. unten). — Die verba, deren 
stamm auf o ausgeht, wie kerkoj, ich suche, verwandeln 
dies o in üa im plural des aorists (auch in der 3. ps. sg.) 
und im pz. So kgrköva, kSrköve, kerköi (und ker- 
küaCam), kerküam, kerküate, kerküanö (geg. kßr- 
küeme, kerküete, kerküen Cam.), im passiv 3. ps. 
sg. nur ukerküa, ganz wie upljak, aktiv pljäki; konj. 
aber kerköfsa u. s. w.; pz. kerküare (körküame), 
geg. (kgrküeng) körküeme, kerküome, ke-rküme (s. 
bes. Cam.). Und so auch alte partizipialformen, wie 
kriües R., Schöpfer, von krioj, punües R., arbeiter, von 
punoj. Aber eine ganze reihe von verben, besonders ein- 
silbigen Stammes, läfst in allen flexionsformeu (mit aus- 
nähme des sg. ind. aor.) o in üa übergehen, z. b. vüaj 
(geg. vuj), ich ertrage, äüaj (geg. Suj), ich lösche aus; 
von diesem die alte partizipialform süate* (geg. Sut), un- 
glücklich, eig. ausgelöscht. Einige verba haben doppelte 



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albanisches und romanisches. 281 

formen, z. b. pagüaj und pagöj, ich bezahle. Unter den 
unregelmäfsigen verben sind hier zu erwähnen: düa H., 
geg. düe Cam. (skodr. doi d. i. döj), ich will, 2. und 3. 
ps. 8g. dö, aber konj. duas, d6je, plur. düaiue, doni 
(doi), düane; imperf. d6je, doje, düan, dojßm, do- 
jet§, duainS; imper. 2. sing, duaj, 2. pl. düani, döni 
— und #Öin, »Vem, ich sage, 2. ps. eg. #ua, konj. #uas 
oder #üats, sonst herrscht im praes. und imperf o; im- 
per. 2. sing. #üaj, 2. pl. #öi, #oni, tfüani; passiv 
#uhaem (wie sühaem von öüaj; aber kerkonem von 
kerkoj) und #ühem u. s. w. — In anderen fallen ist die 
entstehung des ua aus o allerdings nicht zu beweisen, wie 
in grüa H., geg. grüe R., frau (best. pl. gräte), wozu 
&gr.y()civg zu vergleichen, jüaj, geg. jüj, euer (ju, ihr), 
müa H., geg. müe, mu Cam. R., meiner, mir, mich (= 
*mö = *mä?), da die möglichkeit anderer entwickelung 
z. b. durch büal, geg. bul (bubalus), küaj (caballi), 
früer Bogd., flur R. (Fehruarius)*) dargethan wird. — 
Viel weitere ausdehuung hat der diphthong von e, welcher 
zunächst in der gestalt ie oder je auftritt, z. b. bierr oder 
bjerr Cam., ich verliere (tscham. bär), diep oder <ljep, 
wiege, diete" oder £jete, zehn (geg. Öet), piek oder 
pjek, ich brate, backe (vergl. agr. ntnTw), pi6r# oder 
pjer# (agr. niodw). Da g, k, 1, n aber vor allen vo- 
kalen und zwar ebenso unbetonten, wie betonten in gröfse- 
rem oder geringerem umfang jotirt zu werden pflegen, so 
ist nach diesen konsonanten je als diphthong von e nicht 
nachzuweisen und ji£ wird wenigstens in der schrift ver- 
mieden. Zwar lesen wir z. b. bei Hahn kjieleze, gau- 
men, kjielte, himmlisch, aber darum, weil diese worte 
von kjiel, himmel, abgeleitet sind. Für ie pflegt nämlich 
unter gewissen bedingnngen ie, welches also dem ua = o 
vollständig analog ist, einzutreten, und für dieses ie wie- 
derum unter etwas verengerten bedingungen im gegisehen 
und in ganz einzelnen fallen im toskischen I. Beispiele: 

*) Die gestalt dieses mouatsnamens st-heint die des vorhergehenden be- 
einflußt zu haben: kaAendüer, kalnür R. = calcndarius, d i. Ja- 
nuarius. 



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282 



Schuchardt 



diel, geg. dll, sonne (vgl. agr. SijXog)^ perziej, geg. 
p§rzi'j, ich menge, rrjö#, rrietf (auch geg. nach Rossi 
ried), ich fliefse, tjer, Her, geg. tlr (Rossi tierr), ich 
spinne, vje#, vietf- H., geg. vid (pz. vi e dun) R., ich 
stehle, vär, vjer, vier, geg. v i r (Rossi vierr, pz. vier- 
run), ich hänge (einen). Den Wechsel von je, ie, I kön- 
nen wir auch in der konjugation konstatiren. Dem Habn- 
schen paradigma zufolge (das allerdings bei Camarda we- 
sentlich erweitert erscheint) wird je zu ie im sg. praes. : 
ind. piel, konj. piel, pielts, pielije (neben pjele), zu 
i in der 2. pl. praes. pilni oder pili, der 3. sg. imperf. pil 
oder pilte, der 3. pl. imperf. pilne, und im passiv 
pflem u. 8. w. Vom unregelmäfsigen verbum bie, ich 
falle, lauten auch die 1. und 3. pl. praes.: b ferne, 
biene\ Je (aber nicht ie) findet sich neben i in vlj, ich 
komme, vjen, vjen(die nur zufällig an it. vieni, viene 
anklingen, da n dasselbe ist, wie in kerkön, kerkon 
von kerkoj; vgl. die nebenformen der 1. ps. vfje, ker- 
kö'je* Cam.), pl. vfjeme, vfni, vfne (vi'jeng). In den 
formen ferner, in welchen stammauslautendes o in üa Über- 
geht, sollten wir erwarten, dafs die verba auf -ej ie ha- 
ben würden; aber statt dieses diphthongen tritt ein an- 
derer, ue, ein, so kt?£j, ich kehre um, aor. ind.pl. k^uem, 
k#uete, kt^uene (im pass. auch die 3. ps. sg. uk#ue), 
pz. k#uere\ Aber in einigen fallen durchdringt ue, wie 
üa, die ganze konjugation, so «?uej, ich zerbreche, ljuej, 
ich salbe, ngjuej, ich tauche ein, äkjuej, ich r ei fse aus- 
einander (nur im sing. ind. aor. bleibt e: #6va, #eve, 
#eu). Dafs dieses ue wirklich aus ie entstanden ist, zei- 
gen deutlich die nebenformen der genannten verba: t?iej, 
ljiej, ngjiej, skjiej; im gegischen wird ue zu Ü zu- 
sammengezogen: #üj, ljüj, ngjüj, skj Oj. So auch pi es, 

pues, geg. püs, ich frage; bei Camarda auch pies, 
püesS, püete, skodr. pvete (Rossi pev£t). Ie und ue 
stehen noch nebeneinander in krie, geg. knie, haupt, 
dere, thür, best. pl. dü'ertg, geg. dü'rete (so Hahn; 
Camarda gibt duerte und dierte an; vergl. oben s. 279 
den pl. von dorS). I und ü in hlj, hüj, ich gehe hin- 



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albanisches und romanisches. 283 

ein, in Stiva und stura aor., Stfre und stOrg pz. von 
Stie oder Stlj, ich werfe. Bei diesem eo verbreiteten 
vorkommen von ue = ie haben wir vielleicht unrecht 
getban, oben s. 277 Üe = ie in zwei fällen auf rechnung 
des vorausgehenden labialen zu setzen. Üe ist aus nicht 
diphthongischem ie entstanden in füel, rohr des destillir-' 
heims = agr. (fidXtj^ (piil?j; aus ue in suejte, best. pl. 
von süal, sohle: aus # Süaj wurde zunächst *süej, wie 
aus kuaj italo-alb. kuej Cam., und üe, dem toskischen 
fremd, verwandelte sich in das hier so häufige ue. Fen- 
dQ'el, schusterahle, welches M. mit finde re in zusam- 
menbang bringt, vermag ich nicht zu erklären; fendevet 
bei Rossi verhält sich dazu wie pevet zu püet. — Eine 
nebenform von je ist ja, z. b. tosk. jätere, tjatäre = 
geg. tjetSre", anderer (vgl. agr. grepol,;), wobei die häu- 
fige vertauschung von a und e überhaupt zu bedenken ist; 
vergl. sizil.-alb. jerda, jardur = tosk. erda, ardure^ 
aor. und pz. zu vlj, ich komme. — Kaum irgendwo dürfte 
sich ein passenderer vergleich für die romanische diph- 
tbongirung von e und o finden; fern abstehen z. b. die 
altirischen formein ia = e, ua = 6, zu welchen das 
deutsche verwandtes aufweist. Was die gestalt dieser bei- 
den albanischen diphthonge betrifft, so bemerken wir zu- 
nächst, dafs für ie zwar das ältere i£ noch besteht, für 
üa aber, dessen bedingungskreis mit dem von ie ziemlich 
zusammenfällt, ein älteres u ä nicht mehr nachzuweisen ist. 
Die sonstige analogie zwischen ie und üa nicht allein be- 
rechtigt uns ein solches ua vorauszusetzen. Die neigung, 
gerade in dieser vokalverbindung den ton nach vorn zu 
legen, geht aus küaj = kuäj (Camarda), pferde, büa 
= geg. hua, leihweise, flur R., früer Bogd. = Februa- 
rius hervor; dieselbe neigung machte sich bei ie nicht 
in dem grade geltend, weil ja i als j sich leicht an den 
vorhergehenden konsonanten anschmiegte. Ruht doch auch 
in dem rumänischen diphthong oa = o der ton jetzt auf 
dem o, was keineswegs das ursprüngliche ist; ja, noch 
das Ofener Wörterbuch gibt die ausspräche oa an. Sollte 
nicht ferner im neapol. uo (buono, puorco) u zwar 



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284 



Sehtiebank 



nicht den vollen ton, aber doch ein wenig mehr gewicht 
haben, als im toskan. uo? vgl. neapol. fasülo, figliülo, 
in denen u aus uo entstanden ist. Und wenn der diph- 
thong ie im romanischen nicht selten zu i zusammenge- 
zogen erscheint (z. b. span. silla, vispera = altleon. 
siella, viespera s. Diez gramm. I 3 , 153. Fuchs unr. 
zeitw. s. 27 anm.), mufs nicht dazwischen ie stehen? Aber 
noch mehr für die existenz eines uä spricht die neben- 
form a von ua, so in gjaj = gjüaj, ich jage, marr = 
imiar, ich nehme (aor. möra: s. oben s. 280), und den 
Substantiven auf -tär = -tiiar, z. b. gj aketär = gj a- 
ketuar, mörder (fem. gjaketore,- 8. obeu s. 279). Voll- 
ständig ebenso vereinfacht sich rum. oa zu a in afare 
(ad foras), va (*volit = vult)*) und für ea = e ist 
a geradezu eine sehr beliebte form (s. Mussafia zur rumä- 
nischen vocalisation s. 126. 132. 135 fg.). Für ue es o 
tritt einige male im spanischen e ein (wie frente, serba 
= fronte, sorbura) und öfter in der mundart von Lecce 
(wie ecchiu, legu, lengu, tertu = oculus, locus, 
longus, tortus neben cuerpu, fuecu, muertu, 
puerti = corpus, focus, mortus, portas)**). Das 
alb. ie (ja) stimmt vollkommen mit roman. ie (ia, ea) 
überein; und wie im albanischeu üo, üe, üa, so stehen 
im romanischen uo, ue, uä (oa und 6a) mundartlich ne- 
beneinander und es bleibt nur zu erweisen, dafs auch dort 
uo das älteste ist. Ein Oe hat zwar auch das romaoi- 



*) Mussafia a. a. o. s. 126 zieht auch corastö (colastre*) = co- 
lostra hieber; hier aber scheint die abänderung der endung -ostra in 
-astra, das ja lateinischer klang, eine alte zu sein (s. Diefenbach Glösa. 
lat.-germ. und Nov. gloss. lat.-germ.). Auch heifst es magyar. gulaszta, 
kleinruös. koljastra, kulastra, kurastra. 

**) Ich mache auf eine eigentümliche Übereinstimmung dieser mundart 
mit dem albanischen (sowie rumänischen, neugriechischen, bulgarischen) auf- 
merksam, welche in der Umschreibung des infinitivs durch das mit einer kon- 
junktion verbundene verbum finitum besteht (s. Miklosich die slavischen ele- 
mente im rumunischen s. 6); so ulia cu binchfa, er wollte erfüllen, 
ncignaraggiu cu stau, ich werde anfangen zu stehen, senza cu minti, 
ohne zu legen (2. ps. sg.), beddu era cu bidi, schön war es zu sehen 
(2. ps. sg.), sogar mit ellipse jeu nu boghiu dicu nienti, ich will nichts 
sagen. Ist dies messapisebes erbthum? ist dies von Albaniern oder Grie- 
chen in die Terra d'Otranto importirt? 



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albanisches und romanisches. 



285 



sehe, aber nicht als ausweichung aus ie, sondern aus ue 
= o*). In beiden sprachkreisen hat der diphthong erklär- 
licher weise nur in der tonsilbe statt, z. b. alb. djerse, 
Schweifs, aber dersij, ich schwitze, wie it. brieve, aber 
brevitä. Uebertragungen des diphthongen aus der be- 
tonten in die unbetonte silbe kommen indessen hier wie 
dort vor, z. b. alb. vje#, ich stehle, davon vje^eräk, 
diebisch, wie it. fiero, fierezza. Betrachten wir aber 
nun die übrigen bedingungen, unter denen die diphtbon- 
girung im albanischen und unter denen sie im romani- 
schen vor sich geht, so glauben wir zuerst eine wesent- 
liche verschiedenartigkeit wahrzunehmen, nämlich so lange 
wir uns mit dem von Diez aufgestellten gesetze begnögeu, 
dals der kurze vokal in der tonsilbe vor einfacher und 
zum theil auch vor zusammengesetzter konsonanz diph- 
thongirt zu werden pflege. Dieses gesetz ist in einigen 
mundarten, namentlich im süditalienischen, churwälschen 
und rumänischen, welches letztere ja bei albanischen Stu- 
dien immer eine ganz besondere rücksiebt verdient, sehr 
bedeutend modificirt. Im albanischen erscheint der diph- 
thong nicht nur für den kurzen, sondern auch für den 
langen vokal, wie im rumänischen, und zwar wie hier, be- 
sonders für ö. Ist aber der diphthong weniger oder gar 
nicht durch die quantität des ursprünglichen vokals ge- 
bunden, so ist er es durch die qualität des vokals der 
folgenden silbe. Die formein für das rumänische lauten: 

e e, i, u äs e (8), 

e e = ea, 

6 i, u =o, 

6 e, e = oa, 

für welche wir auf MussahVs vortreffliche abhandlung „zur 
rumänischen vocalisation" verweisen. Formeln andern Cha- 
rakters finden wir im süditalienischen und zwar diese am 
klarsten im kalabrischen (wenigstens in der mundart, in 



*) So auch aib. arsli'e Guagl., aröstt'e Blanch. — ratioue; offen- 
bar bewirkte ein nun geschwundenes i (*arösiue) den Ubergang des u in U; 
vgl. Übrigens SU'ej = *suej oben s. 283. 



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286 Scbuchardt 

welcher die Übersetzung der Gerusalemme liberata abge- 
fafst ist) dargestellt: 

e . . . . a, e = e, z. b. vera pl. ver e | prega i 
e . . . . i, u = ie, z. b. vier u pl. vi eri j prieghi, priegn j 

6 .... a, e = o, z. b. bona pl. bone ) voglia konj. \ 

6 .... i, u = uo, z.b. buonu pl. buonif vuogliu ind. i 

Und dafs nicht blofs der auslautende vokal entscheidet, 
ist aus riegula, rieprica (it. replica), supierbia — 
Antiuocchia, cirimuonie, gluoria ersichtlich. Wir 
berühren noch das neapolitanische, weil hier die eben an- 
gegebene regel dadurch ziemlich verdunkelt worden ist, 
dafs auslautendes i durch e vertreten wird (alle vokale 
werden im auslaut zu e abgeschwächt, aber nur für das 
zunächst davon betroffene i durchweg e auch geschrieben). 



e a, e = e, z. b. l 

e e (für i), o (kal. u) == ie, i *), z. b. I 

aperta pl. aperte j mela pl. 1 
apierto pl. apierte i milo sg. i 

6 a, e = o, z. b. j 

6 e (für i), o (kal. u) = uo, u *), z. b. ( 

bona pl. bone j voce sg. j 
buono pl. buone ! vuce pl. \ 



In der konjugation kommen diese formein nicht zur vol- 
len auwendung; o wirkt nicht mehr wie e « i, sondern 
wie e und a**), z. b. credo, cride, crede, 3. pl. cre- 
dono; so lauten die 2. ps. sg. von resto, mostro, 
porto: riesti, mustre, puorte, das imperf. der 2. und 
3. conj. -evo, -ive, -eva u. 8. w. Man vergleiche hier- 



*) Wir haben hier Wandlungen, welche nicht nur e und o und zwar 
von dem diphthongirten e und o quantitativ verschiedenes, sondern grofsen- 
theils auch ursprüngliches i und u (z. b. friddo, fredda — rauscio, 
moscia) betreffen, wegen der gleichheit der bedingungen eingefügt. 

**) Sobald als mit der eben berührten trübung s&mmUicher auslauten- 
der vokale die Ursache der diphthongirung schwand, ergab sich für" die- 
selbe ein zweck, nämlich formen zu scheiden, die sonst zusammengefallen 
sein würden. Die 8. pl. praes. braucht nicht geschieden zu werden; die 
1. sg. des praes. und imperf. aber bedarf eher der Scheidung von der 2. sg., 
als von der 3. sg. Dasselbe gilt für die abänderung von e zu i, von o zu 
u oder die rückkehr von e und o zu urspr. i und u. 



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albanisches und romanisches. 



287 



mit das sardiscbe ( logudoresische) gesetz für die offene 
und geschlossene ausspräche des e und o, jene gilt vor 
a, e, o, diese vor i und u, z. b. bene, b6ni (venis), 
chena (cena), velenu; cönca, köpf, coru, fogöne, 
fogösu (foc). Näheres, aber keineswegs abschliefsendes, 
bei G. Spano. Im obwaldischen churwälsch finden wir 
zunächst ie = e und = o in vor- und drittletzter silbe 
vor i, z. b. dumiesti (domestic us), gliergia (gloria), 
und e und o, nicht ie, vor a z. b. iess (ossum) pl. 
ossa, cuviert (copertus) fem. cuverta, was durch- 
aus dem grundsatz des kalabrischen entspricht. Aber auch 
ein 8, ohne vokal, heischt vor sich den einfachen vokal, 
so pl. und praedik. sg. cuverts, so dafs wenn hier von 
anfang an die entscheidung zwischen diphthongen und ein- 
fachem vokal nicht von der existenz einer endung Ober- 
haupt, sondern von der qualität des folgenden vokals ab- 
hängig war, ein solches ursprüngliches verbältnifs schwer 
erkennbar geworden ist. Was ich nämlich darüber im • 
vorigen jähr schrieb (lautwandel im churw.), scheint mir 
nicht erschöpfend; da nun aber Ascoli die Untersuchungen 
Über das mittelromanische, dessen sprödigkeiten sein Scharf- 
sinn gewachsen ist, begonnen hat, so dürfen wir von ihm 
getrost die lösung unserer zweifei erwarten. Dafs die 
diphthongen von e und o in den verschiedenen mundarten 
keinesweges eines wurfes sind, macht uns das churwälsche 
am deutlichsten, wo neben ie = e noch ea (beides auch im 
rumänischen) und im engadinischen neben üe, ö = o noch 
uo und oa bestehen (vgl. oben s. 268 anm.). Behält man 
dieses im auge, so wird man manches scheinbar ganz ver- 
schiedeneja entgegengesetzte zusammenfallen sehen. Kalabr. 
menza und rum. miaze* (media) harmoniren freilich, so 
einzeln genommen, nicht miteinander; aber das verhältnifs 
zwischen kalabr. mienzu und menza, obw.-churw. miez 
und mezza, meazza, rum. miezü und miaze ist voll- 
kommen dasselbe; und so deutet auch rum. osu pl. oase 
mit churw. iess, ossa, rum. koptü, kopti, koaptä, 
koapte mit kalabr. cuottu, cuotti, cotta, cotte auf 
das gleiche princip zurück. Sind vielleicht it. buono 



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288 



Schuchardt 



buona, piede piedi nur erweiterungen aus buono 
boua, pede piedi? — Im albanischen eine derartige be- 
stimmung des dipbthongen durch den folgenden vokal zu 
erkennen, hat uns diese beiläufige Untersuchung nicht be- 
fähigt; in fällen wie krüa, kröi, welches äufserlich z. b. 
dem rum. oae, oi (ovis, oves) ähnelt, handelt es sich 
um vokal und nichtvokal, wie in churw. cuviert, euverts 
um endnng und nichtendung. Doch ist immerhin auch 
hier die möglichkeit vorhanden, dafs vokalunterschiede 
thätig waren, welche später sich ganz verwischten. Dies 
gilt ja auch z. b. von käts pl. ket£, weber, sklav pl. 
sklev, sklave, die erst durch rräp pl. rre*pe, platane, 
träp pl. trepp, grübe, erklärt werden; nicht der vokal als 
solcher bewirkt den umlaut, sondern als pluraliscber, wie aus 
nappöpl. neppg, käsetuch, nate* pl. nete, nacht, hervor- 
geht, wo dem einen e nicht derselbe vokal zu gründe liegen 
kann, wie dem andern. — Die albanischen dipbthongen von 
o und e treten in einer ganzen reihe von romanischen Wör- 
tern auf. Beispiele für -üa, -üe (-ü) = 6n bei M. 
s. 80 fg. Doktüer Blanch. = doct6re, wie die einhei- 
mischen namen in -tüar, -tüer, -tür = -t6r (s. oben). 
Auch in süal H., geg. süel Blanch., suA R. = geg. solle 
H. (solea; it. suola) und in einer reihe von Substantiven 
auf -üel (-eolus, vulg. -eölus), wie geg. frassüel 
Blanch. (auch frasüle H. *)), kaprüel Blanch. (auch 
kapruA R., kaprülj H.), lentsüe Blanch., spanjnel 
Blanch. (auch spanjül R.) = it. fagiuolo (neap. fa- 
sülo, neugriech. (paaouXi, makedorum. fasülliu), ca- 
priuolo, lenzuolo, spagnuolo (span. -uelo) ist ue 
trotz der romanischen Übereinstimmung wohl kaum als ro- 
manischer diphthong aufzufassen **). Solchen aber glaube 
ich im anlaut folgender Wörter zu erkennen: 



*) Wegen des eingeschalteten r vgl. span. frisnelo, frisol, frejol 
(port. feijäo), dessen berkunft von pbaseolus Diez etyra. wb. II a , 18S 
wohl mit unrecht beanstandet. 

*•) Das von Windisch als klementinisch angefahrte rneta « rota 
befremdet M. mit recht. 



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albanisches und romanisches. 



289 



ve, geg. vö (Rossi voe) = ovum (it. uovo). 

v a 1 j , väj, geg. vöj = oleum (neap. vuoglio). 

geg. vepre = opera (fr. oeuvre, 8p. huebra). 

. . , ., m , ) beide Wörter he- 

ge/, verp, tosk. verhöre = orbus I . a r . • . 
0 5. , . »„ „ , oinflulsten sich 

geg. vori, tosk. vart£re = o r p hanus . ., „ 
* & r ^ in ihrer form. 

Wer hier nicht blofs urverwandschaft und in dem v das 
alte digamma sieht (wie in vög&ljg, klein = agr. u'/.t- 
yu<* )> wird ve, va neben vo in gleicher weise erklären 
wie üe, üa neben üo, obschon geg. vo- = tosk. va- 
sich in verschiedenen einheimischen Wörtern (s. oben 
8. 27l>) zeigt. — In dem je von vjeterö (vetere) und 
den übrigen von M. s. 82 fg. angeführten Wörtern kommen 
sich das romanische und albanische entgegen (besonders 
hervorgehoben zu werden verdient kjiel, geg. kjll (cae- 
lum) wegen der albanischen bebandlung von ie); immer- 
hin ist der diphthong mehr auf rechnung des romanischeu 
zu setzen, wie aus dem umfang seines Vorkommens in ro- 
manischen Wörtern erhellt. Wo ihn das romanische ver- 
meidet, da gewöhnlich auch das albanische. Vor zusam- 
mengesetztem 11 pflegt e nicht zum diphthongen gestei- 
gert zu werden; es bleibt, wird e, oder a (im geg.), oder i 
(nach rum. sitte; so geg. gjind == rum., nicht blofs ma- 
kedor., ghinte, ginte, so auch kjint = centum, 
kjint, geg. kint = cento). Ja = e steht inlautend 
in kjark (circus, vulg. cercus) *), mjal Pouq., 
mjälte H. (mel); anlautend in jaste (extra), aber 
jete (aetas). In Salje (sella) ist das j von ja mit 
s zusammengeflossen; vergl. rum. sea, auch Sa gespro- 
chen, und obwald.-churw. purschalla *purschialla 
u. s. w. (lautwandel im churwälschen s. 6). Hingegen mag 
sarr£, 8&ge (ebenso rum.) auf das früh belegte sarra ==5 
8er ra zurückgehen. 

M. bemerkt 8. 86, dafs k und g. vor e und i jotirt 
werden (so auch in kjimino und kjiprg, die besser auf 



*) Neben ke'rköj (circo), während in kjarte neben kje'rtö'j (certo) 
j zum k zu gehöreu scheint. 

Zeitachr. f. vgl. aprachf. XX. 4. \$ 



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r 



290 Schuchardt 

xtjuivov und Cyprium, als auf cuminum und cu- 
prum bezogen werden). Unter den daselbst angefahrten 
beispielen sind einige, in denen je statt a steht, nämlich 
gj e 1 j * ) (gallus), kjerre (bei Rossi kerr und tserr) 
neben karre (carrus), skjebe (scabies); ihnen sind 
hinzuzufügen gjelbgr Kaball. (galbinus), kjeljkj, bei 

Rada keljke (calice), kjen, geg. kjen (canis), kje- 
pr§, geg. kjeper (capro). Vgl. skas, geg. skjes, ich 
gleite aus. Das einfachste ist, hier eine abschwächung 
des a zu e, die ja auch sonst mehrfach vorkommt nnd 
jotirung des gtitturals vor diesem e anzunehmen (vgl. Hahn 
gram m. 8. 26 an cd.), wobei ich jedoch auf die Schreibun- 
gen mit einfachem g und k vor e, weil durch sie die 
ausspräche schlecht verbürgt erscheint, kein gewicht lege. 
Wie zwischen vär und vjer, ich hänge (einen) *ver ge- 
standen haben mufs, so scheint zwischen canis und kjen 
*ken gestanden zu haben. Ich sage „scheint"; denn eine 
andere möglichkeit ist allerdings noch vorhanden: g und 
k sind vor a jotirt worden und j hat unmittelbar darauf 
das a zu e assimilirt, so dafs die durchgangsstufen gja, 
kja sich nicht erhalten haben; vgl. kjelbem = *kj albern 
= kaljbem, ich faule. Man wird fragen, wie g und k 
in den genannten Wörtern zu dieser modifikation vor a 
kommen können, da sie ja, in romanischen Wörtern we- 
nigstens, vor diesem vokal in der regel und vor o und u 
immer unverändert bleiben. Jedenfalls, wenn auch alb. 
gje, gji : go, gu und kje, kji : ko, ku in romani- 
schen Wörtern nicht historisch den gleichen urromanischen 
Verhältnissen entsprächen, sondern einen rein albanischen 
Charakter trügen ## ), würde doch die analogie zwischen ro- 

*) Ist in geg. gut a vor 1 in u Ubergegangen? s. oben 8. 278. 
**) Wenn wir z. b. die mit g und k anlautenden einheimischen Wörter 
des albanischen überblicken, so ergibt sich, dafs vor e, i, ü gj nnd kj 
regelmäßig, g und k nur ganz ausnahmsweise vorkommen ; umgekehrt vor o 
und u g und k die regel, gj und kj die ausnähme sind (und noch ist hier 
der Ursprung des j aus i zu bedenken). Vor e*, dessen Ursprung ja ein sehr 
mannichfaltiger ist, treten g und k häufiger auf als gj und kj. Anderseits 
ist es sicher, dafs alle oder die meisten lateinischen Wörter zu einer zeit im 
altalbanischen eingang gefunden haben, als in der lateinischen Volkssprache 
g und c schon anders vor e und i, als vor a, o, u lauteten. So scheint 
denn lateinische und albanische Observanz zusammengetroffen zu sein. 



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albanisches and romanisches. 291 

manisch und albanisch bezüglich der bebandlnng der gut- 
turale eine vollkommene sein und wir das recht haben, 
für unsere Voraussetzung von alb. gja, kja uns auf rom. 
gja, kja zu berufen*). Und in der that kennt auch das 
romanische eine assibilation der gutturale vor a, beschränk- 
teren umfangs und etwas jüngeren Ursprungs, als die vor 
e und i. So ist in fr. c harn p cb = cj. Ich hatte einst 
die vermuthung von Diez, dafs dies fr. ch durch eine 
kehlspirans mit c vermittelt werde, getbeilt; diesen irr- 
thum zu berichtigen gab mir das Studium des mittelroma- 
nischen gelegenheit. Wenn z. b. corium, cura im en- 
gadinischen zu chör, chüra werden, so sind, was merk- 
würdiger weise Diez gramm. P, 248 übersehen hat, nicht 
o und u, sondern ö und ü die Ursache der Verwandlung 
des c in ch. Ö und ü aber gehören bezüglich des ein- 
Süsses, den sie auf den vorhergehenden konsonanten aus- 
üben, zu e und i; chö, chü sind assibilationen , wie 
tsche, tschi und wenn für diese als älteste stufen kje, 
kji anzunehmen sind, so auch für jene kjö, kjü. Chüra 
=s *kjüra verhilft uns aber weiter zu engad. champ = 
*kjamp. Unmöglich geradezu diese entstehung von fr. 
und cburw. cha (die übrigens jetzt verschieden lauten) zu 
verkennen, ist es für denjenigen, der die mundartliche reihe 
carn, chiarn, [ehern,] chiern, cern (im ticinesi- 
seben) bei Biondelli Saggio sui dialetti gallo -italici s. 11 
beachtet hat. Das verdienst dieser entdeckung aber ge- 
bührt Ascoli, der schon früher die richtige einsieht in die- 
sen Vorgang gewonnen hatte und der ihn auch zuerst in 
klarer, überzeugender weise Corsi di glottologia 1,44 fg. 
203 fgg. anm. auseinandergesetzt bat. Wenn nun auch die 
assibilation des c vor a im romanischen feststeht, so scheint 
doch die physiologische erklärung Schwierigkeiten zu ma- 
chen. Warum übten o und u nicht die gleiche Wirkung 
auf den guttural aus? Es gibt so unmittelbare angleichun- 
gen von lauten, dafs sie ganz selbstverständlich zu sein 



*) Wir werden im folgenden der kürze halber da« dem k und g ge- 
meinsame nur am k erläutern. 

19* 



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292 



Schuchardt 



scheinen. Dafs k in unserem kinn einen anderen laut 
bat, als in unserem kommen, ist längst wahrgenommen 
worden. Aber wenn man k 1 vor e und i von k 2 vor 
a, o, u unterscheidet, so genügt dies noch nicht. Man 
könnte vielleicht annehmen, dafs von haus aus jedem vo- 
kalischen laut ein anderes k adaequat ist; jedenfalls liegt 
das k för a zwischen dem k für e und i und dem k für 
o und u mitten inne und wenn in der einen spräche es 
nach dieser richtung bin abgeändert wird, so kanu es in 
der anderen nach jener abgeändert werden. Denn keines- 
wegs ist die nflance eines konsonanten an einen bestimm- 
ten vokal gebunden; es geschieht, dafs eine solche vor 
allen vokalen zur herrschaft gelangt. L j , d. h. mouillirtes 
1, ist eine fortsetzung von dem l 3 Brücke's, welches am 
leichtesten sich mit i spricht. Lj, und also ursprünglich 
l 3 , tritt im katatonischen und ebenso im albanischen vor 
allen vokalen auf, im churwälscheu aber nur vor i oder ü 
(z. b. obwald glinna, engad. glüna = luna). Manche 
romanischen mundarten begünstigen k 1 ; in ihnen Über- 
schreitet sein gebrauch die allgemein -romanischen grän- 
zen, indem er sich auf das nächstliegende gebiet erstreckt. 
Es könnte k'a, k'o, k'u in aufnähme kommen, aber 
nicht k*o, k*u allein, während k 2 a*) gesprochen würde. 
K 1 aber ist die wurzel von kj , wie l 8 die von lj. Wenn 
im französischen u. 8. w. kje, kji älter sind als kja, so 
hat das seinen grund darin, dafs k'e, k * i älter sind als 
k l a, dafs sie sich schon zu kje, kji vorschoben oder 
vorgeschoben hatten, als k*a aus k ? a entstaud. Die äl- 
tere stufe für kj ist im franz. ch, die jüngere c; daher 
pikard. che, chi — ca; fr. schriftspr. ce, ei — cba. 
Wo aber k 1 a, wenn auch jünger, doch mit k'e, k'i noch 
gleichzeitig ist, wird gerade in jener Verbindung k 1 am 
ersten oder Überhaupt zu kj fortschreiten, da es mit a 
sieb weniger verträgt als mit e und i und deshalb eines 
vermittelnden i bedürftiger ist. So erkläre ich es mir, 

# ) Nach dem oben gesagten eigentlich k'~*a; aber wir wollen hier 
nur den unterschied des k vor a von dem das k vor e und i bezeichnen, 
nicht dessen anderen unterschied von dem k vor o und u betonen. 



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albanisches und romanisches. 



293 



dafs während das kymrische sonst gar keine jotazistischen 
neigungen zeigt, für ca in der mundart von Powys cia 
und in der von Dyved ciea gesprochen wird, z. b. ciar, 
ciear = ear, flofs s. In der mundart von Gwent stellt 
sich i nach jedem konsonanten, aber doch wohl nur vor a 
(ausnahmsweise vor e = a) ein, wie ich aus den folgen- 
den beispielen ersehe: biad = bad, boot, cia der = 
cader, festung, cias = cas, hafs, grias =» gras, 
gnade, gwias = gwas, jflngling, gwliad = gwlad, 
Jand, hiaff = haff, griff, miab = mab, söhn, miaes 
= maes, feld, niage = nage, nein, rhiad = rhad, 
frei, tiad = tad, vater — cieffyl = ceffyl (ca- 
ballus). So ist es denn nicht unmöglich, dafs auch im 
albanischen eine spur der jotazirung von g und k vor a 
sich zeige. — K in den Wörtern, welche zur zeit der Rö- 
merherrschaft in Epirus importirt wurden, hatte keinenfalls 
jene erste stufe der assibilation k j , die wir ja auch als 
albanisch betrachten können, überschritten. Sogar wenn 
auf ce, ci noch ein vokal folgt, bleibt der guttural (s. 
vok. des vulgl. I, IM anm.). Es ist dies um so weniger 
wunderbar, als auch das rumänische den guttural in eini- 
gen fällen und eine allerdings ferne mundart, das Bardi- 
sche, ihn meistens gewahrt hat. Eher lassen sich spu- 
ren von der assibilation des te, ti vor vokal entdecken; 
arsue Guagl. = ratione, pus = puteus halte ich für 
sehr alte entlehnungen. Im kymrischen besteht ein ganz 
ähnliches verhältnifs, obwohl das römertbum bis in's fünfte 
Jahrhundert in Brittannien ausdauerte. C bleibt vor e, i: 
cegid = cicuta, diffygio = deficere, ffasg = 
fascis, pyg = pice; vor e, i-hvok.: nadolig (Weih- 
nachten) = natalicins, selsig (wurst) = ualat. sal- 
sicium oder salsucium. Bemerkenswerth ist tengl ne- 
ben cengl = cingula; es steht fflr *tjengl (vgl. rum. 
tjingS neben chingg). Wenn llusern = lucerna 
wirklich früh im kymrischen vorkommt, so fällt es als aus- 
nähme auf. Ebenso bleibt t vor e, i -f- vok.: prid = 
pretium (vgl. pritum, vok. d. vulgl. 1,418), teirthon, 
teirthions tertiana, was man dann als plur. auffafste 



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2 94 



Schuchardt 



und woraus man einen sing, tairth zurückkonstruirte. Da* 
neben neges, botecbaft = negotium, rhesiom ra- 
tio ne, von denen jenes sicher alt ist. — Innerbalb des 
albanischen aber selbst änderte sich, nicht allgemein, son- 
dern mundartlich, kj zu ts ab, wie im romanischen und 
in vielen anderen sprachen, so auch dem benachbarten 
neugriechisch. Ascoli nimmt die reibe: kj, kz, k s, ('s), 6 
an; doch kz, k ä lä&t sich meines wissens nicht belegen. 
Zwischen kj und ts liegt t j ; tg oder um uns mit Brücke'- 
scben zeichen verständlich zu machen t[s l £*] ging zu- 
nächst aus tx l vor, indem mit dem gutturalen reibelaut 
der der vorhergehenden explosiven entsprechende reibelaut 
sich verbindet. Brücke setzt zwischen ky 1 (kj) und t% 1 : 
k* 1 , ich aber ty' (tj) mit hinblick auf die zahlreichen 
belege der formel tj = kj oder ti = ki (z. b. kien, 
tien, chien in nordfranzösischen mdd.). Diese formel 
kehrt sich auch bäußg um, so im albanischen z. b. geg. 
belSbükj = balbutiens, piskjöle = it. pistola, 
skjületz R. = it. Stile tto, vielleicht auch skjerra ne- 
ben stjerra pl. lämmer. Von t = t j habe ich vok. d. 
vulgl. III, 81 (vgl. dazu das eben angeführte kymr. teugl ), 
wie von d — dj ebend. III, 25 gesprochen. Dieses d = 
dj ist, wie mir aus Schneller die rom. volksmund. in Südtir. 
1,85 bekanut wird, in gewissen it. mundarten Tirols eine 
sehr gewöhnliche erscheiuung (z. b. da, dö = it. giä, 
giü); nur hätte Schneller nicht meinen sollen, dafs ähn- 
liches sich weiter auf romanischem Sprachgebiete nicht fin- 
den lassen würde. Last, not least aber ist ts; Ascoli 
unterscheidet davon ausdrücklich das c des italienischen. 
Gewifs hat er als feinhöriger Italiener und scharf beob- 
achtender Sprachforscher mehr aussieht als irgend jemand, 
die ausspräche des it. c richtig zu bestimmen. Dafs er 
mich aber von der vermeinten natur dieses c durch seine 
ausführlichen auseinandersetzungen in den Com (I, 197fgg.) 
ebensowenig überzeugen kann, wie einst gesprächsweise, 
bedaure ich um so mehr, als gerade er so viel zur aufklä- 
rung der geschiente des indogermanischen k beigetragen 
bat und gerade dieser punkt ihm sehr am herzeu zu lie- 



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albanisches und romanisches. 



295 



gen scheint. Ich beharre nicht auf der identität des it. c 
und des deutschen tsch. Es gibt verschiedene s und das 
in tsch mag vielleicht etwas weiter nach hinten artikulirt 
werden, als das in c (vgl. Brücke grundzüge 8. 64). Aber 
ich inufs bezweifeln, dafs die Italiener die Deutschen an 
der ausspräche des c erkennen ; denn in Deutschland selbst 
wird tsch (wie in Italien vielleicht auch c) ziemlich ver- 
schieden gesprochen. Doch ist es nicht die qualität des ä, 
auf die Ascoli röcksicht nimmt, sondern der gesamrotcha- 
rakter des c. Ihm zufolge ist es kein zusammengesetzter, 
sondern ein gemischter laut (suono complesso). Die ge- 
mischten konsonanten Brücke's*) (die dieser als zusam- 
mengesetzte bezeichnet) sind dauerlaute; das c Ascoli 1 8 
ein momentaner. Er glaubt, dafs a priori eine kategorie 
von gemischten momentanen konsonanten zulässig sei. Es 
läfst sich zunächst an eine kombination von verschlufslau- 
ten denken. Der lippenverscblufs mag mit einem der 
beiden verschlösse, welche mit hülfe der zunge gebildet 
werden, zusammenfallen. Doch ist es noch sehr die frage, 
ob die gleichzeitige lösung (oder bildung) der Verschlüsse 
wirklich einen eigentümlichen laut erzeuge. Aber wir 
müssen mit Brücke s. 67 die möglicbkeit läugnen, einen 
verschlufslaut mit einem dauerlaut zu kombinircn. Ich 
spreche nicht davon, dafs zwei solche laute nicht gleiche 
dauer haben, sondern davon, dafs sie nicht gleichzeitig 
sein können. Und zwar djefshalb nicht, weil die bediogun- 
gen, unter denen sie entstehen, immer aufeinander folgen. 
Ascoli sagt 8. 200: „Immaginiamo un' esplosiva, per la 
quäle la lingua formi il contatto a un di presso come e 
per t, e passi poi rapidamente , per l'istante dell' esplo- 
sione, alla postura in cui e nel proferimento di s, ed 



*) Ich nehme hier nur auf dessen system bezug, nicht weil es mir 
selbst das einleuchtendste ist, sondern weil sich Ascoli's deduktion auf das- 
selbe stützt. Zwar bemerkt Ascoli s. 198 anm., dafs Merkel in diesem 
punkte der Wahrheit naher gekommen zu sein scheine. Wenn c unter die 
Merkelscben consonantes concretae, bei denen aber „die beiderseitigen 
mechanismen sich nicht unter einander vermischen, sondern nach einander 
zu jrehör kommen" (M. physiologie der menschl. spr. s. 268 fg.), gerechnet 
wird, so habe ich dagegen nichts einzuwenden. 



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2U6 



Schuchardt 



otterremo, non t o S, ned entrambi, raa l'esplosiva c a . 
In den worten „passi poi rapidamente" seheint die Wider- 
legung der ansieht Ascoli's involvirt zu sein; sie drücken 
ubergang, folge aus und bringen das mornent der Schnel- 
ligkeit in rechnung, welche doch nirgends einen wesent- 
lichen unterschied begründet * ). Man vergleiche beson- 
ders die worte Ascoli's auf der vorhergehenden seite: 
„Quäle pur sia la rapiditä con cui si possa proferire il 
gruppo ts o dz in vintsere o tindiere, non si otterrä 
mai, ehe, serbatine distinti i due elementi, n'esca il vin- 
cere o il tingere della pronuncia italiana". Der irr- 
tbum Ascoli's beruht besonders darauf, dafs er nicht nur 
in der art des verschlusses selbst, sondern auch in der art 
seiner lösung ein wesentliches moment erblickt; denn ein 
und derselbe verschlufs wird immer den gleichen konso- 
nanten ergeben, wie er auch gelöst werden mag. Dafs ö 
kein' momentaner laut ist, erkennen wir schon daran, dafs 
wir ihn nicht durch plötzliches abschneiden des luftstroms, 
durch herstellung des verschlusses erzeugen und dafs wir 
ihn daher auch nicht verdoppeln können. In fat-to hö- 
ren wir erst bei der bildung des verschlusses ein t, und 
dann eines bei der lösung desselben ; beide sind durch eine 
pause getrennt. Man spreche aber faccio; es wird dies 
nimmermehr fac-£o, sondern immer fat-co sein. Auch 
auf historischem wege vermögen wir uns c aus ts nieht 
zu erklären. § ist aus 8 und % entstanden; diese beiden 
reibelaute können sich zusammenschieben, da ihre artiku- 
lationsstellen nicht dieselben sind, sondern hintereinander 
liegen; t aber und das in £ enthaltene s gehören derselben 
reihe an ( — kann II werden, — — nicht). Von die- 
sem gesichtspuukte aus wäre [t#] wenigstens denkbar. 
Hätte sich übrigens aus ts ein einfacher laut gebildet, so 
inüfste sich ein einfacher laut auch aus ts bilden können 
und sollte dann ein solches dem c entsprechende z von 
Ascoli nicht in irgend einer italienischen mundart nach- 

*) Im it. c ist allerdings 8 auf's innigste mit t verbunden und wird 
ganz kurz gesprochen, während dies im deutschen nicht immer der fall ist, 
vielmehr s oft sehr gedehnt gesprochen wird. 



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albanisches und romanisches. 



297 



zuweisen sein (vergl. Corsi I, 23 anno. 12)? Kurz wir 
glauben, dafs der berühmte gelehrte sich durch ähnliche 
umstände zur annähme eines einfachen c hat verführen 
lassen, wie diejenigen sind, auf welche man hin die ein- 
fache natur der mouillirten konsonanten behauptet hat. 

An der stelle, wo M. darthut, dafs wie im romani- 
schen auch im albanischen der lat. casus obliquus und nur 
in seltenen fallen der nomiuativ zu gründe liegt, hätte er 
auch an die entlehnung einer albanischen pluralendung aus 
dem lateinischen erinnern sollen. Das -or-a lateinischer 
neutra, welches in der spätesten Volkssprache auch auf 
masculiua übertragen wurde, hat sich in italienischen mund- 
arten als -ora, -ura (selten -era, -ira) und im rumä- 
nischen als -uri, alt -ure (s. Mussafia im jahrb. X, 356) 
fortgesetzt. Diese endung lautet im albanischeu -öra (bei 
den namen lebender wesen -öre) und auch Camarda kann 
sich des eindrucks dieser Übereinstimmung nicht erwehren. 
Dafs dies -öra oder -ere im albanischen ursprünglich 
fremd ist, geht auch daraus hervor, dafs ein sehr bedeu- 
tender theil, vielleicht die hälfte der so deklinirten Wörter 
lateinische Wörter sind und zwar besonders solche, deren 
singularform im albauischen um eine silbe verkürzt wor- 
den ist, so ljumg (flumen), ljumera — mbrett (iin- 
perator), mbrettere — nipp (nepos), nippere 
— prift (presbyter), priftgre — unkj (avunculus), 
ünkjSre — vape (vapor), väpera. Vergl. rum. sore 
(soror), surori, doch auch nore (nurus), nurori. 
Auch noch andere analogien der albanischen mit der ru- 
mänischen deklination bieten sich dar. So erinnert das 
alb. plural-j vou Stämmen, die auf k und 1 (lj) ausgehen, 
an das rumän. -i, -T um so mehr, da 1 hier und dort 
schwindet, z. b. alb. fil (filum), flj — kalj (caballus), 
kuaj = rum. cal, cai. Wie im albanischen stammhaf- 
tes n im sing., als auslautend, abfallt, im plur. aber vor 
e gewahrt wird (krüa, krönje), ähnlich schwindet im 
rum. 1 im sing, vor e und mit diesem, bleibt aber im 
plur. vor e (steä, stele)*). — Ueber die art und weise, 

*) Mit dem artikel lautet steä = Stella : steaoa d. i. stedo-a; 



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298 



Schuchardt 



wie die verba aufgenommen werden, ist auch noch ein 
wort hinzuzufügen. Die meisten treten begreiflicher weise 
in diejenige konjugationsklasse ein, welche die zahlreichste 
ist, nämlich unter die verba auf -öj (Lsg. praes.), mögen 
sie nun im lateinischen der a-, e-, i- oder konsonantischen 
konjugation angehören, z. b. certare, languere, lenire, 
maledicere. Einige indessen stellen sich zu den verben 
auf -ej, nämlich öngjej (ungo), följej (fallo), ke*m- 
bej (vulgl. cambio), m&rtzej (it. meriggi o ), peljkjej 
(placeo), semb§Uj (*similio), sörbej (servio), 
skgndej (scintillo), sperej (spero), urrej (horreo), 
veljej Cam. (valeo). Der grund dieser ausweichung ist 
nicht leicht zu bestimmen; man könnte an einen vorwärts 
wirkenden jotazistischen einflufs denken (von welchem nur 
in spero und ungo keine spur zu finden wäre; fallere 
wird romanisch fallire), wenn nicht eben in ljSngöj 
(langueo), ljenöj (lenio) e, i wirkungslos geschwun- 
den und in krjoj, krüj6j R. (creo), $enj6j, ich strahle 
(siguo; aber senöj, ich zeichne auf) j wirkungslos ge- 
blieben wäre; wegen krejöj, ebenso strupijöj Blanch* 
(it. stroppio), studejöj Blanch. (it. studio) vgl. neap. 
ej in tonloser silbe vor vokal = i. Durch den auefall von 
konsonanten ergeben sich formen wie düaj (debeo), 
skrüaj (scribo) (in denen u nicht etwa wie u in küaj 
(caballi) aufzufassen ist) und lüaj (ludo), rrüaj (rado) 
für 'devüaj, *d§üaj u. 8. w. Man hat die erweiterte 
form -üaj der einfachen -öj vorgezogen, um den einsilbi- 
gen Wörtern mehr gehalt zu geben. Während aber hier 
der Stammvokal vor dem der endung geschwunden ist, trat 
in einem anderen falle das umgekehrte ein : arrij, harrij 
H. (fehlt bei M.), geg. rri H., mbrij, mrrij R. it. 
arrivo; sizil.-alb. arre\j e" Cam. möchte ich auch hierher- 
ziehen, da ßonst als it.-alb. form rrövoj, rrSvoj Rada 
angeführt wird. Aehnlich Ijaj = lavo. Der konsonan- 

deno o, das hier beinah wie u lautet, scheint in der tbat — eine vermu- 
thung, die Musf.afia zur rumänischen vocalisation s. 134 anm. 18) wieder auf- 
gegeben hat _ = 11 zu pein; vgl. makerior. dat. sing nteao-lji, nom. pl. 
»teal-le. Wird doch 11 und 1 auch in mfcduvö, mödue = niedulla 
und in piu«, pio«, pio tss pila zu u und o. 



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albanisches und romanische». 



tischen konjugation folgen auch im alb. rjep (rapio), 
ökiint (excuto), spun (expono), trßmb (tremo), 
während geg. sürp (tosk. surboj = sorbeo) sogar von 
der vokalischen dazu Oberging; ves (vestio) ist nicht si- 
cher. — Wenn wir uns hier als repräsentanten des ver- 
bums der Lsg. pracs. bedienen, so hat dies darin seinen 
grund, dafs dem albanischen eine eigentliche infinitivform 
fehlt. Die Gegen haben zwar einen infinitiv, aber der- 
seli e ist zusammengesetzt aus einer partikel me (wohl = 
me, mit) und dem part. pass., z. b. kSndöem, gesungen, 
me kgndüem, singen. Die Tosken aber müssen den in- 
finitiv in neugriechischer weise umschreiben; doch kann 
ein substantivischer infinitiv durch das part. pass. mit dem 
artikel auegedrückt werden, z. b. kSnduarg, gesungen, 
te* kgndüarö, gesang, wie auch geg. t' kendüem. Wenn 
nun M. das verbum im infinitiv mit weglassung von me, 
also in der form des part. pass. anführt, so wäre dies für 
das gegische allenfalls noch statthaft, aber nicht für das 
toskiscbe und noch weniger, dafs er auch da, wo er aus- 
drücklich die toskische form nennt, dieselbe mit der gegi- 
schen und nicht mit der toskischen partizipialendung dar- 
stellt, so z. b. Hahn's kjertöj in kjertüem (statt in 
kjertuare" oder mindestens kjertüamö) umsetzt. Aber 
er ist auch darin nicht gauz konsequent, er fuhrt verba 
auch oder nur in der Lsg. praes. an (s. z. b. unter spero 
und cambio). — Aus der Wortbildung wÄre die weib- 
liche endung -e§e" anzuführen gewesen, welche dem it. 
-essa näher steht, als dem griech. -ioaa. Im sizilo- al- 
banischen begegnen wir auch peggiorativen und augmen- 
tativen auf -accio und -one, z. b. gruätse von grüa, 
weib, burrüng von burrg, mann (Camarda I, 166). 

Ueber die fortdauer des lateinischen und romanischen 
in Illyrien auch während des mittelalters, welche wohl bei 
der betrachtung der romanischen elemente im albanischen 
berücksichtigt zu werden verdient, habe ich vok. d. vulgL 
III, ö'l — 55 gesprochen. Neuerdings ist nun zu Traü in 
Dalmatien eine bleiplatte gefunden worden, deren inschrift, 
einer späten zeit angehörig (die kursiven züge sind denen 
der Ravenna-papyri des 6. jahrh. ähnlich), einen werth- 



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300 Schuchardt 

vollen beitrag zur kenntnifs des dalmatischen Vulgärlateins 
liefert. Ich theile sie daher hier nach der lesung von 
K. Zangemeister (welcher eine Photographie derselben Th. 
Mommsen verdankt) mit, während sie nach der lesung von 
Detlefsen und Rossi schon in des letzteren Bull, di arch. crist 
II. ser., anno II, s. 39 fg. veröffentlicht worden ist (ich fuge 
deren Varianten hinzu). 

L H- in nonl dm ieso cri[s]- 1 

ti denontio tibi inmon- 

dissime spirete tarta- 

ruce quem angelus gabriel 

de catenis igneis religafvit] 
qui habet dece milia barbar . . 

[po?]st resurrecti[o]ne vinietfi] 
in galilea ibi te ordinavit i[n] 
silvestria loca collamontia* op- 

uti ne hominebus 6 nobfililo r . , 4 
. a 1 J refbos] • 

tenens 3 aut tune* temuni 6 o- 

?? 

ti 7 grandene invocoris 8 uet 9 erg[o] 
inmondissime spirete tartaruce 
ut ubiconqua nomen dnl audive- 

ris lu vel si Corpora" cognoveris " non p[ossis] 13 
II. 14 ubi vellis 16 nocere 

[inan?]te lfi habias iordfajnis 17 fluvio 

? ? 

quem transnare 18 non potuisti 
[rjequesitus quare transfijre non 
potuisti dixisti quia ibi ignis 
a ganea 19 ignifera corret et ubi- 
conqua semper tibi ignis a ganea* 0 
[ijgnefera efujrsat" denontio tibi 
per domino" meum cave te H — | — f- 

1 vielleicht cri Z. 8 collemontia. a opteneres. 4 tunc. * lemura? 
Z. demuin D. R. ö ut ne bominebus fortlaufend nach optenere«.. ♦ sind 
reste älterer achrift, die sich auch an anderen stellen zeigen. 7 ore. * in- 
vocares. » vel? Z. vede D. R. '<• audiveres. • ' vel scriptura. cogno- 

yeres. »» -f. >♦ (eas) vor ubi. Vellen *« ( 8e d) inde. " ignis. 

transsire? Z. transire D. R. »• aranea. »» aranea. " (ue) contra faciaa 
ac. donino druckfehler. 



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albanisches and romanisches. 301 

Wie noch im an fang dieses jahrhunderts zu Triest 
ein idiom herrschte, welches als eine mnndart des friau- 
lischen zu betrachten ist, aber heutigen tages vollständig 
vom venezianischen verdrängt oder venezianisirt worden 
ist (man vergl. Cassani's triestinische Sprichwörter 1860 
mit Mainati's tri estinischen gesprächen 1828), so vermuthe 
ich die freilich viele jahrhunderte frühere venezianisirung 
eines in Dalmatien gesprochenen romanisch, welches sich 
zunächst wohl an das friauliscbe anlehnte. Ich habe mir 
keine proben dalmatinischer Sprechweise verschaffen kön- 
nen; man sagt mir aber, dieselbe biete — von der einmi- 
schung slawischer Wörter abgesehen — durchaus nichts be- 
sonderes dar. Jedenfalls hatte noch um 1600 die parla- 
tura Dalmatina genug reiz, um hie und da in der komödie 
Vertreter zu finden. Die Ragusaner scheinen damals kein 
femininum gekannt zu haben; wenigstens heifst es cul 
lengua, del vertue, suo prudentia, un donna. 
Auch setzten sie den artikel zwischen das pronomen und 
das hauptwort, so mio '1 nome, mio l'anemo, suo 
l'anzigno (ingenio), suo le gran duttrina, und das e 
vor zusammengesetztem n sprachen sie i, wie die Rumä- 
nen, so dinte, zinte, altrominte. 

Das 3. heft von M/s alban. forsch, behandelt solche 
Zeitwörter im albanischen sowie rumänischen, neugriechi- 
schen, bulgarischen, serbischen, deutschen, finnischen und 
lappischen, welche aus einer anderen spräche „ nicht in 
ihrer durch abstreifung der flexion gewonnenen Stammform, 
sondern in irgend einer flexionsform aufgenommen" wor- 
den sind, so ngr, ägißaQio = it. arrivo, itsvactQUi = 
it. penso u. 8. w., auch alb. kalär Rada von it. calare, 
bildungen, denen noch die ganze rohheit der lingua franca 
anhaftet. 

M. bat sich um die albanischen Studien grofses ver- 
dienst erworben. Ehe wir uns an ergründung der exote- 
rischen lautgesetze wagen, müssen wir über die esoteri- 
schen leidlich im klaren sein. Dazu gelangen wir vermit- 
_ teht beobachtung der flexion und ableitung, welche noch 
durchaus in ihren anfangen liegt, vermittelst Untersuchung 



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302 



Schuchardt, albanisches and romanisches. 



der fremdwörter — hier hat sich M. den löwenantherl zuge- 
eignet — und vermittelst mundartlicher parallelen, die wie- 
derum noch nicht mit der gehörigen Sorgfalt vorgenommen 
worden sind. Wenn einst dem albanischen eine ganz feste 
Stellung innerhalb des indogermanischen angewiesen ist, 
dann werden wir ihm wahrscheinlich manche Wörter, die 
wir jetzt, und mit vollem fuge, als entlehnt betrachten, 
als altes erbgnt zurückerstatten müssen. 

Scbliefslich bemerke ich noch einige verseben und 
druckfehler bei M. I, 13,21 lies d 3 y' fittr t 3 j'. Cam- 
biare II, 9 ist nicht als mlat., unctura 11,69. 80. 81 nicht 
mit einem stern zu bezeichnen; wohl aber ist roga 11,55 
mlat. Was ist sag r um 11,57? Statt calyx 11,9 ist zu 
schreiben calix, statt kamba 11,9 camba, statt Da- 
nubius I, 19. 11,20 Danuvius, statt marathum II, 39 
besser marathrum, statt pu last er II, 53 pullaster. 
Ferner statt cantaroll, 10 cantaro, statt cigalall, 14 
cicala, statt ghionda II, 30 ghianda, statt raggione 
11,54 ragione, statt scesta 11,58 sesta, statt cucu- 
veggia 1, 24,15 cuccuveggia Trüile fuhrt M. II, 68 
als alb. wort aus Camarda II, 206 an; daselbst findet sich 
nur ein griech. TgvrjXa. E steht oft fiär e, z. b. mertsej 
11,41, 16, äpe ruem II, 62,20, dem-i II, 74, 2, pelüm-i 
11,74, 18, äendet-i 11, 74, 22, sterngüem II, 76, 10, 
Sterngim-i II, 76, 11 ; umgekehrt sperese-a II, 62, 20. 
L steht statt Ij : kuletS-a II, 15, 34. lesüem II, 35, 2. 
levdurüem II, 35, 11. meltsi-a u. s. w. 11,41,36. pel- 
kjuem II, 74, 19. Statt mePjoj II, 75, 34 (welches 
meljjöj sein würde) meljöj. Statt kersi-a II, 13, 17 
kjersi-a. Statt piskjölg-a II, 50, 21 piskj(Sle-a. Statt 
bänje-a I, 15, 29 bä'jö-a (wie richtig 11,4,36). Statt 
thith-a I, 3,2 #i#-a. Statt belbezzuem 11,4,3 
belbezuem. Statt küdgre-a II, 19, 26 kü<$örS«a. Statt 

faecie-i all, 24,30 faccie-ia. Statt <jinter-i 11,30,6 

dönter-i. Statt nbljüem II, 61), 34 mbljuem. Für star- 
kes r schreibt M. anfangs später rr. 

Leipzig, juli 1871. Hugo Schuchardt. 



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Leo Meyer, etymologische mittheilungen. 



Etymologische mittheilungen. 

1. geist. gähren. garstig, gas. 

Man fragt mich nach dem Ursprung des wortes geist, 
ob es nicht mit unserm gäbren, aus dem, wie einige mei- 
nen, aucb das wort gas hervorging, zusammenhänge und 
dann auch mit garstig. 

Darauf w&re etwa folgendes zu erwiedern. 

Zunächst ist hervorzuheben, dai's das wort gas we- 
der in den angegebenen noch Oberhaupt in irgend einen 
etymologischen Zusammenhang hineingehört, da es ein völlig 
willkübrlich ersonnenes wort ist. Es ist daher nicht gut, 
wenn Weigand in seinem Wörterbuch, dieser nicht genug zu 
rühmenden fundgrube deutscher worterklärung, dazu be- 
merkt: „Wohl von gäschen mhd. gesen, woher auch 
mhd. der gis schäum." Unmittelbar vorher sagt Weigand 
selbst, dals der Chemiker Johann Baptista van Heimo m 
(geboren in Brüssel 1577 und ebendaselbst gestorben am 
vorletzten tage des jahres 1644), „der alles durch gäbrung 
oder fermente entstehen liefs, für alle nicht mit der at- 
mosphärischen luft übereinstimmende luftarten« das wort 
erfunden habe. Hören wir Helmont selbst Über diese seine 
erfindung. In der frankfurter ausgäbe seiner werke vom 
jähre 1707 heifst es seite 69: 

Verum quia aqua in vaporem, per frigus delata, al- 
teriu9 sortis, quam vapor, per calorem suscitatus; Ideo pa- 
radoxi licentia, in nominis egestate, halitum illum, Gas 
vocavi, non longe a Chao veterum secretum. Sat mihi 
interim, sciri, quod Gas, vapore, fuligine, et stillatis 
oleositatibus , longe sit subtilius, quamquam multoties aere 
adhuc densius. Materialiter vero ipsum Gas, aquam esse, 
fermento concretorum larvatam adhuc. 

Auf der unmittelbar folgenden seite heifst es noch: 
Gas, et Blas nova quidem sunt nomina, a me introducta, 
eo quod illorum cognitio veteribus fuerit ignota: At tarnen 
inter initia physica, Gas et Blas, necessarium locum obti- 
nent. Da ist also noch von einem zweiten von Helmont 



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Leo Meyer 



erfundenen worte die rede, dem blas, das meines wissens 
nie ein gebräuchlicheres geworden ist, Ober dessen vom er- 
(inder ihm zugetheilten begrifflichen inhalt ich noch einige 
worte von seite 77 aushebe: Stellae sunt nobis in signa, 
tempora, dies et annos. Ergo patrant temporum mutationes, 
tempestates, atque vicissitudines. Quorsum opus habent 
duplici motu, locali scilicet, et alternativo. Utrumque autem, 
novo nomine Blas significo. 

Helmont selbst also hat bei erfindung seines Wortes 
gas an keinerlei anderen formellen Zusammenhang gedacht, 
als an den mit dem griechischen Xaog. 

Was nun aber weiter das wort geist anbetrifft, so 
müssen wir bekennen, dafs sein etymologischer Zusammen- 
hang noch durchaus unermittelt ist. Mehrfach hat man 
es mit dem gothischen us-geisnan „in erstaunen gerathen, 
sioh entsetzen" und us-gaisjan „erschrecken, von sinnen 
bringen" in Verbindung zu bringen gesucht, und das thut 
z. b. auch Diefenbach in seinem gothischen Wörterbuch 
(II, 398), der freilich so gut wie nie etymologische Schwie- 
rigkeiten reio und sicher zu lösen weifs. Kann auch die 
möglichkeit eines formellen Zusammenhanges unseres geist 
mit den angezogenen Wörtern von vornherein gewifs nicht 
geleugnet werden, so fehlt doch jeder natürliche begriff- 
liche Zusammenhang, wie er bei etymologischen darlegnngen 
allezeit das wesentlichere stück bilden mufs. Auch Wei- 
gand kömmt auf denselben äußeren Zusammenhang. Er 
erklärt kurz, geist „entsprofs derselben wurzel wie der und 
die geisel", und bemerkt unter dem männlichgeschlech- 
tigen geisel „ursprünglich wohl geschlagener", was doch 
nichts weniger als erwiesen ist, unter dem weiblichen 
geisel, dafs dies von einem verlorenen gothischen wurzel- 
verbum geisan „stofsen, hauen, schlagen" stamme, von 
dem dann auch die oben angefOhrten beiden gothischen 
Wörter herkommen sollen. Die gegebenen Zusammen- 
stellungen beruhen auf combinationen Jakob Grimms (gramm. 
II, 46), die nur durch äufsere anklänge geleitet sind, denen 
aber sonst aller sichere boden fehlt. 

Das wort geist ist eben ein uoch durchaus uuerklär- 



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etymologische mittheilungen. 



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tes, seine bedeutungsentwickelung ist von niemandem klar 
nachgewiesen, wir wissen, dafs es in den älteren dialekten, 
im althochdeutschen , altsächsischen, angelsächsischen, we- 
sentlich dieselbe bedeutung hatte, wie bei uns, und darüber 
reichen wir noch nicht hinaus. Iu bezug auf das äufsere 
des wortes wäre vor allem hervorzuheben, dafs seiue ältest 
erreichbare deutsche also gothische form gaista- lauten 
würde, in der man ein passiv- participielles suffix ta zu 
vermuthen geneigt sein wird. 

Mit unserm gähren, das sein r allerdings an die stelle 
eines älteren Zischlautes treten liefs, wie es denn im mittel- 
hochdeutschen noch jesen (oder gesen), im althoch- 
deutschen (Graff I, 611)jesan (oder gesan) lautet, kann 
unser geist schon deshalb nicht zusammenhängen, weil 
in ihm ein innerer i- vokal, dort aber ein a als grundvocal 
erscheint Die weiter zurückliegende Verwandtschaft des 
wortes hat, während man in dieser beziehung früher auf 
ganz falsche fährte gerathen war, unseres wissen a zuerst 
Kuhn in dieser seiner Zeitschrift (II, 13?) aufgedeckt: er 
stellt unser gähren zum griechischen £«o> (aus fetfw, jiaw) 
„ich koche, ich siede" und mit ihm zum altindischen jas, 
dessen sinnliche grundbedeutung „sprudeln (von siedender 
flüssigkeit), schäum auswerfen" allerdings nur noch in ver- 
einzelten alten stellen nachgewiesen ist und insbesondere 
in dem participiellen mit dem präfix pra verbundenen 
pra-jasta- „ Überwallend". 

Mit gähren kann wiederum unser garstig durch- 
aus nicht zusammenhängen, da sein inneres i vor unmittel- 
bar folgendem zischlaut nicht wohl selbst aus dem zischlaut 
entstanden sein kann, sondern ursprünglich sein mufs. Es 
schliefst sich an ein mittelhochdeutsches garst „ranziger, 
stinkender geschmack oder gerucb " und das mit diesem 
gleichbedeutende von Graff (IV, 265) beigebrachte althoch- 
deutsche gersti, das sich nicht mit Sicherheit weiter zu- 
rOckverfolgen läfst. Es mag die vermuthung ausgesprochen 
sein, dafs es an das altindische ghrä „riechen, beriechen": 
gighrati „er riecht" sich irgendwie anscbliefst. 

Zeitschr. f. Tgl. sprachf. XX. 4. 20 



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2. krank, klein. 

Während wir im Grimmischen Wörterbuch Überall und 
in den neueren heften fast immer noch in erhöhtem grade 
die aufserordentliche reichhaltigkeit und den Überaus grofsen 
umfang, in dem das frühere leben jedes einzelnen wortes 
innerhalb des gesammten deutschen Sprachgebietes darge- 
stellt zu werden pflegt, zu bewundern haben, sehen wir, 
was Über die grenze des eigentlich deutschen hinausreicht, 
in der regel unverhältmfsmäfsig kurz abgethan. Und doch 
darf man behaupten, dafs zur sicheren darstellung der ge- 
sammten entwicklung eines wortes, wenn uns gelingt es 
in eine verwandte spräche zu verfolgen, diefs fast immer 
von viel grölserer Wichtigkeit ist, als seine prüfung durch 
alle näher liegenden dialekte. Der sichere ausbau eines 
bauses bleibt unmöglich, wenn nicht sein grund zuverlässig 
und fest gelegt ist; das gilt auch hier. 

Zu diesen betrachtungen hat uns wieder der so über- 
aus reichhaltige artikel über das wort krank veranlagst. 
Die gegebene geschieh te des wortes deutet über das deutsche 
eigentlich gar nicht hinaus, und ebenso heifst es bei Wei- 
gand unter krank: „dunkler berkunft 44 . 

Und bis in das altindische läfst sich unser wort krank 
zurückverfolgen und damit eröffnet sich eine weite aussieht. 
Es stimmt völlig überein mit dem altindischen gargara- 
„ zerfetzt, löcherig, gespalten, geschlagen", dann auch „ge-? 
brechlich, abgelebt, zerfallen, morsch", lauter Bedeutungen, 
die den älteren unseres krank, wie „kraftlos, gelähmt, 
schwach 44 unmittelbar nahe stehen. In bezug aber auf das 
formelle verhältnifs von gargära- und krank ist an zweier- 
lei wortumbildung zu erinnern, die ähnlich auch in andern 
deutschen Wörtern entgegentritt. Ganz wie z. b. das got. 
vakan „ wachen 44 sich unmittelbar an das altind. gägar 
„wachen 44 : gägar ti „er wacht 44 anschliefst, dessen r als 
in die gesammte bildung der deutschen starken verba 'durch- 
aus störend eingreifendes element ganz abgeworfen Wurde, 
ging auch das zweite, nicht etwa suffixale, sondern wirk- 
lich wurzelhafte r jenes altindischen adjectivs verloren und 

v 



* 

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etymologische uiittheilungen. 



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es gestaltete sich nun das deutsche wort, als oh es einem ge- 
wöhnlichen deutschen starken verbum (krinka— krank — 
krunkum) angehören könne. Sein innerer nasal aber, 
das andere beachtenswerthe, ist wohl kaum als eigentlich 
präsentischer aufzufassen, sondern wird mit demjenigen 
übereinstimmen, der hie und da in sogenannten intensivformen 
zum Vorschein kommt, wie ihn zu besprechen in meiner 
gotbischen spräche (208) bei betrachtung von tandjan 
„anzünden" und zugehörigen Wörtern veranlassung war. Als 
intensivbildung aber ergiebt sich jenes altind. gargar a- ganz 
deutlich; es entstand durch Wiederholung aus der wurzel- 
form gar „gebrechlich werden, in verfall kommen, sich 
abnutzen, morsch werden, altern": gärati, glrjati oder 
gfrjatö „er wird gebrechlich", dessen particip glrna- 
„gebrechlicb, morsch, alt" ist, und an das sich z. b. noch 
anschliefsen gar a na- „hinfällig, alt", garas- „gebrechlich- 
keit, alter" u. a. 

An die betrachtung des wortes krank schliefsen wir 
die unseres klein noch an. Dafür wird als ursprüngliche 
bedeutung bei Weigand sowohl als im Grimmischen Wör- 
terbuch in mehr als unwahrscheinlicher weise „glänzend" 
aufgestellt, weil im althochdeutschen (Graff IV, 559), wo 
es mit subtilis, gracilis, minutus, tenuis, exiguus, parvus, 
sagax, versutus, argutus übersetzt wird, ihm ein einziges 
mal auch nitens gegenübersteht. 

Die älteren formen, insbesondere das abd. chleini 
oder kleini, zeigen, dafs im gotbischen ein klainja- ent- 
sprechen würde. Darin aber ist nicht blofs das j ein 
suffixales, sondern auch das n mufs es ursprünglich sein, 
wie in meiner gotbischen spräche, deren bauptaufgabe mit 
darin bestand, für die Scheidung von suffixalen und wurzel- 
haften lauten bestimmtere gesetze zu gewinnen, in mehr als 
einer richtung deutlich gemacht ist. So sind gothische 
formen wie gamainja- „gemein", hrainja- „rein" und 
andre, die ich im 297. abschnitt zusammenstellte, zunächst 
zu vergleichen. An eben demselben orte ist aus dem alt- 
indischen varßnja- „ erwäblenswerth , erwünscht" von 
var „wählen" vergleichend herbeigezogen und nach Benfeys 

20 # 

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gramm. (§. 902) können durch die hier hervortretende suf- 
fixform enja- in den veden überhaupt die sogenannten pas- 
siven futurparticipia gebildet werden, deren §. 904 als Bei- 
spiele angeführt werden: ucenja- „wünschenswerth, erstre- 
benswerth**, von vac „wünschen 44 : vacmi „ich wünsche*; 
idenja- „anrufenswerth, preisenswerth**, von id „anrufen, 
preisen": ide, „ich rufe an"; kirt^nja- „nennenswerth ? 
rühmenswerth** von klrtajati „er erwähnt, er rühmt** u.a. 

So können wir als dem deutschen k 1 a i n j a- entsprechend 
ein altindisches grenja- oder gar enja vermuthen, das 
als auch dem oben genannten gar „gebrechlich werden, 
morsch werden ** entsprungen zunächst bedeutet haben mag 
„gebrechlich, zerbrechlich, morsch tf oder genauer wohl 
„was zerbrochen oder zerrieben werden soll", da die sinn- 
liche grundbedeutung des angeführten altindischen Zeitworts 
„zerreiben** zu sein scheint. 

■ 
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3. Gothisches naiv. 

Markos VI, 19 den Worten 77 $ä iHptodidv &vn%tv 
ctvT<t> gegenüber geben alle älteren ausgaben der got Irischen 
bibelübersetzung i|) so herodianai svor imma. Auch 
von der Gabelentz und Loebc haben so im texte behalten, 
in der zugefügten an merkung erklären sie indei's, die lesart 
sei ohne zweifei verderbt, und man müsse, wie schon von 
früheren herausgebern vermuthet worden sei, herodias 
saisvor lesen. Darnach haben sie dann auch im Wörter- 
buch ein sonst nicht nachgewiesenes sveran „nachstellen *% 
das sie mit dem ags. syrvan zusammenstellen, aufgeführt, 
das dann auch wieder in der grammatik §. 126 als in der 
flexion mit tekan „anrühren** Übereinstimmend seine stelle 
gefunden bat. An der überlieferten lesart hatte schon 
Benzel anstofs genommen, doch aber nicht sich getraut 
saisvor zu lesen, wenn es ihm auch richtiger geschienen 
hatte, und er war auch in zweifei, ob er als infinitiv dann 
svarjan oder svaran in der bedeutung „zürnen** oder 
„nachstellen u annehmen sollte, doch mehr für das letztere 
gewesen. Lye hat herodias saisvor lesen wollen und 



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I 



etymologische mittheilungen. 309 

sveran für den infinitiv halten. Es war recht verunglückt, 
wenn Zahn zu dem bemerkte, schicklicher und gramma- 
tischer sei allerdings das von Lye aufgestellte, am aller- 
sprachähnlichsten scheine ihm aber doch der infinitiv 
sviran zu sein. 

Am meisten mufste in der Überlieferung die form 
berodianai bedenken erregen, die doch alles überbot, 
was sonst an Veränderungen der zu gründe liegenden eigen- 
nanien in der gothischen bi beiÜbersetzung vorkömmt. So 
lag, da der Gothe eine ganze reihe von mit zweilautigem 
ai reduplicirende'n verben hat, die vermuthung eines perfects 
saisvor gewifs nah. Immerhin aber blieb doch die Ver- 
änderung eines n in s in der sonst so fehlerarmen silber- 
handscbrift sehr bedenklich. Mafsmann meinte den Über- 
lieferten zügen etwas näher zu bleiben, wenn er vaisvor 
schrieb, das er dann seltsam erklärte „wehe-schwur, ver- 
derben schwur". In der abweichung von Vollmers hero- 
diada usvor konnte man ihm allerdings voll beistimmen. 

Als mafsgebend mufste vor allen dingen gelten, was 
Uppströms ausgäbe (Upsala 1854) an der bedenklichen 
stelle zu bieten hatte. Aber da ergab sich aus ibr leider, 
dafs das ganze capitel des Markos - evangeliums und also 
auch sein 19. vers sich auf einem der seit dem jähre 1834 
vermifsten zehn blätter der silberhand6chrift befand, für die 
Uppström auch nur auf die älteren ausgaben und abschriften 
und auf die Sotberg'schen notizen angewiesen war. So viel 
aber machte sein tezt doch deutlich, dafs in der handschrift 
mit herodia eirie zeile schlofs, man also dem gr. 'Hgaadiag 
gegenüber keine andere form zu vermuthen hatte. Das über- 
lieferte naisvor suchte Uppström, der die Zusammen- 
stellung des gemuthmafsten got. sveran mit dem ags. 
syrvan mit recht entschieden ablehnt, zu retten, indem 
er es in zwei Wörter: nais vor zerschnitt, deren Über- 
setzung er als calamitatem meditabatur giebt. Das 
vor nämlich glaubte er auf ein als mit dem got. vars 
„vorsichtig, behutsam" zusammenhangend vermuthetes star- 
kes verbum varan „cavere, caute agere" und dann auch 
„callide und astute agere, cogitare, meditari" zurückführen 



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Leo Meyer 



zu dürfen, das nais aber als ein Substantiv aufzufassen, 
das mit dem mhd neisen „verderben, beschädigen, plagen" 
in zusammenbang stehe und mit den altn. ueiss „verachtet, 
gering geschätzt* und öneiss „nicht verachtet, geehrt, 
geachtet*, öneisinn „nicht verachtet, geehrt". Dagegen 
mochte man wohl seine bedenken haben. 

Im jähre 1857 war Uppström so glücklich, die bis 
dahin vertnifsten blätter der silberhandschrift als Decem 
c'odicis argentei rediviva folia (Upsala 1857) der gelehrten 
weit in einer neuen ausgäbe Oberreichen zu können. Darin 
gestaltete sich nun der text an unserer stelle wesentlich 
um: als text der handschrift wird das zeilenschliefsende he- 
rodia bestätigt, dann aber als beginn der folgenden zeile 
naiv im m a gegeben. Wunderbar! anstatt des fr Ohereu 
nais vor ein naiv; aber Uppström versichert, dafs so 
durchaus deutlich in der handschrift stehe und fugt hinzu, 
dafs in nais vor, das also ursprOnglich wirklich gestanden 
hat, die buchstaben s, o und r abgeschabt, wenn auch nicht 
ganz weggeschabt (rasi$ prima manu, quam quam non erasis, 
oder wie er gleich darauf sagt: imperfecta rasas) seien. 
In dem so neugewonnenen naiv aber tritt uns ein Präteri- 
tum entgegen, das in seinem ausgang völlig fibereinstimmt 
mit ga-spaiv „er spie", Johannes IX, 6, und wie dieses 
an den infinitiv spei van „speien", sich an einen infinitiv 
n ei van anschliefsen mufs. Uppström hat diese form na i v 
auch zu deuten versucht; er stellt sie zum altind. nlv „fett 
werden, dick werden", neben dem er auch ein kurzvocaliges 
n i v vermuthet, und glaubt aus dieser würze) auch die bedeu- 
tungen „aufwallen, aufbrausen (effervescere), verdriefslich sein 
(stomachari)" entwickelt, wobei er das plautische turget 
mihi „ist ergrimmt gegen mich" (Casinall, 5, 17 und 
Mostellaria III, 2, 10) nicht übel vergleicht. Auf denselben 
Ursprung glaubt er das engl, newing „hefe" zurückführen 
zu dürfen und weiter noch vielleicht auch die ags. nivol 
(nyvol, neovol, neöl) „vorwärts geneigt", das wohl zu- 
nächst „auf dem bauche liegend" bezeichne, und neveseoffa 
„Unterleib", das wahrscheinlicher ventriculus (kleiner 



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etymologische mittheilungen. 



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bauch, magen) bedeute, so dafs unter neve „bauch" 
eigentlich „der dicke theil des körpers" zu verstehen sei. 

Ganz abgesehen von dem gegebenen deuteversuch 
findet das perfect naiv und also ein verbum neivan „nach- 
stellen, aufsätzig sein" treffendste und reichste bestäti- 
gung im sla vischen Sprachgebiet. Im altbulgarischen sind 
die worte Markos VI, 19 r) öh 'Hgcodidg &v€i%ev avrqi 
übersetzt: irodija 2e gnevase se. nani und Lukas XI, 
53 yjg^avTo,.. Öeivwg ivix* iv (das verb kvtysiv kömmt in 
gleicher bedeutung sonst nicht im neuen bunde vor): na- 
casa... bgdne' gnevati se. nani. Die letztere stelle 
läl'st sich im gothischen nicht vergleichen, da sie leider 
zu den verlorenen gehört; Luther giebt hier: „fingen an... 
hart auf ihn zu dringen", an der Markosstelle aber „Hero- 
dias aber stellet ihm nach". Der Altbulgare übersetzt 
also das gr. kve%uv „ nachstellen " mit gnevati s$, mit 
dem er nach Miklosich sonst oQyiCsötfai und #oAai> „zür- 
nen" oder yoyyi&iv „murren, unwillig sein" wiedergiebt. 
Es gehört zu einer weitverzweigten wörterfamilie, aus der 
wir weiter noch anführen gnevu m. „zorn", gnSvinü 
„zornig", gngvistvo n. „zorn", gnSvilivü und gne- 
vinivü „zornig", gneviti „reizeu, erzürnen"; ferner die 
russ. gnevü „zorn, grimm", gnSviti „erzürnen", gne- 
vlivosti „geneigtheit zum zorne", gnävyi „zum zorne 
geneigt", gnevnyi „zornig, ungünstig"; die serb. gnjev 
m. „zorn", gnjevan „zornig", gnjeviti „zürnen", gnje- 
vljiv „jähzornig"; das slov. gnev oder auch gnjev m. 
„zorn"; das kroatische gnjev m. „zorn"; die poln. gniew 
„zorn", gniewac* „erzürnen", gniewac* sie. „sich är- 
gern", gniewny oder gniewliwy „zornig, ärgerlich, 
verdriefslich", gniewanie „das bösemachen"; das slovak. 
hn'ew „zorn"; die böhm. hne w m. „zorn", h newati „zornig 
machen", hnewny „zornig", hnSwnik oder hnäwos' 
„ein zorniger", hnewiwy oder hnewliwy „zornig, un- 
willig"; die wend. hn£w m. „zorn, grimm", hnSwad 
„erzürnen", bnewaf „ärgerer, reizer", hnewny „zornig", 
hn&wnik „Widersacher". Aus dem oberlausitziscben wird 



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312 Leo Meyer 

als zugehörig angeführt niw and new „zorn". Darin ging 
also der alte anlautende guttural verloren, den die slavischen 
sprachen sonst sämmtlicb in den zugehörigen bildungen noch 
zeigen, der aber auch früh im got. n ei van verloren ge- 
gangen sein mufs. Wir können unsere ausfübrung mit der 
bemerkuog schliefsen, dafs wir ganz den nämlichen laut- 
verlust in unserm nest anzunehmen haben, da sich dieses 
unmittelbar anschliefst an das gleichbedeutende altbaktr. 
gnezdo n. , russ. gnezdo n. , poln. gniazdo, böhm. 
hnizdo, wend. hnezdo, in denen eine spätere hinzufü- 
gung des anlautenden kehllautes unmöglich angenommen 
werden kann. 



4. Löschen. 

Unser löschen oder, wie einige gern noch schreiben 
wollen, leschen, das in seiner starken (er-losch, er- 
-loschen) oder schwachen (löschte, gelöscht) flexion 
noch immer den tiefbegründeten unterschied zwischen zu 
gründe liegendem und abgeleitetem oder causalem verb 
deutlich bezeichnet, läfst sich durch das mittelhochdeutsche 
zurück noch bis ins althochdeutsche und auf der anderen 
seite auch bis ins altsächsische hinein verfolgen. In dem 
letztgenannten dialekt begegnet uns das abgeleitete verb 
mit dem praefix a-, also ä-leskian, das in Verbindung 
mit „glauben" (gilöbhon vers 2505), „zunge" (tungon 
mina vers 3373) und „Sünden" (sundiun vers 4253) nur 
in der allgemeinen bedeutung des auslöschens, tilgens, ver- 
nichtens, gebraucht ist. Sonst gilt das löschen in der regel 
vom feuer oder sonst leuchtenden dingen. Für das unab- 
geleitete und noch ohne praefix gebrauchte leschen hat 
das mittelhochdeutsche Wörterbuch nur den einen beleg dö 
lasch ouch anderhalp der schal aus dem Parzival 
(182, 2), wo das verb also vom schall, vom lärm, vom 
lauten rufen gebraucht ist, während das mhd. er-leschen 
z. b. mit liebt, sunne, kerzen, koln sich verbindet 
und das abgeleitete le sehen aufser mit lieht z. b. auch 
mit viur unde gluot. Für das althochdeutsche weist 



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etymologische mittheilungen. 313 

Graff (II, 280) das unabgeleitete leskan auch nur in Ver- 
bindung mit dem präfix ir- nach, das abgeleitete leskjan 
auch ohne dasselbe. 

Noch weiter zurück dürfen wir mit aller Wahrschein- 
lichkeit ein unabgeleitctes got. liskan aufstellen, das sei- 
ner bildung nach sich am nächsten zu priskan „dreschen* 
stellt, von dem Korinther I, 9, 9 (priskandan) und Ti- 
motheus I, 5, 18 (priskandin) das präsentische particip 
und aufserdem Lukas 3, 17 das abgeleitete ga-prask 
„dreschtenne" belegt ist. Darin aber haben wir ohne zweifei 
einen ganz nahen verwandten des lateinischen terere „rei- 
ben", das mehrfach auch gerade vom dreschen des getreides 
gebraucht wird, wie z. b. von Horaz (satire I, 1, 45): 
milia frumeoti tua triverit area centum und von 
Varro (de re rustica I, 13): id secundum aream fa- 
ciundum, ubi triturus sit frumentum. Da wir nun 
mit einiger bestimmtheit schon aussprechen können, dafs 
indogermanische verbalgrundformen oder wurzeln nie auf 
die consonanten Verbindung sk ausgegangen sind, so liegt 
die vermuthung unmittelbar nahe, dafs im got. priskan 
neben dem lat. terere das sk ursprünglich nichts ande- 
res ist, als das so häufige präsentische kennzeichen , wie 
es z. b. im lat. crescere „wachsen", griecb. &vr}OX£iv 
„sterben" und altind. gäkRhati (zunächst für gaskati) „er 
geht" vorliegt. Das gleiche dürfen wir dann aber auch 
annehmen in bezug auf das aufgestellte got. liskan „löschen, 
erlöschen". Um seine entwicklungsgeschichte dann aber 
noch weiter zu bestimmen, liegt wohl am nächsten, das 
got. -linnan zu vergleichen, das nur ein einziges mal 
(Lukas IX, 39) und zwar in der Verbindung mit af als 
af-linnan vorkömmt und so die bedeutung „aufhören, 
ablassen" aufweist. Dafs auch darin das nn ursprünglich 
nur präsentisches zeichen ist, ist schon an andern orten 
nachgewiesen, im übrigen aber schliefst es sich an das altind. 
ar „verletzen, zerstören": rnömi „ich verletze, ich zer- 
störe", das griecb. öXXva&ai (aus öXvvo&ai) „vergehen" und 
das lat. ab-olere „vernichten, vertilgen". Eben dazu wird 
man auch das got. liskan stellen dürfen. Und vielleicht 



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Benfey 



darf man es mit dem griecb. oUxso&at „untergehen, um- 
kommen" und oHxuv „verderben, vernichten*, das sich 
unmittelbar an oXkva&ai anschliefst und vielleicht aus einem 
volleren *oH(Sxe<ifrai, *dk4axetv durch auswerfung des Zisch- 
lautes vor dem k entstand, geradezu fftr im gründe iden- 
tisch halten. 

Dorpat, im September 1871. Leo Meyer. 



Einige worte zu s. 72 dieses bandes. 

Roth schliefst die mir erst gestern zugegangene an- 
zeige meiner abhandlung Ober die im sanskrit mit r an- 
lautenden personalendungen, in welcher er meine ansieht 
Ober die vedischen verbalformen rante und ranta als 
irrig nachzuweisen sucht und, wie ich gern zugestehe, sehr 
zweifelhaft macht, mit den worten: „Benfey's hypothese, 
welche in ihrem ganzen umfang zu beurtheilen nicht meine 
aufgäbe ist, wäre, wenn sie sich bestätigte, ein wesent- 
licher gewinn für die erkl&rung der flexion. Gerade der 
scheinbarste theil der argumentation, durch welche dieselbe 
gestützt wird, dürfte freilich durch den eben gegebenen 
nachweis hingefallen sein 14 . 

Da es die wesentliche aufgäbe jener abhandlung ist, 
die entstehung der mit r anlautenden personalendungen zu 
erklären, so erlaube ich mir einige durch Roth's anzeige 
bedingte nachträgliche worte. 

Eine kurze betraebtung wird nämlich im Stande sein, 
zu zeigen, dafs die dort gegebene erklärung — selbst wenn 
meine ansieht über die verbalfbrmen rante ranta irrig ist — 
keineswegs hinfällig wird, sondern auch dann noch auf 
eben so viel Sicherheit, oder Wahrscheinlichkeit, anspruch 
zu machen berechtigt ist, als z. b. die erklärung der bil- 
dung des passivs durch Zusammensetzung mit formen des 
verbum jä (oder, wie ich annehme, i), des futurum II. und 
der zusammengesetzten aoriste auf sam, sas, sat u. s. w. 
si&am, sisva u. s. w. durch Zusammensetzung mit for- 



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einige worte zu s. 72 dieses bandes. 315 

men des verbum as, erklärungen, welche allgemein als 
sicher betrachtet und zu den wichtigsten resultaten der 
indogermanischen Sprachforschung gerechnet werdeu. 

Die eigentliche stütze meiner erklärnng jener endun- 
gen aus dem verbum ar (r) bildet nämlich der umstand, 
dals dieses verbum in derselben weise zum ausdruck neu- 
tro-passivischer Wendungen gebraucht wird, wie die verba 
jä, i, gam und überhaupt verba, welche „sich bewegen, 
gehen" bedeuten (vgl. §. 18 und 24 der abhandlung). Wie 
in folge davon durch Zusammensetzung mit jä oder, wie ich 
für die alten phasen der indogermanischen sprachen an- 
nehme, i, die categorie der verba neutra und passiva ge- 
bildet wurde, so konnte dasselbe auch durch Zusammen- 
setzung mit ar (r) geschehen (vgl. §. 19. 20 der abhand- 
lung). 

Wenn nun meine auffassung der verbalformen rante, 
ranta richtig wäre, so würden die zu dieser Zusammen- 
setzung verwendeten formen sich in der lebendigen spräche 
erhalten haben. Das würde meiner erklärung jener per- 
sonalendungen einen bedeutenden vorzug vor den ange- 
führten erklärungen aus jä (i), as gewähren. Ist sie aber 
unrichtig, so fällt zwar dieser vorzug" weg; aber die erklä- 
rung wird, wie gesagt, keinesweges dadurch hinfällig, son- 
dern tritt nur auf dieselbe stufe zurück, auf welcher jene 
erklärungen von verbalendungen durch jä (i) und as ste- 
hen, d. b. die formen, aus denen diese endungen hervor- 
gegangen sind, lassen sich nicht mehr in der lebendigen 
spräche nachweisen, wohl aber nach mehr oder weniger 
umfassenden analogien voraussetzen. 

Auch -jase, -jäte u. s. w. als endungen des passivs 
oder der 4. conjugationsclasse erscheinen nicht in den le- 
bendigen sprachen als verbalformen des verbums jä oder i, 
und eben so wenig die endungen des fut. II. -sjämi, 
-sjasi u. s. w., oder die der ao riete -sani, -sas u. s. w. 
und -siäam, -silva u. 8. w. als verbalformen des ver- 
bums as. 

Wenn man dennoch -jase, -jäte u. s.w. von jä ab- 
leitet, so stützt man diese erklärung durch analogien, wie 



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316 



Birlinger 



z. b. ti-sthä-si, ti-äthä-ti von stha, wo griecb. fori??, 
iöTfjöi noch die ursprünglichere länge bewahrt bat; wenn 
man sie von i ableitet, durch die analogie der 6. conjuga- 
tionsclasse: i-ä (wie z.b. rija von ri für urspr. ri-ä steht), 
dann durch festgewordene synizese ja; in ähnlicher weise 
stützt man die annähme eines einstigen aoristes Ssam, 
äsas u. 8. w. von as durch die analogie der übrigen nur 
durch augment und die endungen -am, -as u. 8. w. gebil- 
deten aoriste, z. b. asikara, die von äs i s am (ftir urspr. 
äsisam) durch die der Übrigen analog reduplicirten, z. b. 
ägigam (für ursprüngliches ägagam, welches formal «= 
rjyayov). 

Ebenso, und, bei der weit überwiegenden ausdehnung 
der 1. conjugationsciasse , noch mit viel gröfserem recht, 
dürfen wir annehmen, dafs das verbum ar (r) einst auch 
der ersten conjugationsciasse folgte. Dann waren die or- 
ganischen formen der 3. plur. praes. und imperf. ätman. be- 
ziehungsweise arante, äranta. Als endungen büfsten 
diese in der Zusammensetzung ihre anlautenden vokale 
völlig in derselben weise ein, wie das verbum as in -sjämi 
(für asjämi), -8 am für äsam, oder vielmehr nur asam, 
da das augment in folge davon, dafs es dem mit dem 
aorist von as zusammengesetzten verbum vorgesetzt ward, 
für as selbst überflüssig wurde. 

Göttingen, den 26. mai 1871. Th. Benfey. 



Zur deutschen Wortforschung. 

müch-, mauch-. 

Im XIX. bände s. 149 habe ich Über müch-, mauch-, 
möuchlin gesprochen. Ich kann aus alemannischem ge- 
biete flur- und Ortsnamen, mit müch- zusammengesetzt, 
in gröfserer anzahl beibringen. Damit will ich durchaus 
nicht sagen, als ob im fränkisch-mitteldeutschen und frän- 
kisch-niederrheinischen oder sogar niedersächsischen lande 
es nicht vorbanden gewesen wäre. 



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zur deutschen Wortforschung. 



317 



Müchabeim (f. Müchenheim, Weinhold alem. gramm. 
8. 252) 1392. Mone zeitschr. VIII, 52 in villa Müchein 
bei Schliengen, Scbwarzwald ; 1312, Mone zeitschr. XV, 
245. Dasselbe: „üf der freyen müllin zu Müchen und 
Schliengen«. 1522. Mone XVII, 122. in villa dicta Mü- 
chen 1536. Mone XVII, 234. — Am Mticherweg 1522. 
ebend. 123, itemMüchis guot. Neuenzeller zinsrodel bei 
Mone zt. IX, 363. Müchenbach oder Müchenfurt- 
bache Mone zt. IX, 378. Müchen furt im Albgau nicht 
selten als flurname a. a. o. Ein Müchen, Muck heim 
ON. Bern. Mauchen alt Mücheim bei Mflllheim; zu 
Auggen kommt a. 1478 ein Müchen weg mit Müchen tal 
vor. In Mone's badischer urgesch. II, 115 steht die stelle : 
„das bolz das man nemmet den Müchenhart". Mone über- 
setzt es mit schweinsweide! Das Muchcnland bei St. 
Blasien zwischen dem Habs- und ßözberge ist ein alter 
unheimlicher diebswinkel. — An der fränkischen grenze 
(Vaihingen) erscheint a. 1390 Müchacker: dem Cunz 
Müohackern zu Horheim. Mone zt. V, 95 a. 1299 be- 
gegnet ein fränkisches Mönchen heim nebst Munzenheim. 
Mone zt. XI, 437. Ob Muggensturm bei Karlsruhe; 
Muckenmad bei Craisheim; im Mockhen bei Eschach, 
der Mochenlau, bei Schlierbach mis verstandenem müch- 
zugehören, will ich nicht untersuchen, aber anfahren. 

Zu diesen orts- und fl um amen, denen wenige familien- 
namen sich anreihen, wozu der heutige oberschwäbische 
Maucher und Meichelbeck in Tirol und Baiern ge- 
hört, kommen die namen für thiere und brote, sowie für 
einzelne theile in haus und scheuer. 1) thiere. Wacker- 
nagel widmet in der zweiten aufläge seines buches „Voces 
variae animantium" 8. 93 dem worte mühho, mühheimo 
eine geistreiche anmerkung, wo er hätte erklärend aus dem 
Vocab. S. Galli muuheo«latro beifügen können ; ebenso 
die bei G raff II, 655 angefahrten mühhari, mühhilari 
(sicarius) u. 8. w. mühheimo, grille, nnd ahd. mühhan 
ss kriechen legt W. dem alemannischen Hämmern auch 
und seinen entstellungen bei Stalder II, 16. 35 zu gründe. 
Die hausgrille erscheint auch mit dem namen Mücha- 



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318 



Birlinger 



heim im Vocab. lat. theod. hs. no. 57 in Doaueschingen. 
Vergl. dazu Diefenbach nov. gloss. 198 a. Bei Frisius 
(1556, 8°) Dictionariolum 165b: ein müheimen, gryllus, 
cicada. Bei Heufslin (Forer-Gelsner) bl. 68a: „die gryllen 
oder heimüchen auf dem väld oder in den hensern". 
Vergl. Diutisca 111, 226: mühbeimo. Dieser uralte name 
lebt im alemannischen gebiete noch fort; bat er sich ja 
im neuhochdeutschen hei rochen festgesetzt, was freilich 
kaum mehr jemand zu erklären wuTste. Im Allgäu beifsen 
sogar die schaben (aus denen man Schwaben machte!) mü- 
chelen, gesprochen michela: d'michela sind mV in's 
belzle chö; sodann bezeichnen sie dort mit mücb gera- 
dezu den Salamander. Im strafs burgischen „gart der ge- 
sundheit" (Balthaser Beck) ende des 15. jahrh. steht: 
Cicade Werren oder heimen. Wir haben also hier den 
namen für den erdkrebs; Oberhaupt ist den nach diesem 
wortstamm benannten thieren das unheimliche eigen: Sala- 
mander, schaben, erdkrebse u. 8. w. — Um Rotweil lebt 
Hanamaichle, bei St. Blasien Hanamauchen; in Furt- 
wangen Heumauka: durchaus nicht mehr verstanden 
vom volke, das sie gebraucht. Wenn Wackernagel a. a. o. 
munk, murmelthier, Mücurüna, frauenname bei denBur- 
gundcn, mum, müschen, mü werf herziehen will, so mag 
er es thun. 

2) Für brote begegnet das diminutiv möuchlin, 
möuchli. Neben strüblen, fastnachtküchlein erscheinen 
in Wolfacher Statuten möuchlin: „item am schurtag 
(aschermittwoch auch bei Closener) die möuchlin für anken, 
brot und erbsen"; „die müchlein versuochen". Mone 
zt. XX, 76. Lexer mhd. wb. 73: „anke oder mohelin est 
panis in vapore prodii mandidatus K . Voc. 1482. Diese 
beispiele lassen sich unschwer vermehren. — Man verstand 
aufgedunsene hohle schmalzbackwerke darunter. Hiezu 
steht Meie hei b eck, der solche brote, die den bairischen 
„Kirten" allein echt eigen, backt. Daraus erbellt, dals die 
frage Ludwig Steub's in s. oberdeutschen familiennamen 
(1870) s. 215 „ein Mäuchel- oder Michelbacher? * zu strei- 
chen ist. 



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zur deutschen Wortforschung. 



319 



3) Für örtlicbkeiten. Wenn die kinder unreifes 
obst zur reife bringen wollen, legen sie es in heu und 
stroh, sei es in der scheuer, oder sei es in bettstrobsäcken 
oder gar in alte kleider im schranke u. s. w. Diese ört- 
lichkeit heifst verschieden, bald mauchlet (mtichlet) 
Wurmlingen; „a m. machen*. Mauchert, rotweiler ge- 
gend; maugget, maugge, Burgau, augsb. Schwaben. 
Dazu maugge In, ein obst liest machen, ebenda; maug- 
gennest. Im Kinzigtbal, Haslach hat das h, ch wie in 
ucht = ut ausfallen müssen: sie haben mütti, Offen- 
burg: „in d' mutti thun K . Vergl. Anton, oberlaus. wb. 
II, 11 (1825). 

Diese bedeutuog von verbergen, verheimlichen 
hinsichtlich des obstes führt uns zu der des verbergens, 
vermunkelns überhaupt und zwar hat maucheln, mu- 
cheln einen pessimistischen Charakter angenommen; ver- 
müchler, vermüchla auf dem südlichen Schwarzwald 
allgemein; im aarauischen müchen = verstohlene laute 
von sich geben, vermaukla, 'neinmaukla (z. b. etwas 
in die tasche eskamotieren) am obern Nekar. Ich müfste 
hier alle Wörterbücher anführen; so häufig trifft man diese 
bedeutung. Was die natürliche folge des verbergeos an 
einem sparsam durchlüfteten oder gegen luft abgeschlosse- 
nen räume sein wird, liegt klar zu tage : die luft des ortes 
riecht. Daher meucheln, meuchel, verdorbene luft, 
und in folge dessen die fäulnifsroerkmale, der pilzübeizug 
an brot, fleisch u. s. w. Von unreinen leuten, von faulen- 
dem fleische sagt man: meucheln. „Kerle, wie meuche- 
lischt!" Wurmlingen*). 

Nehmen wir diese allgemein oberdeutschen Wortbedeu- 
tungen und halten sie zu unserm neuhochdeutschen meu- 
chel**), meuchelmord, meuchlings, meuchelei 
u. 8. w., so kommen wir wiederum auf das verborgene 
treiben, auf die heimliche, aus dem hinterhalt, dem 



*) Ueber nebenformen mit f in dieser bedeutung siehe Joh. Schmidt 
die würzet AK s. 70 (vgl. auch diese zeitschr. XV, 452). Anm. d. red. 

**) Vgl. den schönen artikel bei Weigand, wb. II, 1 55. 



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820 



Birlinger, zur deutschen Wortforschung. 



versteck verübte schwarze that hinaus, wobei im- 
mer das versteck die bauptsache ist. Graff II, 655 *). 
Ich mache hier auf das franz. mouchard, Polizeispitzel 
aufmerksam, das keine andere heimath hat. 

Das giebt auch aufschlufs über alle oben angefahrten 
Wörter. Die flurnamen, Ortsnamen sind durchaus winkel- 
plätze; die hausgrille, die am heim d. h. hinter dem ofen 
sitzt, zirpt in den mauerritzen; der erdkrebs wühlt unter* 
irdisch, der Salamander verkriecht sich in den ecken der 
pfützen ; die brote des namens sind innen aufgeblasen, sind 
hohl; die obstorte sind stroh- und heulöcber; das sekun- 
däre olere kann nur einer höhlung, einem abgeschlosse- 
nen scblechtluftigen Speicher entstammen; das gehört alles 
zu einer sippe**), für die man möglicherweise Verwandt- 
schaft mit griech. uv%6g annehmen darf. Ueber den Wech- 
sel von ch und k in ^mauchen, muchen, mauggeu, 
maucken, milch: milk (Forer), volksthümlicb, röuken: 
röuchen u. s. w. sieh meine alem. spräche 8. 109. Wein- 
hold s. 178. 



*) Die bildung von müchil(-swert) entspricht genau der von 
deuchel (dühhil, zeitscbr. XIX, 150). Bedeutet tühhil ahd. den mergolus 
von tühhjan (vogel, der selbst untertaucht), so ist es mit deuchel gleichen 
Ursprungs. — Zu mugelar sieb Wackern. Germ. IV, 139. 

**) Oot. muka- in mukamodei sanftmuth gehört zu ksl. ra^kükü 
Joh. Schmidt in d. zeitscbr. XIX, 274. Anm. d. red. 

Bonn. A. Birlinger. 



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Pauli, beiträge zur lateinischen lautlehre und etymologie. 321 



Beiträge zur lateinischen lautlehre und 

etymologie. 

2. Die ableitung der verbalendungen aus hilfsverben und 
die ent8tebung der lateinischen e-declination. Angeschlos- 
sen an die gleichnamige schrift von dr. H. Merguet. 
Berlin, gebr. Bornträger. 1871. 

Merguet hatte in seinem größeren werke „die eut- 
wickelung der lat. formbildung" und deren Vorläufer, dem 
programm über potul, beide von mir im XIX. bände die- 
ser Zeitschrift angezeigt, mehrere ansiebten aufgestellt, ge- 
gen welche von verschiedeneu Seiten, namentlich aber von 
Corssen , Widerspruch erhoben wurde. Darauf hat er in 
obigem schrifteben die streitige» punkte einer nochmaligen, 
zum tbeil eingehenderen, besprechung unterworfen. Da 
ich selbst in jenen referaten mich in mehreren punkten 
gegen Merguet erklärt hatte und auch jetzt noch die dort 
ausgesprochenen aneichten hege, so benutze ich die gele- 
genheit, im anschlufs an das referat Ober Merguets jüngste 
schrift dieselben ausführlicher zu begründen. Zuerst nun 
hatte Merguet die bypothese von Bopp bestritten, dafs in 
verbalendungen, wie lat. -bäm, -bö, -ul, griech. 
ooftai und ähnlichen die verbalwurzeln bhu, as, dba steck- 
ten. Für die Boppsche hypothese sind Curtius (berichte 
der k. sächs. ges. d. wiss. 1870) und Corssen (ausspr. II 2 , 
1025), desgl. die recensenten des litter. centralblatts (1870 
no. 19) und des philol. anzeigers (1870. heft 6) eingetre- 
ten. Auch ich halte sie für richtig und will versuchen, 
sie durch nochmalige erörterung zu stützen. Die haupt- 
sächlichsten bedenken Merguets gegen diese ansieht sind 
theoretischer natur. Er nimmt anstofs daran, dafs „Selbst- 
ständig flectirte Wörter mit unflectirten Stämmen" (abl. der 
verbalend. 30) zusammengesetzt sein sollen. Abgesehen 
davon, dafs häufig genug aprioristische ansichten über 
sprachliche dinge später durch bestimmte tbatsachen wi- 
derlegt werden, wie beispielsweise früher die möglichkeit 
eines Imperativs der 1. pers. bestritten worden ist, bis ihn 
Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 5. 21 



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322 



Pauli 



das sanskrit in schönster Vollendung aufwies, und dafs da- 
her der umgekehrte weg sicherer scheint, abgesehen da- 
von, meine ich, dafs selbst jener theoretische grund nicht 
stichhaltig ist, oder vielmehr, dafs nur die anschauung ein 
wenig geändert zu werden braucht, um jenen grund weg- 
fallen zu lassen. 

Die ansieht, dafs auch unsere indogermanischen spra- 
chen von der radicalen stufe durch die agglutinierende hin- 
durch erst zur flectierenden herangereift seien, darf man 
wohl als jetzt so ziemlich allgemein angenommen bezeich- 
nen. Von ihr aus aber- lassen sich die fraglichen bildun- 
gen verstehen. Ziehen wir zur vergleichung die noch heute 
radicale chinesische spräche herbei, um aus ihr ein bild 
unseres ältesten indogermanischen zustande« zu gewinnen, 
so handelt es sich für uns hier hauptsächlich darum, wie 
dieselbe die tempusunterschiede bezeichne. Endlicher (chi- 
nesische gramm. 301 sqq. ) lehrt darüber folgendes: „Die 
dreifache Verschiedenheit der zeit, in welcher die durch 
das verbum ausgedrückte thätigkeit stattfindend gedacht 
werden kann, wird in den meisten fällen aus dem zusam- 
menhange des Satzes, oder aus der gegen wart bestimmter 
zeitadverbien erkannt". Beispiele: kin gl 'iü „heute bin 
ich wohl", si tle tsi „gestern war ich krank". Sonst 
wird die vergangene und die zukünftige zeit durch gewisse 
allgemeine zeitadverbien, durch einige hülfszeitwörter, und 
im Kuau-hoä [Mandarinendialekt] die vergangene zeit auch 
durch subjunctivpartikeln (verdunkelte Zeitwörter) bezeich- 
net". Als solche verba führt er für den alten stil (Kü- 
wen) dann teang „experiri" und ^eü „haben" zur bezeich - 
nung der Vergangenheit, Keng „wollen" für die zukunft, 
als adverbien mehrere mit der bedeutung „schon, einst" 
und für die zukunft tsiang („alsbald?") auf. Der Man- 
darinendialekt macht es ebenso, hat nur im einzelnen einige 
andere ausdrücke. Uebert ragen wir das auf das alte in- 
dogermanische und berücksichtigen wir, dafs in den spä- 
teren durchsichtigen tempusumschreibungen, wie skr. Köra- 
jän-kakära, körajäm-äsa, ltörajäm-babhüva, lat. amätus suiu, 
am fit us fui, engl. I did love, für die Vergangenheit, skr. 



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beitrüge aar lateinischen lautlehre und etymologie. 323 

dätasmi, lat. dormltum eö für die zukunft, die wurzeln kar 
„machen**, as »sein* 4 , bhu „werden", dha „thun**, i „ge- 
hen 4 * zu solchen teroporalumschreibungen verwandt werden, 
so dürfen wir, abgesehen von dem falle, wo die tempus- 
unterschiede durch temporaladverbien ausgedrückt sind, 
wie etwa das augment eins war, als ausdrucksweisen jener 
alten zeit ungefähr ansetzen: präsens: pat „fallen**; Präte- 
ritum: pat kar, pat as, pat dha; futurum: pat bhu, pat i. 
Zur bezeichnung des subjects würden nun noch die per- 
sonalpronomina dahinter treten, aber in selbstständiger 
form, z. b. pat as ma „ich gab**. Hieraus können sich 
nun drei verschiedene formen entwickeln. Erstens: 
die beiden verbalwurzeln bilden schon in der radicalen 
periode für das bewufstsein des sprechenden eine einheit, 
deren elemente er sich nicht mehr als getrennter bewufst 
ist, und so ist es im chinesischen (Steinthal, characteristik 
8. 122), dann aber kann die später eintretende stamm bil- 
dung und flexion nur am ende der zweiten wurzel oder 
genauer am ende des wurzelcompositums eintreten. Zwei- 
tens: die Stammbildung tritt ein, als beide wurzeln, wenn 
auch gewohnheitsmäßig mit einander verbunden, doch 
noch als gesonderte gefühlt werden. Nun wird das be- 
dürfnifs nach genauerer grammatischer bestimmung, wel- 
ches eben der staminbildung zu gründe liegt, sich vorwie- 
gend an der ersten, der specielleren , wurzel geltend ma- 
chen müssen, die sich zu gunsten eines präciseren aus- 
drucke zu einem nomen agentis resp. actionis umgestaltet, 
während die zweite, tempusbezeichnende, wurzel entweder 
unverändert bleiben, da sie ihrem zwecke ohnebin genügt, 
oder gleichfalls sich zu einem stamme umwandeln kann. 
Wie es also jetzt statt pat ma „fallen ich** etwa pata ma 
„fallender ich** heifst, so statt pat bhu ma etwa pataja 
bhu ma, oder auch pataja bhava (oder bhuja oder ähnlich) 
ma. Dieselbe art der entstehung nimmt Merguet für die 
eigentlichen composita der nomina (abl. d. verbalend. 32. 33) 
an und fügt hinzu: „Sobald nun beim entstehen der 
flexion die Wörter mit flexionsendungen versehen wurden, 
mufste dies nicht nur bei den einfachen, sondern auch bei 

21* 



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324 



Pauli 



den zusammengesetzten stattfinden**. Dasselbe ist aber bei 
der verbalflexion möglich: so gut die Casusbezeichnungen 
an die componierten stamme treten , so gut können dies 
modus- und personal affixe. Merguets einwand, es sei nicht 
abzusehen, welchen zweck z. b. in amäfu-äm das -fu- ha- 
ben solle, da es doch in er-äm fehle, ohne dafs dessen im- 
perfectbedeutung beeinträchtigt sei, scheint mir nicht stich- 
haltig. Es läfst sich nämlich ohne weiteres (denn wenn 
das bei wurzeln möglich ist, so auch bei stammen) be- 
haupten, die beiden Stammelemente seien eben in folge ih- 
res gewohnheitsmäßigen beisammenstehens bei eintritt der 
flexion nicht mehr als getrennte geföhlt worden, sondern 
als einheit, an die nun die neue tempusbezeichnung ange- 
treten sei, gerade wie an die einfachen verbalstamme. 
Dafs dann die Vergangenheit in amäfu-äm doppelt ausge- 
drückt sein würde, ist kein gegengrund für diese erklä- 
rung. Die spräche drückt manches doppelt aus, wenn ihr 
der einfache ausdruck nicht mehr genügend klar erscheint. 
So heilet es jetzt je donne, wo dem "Lateiner noch dönö 
genügt, jetzt de Rome, wo früher Roma hinreicht, jetzt 
deshalb, abd. mhd. noch blos des. Drittens: In flec- 
tierender zeit erhält der erste theil einer tempu 9 Umschrei- 
bung eine flectierte form, zu der eine ausgebildete verbal- 
form hinzutritt. Das ist geschehen in Körajan-Kakära und 
den andern oben genannten. 

Die fraglichen lateinischen bildungen nun halte ich, 
was ich im folgenden für die einzelnen nachzuweisen su- 
chen werde, für bildungen jener zweiten art, so also, dafs 
die composition der Stämme der flexion voraufging. Ich 
war früher anderer ansieht, wie ich sie in meinen verba 
auf -uo 35 gelegentlich der formen feceräm etc. ausge- 
sprochen habe. Wenn Job. Schmidt in der zeitschr. f. d. 
gymnasialw., neue folge I, 208 diese abweichung von der 
lehre seines meisters Schleicher, der fecer-äm getrennt 
hatte, während ich fec-eräm haben wollte, nicht anerken- 
nen will, so gebe ich ihm jetzt darin völlig recht, aber 
wie er sagen kann: „es ist dies nur ein streit um worte, 
denn factisch kommen beide erklärungen auf dasselbe hin- 



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beitrüge zur lateinischen lautlehre und etymologie. 



ans, beide sehen ja zwischen dem alten perfectstamme und 
den endungen die wurzel as a , das vermag ich nicht ein- 
zusehen. Ist denn die vergleichende Sprachforschung blofs 
eine wortanatomie , wo es darauf ankommt, lediglich die 
bestandtheile der einzelnen formen aufzuweisen, ist sie nicht 
vielmehr eine forschung nach der entwicklungsgeschichte 
der bestehenden formen, darin dem Darwinismus gleichend, 
dessen anhänger ja auch Schleicher war! Und giebt es 
denn gar keine verschiedene perioden in dieser entwick- 
lungsgeschichte, enthält das schöne buch von Curtius „zur 
Chronologie der indogermanischen Sprachforschung u eitel 
dunst und hirngespinste! Wenn das aber nicht der fall ist, 
dann bestand auch zwischen Schleichers richtiger ansieht 
und meiner falschen ein wesentlicher unterschied, und es 
war zwischen uns nicht blofs ein streit um worte. 

Wende ich mich jetzt von diesen principiellen ausein- 
andersetzungen zu meiner eigentlichen aufgäbe, im einzel- 
nen den nach weis zu führen, dafs in amäbäm etc. hülfs- 
verbalwurzeln stecken, so kommt es hier vor allem darauf 
an, wenigstens eine dieser bildungen als proetbnisch vor- 
handen zu erweisen. Wäre das nicht möglich, so würde 
die Wahrscheinlichkeit, dafs diese formen vor der flectie- 
renden zeit gebildet seien, entschieden verringert werden, 
und es könnte der einwurf, dafs wir lediglich ethnische 
bildungen, d. h. also aus flectierender zeit, vor uns hätten, 
als ein sehr gewichtiger erhoben werden. Dann aber hätte 
Merguet recht, der erste theil der zusammengesetzten form 
müfste auch flectiert sein. Aber zum glücke läfst sich die 
proethnische ezistenz einer der zusammengesetzten formen 
nachweisen. Scherer (gesch. d. d. spr. 202) bat dieselbe, 
als mit der wurzel dba „thun" gebildet, erschlossen und 
aufser dem griech. aor. •&f/v^ dem got. perf. -da, lit. im per f. 
-davau ihr das lat. imperf. -bäm zugetheilt. Ehe ich diese 
formen weiter untersuche, mufs ich auf den einwand Cors- 
sens (ausspr. P, 817) eingehen, es sei nicht glaublich, dafs 
-bäm, osk. -fam aus einer andern wurzel stamme, als 
das lat. fut. auf -bö und das osk. perf. auf -fed. Die 
lautliche möglichkeit an und für sich, dafs -bäm von 



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326 



Pauli 



wurzel dha stamme, wird Corssen nicht läugnen wollen. 
Ferner wird er zugeben, dafs scheinbar gleich gebildete 
formen dennoch in Wirklichkeit oft nicht desselben Ur- 
sprunges sind. Mit recht leitet er selbst (krit. beitr. 184) 
abdere, condere, abscondere von wurzel dha, während er 
z. b. für edere doch wohl wurzel da „geben" zulassen 
wird. Ebenso zerlegt er (a. o. 433) prlvns in prl-vu-s, 
dlvns hingegen wird er natürlich als dlv-u-8 auffassen. 
Desgleichen wird er zugeben, dafs nicht alle tempora der 
lateinischen conjugation gleichen Ursprunges sind, dafs 
z. b. das perfectum auf -sl anderen Ursprunges ist, als das 
auf -vi. Wenn so schon ein und dasselbe tempns sogar 
verschiedene hülfsverba zeigt, was sollte uns hindern, in 
verschiedenen Zeiten verschiedene hülfsverba anzuerkennen? 
Verwendet doch das griechische gleichfalls wurzel dha 
(~&i)v) und as (-gm) für verschiedene tempora unbeküm- 
mert nebeneinander. Ein anderer einwand, den er früher 
(a. o. 184) gegen die ableitung von famulus aus wurzel 
dha erhoben bat und der sich hier wiederholen liefse, ist 
der, es habe sich bisher kein beispiel gefunden, wo ur- 
sprüngliches dh einer und derselben wurzel im lateinischen 
die beiden gestaltungen (d. h. also f, resp. b einer-, d an- 
drerseits) nebeneinander erhalten hätte. Wenn das wahr 
wäre, hätte Corssen selbst mehrfach gegen diese seine 
eigene regel gefehlt. So leitet er z. b. arbor einerseits, 
arduus und Ardea andrerseits von wurzel ardh „wachsen" 
(ausspr. I a , 170), ebenso urbs, verbena (ibid.) neben rosa 
für *vrodsa (ibid. 812) (wo ich, nebenbei, die ableitung 
Grafsmanns, deutsche pflanzennamen no. 194 aus wurzel 
vrad „biegsam sein" fiör lautlich und begrifflich besser 
halte) von wurzel vardh „wachsen". Ich denke, das sind 
beispiele. Es wird also mit obiger regel wohl nicht so 
weit her sein, oder besser, auch andere dürfen wohl, wenn 
sie eben doch wahr sein soll, gegen sie fehlen. Endlich 
liefse sich einwenden, wenn -bfim aus wurzel dha entstan- 
den sein solle, so liege letztere in condebäm u. 8. w. dop- 
pelt vor. Dasselbe tbäte aber die wurzel bhu im osk. 
fufans. Wenn das aber angeht, so geht jenes auch. Es 



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beiträge zur lateinischen lautlehre und etymologie. 327 

liegt demnach kein stichhaltiger grund gegen die herlei- 
tung des -bäm von wurzel dba vor. 

Wenden wir uns jetzt wieder zur betracbtung der ein- 
schläglichen tempora, so finden wir den griecb. aor. auf 
-&riv stets bei den verhen auf -a/va>, -vi>w, 

-«iw, -ow, -aw, -.'w, sowie den abgeleiteten auf -a/ow, 
-ÄAw, -Trrw, -rrw (Buttmann, ausf. gramm. P, 472), wäh- 
rend die sogenannte zweite tempusbildung, also die ein- 
fache, fast nur den primitiven zukommt (ders., schulgr 11 
170). Ebenso finden wir das lateinische imperfectum auf 
-bäm vom primitivstamme sicher nur in da-bäm und osk. 
fufans, die übrigen primitiven, wie fere-bäm, vole-bäm, 
ede-bäm, tege-bäm u. 8. w. zeigen deutlich genug, dafs eben 
in dieser form nicht die blofse wurzel, sondern ein stamm 
stecke, was der langen vocale wegen auch bei stä bam, 
I-bam der fall sein kann. Genau ebenso liegt die sache 
im gotischen, wo die bildung auf -da nur den secundären 
verben stets zukommt, wie sokida, habaida, salboda, full- 
noda; von primären folgen ihr nur die präteritopräsentia 
mahta, kunßa, paurfta, gadaursta, munda, skulda, ganauhta, 
aihta, vissa, dauhta, mosta, öhta; diese formen sind aber 
nur nothgedrungene neubildungen, weil eben*das ältere Prä- 
teritum zum präsens ward. Derselbe Vorgang im litaui- 
schen. Im imperfectum tritt -davau an den zweiten stamm 
(Schleicher, comp. 3 841), der sehr häufig der analogie der 
abgeleiteten verba folgt (a. o. 790). Es ergiebt sich also 
fl&r alle vier sprachen, dafs die fraglichen bildungen vor- 
wiegend den abgeleiteten verben zukommen, d. h. mit an- 
dern worten, dafs die betreffenden zusätze, in denen ich 
also vorläufig die wurzel dha annehme, nicht an die wur- 
zel, sondern an Stämme gefügt werden. Die wenigen ab- 
weichungen erklären sich leicht aus einem Umsichgreifen 
dieser formattonen über ihr eigentliches gebiet. 

Die Stämme, bei denen nun diese bildung sich zeigt, 
sind namentlich bei den meisten griechischen verben noch 
so deutlich nominalen Ursprunges, dafs es für die meisten 
derselben einer weiteren Untersuchung gar nicht bedarf. 
Nur die formen der verba auf -a'w, -ea>, -ow nebst den 



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328 



Pauli 



lateinischen imperfecten auf -abäm, -ebäm, -ibäm (älter als 
-iebäm Neue, formenl. 11,341), den gotischen auf -oda, 
-aida, -ida sind specieller zn untersuchen, um festzustellen, 
welche gestalt dem stamme in ihnen ursprünglich zu- 
komme. 

Hier entsprechen nun die bildungen auf lat. -ebäm, 
got. -aida am genausten den griechischen auf -et/#f?i>. Wie 
in diesen einen nominalstamm auf -6t»- = idg. -au-, so 
haben wir in jenen einen solchen auf -ai- vor uns. Wie 
es aber keine indogermanischen stamme auf -au-, sondern 
nur solche auf -ava- giebt (diese erklärung ist mir für die 
dunkelen gr. -et»- Stämme noch die wahrscheinlichste), so 
ist auch -ai- auf -aja- zurückzuführen und der abfall des 
letzten a gleicht dem des o in griechischen formen, wie 

k-noixiX-äijv neben noixilo-, 
t-xad-dy-tfriv neben xafrorpo-, 
h-jxa).a%-&riv neben fiaXaxo- u. a. 

oder in indischen, wie in Karan-jämi von Karana- u. a. Es 
steckt demnach im lat. sede-bäm (und den ebenso gebilde- 
ten der lat. 3. conj.), got. pulai-da ein stamm 8 ad aja-, resp. 
talaja-, also formen von so sicher adjeetivischem gepräge, 
wie das griech. Öixaioq^ öovhtiog u. 8. w. sind. Wie aber 
diese selbst noch wieder auf substantiva zurückgehen, so 
dürfen auch jene unbedenklich auf substantiva sada-, tala- 
zurückgeführt und -ja- als adjectivische ableitungsendung 
gefafst werden. Diese kann nun aber nicht blofs an sub- 
stantivstämme auf -a- treten, sondern ihrer natur nach an 
alle andern auch. So z. b. würden aus den wurzeln bhug, 
par sich die Substantivstämme bhugja- ( gr. q v£a ), parja 
(gr. Tteioct) entwickeln, aus diesen die adjectiva bhugja-ja-, 
parja ja-, die, verkürzt zu bhugjai-, par-jai-, in den imper- 
fecten fugie-bäm, -perie-bäm vorlägen ; -i-bäru hingegen ent- 
steht, wenn der zu gründe liegende substantivstamm statt 
mit -ja- mit -i- gebildet ist. So erhalten wir die reihe: Wur- 
zel vas „kleiden", substantivstamm vasti- (vestis) „kleid", 
adjectivstamm vastija- „mit kleid versehen", verkürzt va- 
stii-, contrahiert vasti-, davon vestl-bäm (Neue, formenl. 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie. 329 



II, 347). Da der vierten lat. conj. grofsentheils solche ur- 
sprüngliche i-8tämme zu gründe liegen, so ist die that- 
sache, dafs archaistisch hier -i-bäm häufig war (Neue 
a. o.), mit obiger theorie im besten einklange. Der 3. conj. 
auf -iö aber gehören ursprüngliche -ja- stamme an und 
deshalb findet sich hier nie ein -I-bäm, nur das vorauszu- 
setzende -ie-bäm, welches später, Aber sein eigentliches 
gebiet hinübergreifend, auch bei den i-stämmen herrschend 
wurde. Aufser -ebäm, -iebäm, -ibäro haben wir eine vierte 
form in -äbäm, got. -oda von den lateinischen verben auf 
-äre, denen die gotischen auf -on entsprechen. Hier liegen 
gleichfalls denominativa vor (Grafsmann, zeitschr. XI, 100 
sqq.), gebildet wie die der ersten art, indem die oskischeu 
formen auf -ait, -aiet den ausfall eines j für das lateinische 
und gotische erweisen, desgleichen für die griech. formen auf 
-ijftrjv. Sie unterscheiden sich aber von den formen auf -ebäm, 
-aida dadurch, dafs das ursprünglich zu gründe liegende 
nomen ein femininstamm auf -ä ist, es steht demnach z. b. 
lat. pugnäbäm für pugnä-ja (adj.) dha ma. 

Ein anderer theil dieser bildungen hat causative bedeu- 
tung. Es sind dies hauptsächlich die griech. formen auf -ow 
(Grafsmann, zeitschr. XI, 95), manche latein. auf -eö, wie 
doceö, moneö, moveö, torreö, noceö u. a. (a. o. 88), 
eins auf -iö, söpiö (a. o. 89), einige auf -ö = -aö, wie 
domo, die gotischen auf -ja, wie laisja. Grafsmann (a. o.) 
hat, wie ich denke, überzeugend nachgewiesen, dafs auch 
in ihrem ersten tbeile nomina stecken, im zweiten theile 
findet er die verbal wurzel i „gehen". Die zu gründe lie- 
genden nominalstämme sind sämmtlich mit dem suffix -a 
und Steigerung des wurzelvocals gebildet, z. b. idg. vaida-, 
und sind der bedeutung nach als abstracta auf -un an- 
zusetzen (cf. skr. v^da- „ wissung , wissen u und viele an- 
dre ). Diese annähme eines noininalstammes findet ihre 
schönste bestätigung in dem -o- der griechischen formen 
neben dem -6- der denominativen gruppe, so dafs also 
z. b. in ävfioM „erzürne" (caus.) das nomen tivpo „zorn a 
steckt, während dagegen in oxiico „zaudre" ein ad), oxvao- 
w zögernd u zu gründe liegt. Im gotischen ist dann der 



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330 



Pauli 



endvokal des Stammes wieder abgefallen, so dafs also z. b. 
in tamja ein nomen dama- „Zähmung" steckt. Wenden 
wir uns nun wieder an das chinesische und vergleichen 
dessen causal bildung, so finden wir (Endlicher, cbines. gr. 
272), dafs dort das causale durch hinzufugung von hölfs- 
zeitwörtern mit den bedeutungen „machen", „ befehlen ", 
„ veranlassen ", „ senden " gebildet wird. Uebertragen wir 
das wieder auf die indogermanische wurzelperiode, so liefse 
sich neben vid „ sehen " ein vid i „sehen herangehen " 
(adire, inire cf. Westergaard rad. sanscr. s. v. i) sehr 
wohl annehmen. Dann wurde in der zweiten periode die 
erste wurzel zum nominalstamm vaida, so dafs nun vaida 
i ma „ich mache sehen, ich zeige" heifst. Dafs daraus 
ein causales vaidajämi in flectierender zeit entstehen konnte, 
wird Merguet nicht läugnen wollen. Der unterschied die- 
ser form von der denominativen ist also der, dafs dort 
ein adjectiv stumm , hier ein mit i „gehen" componierter 
substantivstamm zu gründe liegt. Da das lateinische keine 
eigene causalform erhalten hat, sondern bald -eö, bald -iö, 
bald -ö (— aö) anwendet, so ist hier schon eine mischung 
mit der ersten art eingetreten, von der sich übrigens das 
griechische und gotische auch durchaus nicht frei erhalten 
haben. Es ist das im lateinischen wohl hauptsächlich da- 
durch verursacht, dafs in der composition, und eine solche 
liegt ja eben hier vor, die nominalstämme ihren auslaut -o- 
nicht rein erhalten, sondern zu -i- abschwächen, wodurch 
eine Vermischung mit der ersten art, den denominativen 
auf -iö und -eö, wesentlich erleichtert wurde. 

Es ergiebt sich demnach für sämmtliche lateinische 
imperfecta die möglichkeit, ihren ersten theil aus un- 
flectierten Stämmen herzuleiten, und es fragt sich 
nur, in welcher gestalt die wurzel dha vorhanden ge- 
wesen sei, bevor sie beim eintritt der filetierenden zeit 
mit dem vorhergehenden stamme verschmolz. Betrachten 
wir zunächst das lat. bäm, so ist es gebildet wie eräm, 
dies aber bat Schleicher mit recht auf eine grundform 
asajämi zurückgeführt (comp. 3 809). Es steht demnach 
-bäm fiir dhaajämi. Dieselbe grundform setzt griech. -ftrjv 



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beitrage cur lateinischen lautlehre und etymologie. 331 

neben „ich war" voraus, dieselbe auch got. da (d. h. 
nur im sing.); lit. davau hingegen erklärt sich al6 dbava- 
jämi. Daraus ersehen wir, dafs auch die wurzel dha nicht 
als nackte wurzel, sondern als stamm in die composition 
trat und zwar in derselben gestalt, wie der erste theil des 
compositums. Denn wir haben zunächst dhaaja (resp. * 
dhavaja) ma, dhaaja (dbavaja) aber zerlegen sich in dhaa-ja 
( dbava-ja) als adjective, dhaa aber (resp. dhava) in dha-a 
(dha-ya) als Substantive, ersteres gebildet wie z. b. skr. 
pathe-ätbaa- (Rv. V, 50, 3). Ebenso lassen sich die cau- 
sativa als vaida ia ma „sehung gehender ich" deuten, so 
dafs auch hier statt der reinen wurzel i ein nominalstamm 
ia- als nomen agentis erscheint. 

Zum Schlüsse dieses abschnittes nun bemerke ich, um 
mifsverständnissen vorzubeugen, folgendes: Es liegt mir 
völlig fern, obige erklärungen für ein auch nur annähernd 
sicheres resultat zu halten, es ist ebenso leicht möglich, 
dafs sie völlig falsch sind , allein es war auch gar nicht 
mein zweck, durch ins einzelne gehende Untersuchungen 
ein als positiv feststehend zu bezeichnendes resultat zu 
finden, sondern nur, im allgemeinen skizzierend, Merguet 
gegenüber zu erweisen, dafs unter bestimmten hypotheti- 
schen Voraussetzungen, nämlich der bypotbese der radica- 
len und agglutinierenden Vorstufe auch für das indoger- 
manische allerdings eine erklärung der fraglichen formen 
möglich ist, und um hypothesen kann es sich für so ent- 
legene zeiten stets nur handeln, so gut wie in den ja so 
gern mit der Sprachwissenschaft verglichenen zweigen der 
naturwissenschaften. Auf das resultat selbst lege ich kei- 
nen wertb, wenigstens nur in sofern, als sich ergiebt, dafs 
die temporalbildung mit dem hülfsverb dha in die proeth- 
nische zeit hineinreicht. 

Ist das aber der fall, so können die übrigen latei- 
nischen tempora entweder zu derselben zeit gebildet sein 
und nur ihre reflexe in den verwandten sprachen verloren 
haben, oder sie können spätere bildungen nach der analo 
gie jener alten proethnischen sein. Welches von beiden 
in Wirklichkeit der fall gewesen sei, ist hier unerheblich, 



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33-2 



Pauli 



da sie auf jede von beiden arten eine sichere erklärung 
finden. Auf das lat. fut auf -bö hier noch besonders ein- 
zugehen, unterlasse ich, da sich dies in dem ersten theile 
genau so verhält, wie das imperfectum, während im zwei- 
ten die wurzel bhu statt dha steckt, wie es scheint, als 
-a- stamm, denn -bö flectiert genau, wie vomö, und wie 
dies aus vama ma entsteht, so also jenes ans bhava ma 
oder bhua ma. Dagegen erfordert das mannigfach abwei- 
chende perfectum wieder eine etwas eingehendere Betrach- 
tung. Absehen will ich hier von dem auf -I gebildeten, 
da dessen bildung bis jetzt so wenig aufgeklärt ist, dafs 
die erörterung darüber hier nicht so nebenbei abgemacht 
werden kann. Das perfectum auf -vi, umbr. -fei, osk. -fed 
(3. sing.) tritt unter denselben erscheinungen auf, wie das 
imperfectum und futurum. Es entsprechen sich : 

amävl, atnäbäm, amäbö; 

delevl, delebäm, deiebö; 

servlvi, servlbäm, servlbö; 
und wir dürfen daher wohl für den ersten theil dieser 
perfecta den gleichen Ursprung wie für den des imper- 
fectums annehmen, der zweite aber mufs in seinen perso- 
nalendungen aus denselben gründen, wie das perfectum 
auf -I, hier unerörtert bleiben. Ich finde nun in -vi die 
wurzel bhu, in derselben weise an einen adjectivstamm ge- 
fügt, wie im imperfectum die wurzel dha. Damit steht 
es durchaus nicht in Widerspruch, wenn ich (zeitschr. 
XIX, 225) behauptet habe, es sei meines erachtens von 
Merguet der beweis erbracht, dafs potul nicht aus pote 
ful verschmolzen sei. Curtius (berichte der k. s. ges. d. 
wiss. 1870. 26) hat diese meine ansiebt nicht gelten las- 
sen wollen, allein eine nochmalige durchsieht des von Mer- 
guet in der programmabhandlung vorgeführten materials 
zwingt mich, dabei stehen zu bleiben. Eben die Statistik 
der einschläglichen formen läfst, wie mir scheint, nur die 
eine auffassung zu: Zu dem aus potis sum verschmolze- 
nen possum sind die perfeetzeiten nicht in gebrauch, nur 
Terenz wagt es einmal, pote fuisset zu sagen ; statt ihrer 
erscheint stets ein einfaches potul, dessen präsens im os- 



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beitrüge zur lateinischen lautlehre und etymologie. 



333 



kischen Doch vereinzelt vorkommt, im lateinischen aber 
obsolet geworden ist. Das ist also gerade, als ob man 
im deutschen sagte: ich bin gewillt (praes.) neben ich 
wollte (praet.), also etwas höchst einfaches. Wenn Cur- 
tiu8 dennoch sich dagegen sträubt, eine ansieht aufzuge- 
ben, die auch mir lieb und geläufig geworden war, so ver- 
anlafst ihn dazu, wie mir scheint, eine gewisse scheu, eine 
hauptstfltze zu verlieren, auf welche Bopp seine ansiebt, 
-vi sei aus ful hervorgegangen, gegründet hatte. Aber 
Merguet selbst (abl. der verbalend. 26) giebt es zu und 
benutzt es eben dann für seine folgerungen, dafs potul, 
selbst wenn es aus pote ful erklärt würde, für formen wie 
amavi u ä. gar nicht beweisend sei. Das ist auch rieh- 
tig. Selbst wenn potul für pote ful stehen sollte, was 
ich aber, wie gesagt, jetzt nicht mehr glauben kann, so 
wäre es doch so jungen Ursprunges, dafs es für das, wie 
die oskisch-umbriseben formen zeigen, schon altitalische 
perfect auf -vi weder pro noch contra zeugen könnte. 
Chronologisch so entfernt liegende bildungen haben gegen- 
seitig keinerlei beweiskraft für einander. Und das ist hier 
ein glück, denn wir können jetzt getrost die erklärung 
von poteü aus pote ful aufgeben, gestützt auf das statisti- 
sche material von Merguet, ohne dafs dadurch, wie ich 
schon früher (zeitschr. XIX, 306) gesagt habe, für die 
entstehung des lat. -vi, -ul irgend etwas präjudiciert sei. 
Dafs ich für potul trotzdem, wie für alle perfecta auf -vi, 
-ul, eine composition mit bhu annehme, habe ich gleich- 
falls schon gesagt (1. c), aber ich stelle es eben jetzt mit 
allen übrigen in eine reihe, und potul ist jetzt für mich 
nichts anderes, als seeul, monul, salin, d. b. ein gewöhn- 
liches perfectum auf -ul. Wenn ich früher (zeitschr. XIX, 
226) potul von potivi glaubte trennen zu müssen, so ist 
es mir bei erneuerter erwägung jetzt doch rathsamer, beide 
formen für identisch und potivi als die ältere, potul als 
die jüngere anzusehn, da bei einem wurzelverb, wie potiö, 
-ere = skr. patjate eins wäre, das perfect auf blofses -I 
gebildet sein, also pötl lauten würde, wie es fbdi, fugi, 
feel u. 8. w. heifst, und ich Überdies die ansieht Corssens 



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334 Pauli 

(ausspr. II 1 , 2. 20. 21), -ul sei aus -ävi, -evl, -Ivl in folge 
der älteren betonung der vorhergehenden Wurzelsilbe ent- 
standen, entschieden für die richtige halte. Es steht dem- 
nach potlvl dem vestlvi in seiner bildung ganz gleich, dies 
aber wieder dem vestlbäin und, wie dies aus vastija dhaaja 
hervorgehn konnte, so jenes aus patija bhu (der nominal- 
stamm des bhu bleibe für jetzt unentschieden). Der un- 
terschied zwischen der Boppschen und meiner erklärung 
läuft also darauf hinaus, dafs Bopp die form potul in hi- 
storischer zeit aus flectiertem potis und flectier- 
tem ful, ich dagegen sie in vorhistorischer v.eit aus 
un flectiertem pataja und unf lecti ertem bhu entste- 
hen lasse, mit dem dann erst die personalendungen ver- 
wuchsen. Die bestandtheile der form sind also nach bei- 
den ansichten dieselben, der unterschied aber liegt in der 
entstehungszeit. 

Während für das imperfectum auf -bäm, das fut. auf 
-bö uud das perf. auf -vi sich der erste theil der mit 
ihnen gebildeten formen als gleichgebildet herausstellte, 
weichen die perfecta auf -sl wesentlich davon ab. Hier 
ist daher eine eingehendere betraebtung nöthig. Es ist 
nichts neues, dafs diese perfeetformation fast ausschliefs- 
lich bei verben sich findet, die schon im präsens eine, sei 
es natura, sei es positione, lange Wurzelsilbe haben. Der 
ausnahmen gibt es wenige, etwa nur mansl (mäneo); 
-lexl (-liciö), -spexl (-spiciö), eoxl (cöquö), rexl (rego), texl 
(tegö), vexl (vehö), traxl (trahö); -cussl (-cütiö), divlsi 
(divido); gessl (gero) und das unklare pressl, also im gan- 
zen 12. Daneben aber finden sich Über 70, deren wur- 
zelvokal im präsens lang ist. Innerhalb derselben aber 
giebt es verschiedene deutlich wahrnehmbare gruppen, 
und zwar folgende: 

1) der vocal ist natura lang: haesl, clausl, saepsl; rlsl, 
lüxl; suäsl, räsl, cessi, rösl; 

2) der vocal ist positione lang: 

a) das präsens hat einen nasalen: planxi, sanxl; linxl, 
vinxl; junxl; 



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beitrüge zur lateinischen Uutlehre und etymologie. 335 



b) das p rasen s ist durch n verstärkt: vulsl (vellö für 
*volnö); tempsi (temnö); 

c) das präsens ist durch t verstärkt: flexi; mlsl; 

d) die wurzel hat doppelten endconsonanten : alsl, 
arsi, carpsi. 

Hierbei drängt sich nun sofort eine Wahrnehmung auf: 
Während das perfectum auf blofses -I sich in der regel 
an die blofse wurzel fugt, liegt hier bei dem auf -sl stets 
der präsensstamm zu gründe. Das zeigt sich namentlich 
deutlich bei der gruppe 2a, wenn man z. b. pepigl mit 
planxl vergleicht, aber auch in 2 b und 2c hat man vulsl 
aus *voln-sl, tempsi aus *temn-sl, tem-sl, flexi aus *flect-sl 
zu erklären. Der beweis hierfür wird durch die entspre- 
chenden supina geführt, die ja flexum, vulsum heifsen, 
während sie bei den blofsen auslauten c, resp. 1 (statt et, 
resp. 11 für In) in der regel auf -tum enden und dies nicht 
in -sum wandeln, z. b. coctum, düctum; cultum, saltum 
u. s. w. (cf. Grafsmann, zeitschr. XI, 41); freilich heifst es 
temptum, nicht tempsum, wie man danach erwarten sollte. 
Dieser zu gründe liegende präsensstamm aber enthält im 
lateinischen (Oberhaupt in der ganzen ersten Boppschen 
haupteonjugation der indogerm. sprachen), wie schon Stein- 
thal (character. 291) so genial durchgeführt hat, stets ein 
nomen agentis. Während also pepigl sich direct aus der 
wurzel pag (pak) ableitet, gebt planxl durch den nominal- 
stamm plang- (plango-) hindurch, dieser aber steht in folge 
proethnischer metathese nach wohl ziemlich allgemeiner 
annähme för plagno und dies wäre ein participialstamm 
von wurzel plag (plak), wodurch sich unsere no. 2 a und b 
als in vorhistorischer zeit identisch herausstellen. Für 2 c 
ergiebt sich aber auf demselben wege ein participialstamm 
auf -to-, der ja auch sonst, z. b. im sanskrit, dem auf -no- 
genau zur seite steht. Die bildung des perfectums auf -sl 
für die gruppen 2 a. b. c stellt sich somit als in ihrem er- 
sten theile einen unflectierten nominal -(partieipial-) 
stamm enthaltend heraus. Wir gewinnen also hier ein 
ähnliches resultat, wie bei dem imperfectum auf -bäm, und 
wenn wir dort wurzel dha finden durften, so haben wir 



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336 



Pauli 



hier wurzel as, dereo Stammbildung wieder unerörtert 
bleibe. Das perfectum auf -sl, in die agglutinierende pe- 
riode zurückübersetzt, würde also z. b. für junxl, flexi lau- 
ten jugna as, bhrakta as, woran dann die bis jetzt noch 
nicht zur genüge erklärten perfectendungen als flexion ge- 
fügt wurden. Nun werden auch die Übrigen bildungen 
klar. Neben den eigentlichen participien als uomina agen- 
tis kennt das indogermanische eine andre art nomina 
agentis, gebildet durch blofses -a- (für das sanskrit vergl. 
Bopp, kl. grainm. 8 379). Diese finde ich in den verben 
der gruppe 2 d wieder, so dafs also z. b. serpsi aus sarpa 
as entsteht. Die kurzvocaligen könnten gleichen Ursprun- 
ges sein, da diese nomina agentis meist ohne vocalsteige- 
rung gebildet werden, falls nicht etwa in ihnen, was auch 
möglich scheint, das -sl sein ursprüngliches gebiet über- 
schritten und jene perfecta daher ursprünglich cnänl (oder 
manul); -Iecl, -specl, cöqut, regl, tegl, vehl, trähl; -cütL, 
divldl; gerl gelautet hätten. Es ist aber für die gruppe 
2d noch ein anderer Ursprung möglich, der für gruppe 1 
nothwendig wird. Da, wie bereits gesagt, die nomina 
agentis, wenigstens von consonantisch schliefsenden wur- 
zeln, fast stets ohne vocalsteigerung gebildet worden, so 
können die verba unter 1, die allesammt gesteigerte vo- 
cale enthalten, dieses Ursprungs nicht sein. In ihnen 
steckt, meiner ansieht nach, das nomen actionis auf -a- 
(Bopp 1. c. 381), vor dem der wurzelvocal gesteigert wird. 
Dies nomen actionis stände dann etwa locativisch (natür- 
lich ohne die überhaupt noch nicht vorhandene locativ- 
endung), wodurch sich ungefähr derselbe sinn, wie beim 
nomen agentis ergäbe. Es wäre demnach dlxl aus daika 
as „(in) sagung sein" entstanden. Dasselbe könnte auch 
für gruppe 2d angenommen werden, weil die positions- 
länge in ihnen die natur des vorhergehenden vocals nicht 
sicher bestimmen läfst. Die perfecta der kurzvocaligen 
wären dann aber mifsbräueblich entstanden und ständen in 
diesem falle statt der älteren oben aufgeführten formen 
auf blofses -l. Damit hätten auch die perfecta auf -sl ihre 
erklärung gefunden, deren voritalische existenz durch die 



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beitrüge zur lateinischen lautlehre und etymologte. 



337 



entsprechendeu cel tischen bildungen (Zeufs-Ebel, gr. celt. 
461 sqq.) erwiesen wird. 

Fasse ich kurz nun noch einmal das resultat meiner 
Untersuchung zusammen, so ist das wesentliche ergebnifs, 
worauf es hier allein ankommt, dies: Die fraglichen tem- 
pusbildungen sind bereits in proethnischer zeit vor ausbil- 
duner der flexion entstanden. Sie bestehen aus zwei un- 
Sedierten Stämmen, die in dieser form verschmolzen und 
an welche sich dann in flectierender zeit die flexionsen- 
dungen anfügten. 

Es ist also, meiner ansieht nach, kein grund gegen 
die erklärung der fraglichen tempusbildungen aus hilfsver- 
ben vorhanden. „Doch selbst wenn ich diesem negativen 
resultate des verf. beistimmen könnte, der positiven auf- 
stellung desselben kann ich mich nicht anschliefsen w . So 
schrieb ich in der recension des gröfseren werkes von Mer- 
guet ( zeitschr. XIX , 305 ), und das mufs ich auch jetzt 
wiederholen. Freilich legt Merguet, wie er mir brieflich 
mitgetheilt hat, auf diese „ hauch verdichtungstheorie", wie 
sie Corssen nennt, keinen grofsen werth, das negative re- 
sultat sei ihm die hauptsache ; aber, da er sie in der klei- 
neren schrift (s. 39) abermals zu stützen sucht, so mufs 
ich meine gründe gegen dieselbe ausführlicher darlegen. 
Zunächst giebt Merguet selbst zu, nach sonstiger art wäre 
die beseitigung des durch antritt vocalisch anlautender en- 
dungen an vocalisch auslautende stamme entstehenden hia- 
tus durch contraction zu erwarten gewesen. „Die spräche 
konnte aber in diesem falle dieselbe zu vermeiden dadurch 
veranlafst werden, dal's durch eine solche contraction hier 
der wesentlich auf dem endungsvocal beruhende character 
der form verdunkelt wäre". Das bietet der spräche sonst 
in allen klar liegenden fallen kein hindernifs für die con- 
traction. Im griechischen wird sowohl der indicativ rt- 
uao ( M«v, wie der conjunetiv Ttfidwpev gleichmäfsig zu r^uw- 
uev contrahiert, obwohl dadurch die Unterscheidung der 
modi verloren geht; desgleichen tritt der ältere gen. plur. 
fem. äya&ctav später stets contrahiert als dya&wv auf, ob- 
wohl dadurch der unterschied der geschlechter verwischt 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 5. 22 



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33* 



Pauli 



wird; ebenso giebt nloog und nXoovg gleichmäfsig nlovg, 
Tixoct wird dem nominativ rr/<*r gleich, es fällt also durch 
die contraction die Unterscheidung der casus fort; die zu- 
8aminenziehung endlich von x 'oae (du.) und xiQaa (plur ) 
zu xtga tilgt die diflferenz der numeri. Das sind also alles 
falle, wie sie Merguet im auge hat, und alle beseitigen 
hiatus durch contraction, obwohl dadurch „der wesentlich 
auf dem endungsvocal beruhende character der form ver- 
dunkelt" wird. Und das geschieht nicht blofs im griechi- 
schen, dem eine gewisse neigung zur contraction nicht ab- 
zusprechen ist, das lateinische verfährt in klar liegenden 
fällen genau ebenso. So ist amäö zu amö zusammengezo- 
gen, obwohl es dadurch der 3. conjugation gleich wird; 
statt des dativs der 4. decl. auf -ul wird häufig zusam- 
mengezogenes -ü gesprochen (Neue, formenl. 1, 366) und 
so der dativ dem ablativ gleich; auf dieselbe weise ist in 
dem -is des dat. abl. plur. die Unterscheidung der geschlech- 
ter verloren gegangen, die in dem -äs für -äis (nur noch 
in dem deväs corniscas des corp. inscr. I. no. 8 14) und 
dem -eis fftr -ois früher möglich war und sich so leicht 
hätte erhalten lassen. Das alles sind völlig sichere fälle 
für beseitigung des hiatus durch contraction; für beseiti- 
gung desselben durch consonanteneinschub werden auch 
wohl hin und wieder beispiele angeführt, aber sie sind 
entweder ganz unsicher oder anders aufzufassen. Einige 
solcher fälle hat Bopp in der sanskritischen declination 
finden wollen, z. b. in dem verhalten des neutr. dätr neben 
dem masc. dätr, wo ersteres verschiedene casus, als 
dätrnä, dätrne, dätfnas, dätfni; dätrnl, dätrnös; dätr'ni mit 
n neben den masc. formen dätrÄ, dätre, dätüs, dätäri; 
dataräu, dätrös; dätaras, dätfn ohne n bildet, ebenso in 
dem j von civäjäi u. ä. formen. Allein unsere kenntnifs 
von der ältesten gestalt der casusformen des indogermani- 
schen ist noch so unsicher, dafs jener Boppschen erklä- 
rung mit vollem rechte der einwand, das n sei ursprüng- 
lich, entgegengehalten werden kann, wie z. b. Scherer 
(gesch. d. d. spr. 265) ausdrücklich behauptet, dies n be- 
ruhe auf einem nebenstamme. Keinesfalls lassen sich wei- 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie. 339 

tergehende Schlüsse auf jenes n oder j bauen. Dafs man 
im französischen cet ami, mon amie, parla-t-il neben ce 
roi, ma soeur, il parla sagt, beweist gleichfalls nichts, denn 
alle jene consonantisch auslautenden formen sind die älte- 
ren (mon für meain, wie masc. mon für meuru), die vor 
dem vocal ihren auslaut bewahrten, der sonst abfiel. Das 
ist aber eine wesentlich andre erscheinung, als der von 
Merguet behauptete hiatushindernde einschub. Die einzige 
thatsache, die vielleicht wirklich sich so erklärt, ist die 
in Frankreich nach Ploetz allgemein geltende ausspräche 
der redensart entre quatre yeux als quatre-zieux, allein 
auch hier können die pluralendungen in deux, trois das 
ihnen zunächst liegende quatre in ihre analogie gezogen 
haben, wie ja auch das x in deux neben lat. duo erst neu- 
bildung ist, und der grund für jenes gesprochene s wäre 
dann eben kein lautlicher, sondern es läge eiue, wenn auch 
falsche, pluralneubildung vor. Aus allen diesen thatsachen 
ergiebt sich, dafs Merguets annähme, der hiatus könne im 
bestimmten falle statt durch contraction durch hauchein- 
schub beseitigt werden, grade in den schlagendsten fällen 
sich nicht bewährt, sondern die contraction auch hier das 
einzige mittel bleibt. Auch die von Merguet selbst (for- 
menb. 205, abl. der verbalend. 40) zur stütze seiner ansieht 
beigebrachten beispiele vermag ich nicht als solche anzu- 
erkennen. Dafs in den formen, wie mortuva, umbr. sub- 
oeavu, das v aus dem u heraus sich entwickelt haben 
könne, giebt Merguet selbst zu. Dahin gehören aber auch 
die formen Trovum, audivunt, osk. tribarakavum, die er 
gesondert aufführt. Das lat. v hat aber eine noch gröfsere 
Verwandtschaft zum o als zum u, was z. b. aus formen 
wie vortö für vertö, noch mehr aber aus dem langen er- 
halten des o nach v in servos u. ä. Zu ersehen ist. Es 
fallen daher auch die beispiele lat. vivolenta, ital. vivola, 
Giovanni unter diese kategorie. Wie aber v zu u, o, so 
verhält sich j zu i, e. Es ist also auch in Tejodosio, 
Tejodoto das j nicht zur Vermeidung des hiatus eingescho- 
ben, sondern aus dem e entwickelt. Den aus dem grie- 
chischen entnommenen formen kann aus einem doppelten 

22 * 



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340 Pauli 

gründe keine beweiskraft zugestanden werden. Einmal 
nämlich giebt Merguet selbst zu, das in ihnen sich zei- 
gende v könne möglicherweise aus dem f entstanden sein. 
Formen aber, die mehrfache erklärungen zulassen, beweisen 
weder pro noch contra. Sodann aber ist es eine bekannte 
erscheinung, dafs fremdwörter im volksmunde überaus 
häufig verunstaltet werden und zwar nach keiner bestimm- 
ten regel. Darnach verlieren denn die formen Agesilavi, 
Archelavos, Menelavos, Nicolavos, Prothesilavo, Danavis, 
Danavom, Oinomavos, averta, musivum, Argivi, oliva (falls 
es entlehnt ist; wo nicht, so ist auch got. alev nicht ent- 
lehnt und dann das v ursprünglich), archivum, Achivi, 
Larisaevus, Bohetyus, dihaconus ihre beweiskraft, und es 
bleiben von Merguets beispielen nur lat. Janujariano, aligi- 
nigenus, grugem, Trohis, veteranehis, umbr. stahu, vollohom, 
osk. sakahiter übrig. Aber selbst von diesen sind noch 
die drei ersten unsicher, denn im volksmunde findet sich 
die erscheinung nicht selten, dafs der anlaut zweier silben 
einander gleichgemacht wird. So sagt man lat. W/ium für 
gr. Xsioiov, ital. Luglio (spr. Lu/jo) für lat. Julius (als mo- 
nat), vielleicht lat. coqruö, guinqrue für poquö, pinque, sicher 
wieder skr. cvacuras für svacuras und sonst, und so schei- 
nen mir auch Janujariano, alipini^enus, grugem, vielleicht 
auch die oben schon anders erklärten cirolentus , ital. ©i- 
t>ola entstanden zu sein. Es bleiben demnach nur zwei 
lateinische, zwei umbrische und ein oskisches beispiel übrig, 
wo sich für das h keine andre erklärung bietet, als die 
von Merguet. Es ist aber, wohl bemerkt, nur das h, 
welches auf italischem gebiete so nachweisbar ist, kein v 
und kein j. Die erhärtung des hauches, wie sie Merguet 
dann ferner annimmt, liegt allerdings für das vulgärlatei- 
nische in einigen fällen vor. Keine Verhärtung aber, son- 
dern eine lautschwächung ist es, wenn retragendum, sub- 
tragere, nigil geschrieben ist, denn hier folgt das inlau- 
tende h nur dem alten zuge zur Umwandlung in g, die 
fricativa fortis wird zur explosiva lenis und das ist 
lautschwächung. Wirkliche hauchvcrdichtung oder -Ver- 
stärkung, oder wie man es sonst nennen will, liegt nur 



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beitrüge zur lateinischen lautlehre und etyraologie. 341 

vor, wenn mihi zu michi, mixi (x = ch), nihil zu nichil, 
nicil, nikilo sich gestaltet. Aber auch daraus lassen sich 
keine folgerungen ziehen, denn erstens handelt es sich in 
diesen beiden fallen um ein etymologisch begründetes h, 
nicht um den blofsen hiatushindernden einschub, sodann 
haben wir vulgärformen vor uns, und der homo rusticus, 
wenn es gilt, mundlich oder schriftlich sich als gebildeten 
mann zu zeigen, liebt es, die laute zu outrieren. Die dem 
kleinen bürgerstande entsprossene stettiner gouvernante, 
die als kind „jott, jejeben" sprach, sagt, wenn sie gebil- 
det spricht, „kott, kekeben*. Der Hannoveraner aus dem 
volke, wenn er mit dem Altpreufsen spricht und ihm ge- 
genüber sich der ausspräche des st als 3t glaubt befleifsi- 
gen zu müssen, sagt nun nicht blofs „stuhl, stehn", son- 
dern auch „piötole, Gustav". Während das hiesige volk 
statt ä stets ä spricht, wandeln die feinen damen, um 
das ä zu vermeiden, das ä in das andre extrem, sie spre- 
chen ä. Das lat. h neigte zur elision, namentlich im volks- 
munde (Corssen, ausspr. I 2 , 109). Wollte nun der homo 
rusticus sich dem fernhalten, so outrierte er eben den laut 
und sprach und schrieb nichil, nicil. Aus sämmtlichen 
beispielen, die Merguet beibringt, ergiebt sich also nur, 
dafs 1 ) ganz vereinzelt im hiatus sich ein h entwickelt, 
und dafs 2) in der vulgärsprache zuweilen ein echtes h 
zu ch und k outriert erscheint. Daraus folgt aber für die 
weit-, weitab gelegene zeit, in welche die entstehung der 
lateinischen flexion fällt, auch nicht das mindeste. Die 
fälle endlich, wie euguangelia, guastare und dgl. gehören 
gar nicht hieher, denn hier ist u der consonant. Dafs aus 
consonanten sieb parasitische nebenconsonanten entwickeln, 
ist freilich häufig genug, beweist aber für den vorliegenden 
fall gleichfalls nichts. 

Es findet somit die ansieht Merguets, die consonanten 
der tempussuftixe -bäm , -bö u. s. w. hätten sich aus hia- 
tushinderndem einschub verdichtet, von keiner seite her 
eine stütze. 

Ein zweiter hauptpunkt, der mir eine besprechung zu 
verdienen scheint, ist die bildung der Superlative. Merguet 



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342 



Pauli 



(formenb. 127) hatte -issimo- aus -istimo- entstehen lassen 
und dies in -isto-rao- zerlegt unter der annähme, -mo- sei 
erst später an das ältere -isto- = skr. -iötha-, baktr. -ista-, 
gr. wtfro-, got. -ista- angetreten. Dieser erklärung hatte 
ich mich in der recension (zeitschr. XIX, 306) angeschlos- 
sen, während Corssen (ausspr. II 2 , 1022) die richtigkeit 
derselben bestritten hat. Ich halte auch jetzt noch Mer- 
guets ansieht für die richtige. Die gründe, die mich dazu 
bestimmen, sind folgende. Die form -ista- des superlativ- 
suffixes ist eben durch jene oben angeführten reflexe als 
proethni8cb erwiesen (cf. Schleicher comp. 2 488). Als er- 
wiesen für jene zeit darf man aufserdem das auf fix -ma- 
(ibid. 491) und das suffix -ta-ma- (ibid. 493) ansehen, wäh- 
rend für die comparative -jans (ibid. 479), -ra- und -ta-ra- 
(ibid. 485) als altindogermanisch sich ergeben. Dagegen ist 
-istimo- nicht proethnisch, sondern erst jüngeren Ursprungs, 
wie alle die comparative und Superlative mit gehäuften 
suffixen, aufser -ta-ra- und -ta-ma. Es könnte aber an 
und für sich doppelt erklärt werden, einmal als aus -isto- 
-mo-, zweitens als aus -is tomo- entstanden. Die Super- 
lative auf -ista- gehören aufs engste zu den comparativen 
auf -jans-, aus denen sogar ihr erster theil entstanden ist, 
wie Bopp, Corssen und auch ich annehmen (Merguet 
spricht sich nicht darüber aus). So stehen im sanskrit, 
baktrischen, griechischen, germanischen beide Suffixe regel- 
mäfsig bei denselben Wörtern neben einander. Ferner ge- 
hen -ra- und -ma- hand in hand, was besonders im latei- 
nischen gerade sich deutlich zeigt, wenn man sich an in- 
fe-ru-s, infi-mu-s; supe-ru-s neben *supi-mu-s (sum-mus) 
erinnert. Die dritte gruppe bilden die suffixe -ta-ra- und 
-ta-ma-, im lateinischen in ex-te-ru-s, ex-ti-mu-s; in-t-rä, 
in-ti-mu-s; ci-t-rä, ci-ti-mn-s; ul-t-ru, ul-ti-mu-s erhalten. 
Wie sich nun später aus den proethnisch überkommenen 
formen inferus, superus, exterus, inträ, citrä, ultra neue 
comparative durch anhängung eines zweiten comparativ- 
suffixes, nämlich -iös-, bildeten, so haben sich, meiner an- 
sieht nach, aus den proethnisch überkommenen superlati- 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie, 343 

ven auf -isto-, welches neben dem comparativ auf -iös- 
mit zwingender nothwendigkeit auch im lateinischen einst 
vorhanden gewesen sein mufs, durch anhängung des zwei- 
ten Superlativsuffixes -mo- die neuen Superlative auf -issimo- 
gebildet. Denn wie es im sanskrit mahljan, roahistbas, im 
zend mazistö, griech. (tiyiöTog, got. mais, maists 

heilst, so mufs es auch zu irgend einer zeit ein altitali- 
sches magiös, magistos gegeben haben. Eine spur dieser 
bildung sieht Merguet mit Corssen (zeitschr. III, 268) in 
dem fidusta: ea quae maximae fidei erant des Festus. Das 
u statt i erklärt sich aus der älteren gestalt des compara- 
tiv8uffixes leicht. Schweizer (elem.- und formenl. der lat. 
spräche 122) hält auch das suffix von arista „ähre" für 
superlativisch, desgleichen Corssen (zeitschr. III, 285 sq.) 
das von juxtä, praestö, und aus den gentilnamen der Ari- 
stii, Apustii und Antistii möchte ich die Superlative aristos 
„der anhänglichste" (zu skr. arjä; gr. ctQtorog hat wohl f 
zu anfang), apustos „der entlegenste (cf. gr. ämo$)* und 
antistos »der vorderste" erschliefsen, ähnlich wie die Post- 
umii sich von postumus „der letzte" ableiten. Wie nun 
aus ex-tero- sich ex-teriös bildete, so aus *mag-isto- ein 
*mag-isto-mo-, welche lautform in dem alten sollistimus 
vorliegt. Sodann aber ging dies -istomo- in -issumo-, 
-issimo- über und wurde in dieser form das allgemein gül- 
tige suffix des lateinischen Superlativ. So weit bin ich 
also mit Merguet so ziemlich einer ansieht. Hier kommt 
nun aber ein punkt, in welchem ich von ihm wieder auf 
das wesentlichste glaube abweichen zu müssen. Es betrifft 
die bildung der Superlative auf -errimo- und -illimo-, in 
denen das zweite r resp. 1 entstanden sein 6olI, um nach 
der eingetretenen Verschiebung des bochtons die neube- 
tonte silbe durch positionslänge zur tragung des hochtones 
geeigneter zu machen (formenb. 129). Wenn diese erschei- 
nung an und für sich im lateinischen auch nicht zu läug- 
nen sein mag, so halte ich sie doch hier für nicht vor- 
handen. Fast alle adjectiva, die hier vorliegen, sind -o- 
und -i-stämme, was Merguet (a. o. 128) selbst hervorhebt. 



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344 



Pauli 



Die för diese Stämme aber sonst angewandte superlativ- 
endung ist -issimo-, und es ist daher von vorn herein an- 
zunehmen, dafs sie allen o- und i -Stämmen eigen gewe- 
sen sei. Diese annähme würde man nur dann als falsch 
aufzugeben haben, wenn ihr lautliche Schwierigkeiten oder 
sonstige gegengründe in den weg träten. Die aber sind hier 
nicht vorhanden. Es ergiebt sich aus der vergleichung des 
sanskrit, wo der ton mit wenigen ausnahmen auf der ersten 
silbe, und des griechischen, wo er stets auf der drittletzten 
liegt, d.h. so weit nach vorn, als es das griecb. überhaupt noch 
gestattet, dafs die Überkommene betonung des lateinischen 
gleichfalls die der ersten silbe gewesen sein mufs. Es hiefs 
demnach *magistos, *6cistos, wie es skr. mähistbas, aciäthas, 
gr. ßh-yiaroq^ wxKTtog hiefs, und wie sich nun aus mägistu- 
mos, öcistumos durch die mittelstufe mägissumos, Öcissu- 
mos ein maxumos, maximus und oxime bildete (so auch 
Merguet a. o. 129), indem der tieftonige vocal vor dem 
ss ausfiel, so entstand auch aus celeristumos, similistumos 
durch die mittelstufe celerissumos (erhalten in dem cele- 
rissimus des Ennius und Matius bei Neue, formenl. II, 74), 
similissumus (cf. utilissimus) nach ausfall des tieftonigen 
vocals vor dem ss ein *celersimu8, *similsimus. Diese for- 
men aber assimilierten sich zu celerrimus, simillimus, wie 
*tersa, *torseö (beide zu skr. tr§ „sitire", deutsch durst, 
dürre), # terseö (skr. tras „zittern") etc. zu terra, torreö, 
terreö und wie *colsum (deutsch hals) zu Collum. (Neben- 
bei gesagt, halte ich auch für ferre, velle an der entste- 
hung aus ferse , velse fest gegen Merguet formenb. 248, 
wovon nachher.) Diese, wie ich eben sehe, auch schon 
von Curtius an Schleicher (comp. 2 262) brieflich ausge- 
sprochene ansieht halte ich für die allein zulässige, weil 
wir nur so für den lateinischen Superlativ, abgesehen von 
den proethniseh überkommenen formen auf -mo- und -tomo-, 
eine einheitliche bildung gewinnen. Denn es bleiben uns 
jetzt nur noch die formen supremus, extremus u. ä. zu er- 
klären übrig. Dafs es, den altüberkommenen formen sum« 
mus, extimus gegenüber, neubildungen sind, so gut wie 



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beiträge zur lateinischen 1 autlehre und etymologie. 



34 5 



superiör, exteriör für den comparativ, liegt auf der hand. 
Wie nun superiör, exteriör sich an den veralteten und 
nicht mehr als solcheu gefühlten comparativstamm supero-, 
extero- anlehnen, so auch die Superlative. Wie sich an 
diesen stamm das gewöhnliche -iör fügte, so im Superlativ 
das gewöhnliche -issimus. Es entstanden also formen, wie 
# superi8simu8, *exterissimu8. Daraus konnte einmal guper- 
rimus (erhalten von grammatikern bei Neue, formenl. II, 7G), 
# exterrimus hervorgehn, aber auch mit nochmaligem aus- 
fall des tieftonigen vocals *supermus, *extermus und hier- 
aus mit metathese supremus, extremus, wie für *cer-vi 
(von cer-no), *sper-vi (sper-no) mit metathese crevi, sprevi 
gesagt wird. Es liegt also auch hier das compouierte 
suflfix -isto-mo- zu gründe. Diese erklärung scheint mir 
der von Merguet (formenb. 126) aus alten locativen *suprai, 
*extrai vorzuziehn, da ich nicht glaube, dafs casusformen 
comparationsfähig sind. Wenn Merguet (a. o.) den grund 
zu wissen verlangt, weshalb gerade in zwei speciellen fal- 
len «bei -errimii8 metathese eingetreten sei, sonst nicht, so 
läfst sich ein solcher grund allerdings nicht angeben, so 
wenig, wie dafür, dafs es z. b. major mit ausfall des g, 
aber magis mit erhaltenem heifst, dafs in letzterem das u, 
in minus dagegen das i ausgefallen ist. Es gehen eben 
überhaupt in der spräche nicht alle gleichen bildungen 
lautlich denselben weg. Es ist jetzt nur noch die forma- 
tion von dexter, si nister, magister und minister ins auge 
zu fassen. Hier theile ich ganz die auffassung Corssens, 
dafs, mit ausnähme natürlich von dexter, falls es = gr. 
de^tr£()6g und nicht etwa aus dexister zusammengezogen 
ist, was auch möglich scheint, doppelte cotnparativsuffixc 
vorliegen, und hier trenne ich also sin-is-ter, mag-is-ter, 
min-is-ter. Und wie in dex-timu-s neben dex-ter das suflfix 
-timo- zur anwendung kam, so bildete sich auch sinis- 
-timu-s, bleibt aber auch so und wandelt sich nicht in 
sinissimus, wie lev-isti-mu-8 in levissimus. Die lateinische 
comparation hat also, um meine ansieht noch einmal kurz 
zusammenzufassen, folgenden gang genommen: Ueberkom- 



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346 Pauli 

men sind drei suffixpaare: 1) -ro-, -mo- (superus, sum- 
inus); 2) -tero-, -tomo- (exterus, extimus); 3) *iös-, -isto- 
(majör, *magistos); neubildungen durch abermalige Steige- 
rung sind: 1) -isto-mo-, -issumo- (regelmässig statt -isto-); 
2) -r-iös-, -r-issumo- (superiör, supremus); 3) -ter-iös-, ter- 
-i88umo8- (exteriör, extremus) ; 4) is-tero-, is-tomo- (sinister, 
sinistimus, magister, minister). 

Als anbang zu diesem theil behandle ich die bildung 
der infinitive esse, ferre, velle , deren ich oben schon bei- 
läufig erwähnte. Merguet ( formenb. 248) sieht nämlich in 
ihnen reflexe der vedischen infinitive auf e. Als haupt- 
grund gegen die Boppsche ansieht, dafs sie mit -se gebil- 
det und rr, 11 durch assimilation aus rs, ls entstanden 
seien, führt er ao, dafs die lautverbindungen rs und ls der 
spräche sonst bequem, also zu ihrer beseitigung durch as- 
similation kein grund vorbanden sei. Freilich finden sich 
im lateinischen genug rs und ls, aber es finden sich eben- 
sogut sichere beispiele für die assimilation, die ich oben 
angegeben habe. Das wäre also kein grund, esse, ferre, 
velle nicht aus *esese, resp. *edesc, *ferese, *velese entste- 
hen zu lassen. Für letztere auffassung giebt es aber posi- 
tive gründe, die sie sehr wahrscheinlich machen. Denn da 
das lateinische sonst ein -ere = ved. -asö besitzt und jene 
formen esse, ferre, velle sich den lateinischen lautgesetzen 
nach richtig daraus ableiten lassen, so scheint es mir vor- 
zuziehen, diese formen von den andern nicht zu trennen. 
Nun aber sind lat. edö, ferö, volö von -a- stammen gebil- 
det, so gut wie z. b. cadö, gerö, colö, und dals sie das 
schon proethnisch waren, beweisen got. ita; skr. bharämi, 
gr. cf ^ajy got. baira; ved. värämi (z. b. Rv. 1, 140. 13, sonst 
allerdings gewöhnlich vrnömi). Da aber alle Übrigen -a- 
stämme im lateinischen ihren infinitiv auf -ere bilden, so 
ist das auch für edö, ferö, volö von vorn herein überaus 
wahrscheinlich, und wir hätten demnach ein *edese, *ferese, 
*volese oder älter # velese anzusetzen (denn das o kommt 
nur auf rechnung des v und 1). Nun ist es aber weiter 
eine bekannte erscheinung, dafs das lateinische seine tief- 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie. 347 

tonigen vocale gern elidiert, wo nach der elision sich leicht 
sprechbare oder leicht assimilierbare consonantengruppen 
ergeben. Das geschieht z. b. in doctum zunächst för do- 
citum, carnis för *carinis, autumnus für *autumenus, au- 
dacter für *audaciter, vehementer för *vehementiter, hortor 
für *horitor u. v. a. Assimilation ist daneben eingetreten 
in hümänus für *huminänus, *humnänus, 'hummänus, farris 
(v. far) für # farisis (got. bariz-eins „von gerste bereitet"), 
sigillum für 'siginulum, puella für *puerula, summus für 
*supimus u. v. a. Es ist also unbedenklich, denselben Vor- 
gang für obige drei infinitive anzunehmen. Der einwurf, 
weshalb aber gerade hier elision und attraction eingetreten 
seien, in cadere, gerere, colere und allen übrigen aber 
nicht, liefse sich schon durch den oben aufgestellten satz 
erledigen, dafs nicht alle gleichen bildungen lautlich den- 
selben weg gehn, allein hier glaube ich allerdings einen 
bestimmten grund angeben zu können. Zuvor aber führe 
ich zu seiner illustration ein durchsichtiges beispiel aus 
dem deutschen an. Es heifst ahd. haben „haben" und 
laben „laben", davon kommen praes. 2. sg. habes, labes, 
3. sg. habet, labet, imperf. habeta, labeta, und jetzt sagen 
wir hast, hat, hatte, aber labst, labt, labte. Woher der 
unterschied? Daher, dals haben hülfszeitwort, d. b. von 
häufiger anwendung geworden ist, laben nicht. Das in 
diesem beispiel liegende gesetz zeigt sich auch in allen 
andern sprachen oft genug : Häufig gebrauchte formen nei- 
gen zur Verkürzung und zusammenziehung. Dies gesetz 
hat die drei ihrer bedeutung nach so vulgären verba des 
„wollens (reines hülfsverb, wie haben), essens, tragens" 
sich unterworfen und daher heifst es vult, vultis, velle; 
est, estis, esse; fers, fert, fertis, ferre für *volit, *volitis, 
*velese; *edit, *editis, *edese; *feris, *ferit, *feritis, *ferese. 
Ebenso ist auch esse „sein" aus *esese entstanden, wenn 
letzteres auch vielleicht erst neubildung des lateinischen 
nach analogie der andern war und proethnisch die wurzel 
as als -a-stamm, wie es scheint, nicht vorhanden war. 
Und wie ich das -ere erkläre? Nicht, wie Merguet (a. 0.249) 



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Pauli 



als aori8tendung, sondern in conservativer weise, wie z. b. 
Schleicher u. a., als casus einer abstractbildung auf -as, 
wie das ved. -ase. Alle infinitivendungen sind casusen- 
dungen abstracter nomina, das scheint mir, namentlich auf 
grund der so Überaus klaren vedischen infinit ive, aber 
auch z. b. des lateinischen supinums, unumstöfsliche that- 
sache. Aber es giebt im lateinischen sonst, sagt Merguet 
(a. o.) infinitive, gebildet auf blofses -e, wie die entspre- 
chenden vedischen. Das mag immerhin sein, was ich hier 
nicht untersuchen will, und die annähme L. Meyers, dafs 
dicier aus dicerier gekürzt sei, scheint mir allerdings un- 
haltbar, aber es liegt eben lautlich für beide esse, ferre, 
velle nicht der geringste grund vor, sie von den Infiniti- 
ven auf -ere zu trennen. Die möglichkeit von Mer- 
guets erklärung bestreite ich nicht, aber ihre Wahr- 
scheinlichkeit. 

Der letzte punkt der Merguetschen schrift, den ich 
hier besprechen will, ist die entstehung der -e-declina- 
tion. Merguet setzt als grundform der nominativendung 
ein -iäs voraus, aus der sich sowohl -ia der ersten, als 
-ies der fünften entwickelt hätte (abl. d. verbalend. s. 
10 sqq.), während Corssen nach Bopps vorgange als grund- 
form -ia festhält und in dem s der fünften einen durch 
analogie der endung -es in der dritten hervorgerufenen un- 
ursprünglichen zu6atz sieht. Wenn wir vorläufig von fames, 
plebes, fides, dies, quies, 6pes absehen, so finden wir in 
der fünften declination drei ganz bestimmte, gesonderte 
bildungen, nämlich 1) primäre substantiva auf -ies, als 
ef-fig-ies ( wurzel dhigh „fingere"), per-nic-ies (wurzel nak 
„interire"), prö-sic-ies (wurzel sak „secare"), ac-ies (wur- 
zel ak „acutum esse u ), fac-ies (wurzel in facio), spec-ies 
(wurzel spak „videre"), ser-ies (wurzel sar „serere"), rab- 
-ies (wurzel rabh „temere agere" Westerg.), al-luv-ies 
(wurzel in luo); 2) secundäre substantiva auf -ies, als 
falläc-ies (von fall ax), barbar-ies (von barbarus), macer-ies 
(von macer), mäcer-ies (mit mäcerare von einem *mäcer), 
miser-ies (von miser), mäter-ies (zu skr. mäta'r m. Zimmer- 
mann pb. wb.), wahrscheinlich auch luxur-ies; 3) secun- 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie. 



34« 



däre substantiva auf -ties, als molli-ties (von mollis), 
aväri-ties (von avärus) und viele andere. Da nun alle diese 
drei bildungen in gleicher funktion auch auf -ia nach der 
ersten vorhanden sind und überdies beide formen oft bei 
denselben Wörtern neben einander hergehen (Neue, formen!. 
I, 382 sqq.), so ist 1 ) nicht zu bezweifeln , dafs beide ge- 
stalten der drei suffixe nur lautliche differenzierungen 
sind, worin auch Corsscn und Merguet Übereinstimmen; da 
aber ferner die zahl dieser auf -ies endenden nomina die 
auf blofses -6s ausgehenden so sehr überwiegt, dafs von 
letzteren mit Sicherheit nur fames, plebes, fides vorhanden 
sind — denn spes ist bekanntlich gekürzt und gehört ur- 
sprünglich gar nicht hierher, res aber, als dem skr. räs 
gleich, ebenfalls nicht — so ergiebt sich 2) dafs der grund- 
stock der 5. declination allerdings, wie Merguet gegen 
Corssen behauptet, die Wörter sind, die ein i vor der en- 
dung haben und als grund für das aus -ä sich entwickelnde 
-€ läfst sich dann allerdings eine assimilation durch das i 
vermuthen. Wir haben uns demnach die bildungen der 
verwandten sprachen anzusehen, die den obigen drei latei- 
nischen entsprechen. Als entsprechende bildungen hat nun 
Grafsmann die griechischen auf -ja, die indischen auf -I 
nachgewiesen (zeitschr. XI, 28 sqq.). Liefse sich nun er- 
weisen, dafs diese bildungen proethnisch die nominativen- 
dung s gehabt hätten, dann wäre Merguets ansieht ge- 
rechtfertigt und nur noch zu untersuchen, weshalb fames, 
plebes, fides, die auf blofses -es endigen, sich der analogie 
derer auf -ies angeschlossen hätten. Merguet (abl. d. ver- 
balend. 11) stützt sich auf die -I -stamme des sanskrit, von 
denen ein nominativ auf -is vorhanden sei. Das ist aller- 
dings richtig, aber sehr cum grano salis aufzufassen und 
anzuwenden. Die zahl der Wörter, in denen das im sans- 
krit zulässig ist, ist eine äufser6t geringe (s. Benfey, kl. 
skr.-gramm. 304. 310), daneben ist, wie Benfey ausdrück- 
lich bemerkt, die form ohne s in gebrauch, wenigstens bei 
den vedischen Wörtern (nur in einigen nachvedischen ist 
das -s fest geblieben), und deshalb fafst Benfey selbst a. o. 
das -8 als # blofs nach der anale gie anderer Stämme ange- 



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350 



Pauli 



treten. Wenn er trotzdem andern orts (or. und occ. 1, 298) 
diesem -s, wo es an das fem. -Suffix -tri getreten sein soll, 
schon proethnischen Ursprung einräumt, so geschieht dies 
nur seiner theorie zu liebe, dafs die griechischen bildungen 
auf -tqiÖ-j sowie die lateinischen auf -trlc- unmittelbar 
aus jenem supponierten -tris hervorgegangen seien, grün- 
det sich aber auf keine bestimmten thatsachen. Der no- 
minativ gnäs vollends in der stelle Rv. IV, 9, 4 ist sehr 
unsicher, es kann eben so gut guä gelesen werden, und 
selbst die lesart des padapätha gnä: ist nicht absolut bewei- 
send, denn auch dieser text irrt oft genug (Bollensen, or. 
und occ. II, 465. Delbrück, d. zeitschr. XX, 217 sq.). Es 
ist demnach der thatbestand des sanskrit der, dafs allerdings 
aber ausschliefslich bei den bildungen auf -I, nicht auf -ä, 
in der vedenzeit einzelne Wörter ein -s annehmen kön- 
nen, welches in späterer zeit bei einigen fest haftet. Das 
aber ist auch der ganze thatbestand, weder die entspre- 
chenden griechischen, noch altslawischen, noch litauischen, 
noch deutschen bildungen (s. bei Schleicher comp. 1 528 sqq.) 
zeigen jemals das -s. Ich kann darnach nicht umhin, die 
ältere Benfeysche ansieht, das -s sei in jenen indischen 
formen nach analogie andrer Stämme (z. b. der einsilbigen 
auf -T, derer auf -i, auf -ü u. ä.) erst später angetreten, 
für die richtige und eine proethnische endung -iüs für 
nicht erwiesen zu halten. Es fragt sich demnach also, 
woher dieses -s gekommen sei. Die ansieht Corssens, dafs 
aufser den Wörtern auf -ies eine unabhängige e-declination 
vorhanden gewesen sei, halte ich nach Merguets ausfüh- 
rungen (namentlich formenb. 22) für durchaus unerwiesen, 
da zwischen den drei dort aufgeführten declinationsüber- 
gängen die verbindenden glieder fehlen. Falls man indefs 
die entstehung der -e-declination in die zeit der älteren 
Jatinität verlegt, ist eine solche hypothese auch gar nicht 
nöthig. Vergleichen wir die endungen der älteren zeit, 
wie sie sich für die -a-, -ie-, -i- declination und das alte 
proethnische erbstück res gestalten, so haben wir: 



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beitrage zur lateinischen lautlehre und etymologie. 351 



• 

-ä- 


-ie- 


• 

-l- 


re- 




sing.: 




IlUIIl. -U 


-*ie 




rps fskr rAs) 


f^en. -ais. -aes 


- 1C1D, -It/D ) 


-es M 


*reis (skr. räjäs) 


dat. äl, -ae 




e / 


rel, re (skr. räje) 


acc. -äm 


— IC 111 


-im 

IUI 


# rem (skr. räjam) 


abl. -ä 


-ie 


-e,-ei,-i 


re(skr. räji od. räjas?) 






plur. : 




nom. -äs 4 ) 


-ies 


-es 


res (skr. räjas) 


gen. -äsüm 


-iesüm 


-iüm 


*reüm (skr. räjam) 


dat. abl. -äbus 


-icbus 


a -ibus 


rebus (skr. räbhjas) 


acc. -äs 


-ies 


-es 


res (skr. räjäs) 



Wie sofort der augenschein ergiebt, hat sich die de- 
clination des -iä durch den lautlichen Übergang zu -ie sehr 
wesentlich der -i-declination genähert. Differierende endun- 
gen sind nur -ie neben -is, -iörn neben -im, -iesüm neben 
•iüm, -iebus neben -ibus. KöDnte nun nachgewiesen wer- 
den, dafs bei notorischen -ie- stammen sich -i-endungen 
und umgekehrt fanden, so wäre damit erwiesen, dafs zwi- 
schen beiden declinationen zu irgend einer zeit die klare 
Scheidung im volksmunde nicht mehr vorhanden gewesen 
wäre. Nun aber finden wir 1 ) dafs viele notorische -i- 
8tämme im nom. sing, -es statt -is zeigen (sedes u. dgl.), 
dais ferner der acc. sing, derselben meist -em statt -im 
zeigt; 2) dafs von ie-stämmen sich stets der nom. sg. -ies 
statt -ie findet, dafs neben dem gen. plur. auf -ierum auch 
der auf -ieum gebildet wurde (Neue, formenl. I, 392). 
Diese Vorgänge fasse ich so, dafs eben jene mischung ein- 
getreten sei. „Das auslautende -s hat seit alter zeit einen 
überaus schwachen klang gehabt", sagt Corssen (ausspr. 
I 2 , 285), und formen, wie militare, simile als masc. sind 
uns überliefert (Bücheler, lat. decl. 8). Dadurch nähert 
sich altes *acie (für aciä) und *sede (für *sedis) noch mehr. 



1 ) Neue, formenl. I, 390. a ) wegen Saluten, parenteis im Corp. 
inscr. I. no. 49. 1009. 3 ) ibid. vielfach e und ei. 4 ) Bücheler, lat. 
decl. 17. 



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3f)2 



Pauli 



Später nun, als man das -s wieder zu schreiben anfing, war 
die confundierung bereits geschehen und man schrieb nun (und 
sprach hinterher dann auch) acies mit ungebührlichem 8, 
sedes mit ungebührlicher länge. Die vocale des acc.sg. haben 
sich schon früh gekürzt in folge der schwachen ausspräche 
des m (Corssen, ausspr. I 2 , 265 u. f.). Daher ist -am zu 
-am, -iem zu -iem geworden und diesem -iem hat sich 
nun wieder das ursprüngliche -im der i-decl. zu -em as- 
similiert. Aus ursprünglichem *reütn ist rörum geworden 
nach analogie der ie-stämme, das -ium der i- Stämme hat 
aber jene wieder dahin beeinflufst, dafs sie das r auswer- 
fen und -ieum bilden können. ' 

Das sind thatsachen, die das ineinanderschwanken der 
-ie- und -i-stämme hinlänglich beweisen. Dadurch finden 
namentlich die beiden gleich wunderbaren endungen -ies der 
fünften und -es der dritten eine ungezwungene erkläruug, 
denn die bis dahin geltende annähme, dafs sedes ein -as- 
stamm und der genetiv sedis aus sedesis zusammengezogen 
sei, vermag ich mit den sonstigen thatsachen, dafs -esis 
zu -eris (generis in der decl., emeris in der conjug.) wird, 
nicht in einklang zu bringen. Nun bedarf es auch der 
annähme Merguets (abl. d. verbalend. 12) gar nicht mehr, 
dafs in fames, plebes ein i ausgefallen sei. Denn als erst 
die mischung beider Stämme eingetreten war, konnten sehr 
leicht, als später wieder beim übergange zur festnormier- 
ten Schriftsprache die formen reflectierend gesondert oder, 
vielleicht genauer, eine besondere fünfte declination aus 
der dritten ausgesondert wurde, Stämme in die fünfte de- 
clination gerathen, die ursprünglich der dritten angehör- 
ten. Angebahnt wurde das durch res, welches ursprüng- 
lich wie die Stämme su-, gru-, bou- als vocalischer stamm 
der dritten folgen sollte. Durch die gestaltung des 
alten -ä- zu -e- ist aber die flexion desselben der der 
-ie-stämme so nahe gebracht, dafs es nur des schon oben 
erwähnten Umschlages von *r6üm zu rerum bedurfte, um 
dieselbe vollkommen zu machen. Dadurch wurde man 
irregeführt und verleitet, nicht -ie-, sondern blofses -e- als 
character der declination und auch wörter, wie fames, 



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bciträge zur lateinischen lautlehre und etymologie. 353 



plebes als ihr zogehörig aufzufassen, die ursprünglich i- 
stärame waren. Befördert wurde diese confusion zunächst 
durch die nominative auf -es, sodann dadurch, dafs das 
-i- der endung -ies einmal sehr schwach gelautet haben 
mufs, wie aus der von Corssen gewifs richtig erklärten 
stelle des Paul, faces antiqui dicebant ut fides hervorgeht. 
Zuletzt gehen dann auch einige consonantische stamme, 
gleichfalls durch den nom. sing, auf -ies veranlafst, in die 
-ie-declination über, so dies (stamm dives-) und quies 
(stamm quiet-), endlich nach verlust des inlautenden r, 
auch 8pö8. 

Die entwickelung der lateinischen fünften declination 
ist also, meine ansieht noch einmal kurz zusammengefafst, 
folgende: 1) Übergang des -iä zu -ig, veranlafst durch das 
i, aber nur in substantivischen bildungen; 2) confundie- 
rung der -ie- stamme und der sehr ähnlich flectierten -i- 
stärarae und gegenseitige beeinflussung der declinations- 
endungen (-ies der fünften, -es der dritten) ; 3) sonderung 
beider declinationen für die Schriftsprache mit einigen uiifs- 
grifien in folge jener confundierung (a. res; b. fames, ple- 
bes, fides); 4) Übertritt einiger consonantstämme mit dem 
nom. sing, auf -ies und -es in die fünfte declin. (a. dies, 
quies; b. spes). 

Das sind die hauptpunkte in Merguets letzter kleiner 
schrift, in denen ich, sei es ganz, sei es zum theil, von 
seinen ansichten glaube abweichen zu müssen. 

Münden, den 26.juli 1871. 

Dr. Carl Pauli. 



Allerlei. 
1. 

Die europäischen verba kal hehlen, kal heben und 

kal schlagen. 

Die nähere Verwandtschaft der europäischen sprachen 
unseres Stammes gegenüber den Ariern zeigt sich nirgends 

Zeitschr. f. vgL sprachf. XX. 5. 23 



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354 



deutlicher als iii der gemeinsamen entwicklung des 1-lants, 
welcher, wie Schleicher längst erkannt, der indogermani- 
schen arsprache, ja seihst der gemeinsam arischen periode 
— der indo-iranischen Spracheinheit — durchaus abzuspre- 
chen ist, da die älteren iranischen sprachen überall kein 1 
zeigen, das älteste sanskrit im vedadialect nur sehr geringe 
ausätze zur entwicklung dieses lauts, meist jedoch nur ne- 
ben formen mit dem älteren r darbietet. So zeigen die 
verba kal hehlen, kal heben und kal schlagen auf euro- 
päischem boden durchaus das 1 im auslaut, während ihre 
reflexe auf arischem boden unter kar und vielleicht auch 
skar aufzusuchen sind. 

1) kal hehlen ist nur im latein und deutsch reicher 
entfaltet. Es gehört hierher lat. oc-culere verbergen, ver- 
hehlen, mit der alten Schreibung quol wie in oquoltöd = 
occulto des S. C. de Bacchanalibus. Zu dieser wurzelform 
quol = col gehört unbedingt col-ör, alt col-ös färbe als 
bedeckung, Überzug. Die reine form cal ist in cal-im, alt 
filr clam, verborgen, heimlich, erhalten; mit Schwächung 
des anlauts zu g in gal-ea heim und gal-eru-s mötze, 
{cappe, womit ahd. hulla (für hulja) köpf bedeckung in der 
bedeutung stimmt. Endlich stammt celäre verhehlen von 
einem nomen cölo-, welches mit vocaldehnung aus demsel- 
ben stamme cal- gebildet ist, und dem ahd. hala f. tegmen 
entspricht, das sich freilich zunächst an die deutsche ab- 
lautsreihe hilan hal bälum lehnt. Ob lat. cella für ceJa 
oder cel-na steht, ist wohl nicht zu ermitteln, jedenfalls 
gehört es demselben stamme an. 

Im deutschen entspricht dem lat. -culere hehlen das 
starke verb hilan hal hälum hulana- hehlen, bergen, das 
im nieder- und hochdeutschen nachzuweisen ist und als 
gemeinsam germanisch gelten darf. Die bedeutsamsten 
ableitungen sind hilma- heim, das im ags. heim noch die 
allgemeine bedeutung Schützer zeigt, halja f. hölle, todes- 
göttin (die hehlende: an. hei g. heljar f. Hei = goth. halja 
hölle) ferner an. hal-r = ags. bäle mann, eigentlich wie 
as. helidh = nhd. Held der (in waffen) gehüllte, behelmte, 
endlich ahd. hala f. hülle und hala- eigentlich verborgen, 



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allerlei. 



355 



schlüpfend, dann mit etwas kahner Übertragung schlüpfrig, 
glatt. Abd. häli = mhd. haele hat beide bedeutungen, 
sowohl verhohlen als schlüpfrig, an. hall (= hal-a-s) heifst 
blofs schlüpfrig, glatt. Auf die ablautsform hui des part. 
gehen hula- nhd. bohl, das mit lat. cavus, caula und xoiXo-g 
nicht zu verbinden ist, und huljan hüllen, davon hulistra n. 
hülle, und hulja = ahd. hulla kopfbuch = nhd. hülle. 
Dieser reichen entfaltung des verbs im deutschen gegen- 
über finden sich kaum spuren desselben im lituslavischen; 
vielleicht nur im lit. szalma-s = ksl. älemü heim, das man 
von dem deutschen worte nicht abtrennen kann * ). — Fra- 
gen wir nach dem Ursprünge dieses europäischen verbs 
kal hehlen, so unterliegt es wohl keinem zweifei, dafs es 
sich aus der ig. wurzel skar = skr. kar kirati und zwar 
in der bedeutung beschütten, bedecken entwickelt habe, 
welche im sanskrit recht wohl nachuzweisen ist, vgl. z. b. 
skr. käla dunkel mit xrjX-iö flleck, lat. c&l-Igon finsternifs; 
allein jedenfalls hat sich aus diesem viel weitschichtigeren 
skar, kar auf europäischem boden unser kal kalati in die- 
ser form und mit verengter bedeutung so fest herausge- 
bildet, dals es noch jetzt aus den reflexen im latein und 
deutschen wiedergewonnen werden kann. 

2) kal heben ist am besten im latein und litauischen 
erhalten. Es lebt als verb -cellere in ante-cellere sich 
hervorheben, ex-cellere sich herausheben, prae- cellere sich 
hervorheben, im part. cel-su-s erhaben. Auf den reinen 
stamm cal scheint callu-s, callu-m Schwiele zu gehen, das 
wohl einfach „erhebung" bedeutet und für cal-nu-s stehen 
wird; vgl. lit. kal-na-s berg. Von callu-s ist cal lere Schwie- 
len haben = erfahren sein in etwas abgeleitet; es liegt 
darin eine für ein bauernvolk, wie die alten Italiker und 
Römer waren, ganz nahe liegende Sinnesübertragung. Auf 
die form col geht col-Ii-s, wohl = col-ni-s hügel, colu- 
-men, cul-men erhebung = an. hölmi (d. i. hulman-) m. 
holin, colu-mna säule und auch wohl culmu-s = xakctpo-g 



*) Nach Joh. Schmidt Beitr. z. vgl. spr. V, 467 ist Slemu ein lehnwort 
ans dem (leutechen. Anm. d. red. 

23* 



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35C 



Fick 



s=s ksl. slama = deutsch halma- halm. Im griechischen 
ist unser verb als solches untergegangen, an ableitungen 
gehören sicher dazu nur xoXtu-vo-g hügel und xdXauo-g 
halm; doch könnte mau xvXo-v augenlied sammt lat. ci- 
liu-m, super-ciliu-m und ksl. celo stirn hierherzieben. Im 
litauischen ist kal als verb erhalten in keliu kel-ti heben, 
tragen, zurichten (fest), begehen (that), part. kelta-s (= lat. 
celsus) erhoben, isz-kelta-s erhaben vergl. lat. excelsu-s, 
kelti-s reflex. sich erheben. An ableitungen gehören dazu 
kil-na-s und kil-nu-s erhaben, isz-kyla erhebung, isz-kilu-8 
erhaben, kel-ma-s baumstumpf und endlich vom reinen 
8 tarn Die kal kal-na-s berg *). 

Aus diesen Zusammenstellungen ergiebt sich mit Si- 
cherheit, dafs zur zeit der auflösung der europäischen 
sprach- und Volkseinheit ein verb kal heben bestand, part. 
kal-ta = lat. cel-su-8 = lit. kel-ta-s gehoben mit den ab- 
leitungen kalman = lat. culmen = an. hölmi (für hulman-) 
holm und kalma = xdXapög = culmu-s = ksl. slama = 
deutsch halma- halm. — An welche ig. wurzel kal heben 
anzulehnen sei, ist dunkel; das im späteren sanskrit auf- 
tretende kal kalajati treiben, antreiben, betreiben; tragen, 
heben, halten kann vielleicht den weg zeigen. 

3) kal schlagen, stofsen, brechen; biegen. 

Dieses verb erscheint im griechischen als xXa, wel- 
ches, wie die kürze des « zeigt, durch blofse Umstellung 
aus xaX entstanden ist und dieses demnach repräsentirt. 
Der reine stamm xXa erscheint nur im part. aor. xXa-g, 
sonst tritt das erweiterte thema xXag ein wie in %xXa<f-0cti 
£xXaG-&iii'i xe-xXaa-ftai. Die bedeutung anlangend, ist es 
von Wichtigkeit für die folgende Untersuchung hier gleich 
zu betonen, dafs xXdo> besonders vom abbrechen von zwei- 
gen, blättern u. s. w. gebraucht wird, sowie dafs xexXaofii- 
vog auch „gebrochen" soviel als gebogen, gekrümmt be- 
deutet. Ableitungen vom reinen stamme xXct sind xXa-§o-g 
zweig, xXrj-nar schofs und xXiov in. schofs, letzteres für 



*) Ueber altgallische verwandte dieser wurzel vergl. man Beitr. z. vgl. 
spr. V, 97 f. Anm. d. red. 



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allerlei. 



«'557 



*2a-or, alle in dein sinne von xket zweige, blätter brechen; 
endlich xXa-ftaQo-g gebrochen, kraftlos bei Hesych, von 
mir früher unrichtig zu skr. cram gestellt, von Leskien 
mit recht dieser wurzel zugewiesen. Das suffix ftaqo ent- 
spricht genau dem skr. mara z. b. in ad mar a gefräfsig 
von ad essen. — Im latein ist kal schlagen ebenfalls als 
verb erhalten in per-cellere culi culsum durchschlagen, 
durchbrechen, durchstol'sen und re-cellere zuröckbiegen, 
sich zurückbiegen , dessen bedeutung uns nicht befremden 
kann, da ja auch xA«w brechen » biegen, krümmen heifst. 
Durch d abgeleitet, wie xAa-Jo-g, ist clä-de-s niederlage 
für cal-de-s, wodurch sich die länge des ä erklärt. Eben- 
falls ist Umstellung anzunehmen in clä-va für cal-va keule, 
das von Pauli sehr ansprechend zu unserer wurzel gestellt 
wird. Sicher gehört zu ihr cuMro m. messer mit dem 
suffix tro, welches das Werkzeug bezeichnet und im latein 
auch in arä-ter neben arä-tru-m männliches geschlecht zeigt, 
cul-tro ist demnach werkzeug zum -cellere hauen, wie lit. 
kal-ta-s Schnitzmesser, meissel von kal-ti hauen stammt. 
Die gleiehsetzung von culter mit dem skr. kartar-i messer, 
scheere ist aufzugeben; dieses stammt vou kurt schneiden, 
welches im lat. cre-na rinne, einschnitt als cret- erscheint, 
und ebenso in den übrigen europäischen sprachen sein r 
bewahrt. Im litauischen hat sich kal gespalten in die for- 
men kal und kul, die aber in der bedeutung wenig diffc- 
riren. kalu kal-ti heifst schlagen, meist speciell hämmern, 
schmieden, per-kalti durchhauen, durchschlagen vgl. per- 
cellere, das part. kal-ta-s geschlagen, gehämmert ist gleich 
lat. (per)-culsus, kal-ta-s meifsel erinnert an cul-ter. Wei- 
tere ableitungen sind kal-vi-s schmied und kala-da hau- 
klotz. Das mit kal-ti ursprünglich identische kuliu kul-ti 
heifst ebenfalls schlagen, wird jedoch meist vom dreschen, 
aber auch vom schlagen der wasche gebraucht. Daher 
kulika-s drescher, kul-y-s (= kul-ja-s) bund strob, kul-tuve' 
waschbleuel, waschholz. Das slavische bietet unsre wurzel 
in ksl. kol-jt} kla-ti pungere, nsl. kala ti findere, ksl. koli- 
-tva mactatio, also in der bedeutung stechen, spalten, 
schlachten (= zerhauen). Das deutsche endlich hat nicht 



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358 Fick 

das verb bewahrt, sondern nur einige ableitungen dessel- 
ben aufzuweisen. Es sind diese: 

hil-di- f. kämpf (an. hildr f. Bellona, proelium ss as. 
hildi-, ags. hildi-, ahd. Hild- in eigennamcn und hiltja f. 
kämpf), regelmäfsiges abstract durch di = jg. ti von hil 
ss europ. kal, ferner die ableitungen mit t = ursprüng- 
lichem d, die bei unserm verb uralt beliebt waren : hal-ta- 
lahm (goth. halt-a- ss an. haltr = ahd. balz) eigentlich 
„gebrochen, gebrechlich " und hulta n. holz (an. as. holt 
mm ahd. holz n.). Dies unser holz ist identisch mit dem 
kel. klada f. balken, block, holz, identisch auch mit xXadp-g, 
dessen stammverb xAa, wie wir oben sahen, ganz beson- 
ders vom abbrechen der zweige und blätter gebraucht 
wurde. — Bis jetzt haben wir die reflexe von kal in den 
nordeuropäischen sprachen nur in der bedeutung „schla- 
gen, brechen" aufgesucht, es gilt jetzt auch diejenigen auf- 
zufinden, in denen kal im sinne von „biegen" erscheint, 
wie in xsxXcxfftipog gebogen, lat. re-cellere „zurückbiegen". 
Es sind diese: ksl. po-klo-nü m. Verbeugung = lit. pa- 
-klana-s dass., pa-klanu-s ehrerbietig, kla-na-s sumpf, pfOtze 
(eigentlich Senkung, wie erhellt aus) klani-s io m. niedrige 
stelle im acker, welche formen alle auf ein altes particip 
kla-na gebogen zurückgehen. Daneben bestand wohl einst 
das particip auf ta, also kal-ta, im gleichen sinne; auf die- 
ses gebt das deutsche hul-tba (goth. hnltha- = ahd. hold) 
hold, dessen grundbedeutung „geneigt" ist, sowie deutsch 
hal-da geneigt, abhängig (an. hallr, ags. heald, ahd. bald 
geneigt, vorwärts geneigt) mit seiner familie. 

Resultat: Es bestand bei dem europäischen einheit- 
lichen volke ein verbum kal schlagen, stofsen, brechen 
und (brechen =) biegen, part. kalta, ablcitung kalda ab- 
gebrochenes holz (xXaöo-g = ksl. klada = deutsch hulta 
holz). Dies europäische kal ist aus ig. kar hervorgegan«. 
gen, und es finden sich in den arischen sprachen genug 
verba, an die man es anknüpfen kann, allein in dieser sei- 
ner form kal und in dieser seiner individuellen bedeutung: 
schlagen und brechen und biegen und besonders holz bre- 
chen ist es doch wieder als eine von den europäischen 



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allerlei. 



350 



Indogermanen während ihrer spracheinheit vollzogene um- 
und neubildung anzusehen. 

* * * 

■ 

2. 

Zum verständnifs des griechischen passivaorists auf -O fjv. 

Daft in &t]tr, &t)g u. s. w., wodurch im griechischen 
der sogenannte erste aorist des passivs gebildet wird, der 
alte indogermanische aori6t von &e &ij = ig. dhä tbun 
(diese Bedeutung ist überall zu gründe zu legen, wo dha 
tempusbildend verwendet wird) vorliege, ist so augenfällig, 
daXs es wohl nie verkannt worden ist. Mit hülfe dieses 
ftfjV) ö-fjg u. s. w. und des skr. a-dhäm, dbas, dhät u. 8. w. 
läist sich die flexi on dieses, der grundsprache angehöri- 
gen aorists vollständig wiederherstellen. Macht somit die 
form gar keine Schwierigkeit, so erregt desto mehr beden- 
ken, wie denn diese Zusammensetzung mit &tjv that im 
griechischen zur bezeichnung eines passivtempus dienen 
konnte. Nehmen wir z. b. l-do'-t??/, so müfste dies, nach 
der bedeutung seiner elemente wörtlich Übersetzt, heilsen: 
that geben = gab, in Wirklichkeit aber hat es denn sinn: 
wurde gegeben. Die lösung dieser Schwierigkeit liegt nahe 
genug. Es bat sich nämlich im griechischen der zwar 
nicht durchgreifende, aber weitverbreitete brauch entwickelt, 
dafs, während das präsensthema activen oder causalen sinn 
hat, der starke aorist (und das sogenannte zweite perfect) 
neutrale oder reflexive bedeutung zeigt. Ein nahe liegen- 
des beispiel möge hier genügen. Das präsensthema iöta- 
heifst stellen, der dazu gehörige starke aorist '4-ötijv stellte 
mich oder stand. Hierbei ist es ganz gleichgültig, ob das 
ig. sta in der Ursprache oder einer sonstigen vorperiode 
stehen oder stellen hiefs; genug im griechischen hat diese 
vertheilung der bedeutungen auf die verschiedenen tempus- 
stämme statt und zwar ist diese vertheilung in einzelnen 
fallen eine uralte, bereits graecoitalische , wie aus lat. si- 
stere stellen (in compositis allerdings stehen) erhellt, das 
aus dem präsensthema sista = iora entstanden ist. Wen- 
den wir das gesagte auf unsern fall an, so konnte ganz 



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Kick 



analog der starke aorist von Tt&rjfii tbue die bedeu tu ng 
annehmen: that sich. Sonach heifst lööftt] tbat sich gel- 
ben = gab sich. Wie leicht aber das reflexiv zum aus- 
druck des passivs verwendet werden kann, ist ja bekannt, 
ich erinnere an das lateinische r-passiv, welches durchaus 
nichts ist als ein altes reflexiv, entstanden durch anftigung 
des allgemeinen reflexivpronomens se an die activformen 
des verbs. Aber der nächste und zwingendste beweis, dafs 
&tjv ursprünglich als reflexiv oder medial zu denken sei, 
liegt in dem dieser bildung zugehörigen passivfutur auf 
(Hjoofiat, wo das regelrechte medialfutur von zum 
ausdruck des passivfuturums dient. Wie do-rHjCerai wört- 
lich bedeutet: wird sich geben thun, aber zur Bezeich- 
nung des „wird gegeben werden" dient, ebenso heifst 
k-§6-dt} seinen dementen nach: that sich geben, bedeutet 
aber „ wurde gegeben**, wie Überhaupt bei einer gewissen 
lebhaftigkeit des denkens das passivverhältniis durchaus 
als ein reflexives gedacht werden kann, und bei den Grie- 
chen durchaus ursprünglich als solches gedacht ist. Da- 
her erklärt sich z. b. die Verwendung von vnu beim pas- 
siv. Der Grieche denkt den satz: „der stein wird vom 
manne gewälzt" in folgender gestalt: „der stein wälzt sioh 
uuter dem manne (d. i. unter seiner einwirkung) a . Doch 
würde die weitere Verfolgung dieses gesichtspunetes hier 
zu weit fuhren. 

3. 

Goth. 8tikU becher. 

Das goth. stikla in. becher = ahd. stechal m. ist mei- 
nes wissens noch nicht genügend gedeutet, obgleich man 
das wort aus dem deutschen selbst völlig erklären kann. 
Es stimmt lautlich vollständig überein mit ags. sticel = 
ahd. stichil = mbd. Stichel m. = nhd. Stichel in grab- 
-stichel, das eine regelrechte bildung von stechen = goth. 
stikan stak ist, und im lat. sti-lu-s für stig-lu-s Stachel eine 
genaue parallele hat. Mit diesem urdeutschen stikla Sti- 
chel ist das goth. stikla- becher ganz dasselbe wort. Den 



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allerlei 



361 



beweis hierfür liefert das altnordische. Hier nämlich be- 
deutet Btikil-1 m. die äufserste spitze eines hornes und 
zwar besonders des trinkhornes. So sehen wir den gan- 
zen weg, auf dem stikla zur bedeutung becher kam, deut- 
lich vor äugen: zunächst stacbel, spitze Oberhaupt wie 
lat. sti-lu-s, dann hornspitze, dann spitze des trinkhorns, 
dieses selbst und endlich jedes trinkgeföfs. Der beweis 
der identität von stikla Stichel und stikla becher läfst sich 
noch verstärken durch das nordische stätt f basis poculi, 
stettar-ker (-ker = goth. kasa- n.) trinkbecher. Stett steht 
für steh-ti, stih-ti und ist ebenfalls von stikan stechen ab- 
zuleiten; lautlich entspricht genau (fri^i-g das stechen. 
Wir sehen also in stett, dafs auch eine andere ableitung 
von stechen die specielle bedeutung: spitze des bechers, 
becherfufs angenommen hat. — Aus dem deutschen ist 
stikla früh ins litauische und slavische eingedrungen: vgl. 
lit. stikla-s m., ksl. stiklo n. glas. — Möglicherweise ist 
ein stigra spitz, spitze schon für die ig. Ursprache anzu- 
setzen: dem lat. sti-lu-s (stig-lu-s) und deutschen stikla 
entspricht zend. tighra spitz, tighri m. pfeil von arisch tig 
tig — ig. stig. 

4. 

Lat. cippus = ay.oinog. 

Lat. cippus bezeichnet ursprünglich jeden pfabl; so 
heifst bei Caesar cippi eine art verscbanzung aus pfählen, 
anderswo bezeichnet cippus den grenzpfahl, meist jedoch 
die säule, die auf dem grabe verstorbener errichtet wird. 
Die bessere Schreibung scheint cipus, wenigstens werden 
so neben Cippus, Cippius die eigennamen Cipus, Cipius 
geschrieben, die zu unserm cippus sich verhalten wie Sui- 
piön- zu scipiön- stab. Mit scipiön- hat unser wort sicher 
gleiche ableitung, nämlich von scip = axi^inxta aufstfim- 
men, eine nebenform zu scap = axrjnTw^ wie auch im skr. 
käip d. i. skip neben ksap d. i. skap liegt. Lautlich ent- 
spricht dem lat. cipus demnach ganz genau axotnog, von 
He8ych erklärt als ein holz, an dessen vorsprängen (££o#ori) 



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'M)2 Pick 

die töpfe aufgehängt wurden. Da lat. i regelrechte Ver- 
tretung von griccb. 01 ist (vergl. vtnu-m olvog), so dürfen 
wir auf grund der gleichsetzung von cipus und oxotnog 
ein graecoitalisches skaipo oder skeipo pfähl ansetzen ne- 
ben skipön oder skipiön Stab. 

Nachträglich sehe ich, dafs die erklärung bei Hesych 
etwas anders lautet, als eben gesagt; ich setze sie deshalb 
hierher: oxolnog* 1) l&xi] ttav |tUa>i>, itp u>v claiv ol xe- 
Qctuoi. Immerhin bleibt für axomo die bedeutung stütze 
und scheint mir das obige resnltat durch den Wortlaut des 
hesychischen glossems eben nicht gefährdet. (Wegen des 
pp in cippus verweise ich auf die treffliche abbandlung 
von Pauli, d. zeitscbr. XVIII, 1 ff.). 

5. 

Das europäische verb skru haueu, schneiden (haut) (ein- 
dringen, erforschen in ableitungen), lat. scrüta n. pl., 
YQwri == an. skrüff, ags. scrüd n.; ^wg; 

yQVfxict, crumena, ?qv. 

Lat. scrüta n. pl. trödelwaare, als identisch mit yQvttj 
gleicher bedeutung erkannt, ist nicht blos ein graecoitali- 
sches, sondern bereits der europäischen grundsprache an- 
gehörige8 wort, denn es findet sich ganz genau entspre- 
chend im deutschen wieder. An. skrüff n. heilst schmuck, 
putz, eigentlich ist jedoch die bedeutung weitschichtiger, 
und Egilsson übersetzt es demnach res mobiles cujusque 
generis; ihm entspricht im ags. scrüd u. vestitus, vestb- 
mentum. Nun könnte man zwar annehmen, der alte Han- 
delsverkehr der Germanen mit den römischen provinzen 
habe ihnen mit dem gegenstände, den scrutis, womit rö- 
mische kaufleute unere vorfahren anführten, auch die be- 
nennung gebracht; dem widerspricht jedoch der umstand, 
dafs skrüda im deutschen die allerschöuste ableitung bat. 
Es gehört nämlich offenbar zu ahd. scrötan screot (grund- 
form wäre skraudan skaiskraud) hauen, schneiden, zuschnei- 
den (kleid), mhd. auch sich schroten sich eindrängen in, 
stemmen, üf schröten aufladen (fasser), nbd. schroten mit 



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allerlei. 



363 



dem starken part. ge-schroten, daher (ahd. scrötari) mhd. 
Schröter Schneider, kOper und der nhd. eigenname Schrö- 
ter, Schröder, Schräder. Weiterhin stellt sich hierher ahd. 
scrutön, scrodön und scrut-il-ön erforschen, durchforschen, 
vgl. scrötan eindringen in , zunächst von ahd. scrod scru- 
tatio. Irrthümlich nahm ich früher an, scrodön sei aus 
lat. scrutäri, womit es sich in der bedeutung so auffällig 
deckt, entlehnt; Corssen sah bereits (ausspr. I 4 , 351) dafs 
hier ursprüngliche Verwandtschaft vorliege. Doch darf 
man auch scrodön und scrutäri nicht geradezu identifici- 
ren: ahd. scrodön ist denominativ. von scrod, grundform 
skrüda, lat. scrütäri mufs dagegen wohl als ableitung von 
8crüta gefafst werden. Die wurzel ist übrigens nicht skrut, 
sondern skru, woraus das deutsche verb skrau-dan erst 
derivirt ist, wie standan von sta und andere. Zu dieser 
wurzel skru, als gemeinsam europäisch erwiesen durch die 
angeführten bildungen, gehören nun %qcxv-ü) versehre för 
GXQttv-jü)) ferner an. skrä f. haut, feil, regelrecht für skrava 
= XQopct, %QOf haut, ferner lat. scrö-tu-m hodensack und 
scrau-tu-m ledersack, scrüt-illu-s magensäckchen (Corssen 
a. a. o.), ja, wenn wir die bedeutung des an. skruö schmuck 
erwägen, höchst wahrscheinlich auch xyvao-g (för a/.Qvt-jo) 
gold, das sieh, wie mir jetzt scheint, nicht wohl mit den 
zu wz. ghar gehörigen Wörtern für gold, gelb combiniren 
läfst, weil diese in den europäischen sprachen durchweg 
1, nicht r zeigen. — Zur selben wurzel gehören, wie die 
bedeutungen zeigen, ygvuia* äyyttoVj axtvo&ijxtj Hesych. 
und lat. crumg-na f. geldsäckchen , das am halse hängt, 
beide also: beute], woraus ein graccoitalisches skmmä oder 
8krumejä beutel zu erschliefsen ist. — För die Vertretung 
von ursprünglichem skr durch %g im griechischen genüge 
es an xgepn-Teoftai sich räuspern gegenüber dem lit« 
skrep-lei pl. auswurf, schleim im halse zu erinnern. 

Es ergiebt sich also, dafs die Europäer als einheit- 
liches volk ein verb skru hauen, schneiden (besonders feil, 
leder) besafsen, das auch in eigentümlich Übertragener 
weise verwendet wurde, um das „einschneidende" eindrin- 
gen, erforschen zu bezeichnen. Von diesem waren die bil- 



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3G4 



Fick 



düngen skrüta trödel, scbnittwaare und ekravä f. haut (an. 
skrä = XQOfa baut) bereits gemacht, als die Europäer 
sich schieden ; die Graecoitaliker haben ein nomen skru-mä 
oder skru-me-jä beutel (aus ledcr geschnitten) daraus ge- 
bildet. Die anlebnung dieses europ. verbs skru an das 
ig. skar zerschneiden macht keine Schwierigkeit; es steht 
dazu wie z. b. europ. tru = tqv-u) = ksl. tru-ti aufreiben 
zu europ. tar terere reiben und andere 4 ). 

6. 

Ksl. kasili = lit. kosuly-s husten, lozes- = Xtxog, 

piseno = ntiaavov. 

Die Vurzel käs husten ist bekanntlich im lit. kos-ti 
als verb erhalten, im deutschen und slavischen nur durch 
die ableitungen: urdeutseh hvös-tan- und ksl. kasili m. hu- 
sten vertreten. Dies slavische wort findet sich nun ganz 
genau entsprechend wieder im lit. kosulja- husten, beide 
geben auf eine grundform käsulja- zurück. Um die Wand- 
lung von 8 in s im slavischen worte zu erklären, mufs 
man wohl annehmen, dafs vor dem suffixanlaut sich ein 
im slavischen so überaus beliebtes j eingedrängt, also 
käs-j-ulja, da man doch an der völligen identität von 
kosulja- und kaäilja- nicht wird zweifeln können. Eine 
ähnliche bekleidung des vocalischen suffixanlauts haben 
wir in lozes-, der basis von lozes-ino schoofs, gebildet 
durch antritt des Suffixes as an die wurzel leg, wovon 
z. b. sqlogü consors tori = äko%og. Durch Vorschlag 
von j vor as entstand log-j-es und daraus lozes, welches, 
von dieser affection des suffixanlauts abgesehen, doch ganz 
genau mit Ikxog stimmt. Dasselbe vortreten eines unor- 



♦) Da die wurzel skru in ^i'-rij = lat. serü-ta in der form yQv er- 
scheint, dürfen wir auch yyv ein bischen, ganz wenig dazu ziehen, es heifst 
demnach: Schnitzel, und ist, wie Clemm in Curtius Studien richtig hervor- 
hebt, von yQv zur bezeiebnung des kleinsten lauts zunächst zu scheiden. 
Ob nicht aber auch yyv muck, yj»r£o> und lat. grundio auf eine grundform 
skru weisen? vergl. ahd. (scrowazjan) scrowezen, scrouzen garrire, gannire. 
Doch lassen sich yqv und grundire auch zu ig. gar tönen , vgl. lat. gru-s 
kranich, stellen. 



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allerlei. 



365 



ganiscben j erkenne ich in piseno n. graupen, alcpirct, wel- 
ches für pis-j-eno sieht und laut für laut mit ntidavo^v^ 
nxitiavYi graupen stimmt, so daJfe es unbedenklich scheint 
ein europäisches pisana graupen anzunehmen, abzuleiten 
von pis pinsere. 

7. 

Ksl. qzlü band = an. äl f. band. 

Genau wie das deutsche wort aal anguilla aus einer 
grundform anghla entstanden ist, geht das an. äl g. älar 
pl. älar f. band, riemen auf eine grundform angh-la von 
angh schnüren zurück. Dies erhellt aus ksl. qzlü v-azlü 
band, fessel, sü-veslo n. fessel, u-v$slo n. diadem von vez-a. 
ves-ti schnüren, binden. Die reinste form dieser reflexe 
bietet az-lü dar, daraus mit dem beliebten Vorschlag von 
v vaz-lü, mit vocalschwächung vezlü, endlich mit s für z 
vor 1, wie in ves-lo remus von vez vehere, v§slo. Auf 
grund dieser zusammenstelluug darf man slavodeutsches 
anghla band ansetzen; basis ist die ig. wurzel angh angere, 
wovon z. b. ay%6vt} strick. 

8. 

Ahd. -chnät f. erkenntnifs = ksl. znati f. = yvtoöt-g, 

skr. gnäti f. erkenntnifs. 

Das abstraet auf -ti von ig. gnä erkennen läfst sich 
auch im deutschen nachweisen: ahd. chnäti- in ur chnät f. 
agnitio von ir-chnäan agnoscere entspricht dem ksl. znati 
z. b. in po- znati f. erkenntnifs, weiterhin dem griechischen 
yvuioi-g und dem skr. -gnäti z. b. in pra-gnäti erkenntnifs. 

9. 

Slavodeutsch smuk gleiten, schmiegen, schlüpfen. 

Ein zunächst auf das slavodeutsche gebiet zu beschrän- 
kendes altes verb smuk gleiten, schmiegen, schlüpfen ge- 
winnen wir durch die Zusammenstellung folgender Wörter: 



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3G6 Fick 

lit. sinunku smuk-ii gleiten, abgleiten , j-smukti hineinglei- 
ten, hineinkriechen, isz- snaukti herausgleiten, entschlüpfen, 
nil-smukti herabgleiten, su-smukti zusammensinken, zusam- 
menfallen, abmagern, smuk-szt interjection, wenn etwas 
abgleitet. Im slavischen: ksl. smu&j (= smauk-j«}) smucati 
kriechen, smyca. se. smykati 89 kriechen, gleiten, schlupfen, 
dazu smykü m. die saite (Ober die der bogen „ gleitet a ); 
endlich im deutschen gehört hierher das starke verb an. 
8mjüga smaug smugum smoginn kriechen, mhd. smiegen 
8mög ge-smogen hineingleiten lassen reflex. sich schmiegen, 
biegen, drücken, nhd. schmiegen, das seine alte starke 
flexion eingebülst hat. Zu diesem auf slavodeutschem ge- 
biete gut nachzuweisenden verb könnte man versucht sein, 
fivxo-g (für apvxo) zu stellen, wenn nur sonstige spuren 
unsres smuk schmiegen in den südeuropäischen sprachen 
nachzuweisen wären. Dafs smuk aus älterem smak ent- 
standen, wird deutlich aus ksl. smokü m. schlänge, smak 
selbst aber ist alte erweiterung von sma und ist nichts 
anders als das griech. <r/o#-w streichen, wischen, welches 
durch antritt von k aus dem gleichbedeutenden sma in 
cr^d-oü entstanden ist. 

10. 

Slavodeutsch mu waschen, schwemmen. 

Das ig. mu miv, wozu skr. mü-tra urin = zend. raü- 
-thra unreinigkeit und fuj-aivw besudle, erscheint als mu 
im slavodeutschen in der bedeutung schwemmen, waschen. 
Es gehören hierzu lit. mau-dau, maudyti untertauchen, 
baden, schwemmen, maudyti-s sich baden, altpreufs. mü 
waschen in au-mü-sna-n acc. die abwaschung (mit der prae- 
position au = ig. ava und suffix sna, wie iin goth. ßlu-sna 
menge von filu viel), ksl. my-js my-ti waschen, schwem- 
men, po-my-je. f. pl. eluvies. Im germanischen scheint das 
verb auf das nordische beschränkt: es gehören dazu an. 
mä mä-tta abwischen, abwasohen (würde goth. mavon oder 
maujan, vergl. an. strä = gotb. straujan, heifsen), mor g. 
mo-s pl. mö-ar m. sumpf, moor, das zufallig an unser 



■ 



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allerlei. 



367 



„raoor" anklingt. In Wahrheit steht mö-r für maui-s (wie 
soi sonne ftlr sauil (goth.) sonne), maui-s aber ist mau-ja-s; 
endlich noch mo-öa (d. i. maui-Öan) f. grofser flufs, ström; 
erddampf, dunst. 

11. 

Slavodeutsch garb krümmen, zusammenziehen. 

Das altpreufs. grabi-s (V.) berg, in Ortsnamen garb-8, 
also grundform garba, heifst eigentlich buckel, rücken, wie 
aus dem slavischen reflexe des worts erhellt. Es ist dies 
ksl. grübü buckel, rücken; krampf; sarg. In der bedeu- 
tung sarg entspricht es dem litauischen graba-s sarg, das 
mit dem deutschen grab nichts zu tbun hat. Wenn wir 
die drei verschiedenen bedeutungen von grubü überdenken, 
6o wird klar, dafs sie alle aus dem sinne: krümmung, Wöl- 
bung hervorgegangen sind. Das verb, von dem das wort 
stammt, kann nur garb lauten, dieses finden wir in der 
regelrecht verschobenen form im ahd. chrimphan chrampf 
zusammenziehen. Davon stammt chramph = nhd. krampf, 
vgl. ksl. grubü krampf, abd. chramph adj. gekrümmt. Ohne 
nasal finden wir die wurzel deutsch krap in ahd. crapho, 
chrapho, mhd. krapfe m. haken, klammer, sowie in dem 
gleichlautenden chrapho, mhd. krapfe, nhd. krapfen m. klei- 
nes fettgebäck, welches wir Niederdeutschen kräppel, kröp- 
pel, fett-kröppel nennen, sogenannt, weil es in hakenform 
gebacken wird. Bedenkt man, dafs chrimphan auch von 
dem, was schrumpf] ich sich zusammenzieht, gesagt wird, 
so wird klar, dafs auch lit. grub-ti vor kälte verschrum- 
pfen, verklammen, mit der ableitung grubu-s (schrumpf- 
licht =) höckerig, rauh vom wege hierher gehört. Das 
wort garb krimpfen scheint auf die deutschen und slavo- 
litauischen sprachen beschränkt zu sein. 

12. 

itv&-6VTt}g, ctvfr-evTt.xoQ und lat. sons, sonticus. 

Zum lat. sons, sonticus, von Clemm in Curtius Stu- 
dien III, 328 einer eingehenden erörterung unterzogen, 



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368 



Fick 



glaube ich eine parallelform im griechischen nachweisen 
zu können. Wie Clemm a. a. o. nachweist, bezeichnet sons 
schlechtweg den thäter einer strafbaren that und so den 
schuldigen, sont-icu-s dagegen heifst einfach „ wirksam, 
einwirkend", speciell hindernd einwirkend auf gerichtliche 
oder staatliche actionen. Hieraus geht mit gröfstcr deut- 
lichkcit hervor, dafs sont- eigentlich „thuend, bewirkend* 
bedeutet haben mufs. Diese selbe bedeutung kommt nun 
aber dem grieoh. ivra- in avfr-kvTtj-g zu. av&-£vTi]-g heifst 
selbst- oder alleinurheber, meist einer unthat, speciell eines 
mordes, daher mörder, in der späteren zeit entwickelt sich 
aus dem begriffe „ selbst-, alleinurheber u sehr leicht die 
bedeutung „sclbst-herrscher" als der aus sich selbst, auf 
kein fremdes geheifs handelt. Bei unbefangener Betrach- 
tung ergiebt sich also für sont- und ivra- genau derselbe 
sinn: thäer, urheber irgend welcher, meist einer bösen 
that*). Die lautliche differenz zwischen beiden Worten be- 
steht in dem s und o des Stammvokals und dem -t« und 
-t des anlaute. Nach der allgemeinen lautregel ist, wo e 
und o sich im griechischen und latein in sonst identischen 
Wörtern gegenüber stehen, e das primäre, also wäre hier 
grundform sent- oder (nimmt man lat. sont- dem ivra- 
gemäfs als abstumpfung von sonta-) senta- urheber, thäter. 
So ist ja auch das lat. secundärsuffix -et aus eta entstan- 
den, wie die vergleichung von equet-, älet- u. 8. w. mit 
Inno™, oixirii-Q, (fMevtj-g u. 8. w. zeigt. Derselben fa- 
milie wie unser -senta gehört, wie Clemm darthut, das 
deutsche Sünde an, dessen grundform als sunthja- anzu- 
setzen ist, ferner goth. sunja f. grund (und so Wahrheit, 
was aber nicht grund bedeutung, wie erhellt aus) sunjon 
sich rechtfertigen (sunjoni- rechtfertigung) ; as. sunnea, ahd. 
sunna st. f. rechtsgültiges hindernifs vor gericht zu er- 
scheinen (vgl. die causa sontical ), an. syn g. synjar f. ver- 



*) Ob avO--tvnxu<i und sonticus in der juristischen spräche der spä- 
teren zeiten ähnlich verwendet worden sind, ist mir nicht zu ermitteln ge- 
lungen, trotzdem herr prof. Benfey mit der liebenswürdigsten Zuvorkommen- 
heit sich der mühe einer nachforschung unterzogen, wofür ich ihm öffentlich 
meinen dank abzustatten mich gedrungen fühle. 



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allerlei. 369 

Weigerung, Verneinung (begründung sc. des Widerspruchs)» 
Bei aufmerksamer erwägung der scheinbar so weit differi- 
renden bedeutungen des germanischen worts sunja- in den 
verschiedenen deutschen dialecten wird man den einfachen 
grundsinn desselben „grund, wirksame Ursache" nicht ver- 
kennen können. 

Ob nun Clemm mit der herleitung von as sein, part. 
sant das wahre trifft, ist wohl zweifelhaft; mir scheint eB 
zum ig. verb san sa sinere zu gehören, vergl. zend. han 
hanaiti zulassen, lat. sinere. Man mufs das „lassen" frei- 
lich nicht so matt fassen, wie es ineist in sinere liegt, 
sondern als „veranlassen, grund, Ursache sein von — a . 
Von san ist graecoitalisch sen-ta regelmäfsige bildung 
durch das den thäter bezeichnende suffix -ta, das sich ja 
auch im latein nachweisen läfst, wie z. b. in pansa = 
pand-ta breitfufs von pandere ausbreiten. 

Göttingen, den 3 juli 1871. A. Fick. 



Ueber den namen JleXaoyog. 

Ueber namen und Ursprung der Pelasger haben be- 
reits die gelehrtesten und scharfsinnigsten männer Unter- 
suchungen angestellt, ohne zu einem auch nur irgendwie 
genügenden und sicheren resultate zu gelangen. Der grund 
davon scheint vornehmlich darin zu liegen, dafs man im- 
mer von der gestalt des namens, wie er uns jetzt vorliegt, 
ausgegangen ist, und zu wenig geforscht hat, ob nicht ir- 
gend eine spur einer älteren form desselben namens in 
den ländern Europas sich findet, welche vorzugsweise und 
von allen als pelasgisch anerkannt wurden ; sodann, ob die- 
ser name sich nicht in beziehung setzen läfst mit dem ein- 
heimischen namen der indischen und iranischen Stämme, 
der sich ja doch auch erst nach der trennung von den 
europäischen gliedern des indogermanischen volkes gebil- 

Zeitschr. f. vergl. »prachf. XX. 6. 24 



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370 Pischel 

det hat. Nachstehende zeilen sollen beides in möglichster 
kürze versuchen. 

Schon im alterthume waren die meinungen, ob die Pc- 
lasger barbaren seien oder nicht, getheilt. Für Hellenen 
erklären sie z. b. Dionys. Halic. I, 12 und Aeschyl. Suppl. 
v. 877 verglichen mit v. 879 ed. Hermann, cfr. Etymolog, 
magn. e. v. TQi%d'ixsg p. 768; für barbaren dagegen halten 
sie Herodot I, 57. 58 und Strabo VII, p. 321. Strabo, des- 
sen glaub Würdigkeit immer noch viel zu hoch gestellt wird, 
bringt für seine ansieht keine strikten beweise vor, und 
wenn er VII, p. 328 aus der lebensweise der priester in Do- 
dona ihr barbarenthum folgern will, so zeigt dies nur seine 
urtheilslosigkeit. Herodot aber hat sich besonders durch 
die spräche der Krestoniaten und Plakianer zu seiner an- 
sieht bestimmen lassen. Wenn wir nun auch nicht mit 
Niebuhr rom. gesch. I, 93 Kreston aus dem texte gänzlich 
entfernen wollen, wogegen doch das gleich folgende, hand- 
schriftlich gesicherte KQtjtfrwviijTai, spricht, so sind wir, 
meine ich, doch viel eher berechtigt, Kreston und Plakia 
für barbarische städte zu erklären, als von ihnen einen 
schlufs auf die Pelasger zu machen, zumal Thucydides 
IV, 109 offenbar die Krestoniaten von den Pelasgern schei- 
det. Dafür spricht auch, dafs in Plakia der kult der Ky- 
bele, einer ursprünglich durchaus asiatisch- barbarischen 
gottheit besonders angesehen war, so dafs Kybele sogar 
/Jii'Svft/^tj Hlaxiartj benannt wurde (Preller gr. mythol 
I, 512 mit anm. 2). Dazu kommt, dafs noch zur zeit des 
Miltiades Pelasger in Lemnos safsen (Herodot VI, 137); 
von einer barbarischen spräche derselben aber findet sich 
keine spur, vielmehr wird Lemnos in dem friedensinstru- 
ment bei Xenoph. Hellen. V, 1, 31 ausdrücklich unter die 
'Ekfaiviöeg noXeti; gezählt. Wenn wir nun erwägen, dafs 
die hauptstämme der Hellenen für Pelasger gelten, wie 
die Ionier Herodot VII, 94, die Aeoler VII, 95, die At- 
tiker VIII, 44, vor allen die Arkader (worüber gleich mehr) 
u. 8. w. ; ferner, dafs ein so nationales heiligthuin wie das 
zu Dodona schon bei Homer als pelasgisch gilt, dafs so 
durchaus hellenische götter wie Athene und Hermes vor- 



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Uber den namen flilaayöq. 



371 



zugsweise als pelasgische gottheiten genannt werden, dafs 
Hephä8tos auf dem pelasgischcn Lemnos seine lieblings- 
stätte hatte, — dann müssen wir gestehen, dafs es eine 
in der Weltgeschichte ganz unerhörte und unerklärliche er- 
8ch einung wäre, wenn ein volk, das obendrein oft als das 
vertriebene geschildert wird, auf ein anderes ihm gar nicht 
verwandtes einen solchen einflufs hätte ausüben können, 
zugleich aber selbst von diesem so schnell und so spurlos 
beseitigt worden wäre. So dürfen wir, glaube ich, das 
indogermanenthum der Pelasger nicht mit H. Kern (Zeit- 
schrift VII, 273) als sehr problematisch, sondern als völlig 
sicher betrachten. Wie wenig wir überhaupt auf die nach- 
richten der alten in dieser frage zu geben haben, beweist 
z. b. Herodot I, 57. II, 51 , der die Pelasger zu späteren 
ffvvoixoi der Ionier in Attika macht, während es doch 
nach den Untersuchungen von Wachsmuth (rbein. mus. 
1868. p. 170 ff.) keinen zweifei leidet, dafs gerade das um- 
gekehrte das richtige ist. Man vergleiche auch Herodot 
II, 52 die erzählung von den göttern der Pelasger, die 
doch offenbar höchst irrthümlich und falsch ist (cf. Bre*al 
Hercule et Cacus p. 6). Daher darf man auch nicht ein- 
wenden, dafs Homer Odyss. VIII, 294 die Sintier auf 
Lemnos aygiofpiuvovg nennt, sie also für barbaren erklärt, 
mithin das oben Über Lemnos bemerkte unrichtig sei. Die 
alten erklären sie für Thraker, also auch für barbaren, 
obwohl in Thracien auch zahlreich Pelasger genannt wer- 
den. Das beste ist, sie mit Preller griech. mythol. 1,1 40 f. 
für rein mythische gestalten zu halten, die also aus dem 
kreise unserer Untersuchung wegzulassen sind. 

Haben wir nun ein recht gewonnen, in dem namen 
der Pelasger einen indogermanischen zu vermutben, so 
frägt es sich zunächst, wie seine älteste form lautete. 
Diese war nun meiner ansieht nach parasja aus paras 
„weiter", „jenseits" und wurzel jä „gehen", also: „die 
weiterziehenden", „die nach jenseits seil, des meeres 
ziehenden". Zunächst die form, ßenfey in der einlei- 
tung zum Sämaveda p. LIII — LVI (vgl. bes. p. LIV und 
LV) zeigt, dafs „die scheu vor dem hiatus im sanskrit ur- 

24* 



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372 



Pischel 



sprünglich keineswegs so grofa war, wie man nach den 
späteren gesetzen der spräche glauben möchte, und dafs 
viele Wörter, welche im späteren sanskrit die liquida mit 
folgendein vokal haben, ursprünglich statt der liquida den 
entsprechenden vokal hatten" (vergl. vollst, sansk ritgram m. 
p. 11). Bekanntlich bleibt im Rigveda vor vokalen an 
stelle von j gewöhnlich i stehen. Somit haben wir als 
älteste form unseres wortes richtiger parasia anzusetzen, 
denn nachdem die wurzel jä einmal angetreten war, sind 
wir berechtigt, sie ebenso wie das suffix ja zu behandeln, 
welches vielleicht mit ihr identisch ist; wenigstens erklä- 
ren sich seine hauptbedeutungen, die der beziehung auf 
das Subjekt und die der angehörigkeit dann ebenso unge- 
zwungen , als wenn wir es mit Benfey ( vollst, gramm. 
p. 242 bem.) als das pronomen relativum fassen. Es wäre 
also parasja ganz nach analogie von khandasja, srötasja, 
urasja, pajasja, ögasja, vajasja etc. gebildet, worüber man 
auch Benfey „Über die entstehung und Verwendung der 
im sanskrit mit r anlautenden personalendungen tf p. 24 ff. 
(bes. p. 25) Göttingen 1870 nachschlage. Will man jedoch 
bei dem compositum eine derartige analogie nicht zuge- 
ben, sondern fordert man parüja, so möchte ich nur daran 
erinnern, dafs ja die wohllautsregeln erst auf speciell in- 
dischem boden entstanden sind, ebenso wie die palatalen 
und cerebralen laute u. a., dafs selbst im Rigveda sich 
Schwankungen finden, wie duvöju neben dem regelmäfsigen 
duvasju von duvasj (Benfey vollst, gramm. §. 236 bem.), 
ferner dafs, da die älteste ausspräche parasia war, eine 
form wie parasja selbst im klassischen sanskrit nichts un- 
erhörtes gewesen wäre, da sie der analogie des Suffixes ja 
folgte, nachdem die Zusammensetzung aus dem bewufst- 
sein entschwunden war (cf. Benfey über entstehung etc. 
p. 32 anm. 50). So erscheint mir die form an und für 
sich gesichert ; sie wird es aber noch mehr, wenn wir uns 
unter den sitzen der Pelasger in Europa etwas näher um- 
sehen. 

Keine länder werden so ausschliefslich und so allge- 
mein als pelasgisch anerkannt als Arkadien und Thessa- 



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über den nomen UtXaayoq. 373 

licn, vor allen Arkadien. Die Arkader gelten stets als 
autochtbouen. Herodot VIII, 73 : oixesi ök typ fleXonov- 
vrßov ifrvea kniet, tovtwv ök td /tikv övo, afoox&ova 
tovra, xata x^Q r i v idgvrai vvv, ry xai to ndXai oixeov, 
ÜQxdöeg re xai Kvvovqiot. cf. II, 176. Pausanias V, 1, 1 : 
ytvi] ök oixel HeXonovvrfiov 'Agxdöeg (*kv aj)T6%froveg xai 
'/ixaioi. cf. §. 2. Thucyd. I, 2: ndXiara Ök Trjg yqg i] 
itQtüTij dei rag (.teraßoXdg rwv o\xr t xug<f)v a#«i>, rj re vvv 
QeaaaXia xaXovuevi] xai BoiioTia ]h?>onovvy(fov re ta 
noXXd nXijv 'Jgxaöiag. Die Arkader selbst hielten sich 
für älter als den mond Stephan. Byz. s. v. !Agxaöia. Prel- 
ler griech. mythol. I, 63 mit anm. 4. Die ältesten bewoh- 
ner Arkadiens aber und, da sie eben ovx i^avaaravteg 
waren, somit auch die der klassischen zeit waren Pe- 
lasger. Pausan. VIII, 1, 4: <Vaci ök !/Igxdöeg log JleXaayog 
yevotro kv rtj yjj ngwTog. Herodot I, 146: Agxdöeg Jle- 
laayoi u. s. w., ja Arkadien soll sogar einst UeXaayia ge- 
heifsen haben. Pausan. VIII, 1,6: JleXaayov öe ßaaiXev- 
ovrog yeveaöai xai rtj #w'(># UeXaayiav (f-aaiv ovo^ta. cf. 
VIII, 4, 1, und nach Ephoros bei Strabo V, p. 22 1 sollen die 
Pelasger überhaupt aus Arkadien gekommen sein. Neben 
UeXaayia finden sich aber auch andere namen für Arka- 
dien, und einer derselben ist UaQQaaia. Steph. Byz. s. v. 
Ugxaöta: Ixltjth] Ök xai IJagnaaia xai Avxaovia etc. 
idem s. v. Jlangaatcf noXtg Agxaöi'ag* xexXijTai and Jlag- 
gaaov ivog twp Avxdovog natöwv. Xagal; de xxia^a lh- 
Xaayov kv ngwuo XQ 0VIX( *> V ovrwg' „ JleXaayog !Ageatogog 
Ttaig rov 'hxßdaov rov jlgyov ^eror/.i,aag k£ yJgy ovg eig 
Ttjv an' kxeivov pkv rore JleXaayiav^ vareqov Ök AgxaÖiav 
xXi}'h1aav kßaatXevaev £r?/ eixoainhre xai noXiv Haggaaiav 
exriae". Atxdviog ök Uaqßaaiav cpqaiv avrijv xexXr,adai 
öid T))v ylvxdovog eig rov Jia nagavoftiav. Setzen wir 
hier nun statt des nach falscher analogie geschlossenen 
dno Tlagqaaov das richtige flaggaaiov * ), so ergeben sich 
Uaggdaiog und JJeXaayog als eine, natürlich mythische 
person; denn nach Stephanos gründet Haggdawg die Stadt 



*) Man denke an den namen des berühmten malors UaijQdeioi. 



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374 



Pisächel 



flaooaota, nach Charax aber IleXatiyog, und wie wäre 
man wohl darauf verfallen, den JleXctayog die Stadt, die 
er selbst gründete und offenbar nach seinem namen be- 
nannte, IlctQQaaict nennen zu lassen, wenn nicht eben sein 
eigentlicher und wahrer name IlctQQdciog gewesen wäre? 
Damit stelle man nun Apollodoros II, 1 zusammen: JSioßrjg 
dt xcci dtog, y tiqwtij yvvctixl Zeig &vi}ry tfiiyii, naig Aq- 
yog tyiveTo' dg dk 'AxovöLXctog tf rfii xai fleXaüyog^ a<f 
ov xXij&ijpai rovg ttjv lfoXon6vvi}Gov olxovvxctg JJtXanyovg. 
'Haioöog 5i tov IlsXaOyov avroxfrovd (f^aiv elvcct. Trotz 
der grofsen Verwirrung aller dieser angaben, läfst sich in 
ihnen doch schwerlich ein uralter kern verkennen. Charax 
ist der einzige, der Arestor zum vater des Pelasgos macht. 
Ich vermuthe, dafs vielmehr zu lesen ist: IhXaayog 'Ex- 
ßdcov nötig tov sJQtaiogug tov lAtjyov etc., dafs man also 
den Pelasgos direkt zu einem söhne, nicht enkel, des Ek- 
basos gemacht hat, obwohl ja beide in der that ganz iden- 
tisch sind, denn lhXaayog == Tlagdaiog wäre nichts an- 
deres als "Exßaaog, der „ausziehende" von txßaivcu, eine 
neue stütze meiner erklärung des wortes JleXaayog. Wie 
nun fast bei jedem gotte der griechischen mythologie eine 
bestimmte Seite seines wesens als „söhn" oder „tochter" 
oder „liebling" abgezweigt wurde, indem man gerade diese 
eigenschaft des gottes individualisirte und hypostasirte 
(Helios und Phaeton, Selene und Pandia, Artemis und 
Kallisto, Apollo und Asklepios etc.), so mag es auch hier 
ähnlich gewesen sein mit "Exßaoog und IhXaoyog, sei es, 
dafs eine dunkele erinnerung der wahren bedeutung des 
wortes nagdoiog = ixßaaog im bewufstsein des treu an 
seinen sitten und Überlieferungen festhaltenden volkes der 
ßaXavtjtf-dyoi !/lQxddsg sich erhielt, sei es, dafs Volkslieder 
das andenken an eine frühere heimath wach hielten. Ich 
habe es bisher gleichsam als selbstverständlich angenom- 
men, dafs aus skr. j sich griech. y entwickeln konnte (der 
Wechsel von q in X bedarf doch kaum der erwähnung) und 
in der that ist dies auch meine feste Überzeugung nach 
den gewichtigen gründen, die Curtius zeitschr. VI, 231 ff. 
Grundz. d. gr. etym. p. 540 ff. vorgebracht hat. cf. Leo 



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Uber den namen Ililaayöq. 375 

Meyer zeitschr. VII, 17 u. a. Ein solcher Übergang scheint 
mir besonders unbedenklich nach Zischlauten, da der Sibi- 
lant dem folgenden weichen buchstaben unwillkürlich etwas 
von seiner härte mittheilt, um so unbedenklicher hier, wo 
wir es mit einem eigennamen zu thun haben, der bestän- 
dig im munde des volkes lebte. — Wenn nun also bei 
Stephanos Byzantios "Exßaoog, i. e. wie wir sahen Pelasgos, 
enkel des Argos genannt wird, wenn Akusilaos sie zu 
brüdern stempelte, wenn Aeschylos suppl. 237 ed. Herrn, 
als vater des Pelasgos den Jlalaixäwv nennt und den Pe- 
lasgos zum könig von Argos macht, wenn also UeXccayug^ 
"AqyoQ und Ha^ai^&iav in so nahe und enge berührung 
gebracht werden, so glaube ich nicht zu kühn zu sein, 
wenn ich darin eine uralte den Griechen selbst laugst un- 
verständliche tradition sehe und bei 'yiqyog an die ärjäs 
denke, so dafs sich wie Ilctpctmog und Tltlaayog auch 
yjyiog (Steph. Byz. s. v. !sJ()iot) und 'sfyyog zur Seite stän- 
den, wobei ich nicht im entferntesten daran denke, etwa 
den namen des landes 'yJgyog, also das '.'A^yog der Pelasger 
— übrigens eine treue spur ihrer Wanderungen — auf diese 
weise etymologisch zu erklären, sondern nur für die my- 
thologische tradition bei Apollodoros diese crklärung for- 
dern möchte. Gerade Uyyog mag zu der schnellen Um- 
wandlung des namens sJyiog beigetragen haben, wie die 
Griechen gewifs nur an Argos dachten, wovon Stephanos 
ein beweis ist. Sehr richtig bemerkt Breal (Hercule et 
Cacus p. 14): la facilite avec laquelle les peuples oublient 
leurs origines sera toujours un sujet d'etonnement. Les 
anciens mots les embarassent autant que les vieux monu- 
ments et les vieilles coutumes; ne pouvant ni les compren- 
dre, ni les oublier, toutes les explications qui en rendent 
compte leur semblent bonnes. Es verdient jedenfalls die 
gröfste beachtung, dafs gerade der erste söhn der Niobe, 
des ersten sterblichen weibes, zu dem sich Zeus gesellt, 
Argos genannt wird. Die sage von der Niobe weist uns 
nach Asien zurück, wie Preller griech. mythol. II, 382 
sagt: „wie die fabel vom Pelops früh nach dem Pelopon- 
nes verpflanzt wurde, so die von der Niobe nach Theben, 



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376 



Piachel 



doch ist die wahre beimat von beiden der Sipylos und 
Kleiuasien". Damit stimmt, dafs noch bei Homer Pelasger 
in Kleinasien in eben jenen gegenden sitzen. Wäre, was 
ich so eben auseinandergesetzt habe, richtig, 60 würde sich 
daraus von selbst ergeben, was schon H. Kern zeitschr. 
YH, 273 vermuthet hat, dafs Hellenen und Arier noch 
länger zusammengeblieben sind, als die übrigen indoger- 
manischen stamme mit ihren asiatischen brüdern, und würde 
dadurch die freilich etwas zu modificirende ansieht Lott- 
ner's zeitschr. VH, 18 ff, cf. bes. p. 193 eine neue stütze 
erhalten. — Aeschylos nennt, wie wir sahen, den vater 
des Pelasgos JlaXaiz&wv „altland". Dies hat nun aller- 
dings, meiner ansiebt nach, eine ganz andere bedeutung, 
als ihm Pott zeitschr. VI, 121 geben will, nämlich die, 
dafs die Pelasger in Griechenland nicht uransässig waren, 
Sondern aus einem anderen „alten lande" dahin gezogen 
sind. Durch diese beziebung zu dem „alten lande" ge- 
winnt meine etymologie eine neue stütze. Trotzdem dafs 
Böhtlingk und Roth schon 1852 die ursprüngliche bedeu- 
tung von arja, ärja nachgewiesen haben, und trotzdem 
dals Gurtius in seinen grundzügen der griech. etymologie 
auf die Wichtigkeit dieses nachweises aufmerksam gemacht 
hat, findet man doch immer noch allgemein die ärjäs frisch 
weg ab die „edlen", „glänzenden" erklärt. Die grundbe- 
deutung ist nun aber die „ treuen ", die „anhänglichen", 
und zwar wohl nicht Mos wie B.-R. s. v. annehmen, „die 
den göttern des Stammes treuen", sondern vor allem „die 
dem lande der väter, „»dem alten lande" " treuen". Da- 
mit steht nun im vortrefflichen gegensatz, dafs die, welche 
das alte land verlassen, sich parasjäs nennen, „die weiter, 
die nach jenseits ziehenden ", und keineswegs im Wider- 
spruche, dafs die Pelasger bekanntlich bei Homer noch 
in Kleiuasien und Kreta sitzen, während er doch nach II. 
II, 608 — freilich das verdächtige zweite buch! — schon 
IlaQctcairj in Arkadien kannte; denn er kennt ebenso schon 
den Zsvg IJsXcccytxog in Dodona, und es folgt daraus nur, 
dafs die Pelasger nicht zusammen und gemeinschaftlich 
weiter gezogen sind, sondern dafs einzelne abtheilungen 



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Uber den namen fltlaayoq. 



377 



sich abtrennten und zurückblieben, während die haupt- 
mas8e immer nach vorwärts weiter zog. Dies beweisen 
auch die thessalischen Pelasger, um von allen übrigen vor- 
läufig abzusehen. Doch ich mufs noch einmal auf Arka- 
dien zurückkommen. Wenn allgemein anerkannt ist, dafs 
gerade späte Schriftsteller oft die ältesten sagen und Über- 
lieferungen bewahren, da sie als compilatoren auf ältere 
gute, jetzt verlorene Schriftsteller zurückgehen, so ist dies 
besonders auch von den lateinischen dichtem des Zeital- 
ters des Augustus anzunehmen, die nicht nur selbst eifrig 
und unverdrossen sammelten, sondern auch Griechen für 
sich sammeln liefsen. Schon seit Ennius nun (Niebuhr 
röm. gesch. I, 42) und vor allem im augusteischen Zeitalter 
nennen die dichter die Griechen schlechthin Pelasgi, was 
ein neuer nicht völlig zu verwerfender beweis für das bel- 
lenenthum der Pelasger ist; in eben jener zeit wird Ar- 
kadien wieder Parrhasia genannt und Parrhasis, Parrha- 
8ius ist = arkadisch, v. Forcellini s. v. s. v. und die her- 
ausgeber z. Ovid Metamorphos. II, 460. VIII, 315, so dafs 
sich schließen läfst, dafs der älteste und ursprüngliche 
name Arkadiens IlctQoacLa war. Uebrigens kann mau zur 
erklärung dieses wortes auch die unsinnige deutung des 
Nicanor (oben p. 373) benutzen, wenn man daraus schliefsen 
will, dafs Arkadien einst auch Ilanßaaia hiefs, offenbar 
eine ähnliche erinnerung wie '£y.ßa(Tog. Was endlieh das 
doppelte q in Uaoodaioi betrifft, so halte ich es für rein 
graphisch, vielleicht durch den einflufs der dichter, denen 
eine kurze silbe nicht in den vers pafste, auch in die ge- 
wöhnliche Schriftsprache übergegangen. Halbvokale sind 
ja der Verdopplung überhaupt am fähigsten, möglich auch, 
dafs sich in handschriften und in Schriften die Schreibung 
mit einem q nachweisen läfst. Thucyd. II, 22, wo die be- 
sten handschriften Hagdoiui (der vatican. neodoioi) haben, 
wage ich nicht als beweis herbeizuziehen, da gleich dar- 
auf JJvQdawi folgt, und sonst llnouaiui in Thessalien 
nicht genannt werden, so sehr man sie dort erwarten sollte; 
daher dürfte es gerathen sein, mit Classen fIa()datoi hier 
zu streichen. 



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378 



Pischel 



Ein schwanken der handschriften findet sich nun auch 
in Ihqaißoi neben üeggatßoL Ihgatßui findet sich II. 
II, 749 , und so haben gute handschriften des Thucydides 
und der cod. Vratisl. des Stephanos ßyzantios ; Heggaißoi 
ist die gebräuchliche form. Die einzig richtige Schreibart, 
wenigstens die echte, ist lltgatßoL Auch Thessalien näm- 
lich galt für einen hauptsitz der Pelasger; schon Homer 
II. II, 681 erwähnt dort ein llelaoyixov sdgyog; man ver- 
gleiche Herod. I, 57. Dionys. Halic. I, 17 u. 8. w.; auch 
später hiefs ja noch eine landschaft Thessaliens Pelasgio- 
tis. Auch hier aber finden wir einen namen, der sich 
durch seine composition als älter erweist, als der name 
flelacyoi in dieser gestalt, nämlich das eben erwähnte 
üegaißol. ntga bezeichnet nichts anders als »das jensei- 
tige land"; cf. Hermann z. Aeschyl. Suppl. v. 249, der 
Eustathios ad II. p. 306, 23 : nkga ydg i) yij xatd yXtoGGav 
citirt. n&gcußoi also sind „die nach dem jenseitigen lande 
gehenden", indem nkgai locativ zu niqa und der zweite 
bestandtheil des compositums die in ßaivoa vorliegende 
wurzel ist ; analog ist — abgesehen von ^a/ia/evv?;^, bdoi- 
nogog etc. — xaiActinttriq gebildet, in welchem der locativ 
wie in flegntßoi die richtung „wohin" ausdrückt, wie ja 
auch im sanskrit der locativ als erstes glied eines compo- 
situms häufig ist. cf. Benfey vollst, gr. §. 621 bem. und 
ausn. II. Ihgatßui und llagdatoi i. e. IleXaffyoi sind also 
ihrer bedeutuug nach identisch. Dafs die Perrhaeber aber 
Pelasger waren, darüber sehe man Strabo IX, 439 — 442, 
capitel die höchst interessant sind, deren nähere beleuch- 
tung jedoch aufser den bcreich dieser arbeit fallt. An 
mehreren stellen z. b. I, 61. IX, 439 nennt Strabo die 
Perrhaeber pitTavdaTcu „fremdlinge", „ ankömmlinge tt . — 
Eine analogie zu meiner deutung des namens IleXaayoi 
bietet der name der Juden: z^ar, was mit Gesenius von 

„jenseitiges land" abzuleiten ist, so dafs also 2^27 
„ die jenseitigen " bedeutet. In Palästina selbst wurde ja 
die landschaft östlich vom Jordan Peraea genannt, und 
auch sonst findet sich dies als name von landschaften und 
Städten, negalog und i) negaia „das jenseitige land" aber 



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I 



über den namen lhXaffyöq. 379 

sind nichts anderes als myceoiog und nsgctaia für nctqtx- 
aiog und actgctaia (resp. nugdajog und nagdoja) nach den 
regeln, die Grafsmann zeitschr. XI, 26 entwickelt hat, der 
freilich (p. 22) einen Übergang von j in y nicht zuzuge- 
stehen scheint. 

Als endresultat ergiebt sich also: 

1 ) die einzelnen stamme des späterbin JliXaüyoi be- 
nannten volkes wanderten nicht gleicbmäfsig und vereint 
weiter, hatten aber alle ein ziel: „das jenseitige land tf . 

2 ) Die hauptmas8e führte den namen parasjäs im ge- 
gensatz zu den im „alten" lande zurückbleibenden ärjäs. 
Parasjäs verwandelte sich früh in Ilslaoyog und dieser 
name wurde der herrschende und auf alle stamme über- 
tragen, während sich die alten namen nur in bestimmten 
gegenden erhielten*). 

3) Die Pelasger, weit entfernt barbaren zu sein, sind 
vielmehr die ältesten repräsentanten des hellenischen volkes. 

Breslau. Richard Pischel. 



Die heimat des indogermanischen urvolkes. 

Nachdem man, verleitet durch die innige Verwandt- 
schaft des sanskrit, den ursitz der Indogermanen eine zeit 
lang irrig in Indien selbst gesucht, hat man ihn später 
in Centraihochasien, westlich vom Belurtag und Mustag, 
östlich von den Eranern angenommen. Vgl. Pott indoger- 
manischer 8prachstamm s. 20, Lassen indische alterthums- 
kunde 8. 511fl., J. Grimm gesch. d. d. spr. 162, Mom ra- 
sen 8. 31 u. v. a. Jedesfalls sind alle bedeutenden forscher 
trotz der Verschiedenheit der einzelnen ansichten einmüthig 
und zweifellos immer bei Asien stehen geblieben, oft 



*) Darauf weisen auch solche nachrichten hin, wie die bei Herodot 
VIII, 44, dafs die Athener als Pelasger Kqa.iaoi, die Jonier ThXaayoi 
AiytaUtt (VII, 94) hiersen, und Zusammenstellungen wie ^oxddtq ütlaavot 
I, 146. 



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330 



Hoefer 



stillschweigend, doch fürwahr nicht ohne guten grand, 
denn: ex Oriente lux, in Asien spielt unsere älteste ge- 
schiente, hier war die statte der frühesten bildung und 
Weisheit, Asien galt ja allgemein als der älteste cultursitz, 
als die wiege des menschengeschlechtes. 

Aber so fest steht bei dem ruhelosen treiben und 
drängen der heutigen Wissenschaft kaum ein satz, dafs 
nicht gelegentlich an ihm gerüttelt, er nicht wenn auch 
nur versuchsweise und gleichsam zur abwecbslung einmal 
auch umgekehrt und auf den köpf gestellt werden sollte. 
Kein wunder dafs jener „asiatischen hypothese" gegenüber 
neuerdiugs sogar behauptet worden, die beimat des in- 
dogermanischen urvolkes sei ganz und gar nicht Asien, 
sondern lediglich — Europa. 

Dieser überraschende, kürzlich noch unerhörte satz 
ist zuerst, soviel wir wissen, von dem nicht unbekannten 
Engländer R. G. Latham in zwei Schriften über die 
Stämme des russischen reichs und Über vergleichende gram- 
matik 1854 und 1862 ausgesprochen. Er warf die wun- 
derliche frage auf: hat das Sanskrit Indien von Europa 
aus erreicht oder erreichten das litauische, slavische, latei- 
nische, griechische und deutsche Europa von Indien aus? 
Er vermifst, was bei seiner fragcstcllung nicht befremden 
kann, die beweise für eins wie das andere, aber er beruft 
sich auf die innige berührung zwischen sanskrit und litaui- 
schein und hält es für wahrscheinlich, den ursitz aller 
verwandten glieder unseres stummes östlich oder Südost- 
lieh des litauischen etwa in Podolien oder Wolhynien an- 
zunehmen. Vgl. L. Geiger zur entwickelungsgeschichte der 
menschheit, Stuttgart 1871, s. 119. 

Der einfall des herrn Latham wäre wohl unbeachtet 
und ohne Wirkung vorübergegangen, wenn nicht inzwischen 
andere gelehrte eine ähnliche behauptnng aufgestellt hät- 
ten, zuerst Th. Benfey in der vorrede zu Ficks indog. 
wtb. Göttingen 1868 s. IX. Er meint, die für die cin- 
wanderung aus Asien geltend gemachten gründe beruhten 
auf alten „mit unserer früheren bildung uns eingeprägten, 
in nichts zerfallenden vorurtheilen a , der ursitz wäre 



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die heimat des indogermanischen urvolkes. 



381 



bei weitem eher Europa, wobei er, genauere beweise 
sich vorbehaltend, zunächst nur den umstand betont, dafs 
sich nicht die spur eines urnamens für löwen, tiger und 
kameel finde und dafs andererseits geologischen Untersu- 
chungen zufolge Europa seit undenklichen zeiten von men- 
schen bewohnt gewesen sein soll. 

Während wir uns noch der hoffhung hingaben, Ben- 
fey werde, da sein beweis ausblieb, vielleicht längst ande- 
res sinnes geworden sein, überraschte uns kürzlich nach 
flüchtigen andeutungen in seinen früheren werken Lazar 
Geigers besondere, unserem gegenstände gewidmete ab- 
handlung in seinem oben genannten opus posttimum no. VI 
s. 113—150 und später sind dann auch andere, namentlich 
Spiegel eranische alterthumskunde s. 426 fl , im Ausland 
1871 no. 24 s. 553 fl. und J. G. Cuno forschungen auf 
dem gebiete der alten Völkerkunde s. 21 auf die Untersu- 
chung derselben frage eingegangen. 

Der geistreiche und gelehrte Geiger spricht es s. 118 
unumwunden und mit dürren Worten als seine Überzeugung 
aus, dafs die Urheimat der Indogermanen in Deutsch- 
land, insbesondere im mittleren und westliohen 
zu suchen sei, ja er glaubt diese annähme durch eine ganze 
reihe von gründen zur gröfsten bestimmtbeit erheben zu 
können, während seines erachtens für die bisher geltende 
hypothese die beweise gänzlich fehlen, 

Er beruft sich vor allem auf die physiologische er- 
scheinuug, den lichten typus blonder haare und blauer 
äugen, der sich am reinsten bei den Germanen zeige und 
eben sie zumeist als autochthonen erscheinen lasse, und 
folgert dann weiter aus dem vorliegenden wort- und ge- 
dankenschatze , indem er die verwandten ausdrücke für 
bäume und getraidefrüchte, die waidpflanze*), klimatische 
Verhältnisse, die jahreszeiten, thiere aller art, das meer, 
salz u. a. mehr oder minder eingehend in betracht zieht, 
anderes aber für eine spätere abhandlung verspart, wie 



*) Ueber den namen de» bekannten förbekrautes und seine berührung 
mit «aar*?, vitrum u. 8. w. vergl. ib. s. HO — 141. 



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382 



Iloefcr 



der verf. diese arbeit denn Überhaupt wobl nicht als fertig 
und abgeschlossen angesehen hat. 

An Europa, näher an das nördliche Deutschland und 
den nordwesten Frankreichs denkt dann auch Cuno, weil 
er nur hier die in Asien vermifste, für die aufnähme sei- 
ner dekaden von millionen Indogermanen geeignete ört- 
lichkeit findet und sich, nicht „so rund und klar und nett« 
wie bisher geschehen, über Spaltung und Verhältnisse der 
indogermanischen sprachen Vorstellungen bildet, bei denen 
ihm doch um köpf und busen wohl selbst mitunter bange 
wird. Das deutsche z. b. war ihm, soweit wir zurückden- 
ken können, wie das keltische und italische „eine spräche 
für sich*. Wie sie dann unter sich und mit dem Sanskrit 
verwandt seien, begreift er natürlich nicht, ohne ein wun- 
der anzunehmen u. s. w. Vergl. s. 73 — 74. 

An der örtlichen beschaffenheit Asiens*) nimmt end- 
lich auch Spiegel anstofs, welcher das gewicht der gründe 
für Europa zugibt, Europa als ursitz möglich findet, übri- 
gens aber beide hypothesen für unerwiesen hält und die 
ganze frage nach dem urlande somit bis jetzt als ungelöst 
betrachtet. 

Man kann eins und das andere dieser bedenken willig 
zugeben, aber man braucht fürwahr nicht die ganze be- 
weisft&brung anzuerkennen oder gar die Vorstellung zu 
theilen, welche in Asien land sucht, um 30 oder 50 mil- 
lionen von Indogermanen zu beherbergen und wieder wer 
weifs wie viele dekaden millionen verlangt, um die alte 
bevölkerung Europas zu vernichten und in sich aufgehen 
zu machen. 

Die zu gunsten Europas angeführten gründe sind zum 
gröfsten theile äufserst hinfallig und angreifbar, nnd wie 
mi fei ich und schwachfüfsig namentlich die auf rein sprach- 
lichem gebiete liegenden sind, hat Geiger selbst schla- 
gend an mlra, mare und der daraus gefolgerten bekannt- 



*) Er denkt dabei zunächst an die hochebeno Pamer, „die terraase der 
weit", Laasen e. 20, die ihm ungeeignet scheint „ein noch kindliches urvolk 
zur gesittung heranzubilden". 



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die heimath des indogermanischen urvolkes. 



383 



schaft der Indogermaneo mit dem meere dargethan. Un- 
sere kenntnif8 der Ursprache ist viel zu unvollständig und 
wird stets unsicher und mangelhaft bleiben. Wer will 
z. b. den ursprünglichen inhalt von bhürga, bharga und 
die damit bezeichnete baumart so genau bestimmen, dafs 
dadurch das Vorhandensein der heutigen birke erwiesen 
wird? Ünd weiter, wer darf mit grund behaupten, dafs 
wenn namen der thiere später auseinander gehen, die letz- 
teren selbst darum dem urvolke unbekannt gewesen sein 
müssen, da doch unzählige Wörter, hier erhalten, dort ver- 
loren gegangen sein werden. Zusammenstellungen und ver- 
gleichungen, wie sie neulich Fick versucht hat, sind ge- 
wifs sehr nützlich, um den tbatsächlichen d. h. späteren 
bestand zu überblicken, sie gestatten ohne zweifei auch 
Schlüsse auf die Ursprache, aber nimmermehr Schlüsse der 
angedeuteten art. 

Und ist es denn endlich wahr, dafs die beweise für die 
asiatische heimath, weil man sie bisher nicht brauchte, 
noch verlangto, noch vermifste, darum wirklich fehlen? 
Ist denn, abgesehen von allem anderen, auch das zufall 
und leeres vorurtheil, dafs die der Ursprache zunächst ste- 
hende reinste und ursprünglichste form der spräche in 
nächster nähe des gewifs verständig erschlossenen ursitzes 
erhalten ist? Das ist an sich wenig wahrscheinlich, ja zum 
theil geradezu unmöglich, undenkbar, dafs Inder und Era- 
ner so lange, als nothwendig angenommen werden mufs, 
ein volk geblieben, dafs ihre sprachen, Sanskrit und Zend, 
die höchste reinheit und Vollkommenheit bewahrt haben 
sollten, wenn sie sich zuerst vom mütterlichen stocke ab- 
gezweigt und die weiteste Wanderung von Europa oder 
selbst Deutschland aus bis in die späteren sitze durchge- 
macht hätten. Diese zwar nicht ganz übersehene, aber 
wohl zu leicht abgefertigte und keineswegs beseitigte that- 
sache ist, wie uns scheint, allein von entscheidendem ge- 
wichte, sie steht tonangebend zu oberst, sie bestimmt alle 
weitere hypothese, die berufung auf die kaum vergleich- 
lichen Verhältnisse des litauischen oder isländischen ficht 
sie nicht an. Bei der aller laut- und Sprachgeschichte, 



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384 



Hoefer, die heimat des indogermanischen urvolkes. 



wie wir meinen, ins gesiebt schlagenden Voraussetzung der 
abstaminung aus Europa müfste man Sanskrit und Zend 
billig auf der stufe erwarten, welche bei der bisherigen 
annähme so natürlich das keltische einnimmt, die Zerrüt- 
tung des letzteren bliebe mehr als räthselhaft und die Ger- 
manen, die Jahrtausende wohl gar in ihren ursprünglichen 
Wohnsitzen gehockt und geschlafen hätten, würden auch 
wohl einige Verlegenheit bereiten. Dazu käme, dafs bei 
dieser neuen auffassung von Verwandtschaft des indoger- 
manischen mit dem semitischen, welche manche leugnen*), 
mit vorsichtiger beschränkung aber die meisten forscher 
bekanntlich annehmen, natürlich gar nicht mehr die rede 
sein könnte. 

Wir können uns überhaupt von den durch die neue 
hypothese bedingten Verhältnissen kein befriedigendes bild 
entwerfen, sie führt zur gewaltsamsten umkehr bisheriger 
anschauungen , ohne dafs uns ihre Verfechter allseitig auf- 
zuklären und zu beruhigen schon im stände wären. Aber 
einmal auf die bahn gebracht wird sie vermutlich, zweifei 
aufregend und nebel ausbreitend, eine weile fortspuken, 
um demnächst gleich manchem luftgebilde unserer tage in 
der stille zu verfliefsen. 

Zu weiterem eingehen in die Sache ist zur zeit keine 
veranlassung, aber sie einmal zur spräche zu bringen schien 
angemessen, denn es handelt sich um ein umsturzwerk von 
möglicher weise erschütternder Wirkung, über welches jeder 
forscher mit sich ins klare zu kommen suchen mufs, um 
es zu stützen oder zn bekämpfen. Dabei ist aufrichtig zu 
bedauern, dafs ihr tapferster Vorkämpfer, der trotz man- 
cher Wunderlichkeiten hochbegabte, an sprachlichein und 
kulturgeschichtlichem wissen überaus reiche L. Geiger, 
mit dem ich über wichtige fragen seit früher zeit gleich 
denke, uns durch unzeitigen tod leider schon entrissen ist. 

*) So kürzlich noch Friedrich Müller, dessen abhandlang »indogerma- 
nisch und semitisch" jedoch wenig mehr als das frühe auseinandergehen bei- 
der zu beweisen scheint, das ohnehin sattsam bekannt ist. 

Greifswald, im august 1871. A. Hoefer. 



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- 

ßirlinger, zur denuchen Wortforschung. 385 



Zur deutschen Wortforschung. 

1. schlaichen, verschlai chen. 

Das schwache verbum schlaichen, mundartlich 
schloacba (ai = oa) heilst im alemannischen gebiete 
verkaufen, austauschen, besonders gebrauchen es die 
heuberger bauern vom arrondieren ihrer güter. Hat z. b. 
einer am Kapf ein stück land, das er gegen ein anderes, 
am gegenüber liegenden berge dem nachbar hier abtritt, 
so dafs beide ihr gut auf einer stelle beisammen haben, 
so heifst das schlaichen. Das subst. der schlaich, 
„schloach, } n schl. macha" ist ebenso häufig. Das we- 
hinger pfarrurbar aus dem ende des 17. jahrh. hat die 
stellen: „ein Jauchert jenet dem Stettbach ist ver- 
seht aicht um ein Jauchert da und da". Die belege sind 
sehr zahlreich darin. In Baiersbronn kennt man es eben- 
falls in unserem verstände; im alem. hinterwald „dean hat 
man gsch laicht" bei streit- und rauf bändeln. Interes- 
sant ist das zeugnis in zollerischen und furstenbergischen 
Urkunden. Laut Mon. Zoll. I, 208 ad 1368, ?. juli stellen 
die gebrüder graf Friedrich und Ostertag zu Zolr eine 
Urkunde aus, betreffend austausch leibeigener: „daz wir 
baid ainmuotelich ains rechten schlaich 8 reht und red- 
lich gegeben haben unsern aignen mann", „daz wir reht 
und redlich gewinselt, geschlaicht und geben haben — 
winseln und schlaichen also mit in mit diesem brief". 
a.a.O. 1, 432 ad 1393. In dem Fürstenbergischen gült- 
buche hs. (1488): „soll ich VI malter korn, hand wir mit 
im geschlaicht". 

Besoldus I, 1026 führt Schleichbrief auf, das uns 
pafst: literae manumissoriae , über das gestellt quod per- 
mutatione alienatur (Freigius). 

Ich fand weder bei Graff VI, 785 noch im mittel- 
hochd. wörterb. II*, 398b, noch bei Sehmeiler und Schmid 
eine hiehergehörige notiz. Hat unser Schleichhandel 
vielleicht vordem, ehe er schmugglerhandel ward, zu 
schlaich, schlaichen gehört? 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 5. 25 



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380 



B tri i nger 



2. scblaiken. 

Wackernagel nennt in Haupts zeitscbr. II, 556 ein 
alemannisches schleiken, ein von 8 liehen hergeleitetes 
factitivum, im sinne des hochdeutschen „schleifen, 
schleppen". Heute trifft man es im Scbwarzwald sehr 
oft; so hörte ich in Aha bei Freudenstadt schloigga, 
schloika (äi = oi neben oa); ge Bchloigga d. h. bäume 
schleppen, ziehen, ganz genau was kegen, kegglen ale- 
mannisch besagt und was Hildebrand im d. wb. so schon 
ausfahrt. In Rochholz alem. kinderlied s. 201 steht das 
rfithsel : 

's goht durch de wald dufte 
und sc hl ei kt ebbis leabigs ufse? 

(Haar und Kamm). 
In Heufslins vogelbuch 131a: „so der fasan die Stirnen 
erhört, sc hie ick t er sich nach und nach heimlich hin- 
weg „So schleickt das ledig männlin einem andern 
sein weiblin nmbhar". Bl. 241a. — Ich führe absichtlich 
«ine anzahl beispiele vor. Dieth. Kellers keyserbueb, wie 
ichs der kürze halber in der alemannischen spräche nannte, 
hat folgende stellen: „seiner totschlegeren fflrnemen was, 
dafs 8y woltend den todtnen cörpel in die Tiber schlei- 
cken tf 8. 3. „Pisonem hat sie mit dem rechten umbher* 
geschleickt und jn dahin bracht 46 8-68. „Der rat hat 
sich defs erkennt, das sein cörpel solte mit einem hacken 
geschleikt werden" 8. 180. „Und schleickt er die Cor- 
nificiam uuibher" s. 188. „Sein cörpel ist im Circo Maximo 
nit änderst umhergeschleickt, als ob er ein todter hund 
were u s. 221. „Haben jn mitten durch die zu dem 
läger geschleickt " s. 241. „Die hat er mit seines weibs 
rhat über offnen markt schleicken lafsen* s. 341 und 
noch oft. 

Schindler 111,432 führt schlaicken an und verweist 
auf Stalder; * in Baiern hat sich das subst. schloack, 
langsame unreinliche Weibsperson, schlamperin aleman- 
nisch, als volksthümlich erhalten; in München allgemein 
üblich. 



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zur deutschen wortforachunp. 



337 



3. schlaitzen. 

Scblaitzen (vgl. Schmeller 111, 458) bedeutet zer- 
reifsen, zerspalten, zernichten (scindere), mhd. scindere 
sleizen. Bei Diefenbach Nov. Glösa. 175b: sleizunga, 
fissura. Die mittheilungen der antiquarischen gesellschaft 
in Zürich IV, 45 bieten: „schleitztend den turn bis 
auf den grund" s. 279 und oft. „Die land verschleitzen 
und verwüsten". Keyserbuch von Keller 398. Die chronik 
der Edlibacher (antiq. ges.): „als nun die eignoseen dz hus 
Griffensee gar und ganz zurschleitzt haftend". — Forers 
thierbuch: „ee dann die Stadt von ungestüme des meers 
und der wasser verflözt und geschleizt war? s. 108a. 
So ainer ir nest zerschleitzt und umbkert Heufslin 
215 b. — In Letschs constanzer chronik bei Mone quellens. 
II, 52b (1527): „verbrennt, verherget, zerschlaizt, ge- 
plündert* 53 b. ad 1529: „dan er warlich das edel frucht- 
bar hunger- und osterlant ob sibenzig meil weit und brait 
geschlaizt" u. 8. w. Jos. Maaler516a: zerschleitzen, 
vastare, demolire; die altär zerschleitzen, zerscbleit- 
zung, zerschleitzer a. a. o. Dazu gehört in der alten 
Lindauer flöfser Ordnung 15. 16. jahrh. schlaitzschindel: 
„von 10 burdin schlaizschindeln 1 fl. tf 

In den sägemühlen auf alemannischem gebiete ist das 
subst der schlaitzen noch echt volksüblich. 

4. bailen, abbailen u. 8. w. 

Diese ausdrücke kehren in Rotweiler und Lindauer 
Statuten oft wieder. Ich habe in der spräche des Kotweiler 
stadtr. I, 70 a und II, 358 belege aus dem stadtrechte und 
anderen Schriftwerken angeführt. Vom 16. jahrh. ab er- 
scheint wein bailer, früher weinbaigler, wie beide re- 
dactionen des stadtrechts haben. Sie sind, wie der Obern- 
dorfer urkundliche name „winerlöber" besagt, unter- 
geordnete umgeldbeam te. 

Die Lindauer umgeldordnung 16. 17. jahrh. hat: „so 
einer wein abschlahen will, so sol er beschicken den 
weinrüeffer, daz er das fafs anzapfe und den geschwornen 

25* 



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388 



Birlinger 



ungeltmeister dafs er das fafs verpitschiere und abbaile 
und die bailen sol der umgeltmeister mit dem bindet au- 
binden und oben stempffen, damit die eieher dieselben fafs 
erkennen mögen u . 

„Und so einer wein zuschlagen will, sol er das nit 
allein thun; auch mit dem vafs kein verendrung vürneh- 
men; der geschworne umgeltmeister habe dann dasselbig 
fafs abbailet und so das vafs nit über das halbthail lär 
ist, sol der umgeltinaister bei seinem ayd das umgelt 
sehätzen und machen und damit das pittschaft widemmb 
ab demselbigen fafs thun, die bailen zerbrechen und den 
ausgeschenkten wein verzeichnen" u. s. w. 

„Wann aber sollicher wein über den halbenthail aufs- 
gangen wäre, alsdann soll das fafs durch den umgeltmei- 
ster abermalen abgebailt und das umgelt geschätzt wer- 
den" a. a. o. „ Der weinrüeffer sol gar nicht weinrüeffen 
noch anzäpfen; der umgeltmeister sei dann vorhin dabei 
gegenwärtig, dafs er das vafs abbaile oder verpitschire" 
u.s.w. „Den wein unverpitschiert, auch unabgebailt 
und ungerüeff ustragen" a. a. o. 

„Auf dem land, heifst es in einem erlafs, darf kein 
wein ausgeschenkt werden : der hauptman jetziger zeit Abra- 
ham Bronbifs zu Eschach hab daun denselben wein zuvor 
abbailt, geschäzt und angezäpfft." 

Grimm wb. 1,1379: securi caedere, incidere, ebenso 
1378. Baygeln, prüfen, tifsiren, taxare, censere, reputarc 
Vet. Voc. 1482 bei Frisch I, 49 a. 

Bailer, taglöhner (bajulus bei Frisch a.a.O.?). Bei 
Pict. 67a: beylen (die) talea, teesera, trena. beylele, 
taleola Ebenso Frisius: beilen = kerbholz. Nach Du 
Cange-Henschel VI, 492 ist ein Stäbchen, ein kerbholz dar- 
unter zu verstehen; das wein bailen hängt am ende auch 
mit einem Stäbchen des weinvisierers zusammen. 

Grimm sagt a.a.O.: „zumal aber galt beilen, an- 
heilen, abheilen für das untersuchen der fäfser, prüfen, 
wie viel wein oder bier ein fafs in sich halte, wie viel der 
wirt in keiler gelegt habe, zur bestimmung des timgelds, 
der tranksteuer u . 



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zur deutschen Wortforschung. 389 



Mit beil gehört es nicht zusammen; die schrittwerke 
haben ai durchaus; sodann das ältere baiglen setzt ein 
j voraus. Bayler stimmt efier, wie ich in d. zeitschr. XIX, 
150 bemerkt habe, zu bajularius, was die sicherste ab- 
leitung sein dürfte; überdies entstammen alle den wein an- 
langenden Wörter mehr oder minder der fremde, die ihn 
gepflanzt und gebracht hat. 

Nur ein umstand könnte diese erklärung abschwächen. 
In der spräche der schiflfahrer ist paile, peile eine 
marke, den Wasserstand zu bemerken kerbe, pegel eben- 
falls. Davon die entsprechenden Zeitwörter. 

5. ab, praep. 

Dals die Oberdeutschen, besonders die Schwaben und 
Alemannen, bei der alten praeposition verbleiben, wenn es 
Zeitwörter des gehens, springens, fallens, erschreckens, ent- 
setzens, grausens, wunderns sind, mit der sie verbunden 
wird, hat das DWb. I, 7 und Schmeller I 2 , tl schon ge- 
sagt. Ich habe im augsb. wb. 7 eine reihe beispiele mit- 
getheilt, die sich unendlich vermehren liefsen. Allein einer 
Verwendung des ab bei den Zeitwörtern des trinkene, wo- 
für früher „von" vorkömmt (vgl. vom essen DWb. III, 
1164.5), hat man nur wenig aufmerksainkeit geschenkt. 
Schmeller 1. c. hat eine stelle. Ich füge hier aus einer 
hs. 15. jahrh. ß. folgende Zeugnisse bei: „und er sol täg- 
lich trinken ab raten und lübstechen". „und sol trinken 
ab velt kienel und wermüt und epichsainen". „und sol 
trinken ab salbinen bluomen". „und ensol nit frowen ha- 
ben vnd sol man trinken ab vigensafit und eppichsamen", 
„in dem ogsten so sol man nit köle essen noch loch noch 
pappelen und ab poleygen trinken", „im hömonat ist guot 
nüchterling ephe genossen und ab salbinen getrunken", 
„ab tosten ist guot getrunken" u. s. w. „im dritten herpst 
sol man ab zimmet trinken". Einen aufgufs, absud, trin- 
ken kann hier nicht gemeint sein, wo dann ab örtlich 
wäre, wie Tobler wb, 2 meint. Daneben bietet dieselbe 
handschrift den genitiv und accusativ. 



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31)0 



Birlingcr 



Vgl. Tobler 2b no. 2: ab cbriesi, ab brübeerblacka 
trinka. 

Die noch ganz volksthümlichen abbiatz abbiatz! 
Kuf des fcstordners bei pfingstaufzügen , fastnachtscherzen, 
wenn sich das volk in den weg stellt. „Ab platz, ab 
platz mit weib und kind, der kaiser kommt mit seinem 
ganzen regiment". Sieh mein volkst. II, 145. Ab stätt, 
ab stätt! ist bei Riedlingen, Saulgau zu hause = hin- 
weg! äwögg! äwegg! was das volk nicht mehr versteht; 
es hat aber doch daneben abweg, abweag! jenes vom 
alten enweg; dieses mit ab gebildet, ab'm hals hö, et- 
was, ist noch sehr üblich, man kann a fraid ä' d'r hö, all- 
gemein, ab'm Schwazwald ebenso. I, 173. Rotweil, 
stadtr. I, 38 a. 

abbi ist = abhin; je näher der Schweiz, desto 
mehr spricht der Schwarzwälder -i; sonst' ab be; üb bar - 
abbi, Wurmlingen. Tuttlingen. 



6. aberzil, = correspondierendes grenzzeichen. 

Zu den belegen einer mehr bildlichen bedeutung im 
DWb. I, 35 seien hier aus dem Wuteachtal zwischen Stüh- 
lingeu und Thiengen folgende beispiele von des Wortes 
ursprünglicher bedeutung gefügt. 

Das Stühlinger bannbuch hs. 17. 18.jahrh.: „erstlichen 
bey dem Eggstein, welcher drey Bähn schaydet — stehet 
dermahlen ein alter bhauener stein mit der jahrzal 1665, 
von dorten zue einem aberzihl im Schlaitheimer bahn" 
u. 8. w. „Zu dem aberzihl an die Schlaitheimer hal- 
den tf . „zu einem gewissen aberzil". „Ein alter behauener 
gesessener stein — stehet an der strafs dessen aberzil 
das bildhaus im StÜehlinger bahn. Also hat man wegen 
ab gang dessen steins ein aberzihl genommen gegen 
Schieitheim zu: eine Wasserfalle". Ein Schriftstück v.Scblait- 
heim datiert 20. oct. 1802: verzeichnus von den neugesetz- 
ten ab erzieler zwischen dem Stühlinger und Schlaithei- 
mer ban als: no. 12: von dem markstein grad hinüber über 
die Wuttach gegen die Schleitheimer halden i6t ein aber- 



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zur bergmaimssprache. 



391 



ziel gesetzt worden — ist von dem markstein bis dahin 
mit ruthen und schnür gemessen worden: 50 r. 9 sch. 5 zoll, 
No. 13 ist ein aberzihl über der Wuttach gegen der 
Schlaitheimer halden zwischen Alex. Wanner und Jacob 
Stammen Feld gesetzt worden, ist bis zu dem markstein 
24 ruten. No. 16 Ein markBtein zu diesem ist eine buch 
rechts an der Halden vor ein aberzil angenommen wor- 
den u. 8. w. a 

In einer alem. Schilderung des letzten gerichts druck 
c. 1470: „und dann gesetzt uff brennend pfäl den tüfeln zu 
eim aberzil". 

Bonn. A. Birlinger. 



Zur bergmaimssprache. 

Froner. Frone. Frontheile. Fronberge. 

Ich bringe hier aus Brasserts und Achenbachs Zeit- 
schrift für das bergweseu bd.XI sehr alte belege, die ältesten 
bekannten, zu scheinbar bekannten Wörtern; aber auch aus 
dem vortrefflichen zweiten, urkundlichen theile des T renk- 
te 9 sehen aufsatzes, der noch ungedruckt ist, sind mehrere 
neue stellen entnommen. Die belege zu froneberg 
sind sehr alt und ganz unbekannt, unsern Wörterbüchern 
völlig fremd; eben weil diese ausdrücke auf die ältesten 
formen der belehnungen zurückzuführen sind, suchen wir 
sie schon beim alten Agricola vergebens. Die arbeit 
Trenkle's ist für den Schwarzwaldbergbau des mittel- 
alters sehr reichhaltig und wird dem ausgezeichneten neuen 
deutschen bergwörterbuch von H. Veith, Breslau, Korn 
1870 manche nachtrage bieten. 

Urkunde 8. dez. 1347. Wir Hanneman Snewelin, 
ritter, burgermaister zu Friburg und Johans zem Pfluoge, 
oberster zunftmaister da, schidleute in der mis seile so 
der edel herrn grave Cünrat zu Friburg, einsite und die 
fron er zu dem grinde gemeinlich andersite sament 



uigitizG 



39*2 



Hirlinger 



hatten tnon kund — wan der froner briet' seit, das sü uf 
jeder leiti zwüschent der übelen brugge und scheidegge 
als die snesleifina gant, 6 fronberge haben sönt; da han 
wir gemacht dafs die fron er das alles zwQschen etc. wir 
die vorgenanten fron er zu dem göche vergehen t öcb, 
das üns die vorgenanten fron er zu der bach geriebt und 
gewert hant — so hant wir die vorgenanten fron er zu 
dem göch gebetten (1353. 3. okt.). Ad 1372: das sie 
zun uff vien Eyden Eyden rietendt undt seitendt wie man 
dry fronberg oder einen handtschlag behaben. Ad 1401: 
die fron er sond auch dieselben froneberge bestellen und 
behaben mit einem redelichen büwc. Die fron er sond 
werffen an allen furzug, were 6ch da wir reinan verlQhen 
hettend. Von 1438 gibt es eine Todtnauer froner- 
ordnung. Daselbst: item auch sol dehain fron er sin 
teile des bergwerks uffgeaben, wan in des schribers hand 
und mit allen ergangenen und versessenen würfen dem 
schriber zu gebende. — sollen sweren gelerte ayde liplieb 
ze gott und den heiligen vorab der herschaft und darnach 
der froner nuze und fromen ze fördernde und schaden ze 
wendende. 

Fron er, genossenschaften und gewerkstätten , wel- 
che von den landesherrn mit den 6Überbergen gegen eine 
abgäbe belehnt wurden oder, genauer gesagt, auf die dauer 
der ergiebigkeit des betriebes selbige in pacht nahmen, sie 
waren im 14. jabrb. in Basel, Breisach, Neuenburg und 
Freiburg Magistri argentifodinarum, welche in erster 
zeit mit ihren gesellen d. h. gleichberechtigten tbeilneh- 
mern die berglehen in bau nahmen — den gesellenbau 
trieben — oder aber als gewerkschaften sich constituirten, 
wobei auch fremde theilnehmer an gewinn und zubufse 
nach Verhältnis ihrer einlagen theil nahmen. 

Pro ne berge sind einfache leben (demensa), de- 
ren mehrere einen handschlag ausmachen; z. b. hat jeder 
handschlag 4 froneberge. Wir — Egene (grave) künden 
allen -— das wir han voriahen in dem tal ze Tottenowe 
ze dem alten Tottenstein drie froneberge . . . N. N. und 
allen iren gesellen, die iezunt da teil mit inen hant oder 



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zur bergmannssprache. 



noch da teil gewinnent — umb den drieigosten pfenning 
fuir allü reht vn sullen och der berge ir wer si un sul- 
lent uns die fron er e da füren un zügen zwein jsenine 
teil ane allen unser schaden un einen samestag sullen wir 
da haben u. s. w. 1309. (Graf Egon v. Freiburg und Kon- 
rad s. söhn). Wir sullen och die fron er e da schirmen 
vor gewalt und vor unreht; — die froner sullent öch dise 
drfe froueberge mit einem buwe behabcn; leagin si dar- 
über musig drie tage un sehs wochen, so sint si uns lidig, 
es geschehe denne von gefrüste oder von gehei oder von 
urlüge u. 8. w. — und harüber zu einem offenen steten 
Urkunde han wir den fronern disen brief geben u. 8. w. 
Archiv des kl. St. Bhs. Ebenso 1327 eine Urkunde, 
welche schon ei für i hat. (Abt Wernher v. St. Trudbert). 
Wenne einest in dem jare und einem sambstag fftr den 
ehr schätz u. 8. w. wir leihen jne ouch zu denselben 
fronebergen weg und steg, wasser und holz, wune und 
weide etc. Ad 1331: das wir haben verlihen vier fro- 
neberge zu dem newen Molsberge umb den ain und 
drissigisten pfenning und umb einen sambstag idliches 
wenn wir den nemen wenn einest in dem jar und umb 
einen sambstag für erschatz — die sollen dieselben 
froneberge behaben mit einem bauwe etc. 

1335. 6. april. Allen, die disen brief sebent oder hö- 
ren t lesen, künden wir die froner zer dritten frone der 
man da sprichet ze des schuoler fron, Heinrich der 
Vatter, Claus Absolon, Hans der Beler, burger v. Friburg 
und die froner gemeinlich dafs wir drie froneberge zer 
dritten frone haben verlühen recht und redeliche den 
fronern ze kungins fron und ze der hasenfron u. s. w. 
Archiv d. Stadt Freiburg. Vor dem jähre 1370 werden als 
im betriebe befindlich in Todtnau folgende froneberge 
genannt. Die F. im Oberriederthale 1303. 1343; die 3 f. 
zum Todtenstein 1309; die 12 f. bei der Schindelhalden 
1322; die 3 f. genannt Schnlersfron, früher die Ha- 
senfron 1329; die 12 f. bei der Übeln Brügge bis zur 
Scheidegge im Oberriederthale 1343; die 6 f. der Kolers- 
und Anrosfron 1332 — 39; die 3 f. der Schnlersfron 1335; 



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Gerland 



die 15 f. genannt die Kfmgins oder Hasenfron (apaler 
gewerk z. bache) 1331. 1339. 1344; die N öl luisfron 
und d}e Diesselmuthfron bei der Halde 1343. Trenkle 
bei Brassert 11, 208. Mone zeitsehr. 11, 439. 12, 371. 
19, 93. 13, 337. 19, 9. 222. 223. 226. 227. 13, 106. 
336-7. 

Frontheile. Abgaben an den lehensherrn sind die so- 
genannten eisernen frontheile«, welche für den lehens- 
herrn ohne seine kosten d. h. frei zu bauen sind, 211. Isinin 
fronteile sind solche etc. bleibend als landesherrl. reservat 
dem lehensherrn zufielen und kostenfrei für ihn gebaut 
werden mufsten, 212. Der confirmationsbrief kaiser Maxi- 
milians vom 7. juli 1512 §. Ii. Oesterreich erhält die 
2 isenin fronteile v. 60, 2 fronteile erhält das Mün- 
ster in Freiburg, 215. 

Bonn. A. Birlinger. 



Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Neuere zeit. Neunter band. 
Geschichte der germanischen philologie vorzugsweise in Deutschlund 
von Rudolf von Raumer. 

Auf veranlassung und mit Unterstützung seiner majest&t des kö- 
nigs von Bayern Maximilian II. herausgegeben durch die historische 
commission bei der königl. academie der Wissenschaften. XI, 743 88. 
8. München, Oldenbourg 1870. 

Von ganz besonderem interesse ist die geschiente sol- 
cher Wissenschaften, welche nicht blos als beitrag zu un- 
serem wissen, nicht blos als entwickelung rein theoreti- 
scher gedaukenkreise auzusehen sind, sondern hinüber rei- 
chen ins praktische leben, dort feste wurzeln treiben und 
so zugleich auch in ihrem innersten wesen das bild eines 
frischen und reichen Volkslebens spiegeln. Zu diesen Wis- 
senschaften gehört in erster reihe die germanische philo- 
logie und die ebenso schwierige als beneidenswerthe auf- 
gäbe, ihre geschiente zu schreiben, hat herr Rudolf von 
Baumer übernommen. Dafs nun ein mann, welcher selbst 
einen grofsen theil der entwickelung dieser eigentlich doch 



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sehr jungen Wissenschaft mit durchlebt hat, dessen namc 
im kreis der germanistischen Studien zu den geachtetsten 
gehört, dafs das buch eines solchen mannes ein treffliches 
und bedeutendes buch ist, das versteht sich von selbst; 
und ebenso auch, dafs solch ein buch zugleich für weitere 
kreise bedeutuog hat, da ja die geschieh te des wissens 
von unsern vaterländischen dingen jeden interessiert und 
die wärme und milde, mit welcher das ganze geschrieben 
ist, die einfache und schlichte dabei aber feine und si- 
chere darstellung auf niemanden ihren wohlthuenden ein- 
flufs verfehlen kann. Natürlich kommen auch minder in- 
teressante stellen, wo die namen der mitarbeiter (wie kaum 
anders möglich) wie mit besen zusammengekehrt werden; 
allein diese überschlagen sich leicht und die Charakteristik 
der einzelnen hauptpersonen , auch solcher nur zweites 
ranges, ist im hohen grade meisterhaft, wofür zum beweis 
und beispiel wir nur auf die ganz vortreffliche Schilderung 
Adelungs, seiner Studien und Wirkungen hinweisen. Auch 
mufs diese Zeitschrift mit ganz besonderer genugthuung 
die richtige Würdigung hervorheben, mit welcher der ein- 
flufs dargestellt ist, den Bopp und überhaupt die sprach- 
vergleichenden und sanskritstudien auf die germanistische 
philologie hatten und haben. 

Ist nun Raumers buch als gelehrtengeschichte vortreff- 
lich, so liegt doch auch gerade hierin ein hauptmangel 
des werkes. Wir werden zu sehr aus einer Studierstube 
in die andere geführt, dadurch aber zersplittert und ver- 
kleinert sich die betrachtung, wir sehen nur einzelne män- 
ner und der grolse Zusammenhang, in welchem sie mit 
ihrer zeit stehen, der grofsartige zug, welcher sie häufig 
untereinander verbindet, kommt nicht zu seiner vollen lei- 
tenden bedeutung. Daher geschieht auch den grofsen Strö- 
mungen innerhalb der Studien selber nicht die volle ge- 
rechtigkeit; wie denn herr von Raumer alle gegensätze 
und Streitigkeiten unter den Germanisten selbst, von de- 
nen doch auch wie von aller weit nicht eben selten ge- 
sagt werden konnte: 

die stritent starke stürme, 



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3% 



Gerland 



in merkwürdig abgeschwächter darstellung mehr andeutet 
als vorführt. Mit unrecht, wie uns scheint. Auch der 
streit ist oft sehr charakteristisch, man tilgt keine fehden 
durch stillschweigen und der historiker vor allem mute 
auch von ihnen berichten. 

Und dann ferner. So sehr richtig herr von Räumer 
über Klopstock, Herder und andere dichter unserer glänz» 
zeit urtheilt, so erfreulich es ist, auch Wielanden, den 
übergebührlich zu verachten jetzt vielfach modesache ist, 
sehr anerkennenswerth hervorgehoben zu finden: ebenso 
wenig können wir mit dem Verfasser in dem, was er über 
Goethe sagt und über Schiller — nicht sagt, einverstanden 
sein. Zwar rühmt er Goethes deutsche jugend und den 
Goetz, den Faust und was dahin gehört, wie ja auch diese 
gedichte für die germanistische philologie von unmittel« 
barer Wichtigkeit sind durch die reiche antiquarische lite- 
ratur, welche sich z. b. an den Faust anschliefst. Später 
aber weifs Raumer eigentlich .nur von Goethes abwendung 
von diesen jugendbestrebungen zu berichten (290, 293), 
die er seltsam genug auch darin sieht, dafs Goethe bis- 
weilen seine eigenen früheren arbeiten possen und dergL, 
die Iphigenie verteufelt human (worin er vom dramatischen 
Standpunkt ganz recht hat) genannt habe u. s. w. Als ob 
nicht auch schon andere dichter ihre verse ludicra und 
puerorum ludos genannt hätten, ohne damit auch nur von 
fern denselben zu nahe treten zu wollen. Wer möchte, 
wie herr von Raumer thut (293), jene bemerkung in der 
italienischen reise von kauzenden heiligen und tabakspfei- 
fensäulen der gothiscben zierweise wohl „höhnische Schmä- 
hungen der vaterländischen meister" nennen, zumal Goethe 
in der sache (unbefangen betrachtet) entschieden recht hat. 
Ueberhaupt kommt der dichter schlecht weg. Während 
8. 321 von der kläglichen rolle gesprochen wird, welche 
er von 1806—13 gespielt haben soll, von seiner Stimmung, 
welche, wenn sie das deutsche volk getbeilt hätte, das 
französische joch zu einem dauernden gemacht haben würde 
— vielmehr umgekehrt, wären die Deutschen männer ge- 
wesen, wie Goethe, das joch wäre nie gekommen — so 



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wird von dem interesse, was Goethe doch auch damals 
an der alteinbeimischen literatur hatte und worüber viel 
mehr gesagt werden konnte, nur im ruckblick (493) gere- 
det. An diese klägliche rolle glauben wir übrigens, bei- 
läufig gesagt, überhaupt nicht, weil wir der meinung sind, 
dafs man nicht alles nach uns und unserem Zeitgeist beur- 
theilen darf, am wenigsten wenn man historisch urtheilen 
will, denn der historiker mufs sein objekt wie der naturfor- 
scher streng und nur objektiv betrachten; weil fernerGoethe 
die agirenden helden der zeit in der nähe sah und wnfste 
und erkannte (man vergleiche die Sprüche in reimen und 
prosa), was von ihnen zu erwarten sei, wie es ja schon die 
nächst folgenden jähre mit schrecken gleichfalls sahen; 
weil die grofse masse des Volkes auch damals von un- 
glaublicher Stumpfheit und dumpfheit war — man lese, 
was die gleichzeitigen untergeordneten, aber gerade des- 
halb viel gelesenen Schriftsteller auch 1813 für zeug schrie- 
ben, man bedenke, woher die möglichkeit der reaction der 
zwanziger jähre kam; weil andererseits halbschierigkeiten, 
wie sie auch den besseren der strebenden so vielfach an- 
hafteten, einen geist wie Goethe ganz besonders widerlich 
sein mufsten, gerade weil sie die gute sache nun auch 
herabzogen; weil der dichter von „Epimcnides erwachen" 
gewifs ein herz für die sache haben mufste; weil — 

Doch wir wollten nur beiläufig reden. Auch was Goethe 
sonst für die deutschen Studien that durch auregung nach allen 
Seiten hin, wollen wir nicht weiter erwähnen, wenn gleich 
Raumer ganz davon schweigt. Denn wichtiger und offen 
gesagt bedenklicher erscheint es uns, dafs Schiller nur 
ganz nebensächlich einigemal erwähnt wird; und da doch 
andere (Fichte, Arndt) hauptsächlich wegen der belebung, 
welche der deutsche sinn durch sie empfieng (s. 314), ge- 
nannt werden, so mufste doch vor allem und in ganz be- 
sonders strahlendem licht Schiller hervorgehoben werden, 
dessen einziger Teil (um von den übrigen stücken gar 
nicht zu reden) mehr bierfür gewirkt bat, als die werke 
aller der kleineren gleichzeitigen Schriftsteller zusammen- 
genommen. Auch mufsten seine ästhetischen abhandlungen 



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398 



Gerloml 



tiefer gewürdigt werden; nicht, dafs sie die romantiker an- 
geregt haben (295), gibt ihnen für die germanistische phi- 
lologie ihre bedeutung, sondern dafs sie nach vielen Seiten 
hin die tiefsten und fruchtbarsten gesicbtspunkte „grund- 
legend tf eröffneten, wie z. b. der aufsatz über naive und 
sentimentale poesie, wenn gleich derselbe in seinen grofsen 
ideen durchaus noch nicht erschöpft ist. 

Wie herr von Raumer nun diese abwendung von 
Schiller mit den romantikern und auch mit dem roman- 
tiker unter den Sprachforschern, mit Jak. Grimm, theilt, so 
werden diese Überhaupt mit einer ausführlichkeit und an- 
erkennung besprochen, die unseres bedünkens noch viel zu 
weit geht, während die schwächen derselben nicht recht 
gewürdigt werden, ihr oft absichtliches aufsuchen des un- 
bedeutenden, ihr häufiges protegiren des halben und form- 
losen und vor allem das polemische, oft sogar hämische 
verhalten gegen unsere geistesheroen , mit dem sich vor 
allen die Schlegel beschimpften: und diese schwächen und 
fehler sind doch für die spätere zeit und ihre Wissenschaft 
so ungemein wichtig geworden, ja in ihren folgen bis auf 
den heutigen tag noch nicht überwunden. 

Allein das wichtigste, was wir gegen die darstell ung 
Raumers einzuwenden haben, ist folgendes. Die geschichte 
der germanischen philologie ist, nicht blos in Deutschland, 
zugleich die geschichte der beschäftigong mit den heimi- 
schen, den vaterländischen dingen; sie hat also notwen- 
dig einen ganz engen Zusammenhang mit dem politischen 
leben der Völker, ja vielfach finden wir gerade hier den 
warmen berzschlag dieser philologie, ihre innerste seele 
und manche erscheinungen sind nur von hier aus zu er- 
klären. So vor allem die warme liebe, ja die leidenschaft- 
lichkeit, mit der diese Studien betrieben werden, der ra- 
sche anklang, die Verbreitung und Unterstützung, welche 
sie bei der grofsen menge des volkes finden, was herr von 
Raumer nur an einzelnen stellen andeutend erwähnt, ihr 
plötzlicher aufschwung in bestimmten Zeiträumen, wo im- 
mer auch das politische leben vorwärts rückte. Hier wur- 
zeln z. b. die phantastereien früherer nordischer gelehrter, 
hier aber auch wenigstens zum grofsen theil Raaks oppo- 



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399 



sition gegen Jak. Grimm, so dafs, was der gelehrte in un- 
seren äugen verliert, wir dem patrioten zu gut schreiben 
müssen. So hat denn auch die gescbicbtsforschung selbst 
den gröfsten einflufs auf die germanistik (wie umgekehrt 
diese auf jene) gehabt, was herr von Raumer um so eher 
erwähnen mufste, als gerade das berühmte werk seines 
oheims Friedrich von Raumer, die geschichte der Hohen- 
staufen, nach dieser seite unendlich anregend wirkte. Wie 
sehr dasselbe und Stenzeis fränkische kaiser und anderes 
der art auch die germanistischen Studien förderten, das 
hat rec. nicht blos an sich (denn einer ist keiner), sondern 
an einer reichen zahl von jugend- und Studiengefährten 
selbst erfahren. Und so waren auch gar viele der Ger- 
manisten aus patriotisch -politischem interesse zu diesen 
Studien gebracht. So schon der spätere Zeitgenosse Fi- 
scharts (welchen letzteren man ungern unerwähnt sieht), 
Goldast, so Hickes, der göttinger hainbund und dann vor 
allen die grofsen gelehrten der neueren zeit. Sie bilden 
— ein seltener fall in der gelehrtengeschichte — zugleich 
ein stück der politischen geschichte Deutschlands, die be- 
deutendsten von ihnen sind fast alle — die Grimms, Un- 
land, Gervinus, Mor. Haupt, Hoffmann von Fallersleben, 
Mafsmann, Vilmar am ende seines lebens — zugleich mär- 
tyrer ihrer politischen Überzeugung gewesen, welche ganz 
untrennbar verwachsen war mit ihren germanistischen Stu- 
dien, welche hinausstrebte ins leben, wo sie massenhaft 
gesinnungsgenossen fand und wie ein ferment auf fast alle 
gebildeten wirkte. Waren doch die bedeutendsten der eben 
genannten bei der Volkserhebung von 1848 betheiligt und 
safsen in dem parlament, welches zuerst die kaiserkrone 
wieder emporhob und eben dem furstengeschlechte anbot, 
welches sie jetzt aus fürstlicher band angenommen hat. 
Man pflegt jetzt ebenso dankbar wie genial jene zeit die 
zeit der träume zu nennen; und doch, wie würde auch nur 
ein theil jenes gewaltigen hauches, jener schöpferischen 
begeisterung, wenn er heute wehen wollte, — auch die 
heutige germanistik beleben und erheben! 

Dieser gewaltige hintergrund, von dem auf die ein- 
zelnen gelehrten ein ganz anderes licht strahlt, ist zwar 



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■100 



Fick, miacelle. 



nicht ganz übergangen; andeutungen finden sieb, aber sie 
sind vereinzelt und stellen das ganze nicht als ganzes und 
also nicht für die unkundigen deutlich und lebendig dar. 
Das hat ja nun der hochgeehrte herr Verfasser ebenso gut 
und besser gesehen, als der, welcher das buch hier nur recen- 
siert, es zu schreiben aber wohlweislich unterlassen hätte. 
Allein rec. konnte keinen grund auffinden, der ihm irgend 
stichhaltig diesen mangel erklären mochte. Deshalb er- 
wähnt er ihn mit um so gröfserem bedauern, als wir, wenn 
er nicht vorhanden wäre, ein ganz einziges buch in dieser 
Wissenschaftsgeschichte haben würden, die sich auch so 
nur mit innerster bewegung, stellenweise fast wie ein 
gedieht liest, ein buch, wie es nur in Deutschland ge- 
schrieben werden konnte, da sein grofser inbalt nur in 
Deutschland möglich war, diese innige tiefe durchdringung 
von Wissenschaft und ideal, dieses ehrliche ringen nach 
Verwirklichung des wissenschaftlich angeschauten, dies be- 
geisterte aufgehen mit dem ganzen leben und sein in der 
einen herrlichen idee. 

Halle, nov. 1871. Georg Gerland. 



Lat. cicatrix narbe. 

Skr. kaka m. heifst haupthaar; narbe; band. Es stammt 
von kak, kakate, im dhp. auch kaiik kaiikatö binden ; da- 
her denn: band, haupthaar (aufgebundenes), endlich narbe 
als bindung der klaffenden wundränder. Nun wird das skr. 
kak kaiik binden auf europäischem boden reflectirt durch 
das lit. kink-au, kink-yti anbinden, anschirren (pferde) und 
lat. cing-ere, gürten. Leider ist in meinem Wörterbuch 
lat. cingerc noch unter ein fingirtes kagh gesetzt, welches 
einfach zu streichen ist. cing-ere steht vielmehr nach aus- 
weis der lit. und skr. parallelen für cinc-ere. Seheiden wir 
den nasal aus , der von dem praesensthema aus die ganze 
flexion des verbs durchdrungen, wie in jüngere, wz. jug, 
so bleibt als wahre grundgestalt cic übrig. Von cic hat 
es nun eine ableituug cico- narbe = skr. kaka gegeben, 
davon ist ein verb gebildet cicä-re vernarben, hiervon cicä- 
-trix die vernarbende, nämlich: wunde, was soviel ist als 
„narbe" und so entstand cicatrix narbe. 

Göttingen. Fick. 



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Förstemann, assimilation im deutschen. 401 

Assimilation im deutschen. 

Was in der natur die gravitation, das ist in der 
spräche die assimilation, das heranziehen, erfassen und zum 
theil vernichten des schwächeren durch das stärkere. Wäh- 
rend aber die schwere in der natur ein unverbrüchliches 
gesetz ist, spricht sich in der spräche nur eine neigung 
zur assimilation aus, welche neigung allerdings zuweilen 
so stark ist, dafs sie in einzelnen fällen förmlich zum ge- 
setz wird. 

Man kann den begriff der assimilation sehr weit fas- 
sen. Dann gehört im reiche der vocale dahin die bildung 
von diphthongen aus zwei einzelnen vocalen; eben so der 
umlaut, von dem man einzelne erscheinungen auch epen- 
these, andere brechung genannt hat. Im gebiete der con- 
sonanten ist das wort assimilation von jeher besonders ge- 
läufig gewesen; näheres im folgenden. In der Wortbildung, 
sowol der Zusammensetzung als der ableitung, gravitiren 
die seltneren bildungen zu den häufigeren hin und gehen in 
ihnen zahlreich auf. Aber auch im gebiete der flexion 
werden die unwichtigeren casus durch die wichtigeren und 
häufigeren assimilirt und dadurch dem untergange entge- 
gengefahrt; die conjugation kennt dieselben erscheinungen 
bei den tempora und modi. Und in der geschiente der 
bedeutungen wird sich ein grofser theil der erscheinungen 
leicht als eine begriffsassimilation- fassen lassen. In dem- 
jenigen vorgange, welchen ich Volksetymologie genannt 
habe, tritt diese assimilation der begriffe ja deutlich genug 
hervor. Die alte freiheit und mannigfaltigkeit der accen- 
tuation geht in der spräche verloren, indem eine gewisse 
hauptmelodie die anderen in sich verschlingt. Wie sich in 
der syntax die fügungen der Sätze einander aseimiliren, 
lehrt gleich ein einfacher blick auf die schon aus der 
schule bekannten fälle der griechischen attraction. Ja selbst 
im höchsten gebiete der spräche, im Stil und der aus- 
drucksweise der gebildeten und gelehrten, ist der assimi- 
lirende einflufs der grofsen geister auf die untergeordneten 

Zeitschr. f. vgl. sprachf. XX. 6. 26 



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40-2 



Förstemann 



bekannt genug; für gewisse stilgattungen und redefärbun- 
gen läfst sich förmlich eine geistesgenealogie der Schrift- 
steller aufstellen, welche die betreffende gattung in ihren 
werken zur erscheinung brachten. 

Im folgenden aber wollen wir keineswegs so hoch und 
weit fliegen; wir bleiben in unserem germanischen Sprach- 
gebiete und betrachten hier nur die consonantenassimila- 
tion, und auch von dieser nicht die sogenannte unvollstän- 
dige art, wo der eine laut sich nur dem andern quantitativ 
oder qualitativ anähnlicht, sondern nur die vollständige, wo 
der eine laut dem zweiten völlig gleich wird. Was sich 
auf diesem gebiete mittheilen läfst, wird nicht viel einzelne 
neue thatsachen liefern; wohl aber dürften die beiden ge- 
sichtspunkte neu sein, unter die wir die ganze fülle von 
erscheinungen zu ordnen suchen. Der eine dieser beiden 
gesichtspunkte ist der statistische, der andere der histo- 
rische. 

Vorauszuschicken habe ich zwei fälle, die ich im fol- 
genden ganz übergehe. 

Unter dem ersten falle verstehe ich den sogenannten 
ausfall eines consonanten vor einem anderen, z. b. den Über- 
gang von alts. und ags. nfj in blofses <Y; hier könnte man 
zweifeln, ob das n durch den vorhergehenden vocal (einen 
nasal vocal als Zwischenstufe gedacht) oder durch den fol- 
genden consonanten verschlungen wird; letzteres wäre eine 
wahre, nur nicht in der schrift ausgedrückte assimilation ; 
im allgemeinen nehme itfh, schon wegen der oft bemerk- 
baren affection des vorangehenden vocals, den ersteren 
Vorgang an. 

Der zweite fall ist die so zu sagen selbstverständliche 
assimilation, welche gleich von anfang an eintreten m u f s t e , 
wo die getrennte ausspräche der beiden consonanten phy- 
siologisch unmöglich ist. Ich meine damit die Verbindun- 
gen pb, td, kg und chh, in denen der vorangehende stär- 
kere laut den gleichartigen schwächeren ganz unterdrücken 
mufs. Beispiele: 1) pb : pp, wie in nhd. staubb es eu 
oder raubburg (wo ja das erste b tenuis ist); 2) td : tt; 
so in den alts. präteriteu gröttun, sattun aus grötidun, 



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Assimilation im deutschen. 



403 



setidun, ebenso in schwedischen wie satte, hvatte 
aus satde, hvatde. In unserem nhd. bist du, hast du 
lassen wir diese assimilation nur phonetisch, nicht graphisch 
eintreten. In niederdeutschem munde kann man, als wäre 
es ein wort, ein wohlklingendes arwietta (viersylbig, mit 
accent auf dem e) hören, entstanden aus als wie et da 
(sicut illud); 3) kg : kk, z. b. in nhd. rückgang, trink- 
geld in allen den mundarten, die nicht jang oder jeld 
sprechen; 4) chh : ch, wie in ahd. Rich-hart oder 
Hch-hamo, in denen gewifs, sobald die synkope einge- 
treten war, die getrennte articulation beider laute aufhören 
mufste. 

Diese fölle also bei seite gelassen gehn wir zur sta- 
tistischen betrachtnng der germanischen assimilation 
Ober, die kurz abgemacht werden kann. 

Im ganzen habe ich mir bisher 71 fälle von assimila- 
tion in unserem Sprachgebiete notirt und ich hoffe damit 
nicht weit von der Vollständigkeit entfernt zu sein. Al- 
phabetisch verzeichnet sind sie folgende: 



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404 



Förstemann 



Nun zerfällt aber alle assimilation in eine vorwärts 
und eine rück wärt« wirkende. Unter jener ersten verstehe 
ich (denn nicht alle Sprachforscher sind hier im sprachge- 
brauche einig) den sieg eines consonanten über einen an- 
deren, der ihm im worte folgt; unter der zweiten den sieg 
über einen im worte vorhergehenden. Mir ist also der 
deutsche umlaut und die brechung eine vocalische rück- 
wärts wirkende assimilation. Die vorwärts wirkende be- 
zeichne ich mit einem aus der mathematik entlehnten, 
jedoch etwas anders als dort angewandten zeichen durch 
<T, die rückwärts wirkende durch >. Jene entsteht be- 
kanntlich au 8 einer trägheit der sprachorgane, die den ein- 
mal hervorgebrachten laut festhalten, diese aus der flüch- 
tigkeit des geistes, welcher sich nicht die mühe giebt einen 
ersten laut vor dem zweiten zu articuliren, sondern zum 
zweiten sofort hinüber fliegt. 

Von den oben verzeichneten 71 fallen gehören 33 der 
<-klas8e, 38 der ;>-klasse an. 



Jene 33 sind in alphabetischer Ordnung folgende: 



bj : bb 




11 


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zj : zz. 

Es erscheinen hier 13 consonanten als sieger, nämlich 
bdfgklmnnrstz, dagegen 12 als besiegte, 
nämlich bdtffgjknrstv. Die neun consonanten 
b d f g k n r 8 t können also sowol einen folgenden be- 
siegen als von einem vorhergehenden besiegt werden, 1 m 
n z sind stets sieger über einen folgenden consonanten, 
9" j v werden immer durch einen vorhergehenden besiegt. 

Die stärksten sieger sind 1 (über sieben consonanten, 
d öf j k n r v) und n (über sechs, d ö" j r 8 v), das heifst, 
von diesen beiden lauten geht das germanische organ am 



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assimilation im deutschen. 



ungernsten zur articulation eines anderen consonanten Über. 
Das m siegt über vier consonanten (b. f j n), das s gleich- 
falls über vier (j r t v), das r Über drei (j n s), das k 
über zwei (j v), das h blofs Über einen (g), und b d f g 
t z gleichfalls nur über einen, der stets ein j ist. 

Der am meisten von einem vorhergebenden consonan- 
ten besiegte laut ist das j; es wird von zwölf verschiede- 
nen lauten verschlungen (b d f g k 1 m n r s t z), d. h. 
das germanische organ geht von einem andern consonan- 
ten am ungernsten zur articulation eines j Über. Von vier 
lauten wird besiegt das v (von k 1 n s), von je dreien 
das n (1 m r) und das r (1 n s), von zwei lauten das ö 
(1 n), das d (1 n) und das 8 (n r), von je einem das b (m), 
f (m), g (n), k (1) und t (s). 

Unter den 13 siegern sind fünf momentane und acht 
dauerlaute, unter den 12 besiegten dieselben fünf momen- 
tanen und sieben dauerlaute; diese eigenschaften sind also 
für sieg oder niederlage gleichgültig. 

Von der form > finden wir dagegen in den germa- 
nischen sprachen folgende 38 falle : 



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tt 


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• 
• 


nn 


rd 


• 
• 


dd 


ts 


• 
• 


88 


fm 


• 
• 


mm 


hr 


■ 
« 


rr 


rk 


• 
• 


kk 








ft 


• 
• 


tt 




• 
• 


SS 


rl 


• 
• 


11 









Auch bei dieser form erscheinen, wie bei der ersten, 
13 consonanten als sieger, nämlich bdfgklmnpr 
s t th, dagegen nur 10 als besiegte, nämlich b d Ö" f h 
m n r 8 t. 

Die acht consonanten b d fmnrst können also 
sowol einen vorhergehenden besiegen als von einem fol- 
genden besiegt werden, g k 1 p th sind stets sieger Über 



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406 



Förstemann 



einen vorhergehenden consonanten, ff und h werden immer 
durch einen folgenden besiegt. 

Als der stärkste sieger zeigt sich auch hier wiederum, 
wie schon oben, das 1; es verschlingt nicht weniger als 
sieben vorhergehende consonanten (bdffbnrt); d. h. 
das germanische organ fliegt mit besonderer Vorliebe über 
einen consonanten zu einem folgenden 1 hin; das 1, wel- 
ches man bekanntlich dem lautsysteme des ungetbeilten 
indogermanischen noch kaum zuschreiben darf, ist von die- 
sem Standpunkte aus der lieblingslaut des germanischen 
geworden. Das m siegt über fQnf vorhergehende conso- 
nanten (d f h n s), das 8 über vier (ff h r t), eben so das 
t (ff f h n), desgleichen das n (h r s t), das d über drei 
(ff h r), das k über drei (h n r), eben so das r (ff h s), 
das p nur über das m; endlich das b, f, g und tb gleich- 
falls nur über einen laut, der stets das h ist. 

Der am meisten von einem folgenden consonanten be- 
siegte laut ist das h; es wird von zwölf verschiedenen 
lauten verschlungen (b d f g k 1 morst th); d. h. 
das germanische organ fliegt Über ein h mit gewisser Ver- 
achtung zu einem folgenden consonanten hinweg; h vor 
einem consonanten nimmt eine eben solche pariastellung 
ein wie j nach einem consonanten (s. oben). Von fünf 
folgenden consonanten (d 1 r s t) wird das ff verschlun- 
gen, eben so von fünf (d 1 n k s) das r; von vier (k 1 m t) 
das n; von dreien (m n r) das s, eben so von dreien (1 n s) 
das t; von zweien (1 m) das d, eben so von zweien (m t) 
das f; von einem (p) das m, eben so von einem (1) 
das b. 

Unter den 13 siegern sind sechs momentane und sie- 
ben dauerlaute, unter den 10 besiegten drei momentane 
und sieben dauerlaute; momentane consonanten werden also 
selten durch einen folgenden laut verschlungen. 

Hier werfen wir noch die frage auf: kann innerhalb 
der germanischen sprachen ein und dieselbe consonanten- . 
gruppe sowol nach der klasse <T als nach der klasse ^> 
behandelt werden? Vergleicht man die 33 fälle der ersten 
mit den 38 der zweiten klasse, so finden sich allerdings 



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assimilation im deutschen. 



407 



in beiden Verzeichnissen drei gruppen, nämlich rn, rs und 
sr. Es gilt also <rn : rr eben so wie ;>rn : nn; des- 
gleichen <Trs : rr eben so wie ,>rs : 88 ; endlich -<sr : ss 
eben so wie >8r : rr. Die laute r und s sind also am 
leichtesten geneigt ineinander zu verfliefsen, unter umstän- 
den ist jeder von beiden fähig den andern zu verschlingen. 

So weit meine bemerkungen vom statistischen ge- 
sichtspunkte aus; man sieht, dafs ich damit an meine in 
den beiden ersten bänden dieser Zeitschrift enthaltenen 
lautstatistischen aufsätze seit langer zeit wieder einmal 
anknöpfe. 

Die Statistik aber ist eine dienerin der geschiente, 
und so steigen wir denn nun zum historischen Stand- 
punkte hinauf und sortiren jene 71 im eingange erwähnten 
assimilationsformeln nach der zeit und dem orte ihres Vor- 
kommens auf unserem Sprachgebiete. 

Ganz jenseits aller germanischen spräche und deshalb 
unter meinen 71 formein nicht aufgenommen scheint ein 
ganz vereinzelter fall sk : kk zu liegen; ich meine skr. 
maksikä, lat. musca, gegen altsl. mucha, ir. muc, ahd. 
mucca, unser mücke. Hier steht also das slavische und 
keltische auf der deutschen Seite. 

Dem zunächst stelle ich die forrael sm : mm. In 
einem sehr wichtigen falle verliert sich hier der erste con- 
sonant schon in der slavo- germanischen periode, nämlich 
in dem elemente sma der pronominalen declination. Vgl. 
goth. thamma aus *tasma = altsl. tomu, lit. tamui; eben 
so steht es bei hvamma, imma, bimma u. s. w. Desglei- 
chen bei den adjectiven, goth. godamma bono, lit. dat. 
geräm (alt gerämui) bono, lit. locat. gerame in bono; altsl. 
dat. dobrumu. Das einfache m im lituslavischen ist also 
hier nur graphisch för mm. Vgl. beiträge V, 438. Auf 
eigentlich deutschem gebiete scheint diese assimilation nur 
eingetreten zu sein in skr. asmi, grieeb. kapi, lit. esmi, ur- 
deutsch *immi, goth. im; unabhängig davon steht derselbe 
Vorgang im altir. am. Dies ist aber auch wol der einzige 
ganz sichere fall; vgl. zeitschr. IV, 411. 

Noch drei andere, sehr gut zu einander stimmende 



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408 



Förstemann 



und dadurch auf dieselbe spracbperiode hinweisende falle 
von assimilation scheinen dem alturdeutschen (man vergl. 
meinen aufsatz alt-, mittel-, neu- urdeutsch in bd. XVIII, 
161 ff. d. zeitschr.) schon zugeschrieben werden zu müssen, 
nämlich nv : nn, lv : 11, In : 11, sämmtlich nur mit betbei- 
ligung durativer laute, sämmtlich der formel <C angehörig. 

Für den ersten dieser falle, nv : nn, dürften folgende 
Beispiele erwähnt werden, wozu man zeitschr. IV, 94, 409 
und XIV, 320 vergleiche: # Manvus, welches für den taci- 
teischen Mannus als grundform anzusetzen scheint, obwol 
ich nicht glaube, dafs hier das suffix -vat anzunehmen ist; 
ferner *kinvus, das, wenn man griech. yevvg, skr. hanus 
erwägt, dem gotb. kinnus zu gründe liegt; *rinvan, goth. 
rinnan, vgl. skr. rnvämi oder rnömi; *vinvan, goth. vinnan, 
skr. vanvämi oder vanömi; *ginvan, goth. du-ginnan, skr. 
hinvämi oder hinömi; *thunvi, ahd. dunni, scheint aus lat. 
tenuis, griech. raitv, skr. tanus zu schliefsen. So mögen 
noch andere nn aus derselben assimilation zu erklären sein ; 
räthselhaft aber ist vor allem sunna sol, wo das bei Graff 
angeführte sumna auf mn, das altsl. slünice auf In, das 
skr. suvana auf vn fuhrt; was mag davon das richtige 
sein? 

Der zweite fall, lv : 11, liegt vielleicht vor in der ur- 
deutachen form *galva, ahd. galla, griech.'/oA^, möglicher- 
weise lat. fei; in # kolva, altn. kollr Caput, lit. galwa, alt- 
preufs. glawo, altsl. glava; endlich in *filva, goth. fill, lat. 
pellis, lit. pleve. 

Hiebei möchte ich gelegentlich bemerken, dafs viel- 
leicht noch ein paar andere falle von assimilationen eines 
v an einen vorhergehenden consonanten in zukunft werden 
anzunehmen sein, welche unter den obigen 71 fällen noch 
gar nicht begriffen sind; sie sind bis jetzt noch in mehr 
als einer beziehung zweifelhaft. Man vergleiche nämlich 
lit. wirwas (seil), altpr. wirbe, altsl. vrübi: altn. virr(draht); 
lit. britwa (messer), altsl. britva: altn. bredda; altsl. lichva 
( wucher): altn. leiga; auch erwäge man das diesem letzten 
beispiele nahe stehende goth. leihvan (leihen): altn. lia, ahd. 
und ags. lihan. 



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assimilation im deutschen. 



409 



Drittens In : 11; dafür sind beispiele *fulnas, goth. 
fulls, lat. plenus, lit. pilnas, skr. pürna; dann *vulna, goth. 
vulla und lat. villus gegen lit. vilna, altsl. vlüna, skr. ürnä; 
ferner *vilna, ahd. wella unda, lit. wilnis; dann lit. kalnas: 
altn. böll (collis); endlich lit. kulnis: altn. haell (calx). Man 
vergleiche hier zeitschr. IV, 412, woraus 6ich vielleicht 
noch einige beispiele ergeben. 

Sämtntliche besprochene fälle gehören allen germani- 
schen sprachen gemeinsam an; ich zweifle nicht, dafs sie 
schon vor deren trennung eingetreten sind. Ob diesel- 
ben assimilationen noch später in den getrennten sprachen 
vorkommen, ist nicht gewifs; ich habe mir keine beispiele 
dafür notirt, doch will ich ihr vorkommen etwa in einzel- 
nen volksmundarten keineswegs in abrede stellen. 

Nach au&8cheidung des gothischen, über das wir spä- 
ter werden zu reden haben, blieb als gemeinsame spräche 
nach meiner ansieht das mittelurdeutsche übrig; wir wer- 
den uns der einfftbrung dieses begriffs (und so mancher 
anderen) in dio Sprachwissenschaft nicht deshalb entziehen 
können, weil wir kein Schriftstück in dieser spräche be- 
sitzen, oder gar deshalb, weil das diese spräche redende 
volk überhaupt wol nicht geschrieben hat. Neue während 
dieser zeit eingetretene assimilationen lassen sich kaum 
nachweisen; zwar ist es thatsache, dafs alle zu goth. thair- 
san, thaursjan u. 8. w. gehörenden formen im altn., ahd., 
ags. u. 8. w. blofses rr aufweisen, aufser wo das 8 durch 
folgendes t (nhd. durst u. s. w.) geschützt wurde, aber 
dieser fall von assimilation ist erstens ein aufserordentlich 
natürlicher (s. oben) und zweitens tritt er in den ge- 
trennten sprachen in weit späteren perioden noch öfters 
ein (s. unten), so dafs dieses zusammenstimmen nur auf 
einer gleichfalls sehr natürlichen gleichmäfsigen entwicke- 
lung der getrennten sprachen beruhen mag. — Die nei- 
gung, ein j dem vorhergehenden consonanten zu assimili- 
ren (s. weiter unten), mag schon in dieser periode, wenn 
auch in sehr unbestimmter weise, sichtbar oder vielmehr 
hörbar gewesen sein. 

Dem neuurdeutschen, d. h. der nach ausscheidung des 



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410 



Fürstemann 



nordischen zwefges Übrig bleibenden spräche, weifs ich 
kaum falle von assimilationen zuzuschreiben, doch bezweifle 
ich kaum, dais sich dergleichen in zukunft noch werden 
auffinden lassen. 

Aus dem neuurdeutschen schied sich das hochdeutsche 
als letzter grofser zweig aus und es bleibt nun als die Fort- 
setzung des eigentlichen Stammes nur das sächsische übrig. 
Auch ihm können wir vor seiner theilung noch keine ge- 
meinsamen falle von assimilationen zuschreiben, und das 
ist eben so wenig wunderbar als bei den urdeutschen pe- 
rioden, denn jene theilung liegt in einer so frühen zeit, 
dafs wir uns die spräche noch ziemlich frei von Verweich- 
lichung, und eine solche ist doch immerhin jede assimila- 
tion, vorstellen müssen. Und zumal das germanische konnte, 
wie ich schon in den ersten bänden dieser Zeitschrift be- 
sprochen habe, lange einen sehr starken knochenbau von 
consonanten ertragen. 

Wir gehen deshalb zu denjenigen fallen von assimila- 
tion über, welche den einzelnen der von einander getrenn- 
ten sprachen besonders charakteristisch sind. 

Als den vorzugsweise dem gothischeji eigenen fall 
betrachte ich die assimilation des bei partikeln öfters aus- 
lautenden h an den anlautsconsonanten des folgenden worts. 
Folgendes sind die einzelnen falle: 

*hb : bb. jahbiudis : jabbiudis, jah brusts : jabbrusts. 
hd : dd. jah du : jaddu. 

hg : gg. jah gabairaidau : jaggabairaidau, jah galaith 
: jaggalaith. 

hk : kk. nuh kannt : nukkannt. 

hl : 11. duh leitilai : dulleitilai, jah liban : jalliban, 
jah laggei : jallaggei. 

hm : mm. jah mundoth : jammundoth. 

hr : rr. jah ragin : jarragin. 

hth : thth. vasuh than : vasuththan, sumaih tban : 
sumaiththan, inuh this : inuththis, duh the : duththe, jah 
tban : jaththan, nih tban : nitbtban, jah thairh : jaththairh, 
jah the : jaththe. 

Für alle diese falle weifs ich aufserhalb des gothischen 



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assimilation im deutschen. 



411 



kein beispiel; nur für hn : nn und hs : es werde ich auch 
ungothische beispiele beibringen und bewahre mir deshalb 
diese beiden gruppen bis weiter unten; für noch zwei an- 
dere gruppen, hf : ff und ht : tt, weifs ich sogar kein 
gothisches, sondern nur andere beispiele. 

Nach alle dem bleibt nur noch ein einziger rein go- 
thischer fall übrig, nämlich kv : kk, nur belegt in dem 
aus slavischem smokva assimilirten fremdworte smakka, 
ganz einzeln stehend, da sonst das gothische ein inlauten- 
des kv (qu) durchaus nicht scheut. 

Wir kommen nun zu dem zweiten von der gemein- 
samen spräche getrennten zweige, dem altnordischen. In 
bezug auf assimilation macht grade das altnordische einen 
nichts weniger als alterthümlichen eindruck; es ist hierin 
die am meisten verwitterte aller deutschen sprachen. Fol- 
gendes sind die speciell nordischen falle: 

Dem nordischen geradezu charakteristisch ist der Über- 
gang eines nasals in eine folgende tenuis, also mp : pp, 
nt : tt und nk (d. h. nk) : kk. Zunächst beispiele für die 
einzelnen Vorgänge. 

mp : pp. Ags. cempa : altn. kappi (pugil), ahd. 
stamphön : altn. stappa (calcitrare). Man vergleiche auch 
im altnordischen selbst svampr spongia neben sveppr fun- 
gus. Altschwedische beispiele bei Rydqvist Svenska spräkets 
lagar bd. IV (Stockholm 1868), 8. 339. Im schwedischen 
stubb, stubba, stubbig, die zu unserm stumpf gehören, 
erweicht sich das pp nach dänischer art zu bb. 

nt : tt ist aufserordentlich häufig. So ist fattr (zu- 
rückgebeugt) aus fantr, brattr (steil) aus brantr entstanden, 
vöttr (bandschub) hat sein n noch bis heute im franz. 
, gant; man vergleiche ferner möttull mantel, tuttugu zwan- 
zig. Von binda, hrinda (stolse), vinda heifsen die präte- 
rita batt, hratt, vatt, die imperative bitt, hritt, vitt. So- 
gar der stamm einiger pronomina schmilzt mit dem neu- 
tralen -t auf diese weise zusammen in hitt illud, mitt 
meum, thitt tuum, sitt suum, eitt unum, während bei den 
gewöhnlichen adjectiven das nt unangetastet bleibt (hreint 
purum, brünt fulvum, lint lene). Mitunter wird statt des 



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Förstemann 



assimilirten tt einfaches t geschrieben wie in vetr winter, 
oder hit für das eben genannte pronomen hitt, so auch 
meistens im neutrum des particips, z. b. tamit domi- 
tum. Ueber manche altschwedische falle spricht Rydqvist 
IV, 341 f. 

Eben so häufig ist nk : kk. Man vergl. ahd. anchal 
: altn. ökull, ökli talus, ahd. franca : altn. frakka hasta, 
eben so den namen Franco : altn. Frakkar, ahd. skrank : 
altn. skrökkr fraus, schwed. und dän. manke : altn. makki 
juba equina, ahd. danch : altn. thökk gratiae (thakka gra- 
tias agere), ahd. bank : altn. bekkr scamnum, ags. gehlen- 
ced tortus : altn. hlekkr catena, sogar das lat. ancora : 
altn. akkeri; ferner ahd. dunchal : altn. dökkr obscurus, 
goth. drigka : altn., drekka bibere. Endlich präterita wie 
feck, geck (fing, ging). 

So bekannt die ersch einung dieser drei assimilationen 
ist, so wird sich doch eine genauere Untersuchung dersel- 
ben verlohnen. Man weifs ja, dafs sie nicht noth wen- 
dig eintritt; Grimm führt an verschiedenen stellen von 
gramm. I 2 manche formen an, welche noch die assimila- 
tion entbehren. Man weifs ferner, dafs die neueren nor- 
dischen sprachen oft noch die unassimilirte form zeigen, 
wie z. b. das oben angeführte schwed. und dän. manke, 
ferner schwed. und dän. bänk scamnum, schwed. länk, dän. 
länke catena, eben so schwed. ankare, dän. anker, während 
in anderen fällen diese sprachen der altn. assimilation fol- 
gen. Das neuisländische hat erst in jüngerer zeit sein 
thenkja denken aus dem dänischen aufgenommen für altn. 
thekkja. Ferner habe ich in dieser zeitschr. XIX, 354 
darauf hingewiesen, dafs wir denselben assimilationen auch 
im litauischen begegnen. Kurz, alles dieses mufs uns dazu 
auffordern, der erscheinung noch weiter nachzugehn; er- 
weist sie sich etwa als dialektisch? das könnte zu wich- 
tigen ergebnissen fuhren. 

Diesen drei fällen müssen wir zunächst anreihen das 
eigentümliche altnordische nn aus nöf, wo die Schwankung 
zwischen assimilirten formen und der ausstofsung des n 
nach angelsächsischer weise im altnordischen ganz gewöhn- 



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aBsimilation im deutschen. 



413 



lieh ist, während das schwedische dafür zuweilen, das 
dänische gewöhnlich noch nd hat und damit beide alt- 
nordische formen an alterthömlichkeit übertrifft. Wir wol- 
len, um das ganze verhältnifs anschaulich zu machen, zu- 
erst, vom altnordischen abgesehn, solche formen hersetzen, 
die noch beide consonanten unversehrt erhalten, dann 
solche, die das n ausstoßen, drittens solche, die das assi- 
milirte nn aufweisen, endlich aber sehn, wie sich zu alle 
dem das altnordische verhält. 

Goth. finthan, ahd. und ags. findan, dän. linde, — 
schwed. finna, altn. finna. 

Ahd. 8ind6n, — ags. sföjan (proficisci), — altn. sinna, 
fehlt schwed. und dän. 

Ahd. scindan (schinden), dän. skind (feil), — schwed. 
skinn, altn. skinn. 

Dan. sand (verus), — - alts. und ags. sööT, — schwed. 
sann, — altn. sannr neben saör. 

Goth. anthar, ahd. andar, dän. anden, — ags. ööer, 
alts. oöar, — schwed. andra neben annan, altn. annar. 

Goth. kunths, ahd. kund, dän. kundbar, — ags. cütJT, — 
schwed. kunnig, — altn. kunnr neben kudr. 

Lat. unda, ahd. undja, — ags. yff, — altn. unnr ne- 
ben uör. 

Goth. svinths, ahd. swind, — ags. svföf, — altn. svinnr 
neben sviÖr. 

Goth. munths, ahd. mund, dän. mund, — ags. müöf, — 
schwed. mun, — altn. munnr neben muör. 

Ahd. sundar, — ags. 8ÜÖT, schwed. södre, dän. syd, — 
altn. sunnr neben suör. 

Selten findet sich im altnordischen die assimilation 
nd : nn, wie in band land : bann lann, gewöhnlich bleibt 
nd, doch wollen wir diesen fall erst unten näher erwägen. 

Auch bei dem eben angeführten schwanken zwischen 
nöf : nn und nö" : Ö* tritt uns die oben angeregte und noch 
nicht ausreichend beantwortete frage nach dem verhältnifs 
beider formen zu einander entgegen, zumal da sich weder 
nn aus & noch letzteres aus ersterem sprachlich deuten 
läfst. Liegen auch hier Verschiedenheiten bestimmter dia- 



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4U 



Förstemanu 



lckte zu gründe? gehört das tf der früheren (dänischen), 
das nn der späteren (gothischen oder schwedischen) ein- 
wanderung in Scandinavien an? Man vergl. hier Rydqvist 
IV, 288. 

Wiederum eine ganz dem nordischen eigentümliche 
assimilation ist nr : nn im auslaute, also Unterdrückung 
des masculinen nominatiyzeichens; beispiele sind altn. steinn, 
sveinn, seinn, eiginn, minn (meus), thinn (tuus), sinn (suus), 
hinn (ille), bann (is), einn (unus); dahin gehören auch die 
starken part. praet. Bei kurzsilbigen bleibt das r öfters, 
z. b. vinr. Doch nicht blofs das nominative r wird vor- 
hergehendem n so assimilirt, sondern das geschieht mit 
diesem consonanten auch sonst öfters, z. b. scinn (lucet) 
oder beinni aus beinri (certior). 

Das umgekehrte rn, welches sonst im deutschen (s. 
unten) die neigung hat sich zu rr zu assiimliren, wird in 
einigen nordschwedischen m und arten so wie im gothländi- 
schen öfters zu nn , z. b. dalekarlisch jenn , byenn , jenne, 
kinna, onn, konn, qvänn, aikonn für schwedisch jern, björn, 
hjerne, kerna, horn, korn, quam, ekorn; noch mehr bei- 
spiele bei Rydqvist IV, 347. 

Ganz vereinzelt in den deutschen sprachen steht mir 
der fall mf : mm im altn. fimm quinque, schwed. und 
dän. fem. 

Ganz gewöhnlich ist im altnordischen, und nur in 
diesem, die assimilation lflf : 11. Man vergl. goth. bulths : 
altn. hollr (gratus), hylli (gratia) ; goth. balths : altn. ballr 
(validus); goth. gulth : altn. gull (aurum); goth. vultbus : 
altn. Ullr; goth. viltheis : altn. villr (ferus) ; goth. altheis : 
altn. elli (vetus), woneben freilich auch aldr und öld be- 
steht; ahd. hald : altn. hallr (proclivis); ahd. sälida : altn. 
saell (felicitas). Wie wir oben das alte nd im altnordi- 
schen meistens unassimilirt fanden, so pflegt auch das alte 
ld zu bleiben. Und wie wir nd" : nn im dänischen und 
schwedischen noch nicht so weit vorgeschritten fanden wie 
im altnordischen, so ist IöT in den beiden neueren nordi- 
schen sprachen sogar ganz unversehrt geblieben (d. h. in 



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assimilation im deutschen. 



415 



der form ld); jenen assimilirten formen entspricht schwed. 
und dän. huld, guld, vild, auch dän. hald (saxum). 

Ganz genau entsprechend dem obigen nr : nn finden 
wir nun auch ein nordisches lr : 11 und zwar in unzähli- 
gen beispielen; das assimilirte r ist meistens das zeichen 
des nominativs, seltener das der 3. pers. sing. So wird 
heilr : heill (salvus), haelr : haell (calx pedis), stolr : stöll 
(sella), gamalr : gamall (vetus), iökulr : iökull (glacies), 
kelr : kell (alget); andere beispiele bei Grimm gramm. I 
(1822), s. 651. Bei geminirtem 1 bleibt das r, z. b. illr 
malus, zuweilen aber auch bei einfachem, z. b. dalr vallis, 
elr alit Das altschwedische läfst lr gewöhnlich unverletzt 
und schiebt nur zuweilen ein euphonisches d dazwischen 
(z. b. gen. plur. fuldra, aldra). 

Ferner ist hier zu erwähnen rs : ss, doch nur in ein- 
zelnen gen. sing., z. b. näss funeris, ofuss ignis fluvii, buss 
filii aus nars, ofurs, burs; foss Cataracta wird in einigen 
stellen für fors gelesen. 

Wiederum echt nordisch ist rd (goth. zd, ahd. rt) : 
dd. Ich gebe als beispiele ags. ord, mhd. ort : altn. oddr 
cuspis gladii; goth. huzd : altn. hoddr tbesaurus; ags. brord, 
ahd. brort : altn. broddr sagitta; goth. razda : altn. rödd 
vox; noch andere falle findet man bei Grimm gramm. I 
(1822), s. 319. An dieser assimilation nehmen die neu- 
nordischen sprachen übrigens theil, wie schwed. udd, dän. 
odde und brodde zeigen; sie scheint also älter zu sein als 
einige der oben erwähnten. Zu bemerken ist noch, dafs 
altes rd im altnordischen als rff erscheint. 

Selten zeigt sich ein rk : kk; vergl. z. b. ags. deorc 
niger : altn. döckr, stöcka crescere für störka, miocka te- 
nuare für miorka. So Grimm gramm. I (1822), 8.309, 
doch ist mir der ganze fall etwas zweifelhaft. 

Ganz vereinzelt ist sv : 88 im altn. hasva neben höss 
(cinereus); eben so vereinzelt sn : nn im goth. razn : altn. 
rann (domus), vielleicht durch ein dazwischen stehendes 
*rarn erklärlich. 

Auch noch in einem sehr häufigen falle zeigt sich das 
nordische verwitterter als alle anderen germanischen spra- 



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416 



* 

Förstemann 



chen, ich meine ht : tt (mit vocalverlängerung). Beispiele: 
altn. natt, nött (nacht), mattr (macht), slättr (schlacht), 
atta (acht), rettr (recht), letti (leichtigkeit), slattr (schlicht), 
vettr (wicht), sott (sucht), döttir (tochter), gnött (genüge), 
thötti (goth. thuhtus gewissen). In biartr (ahd. berabt) 
u . s. w. wird nur ein t geschrieben, eben so in spetr 
(specht, schwed. spett, dän. spaet). In setti sextue ist so- 
gar vor der assimilation das s ausgestossen. An dieser 
assimilation nimmt auch das schwedische und dänische 
theil. Von söka (suchen) heifst es in den altscbwedischen 
gesetzen sötte, sotter, sott neben sökt. Man vergl. ferner 
schwed. natt (nox), ätta (octo), ätt (genus), lett (levis), dän. 
nat, otte, let, datter. Doch gilt dagegen (durch deutschen 
einflufs?) schwed. makt (macht), akta (achten), rigta (rich- 
ten), dän. magt, agt, rigtig. 

Ein t\ : tt begegnet im altn. sättr (sanft), desgleichen 
im dän. atter, altschwed. attir (gegen altn. aptr, altschwed. 
efter). 

Ein dl : 11 tritt im altnordischen selten und tadelns- 
werth auf, so miffli : milli (inter) ; ahd. fridila : frilla (ama- 
sia): brädliga : brälliga (cito). So auch schwed. frilla, 
bröllop (nuptiae, zu altn. brüör). Rydqvist IV, 345 hat 
noch mehr beispiele. 

Dem entspricht Ör : rr im goth. hvathar : altn. hvärr 
(uter). 

Auch vor t schwindet öf, und zwar im neutrum der 
adjectiva, glatt, gott, blitt etc. 

Ein tn : nn kenne ich nur im dän. dronning regina, 
altn. und schwed. drottning. 

Endlich mag noch erwähnt werden bl : 11 im goth. 
ubils : altn. illr; doch beruht hier das 11 wol eher auf einem 
zunächst vorhergehenden fl. 

So sind also 21 fälle von assimilationen (| bis J aller 
oben im germanischen aufgezählten) als dem nordischen 
zweige unseres Sprachgebietes eigenthümlich aufgefun- 
den worden, nämlich 6 von der form <: lö" : 11, lr : 11, 
mf : mm, nöf : nn, nr : nn, sv : 88, und 15 von der form 
>: rd : dd, nk : kk, rk : kk, bl : 11, öi : 11, sn : nn, 

X 

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Assimilation im deutschen. 



417 



rn : nn, tn : nn, mp : pp, «fr : rr, rs : ss, tSi : tt, ft : tt, 
ht : tt, Dt : tt. Dazu wird noch unten mancher fall kom- 
men, der dem altnordischen mit den anderen germanischen 
sprachen gemeinsam ist. 

Ganz anders ist das bild, welches uns der hoch- 
deutsche zweig liefert; nur wenige fälle von assimilationen 
sind ihm eigenthümlich und auch diese wenigen kommen 
bis auf einen nur in sehr vereinzelten beispielen vor. 

Dieser eine fall ist mn : mm; jenes mn ist theils ur- 
sprünglich theils aus noch älterem bn entstanden. Letz- 
teres ist der fall im goth. stibna (vox), wofür althochdeutsch 
nur stimna und stimma, mhd. und nhd. nur stimme gilt; 
schwed. 8tämma ist neu und vielleicht durch deutschen ein- 
flufs umgewandelt. Eben so erscheint das im gothischen 
vorauszusetzende *stabn truncus im althochdeutschen nur 
als stam (thema stamm). Denselben gang gemacht hat, 
jedoch zu späterer zeit, das ahd. hraban corvus, welches 
wir ja noch häufig in dieser gestalt finden, während hramn, 
hramm (im nom. gewöhnlich hram) ja besonders in den 
eigennamen vorkommt. Diesen drei beispielen kann ich 
drei andere entgegensetzen, in denen das mn ursprunglich 
ist, nämlich erstens ahd. samanön (colligere), wofür mhd. 
samnen und selten sammen erscheint, zweitens ahd. naran- 
jan (nominare), woneben schon früh ein nammjan und dann 
in weiterer entartung sogar ein nannjan auftritt, und end- 
lich das aus dem lat. damnare herübergenommene verdam- 
men, welches im mittelhochdeutschen meistens noch echter 
verdamnen geschrieben wird. Aufserhalb des hochdeut- 
schen kann hier angeführt werden, dafs man schwed. 
nämnde (nannte) schreibt, aber nämde spricht (Rydqvist 
I, 57). 

Viel neuer ist lk : 11 in dem nhd. marschall, mhd. 
marschalc, eben so in unserem seneschall (siniscalc), wäh- 
rend das einfache schalk auch im neuhochdeutschen unas- 
similirt bleibt und überhaupt uns sonst das lk in keiner 
weise widerstrebt. 

Ein ganz vereinzeltes ns : nn fuhrt Schleicher aus der 

Zeitschr. f. Tgl. sprachf. XX. 6. 27 



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418 



Företemann 



neuhochdeutschen mundart von Sonneberg an, nämlich 
unner für unser. 

Im vierten, sächsischen zweige unserer spräche ist 
zwar an assimilationen kein mangel, doch suchen wir ver- 
geblich nach solchen fällen, die diesem zweige eigen- 
tümlich wären; es sei denn etwa die unten zu erwäh- 
nende assimilation in stern Stella. Ich fahre hier nur 
ganz vereinzeltes an: 

fm : mm im ags. vifmann neben vimmann, vimmann, 
vemman, woraus engl, woman. 

Ö*d : dd im altsächsischen praeteritum cudda aus cud~da 
von cudjan. 

Nicht gerechnet habe ich ags. stigräp : engl, stirrup 
(Stegreif), da hier wol Volksetymologie zu gründe liegt. 

Alle die nun noch nicht besprochenen falle von assi- 
milation gehören nicht einem einzelnen der vier germani- 
schen spracbzweige an, sondern lassen sich in mehreren 
derselben nachweisen, jedoch so, dafs der eintritt dieser 
erscheinung nicht etwa vor der trennung dieser sprach- 
zweige, sondern erst nach dieser trennung in jedem der 
zweige selbständig erfolgt ist. Assimilation ist eben ein 
so natürlicher Vorgang im sprachleben, dafs man sich 
bei ihr mehr noch als bei anderen erscheinungen hüten 
mufs, aus der Übereinstimmung in zwei sprachen auf den 
frühen eintritt des Vorgangs zu schliefsen. v 

Der wichtigste aller dieser fälle, oder vielmehr eine 
ganze klasse von zusammengehörigen fallen, ist die assimi- 
lation des j an einen vorhergehenden consonanten, na- 
mentlich des j der schwachen conjugation an den letzten 
consonanten des verbalstammes. Dieses j, welches wir in 
der ersten schwachen conjugation des gothischen noch re- 
gelmäfsig erhalten sehen, scheint in den beiden anderen con- 
jugationen während der urdeutschen periode untergegangen 
zu sein, nicht früher, da wir es namentlich im litauischen 
noch ganz unversehrt finden, während es allerdings z. b. 
das lateinische und das griechische schon bis auf geringe 
spuren vertilgt haben. Im deutschen schwindet auch jenes 
gothische j sowol im nordischen als im hochdeutschen und 



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assimilation im deutschen. 419 

und sächsischen zweige durchgängig, aber sehr allmählich 
und gewöhnlich erst nach einer deutlichen periode des 
Schwankens, von welcher auch die besonders im angelsäch- 
sischen und altsächsischen nicht selten vorkommenden mitt- 
leren formen mit ea für ja zeugnifs geben. Der ganze 
Vorgang ist aber nicht etwa auf die schwachen verba be- 
schränkt und darf daher in der grammatik nicht bei die- 
sen, sondern er mufs in der lautlehre behandelt werden, 
da nominalformen mit derselben lautfolge daran gleichfalls 
theil nehmen. Ich führe nun im folgenden die einzelnen 
falle in alphabetischer reihe an und gebe bei jedem eine 
anzahl von beispielen sowol von der unassimilirten als von 
der assimilirten form, selbstverständlich ohne irgend ein 
streben nach Vollständigkeit, die bei dieser fülle geradezu 
unmöglich wäre. 

bj : bb (streng ahd. pp). Unassimilirt : goth. daubjan, 
draibjan, drobjan, hleibjan, laibjan, laubjan, sibja, stubjus, 
vaibjan; ahd. gawerpian, gilaubiu; alts. sibbja, goduwehbiu 
(instrum.); ags. onsvefjan. Mittelform: crippea bei Tatian. 
Assimilirt: altn. kemban; ahd. truoban, gilauban, sibba, 
stubbi, antswebban, gotawebbi, mit Übergang in andere 
conjugationen tribön, liben; ags. cemban, onsvebban, sibb. 
Nach langen vocalen und nach mehreren consonanten 
wird, wie man sieht, die assimilation graphisch nicht dar- 
gestellt. 

dj : dd. Der lateinische stamm medio erscheint im 
gothischen reiner als midja, das altsächsische hat noch un- 
assimilirt an middian dag, undar middiun u. s. w., 
im altn. miör (für midr) ist das j noch bewahrt vor den 
mit a und u beginnenden casusendungen, dagegen ags. as- 
similirt midd, ahd. mitti. Sonstige formen ohne assimila- 
tion: goth. sandjan, andjan, baidjan, blindjan, braidjan, 
fodjan, freidjan, hardjan und manche andere; schwed. kedja; 
ahd. chundiu, wirdiu, redjön, redja; alts. sendian, bedian, 
beldian, bredian, ledian, nödian, wendian, awardian, andwor- 
dian, endjön; ags. endjan, blindjan, heardjan, lendjan, neäd- 
jan, cviddjan, vandjan. Mittelform: ahd. undeom (dat. pl.). 
Assimilirt: altn. senda, enda, lenda, venda; ahd. sente*n, 

27* 

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Förstetnann 



endon, tftd&n, zünden; alts. endön ; ags. sendan, bsedan, 
bildan, braedan, dedan, fedan, gyrdan, hreddan, byrdan 
und viele andere. 

fj : ff. Una88imilirt: goth. hafjan; ags. deafjan, lof- 
jan, reafjan. Assimilirt: altn. deyfa, dreifa, blifa, leifa, leyfa, 
lofa, raufa; ahd. heffan, aeffan, slaufan, wuofan, cbemfan, 
snerfan, toufen; ags. drefan, drefan, laefan, gelefan. 

gj : gg. Unassimilirt: goth. agjan, ogjan, audagjan, 
augjan, hugjan, lagjan, svogjan, vargjan; altn. oegja, 
beygja, fegja, hlaegja, byggja, leggja, roegja; alts. ögjan, 
huggjan, leggjan, thiggjan, wrogjan; ags. egjan, eavjan, 
bagjan, bygjan, virgjan. Mittelform: alts. seggean; ags. 
egean, eadigean, begean, secgean, vr&gean. Assimilirt: 
altn. haga; ahd. hagan, hugan (für haggan, huggan); ags. 
bycgan, lecgan, secgan, thicgan, began, egan, vregan, 
svegan. 

kj : kk. Unassimilirt : goth. draggkjan, kukjan, sok- 
j an , vakjan, vrakjan; altn. merkja, soekja, vekja, rekja; 
ahd. chruckia (Graff IV, 591), ruckie u. 8. w. (Graff IV, 
1149), weckiu (Graff I, 676), huuekian (ebend. I, 658); 
alts. sokian; ags. mearcjan, vacjan. Mittelform: ags. dren- 
cean, secean. Assimilirt: ahd. diccan, senkan, stenchan, 
wechan, suochan, brucca (pons) ; ags. reccan, veccan, vrec- 
can, theccan, sencan, sScan. 

lj : 11 (wie schon griech. ßaXkm^ aXhofiai, fiäXXov 
u. s. w.). Unassimilirt: goth. aljan, bauljan, dailjan, fulljan, 
gailjan, haljan, hailjan, huljan, meljan, mikiljan, malvjan, 
nagljan, saljan, sauljan, valjan, viljan; altn. eljan, bylja, 
dvelja, Heljar (gen.), hylja, telja, velja, mylja, kvelja; ahd. 
heljan, teiliu, helliu, selju; alts. ellien, däljan, dueljan, fell- 
jan, fulljan, hellja, heljan, heljan, tellian, quelljan; ags. 
eljan, dveljan, fulljan, heljan, miceljan, nägljan, syljan, 
cveljan. Mittelform: ahd. willeo; alts. ellean, fellean, hul- 
lean, willeo; ags. ellean. Assimilirt: altn. deila, fella, fylla, 
stilla, gaela, heilla, mala, sola, mikla, negla; ahd. ellan, 
tcilan, twelan, fellan, hella, hellan, heilan, hullan, ftallan, 
quellan, sellan, stellan, stillan, wellan, zellan; alts. helan; 
ags. eilen, dvellan, da^lan, fellan, fyllan, gselan, hell, bae- 



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assimilation im deutschen. 421 

lan, sellan, tellan, stillan. Die letzten spuren des unassi- 
milirten Ij verschwinden erst im dänischen, mittelhoch- 
deutschen und englischen, hier sogar mit ausstofsung eines 
dazwischen stehenden consonanten in engl, follow aus ags. 
folgjan. 

mj : mm. ünassimilirt: goth. dammjan, domjan, gram- 
jan, samjan, sniumjan, vammjan, altn. gremja, lemja, semja; 
ahd. frumjan, traumjan, tuomju; alts. döinian, rümian; ags. 
gremjan, lemjan. Assimilirt: altn. daema, geyma, lima, 
ryma; .dän. taemme; ahd. frumman, greman, goumen, limen, 
rümen neben rumman; ags. fremman, demman, vemman, 
deman, geman, gyman, liman, ryman. 

nj : nn. Ünassimilirt: goth. brannjan, brunjo, gairn- 
jan, baunjan, hrainjan, ibnjan, kannjan, lauganjan, rabnjan, 
rannjan, sainjan, stainjan, taiknjan, venjan; altn. brynja, 
thenja, venja; ahd. brunja, denjan, nemniu, louganiu, wä- 
niu; ags. cuöjan, geornjan, efenjan, leänjan, leg n jan, recn- 
jan, sänjan, tacenjan, venjan, thenjan. Assimilirt: altn. 
brenna, girna, jafna, kenna, kynna, launa, meina, reikna, 
renna, seina, skeina, täkna, vaena; ahd. brennan, brunna, 
hönan, hreinnan, chennan, meinan, rennan, sceinan, dennan, 
zeinna; ags. brennan, h6nan, hynan, hraenan, cyÖan, lyg- 
nan, maenan, rennan, scaenan, staenan, vßnan. In fani, 
kuni, munan (vergl. ahd. fenni, kunni, minna) mag sogar 
schon ausnahmsweise das gothische die erinnerung an eine 
frühere assimilation aufgegeben haben. 

rj : rr. ünassimilirt: goth. fahrjan, farjan, merjan, 
skeirjan, varjan; altn.: byrja, ferja, spyrja, verja; ahd. 
burjan, denen etc. (Graff V, 438), ferien (Graff III, 587), 
herie (Graff IV, 984), hrörjan, cherio (Graff IV, 466), ner- 
jan, rörja, suerjan, werjan; alts. burjan, förjan, hrörjan, 
märjan, nerjan; ags. byrjan, faegerjan, ferjan, feorrjan, 
nerjan, spyrjan, varjan. Assimilirt: altn. fegra, firra, Ibra, 
braera, laera, maera, skira, steyra; ahd. burran, foran, 
hruoran, keran (cherr^n), nerren, rorra, sciaran, storran, 
werren; ags. fyrran, feran, hreran, laeran, maeran, steran. 
Bei diesem falle ist es merkwürdig, dais das j mehrfach 
deutliche versuche macht, sich dadurch vor dem unter- 



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Förstemann 



gange zu retten, dafs es die härtere und selbständigere 
gestalt eines